Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer im sozialgerichtlichen Verfahren
Tatbestand
Die Kläger begehren die Zahlung einer Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer.
Die geborene Klägerin Ziff. 1 ist die leibliche Mutter der zwischen 1989 und 1996 geborenen Kläger Ziff. 2 bis Ziff. 5. Die
Kläger wohnten zum streitgegenständlichen Zeitpunkt (2007) in einer gemeinsamen Wohnung (103,7 m2) in Freiburg und bezogen laufende Leistungen der Grundsicherung für Arbeitssuchende nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) von der ARGE Freiburg.
Mit Schreiben vom 29. August 2007 hatte der SGB II-Leistungsträger, die ARGE Freiburg (jetzt Jobcenter Freiburg), die Kläger aufgefordert, ihre Kosten der Unterkunft zu senken,
da diese unangemessen hoch seien (die Kaltmiete betrug zunächst 700,00 €, seit Oktober 2010 wegen Modernisierungsmaßnahmen
1000,00 €). Die Kläger wurden in dem Zusammenhang aufgefordert, Nachweise zu erbringen, dass sie sich um eine kostengünstigere
Wohnung bemühen würden, und ferner darauf aufmerksam gemacht, dass die Unterkunftskosten auf den angemessenen Mietzins abgesenkt
würden, sofern keine Nachweise erbracht werden sollten.
Hiergegen erhoben die Kläger mit Schreiben vom 23. November 2007 Widerspruch, den die ARGE Freiburg mit Widerspruchsbescheid
vom 14. Januar 2008 als unzulässig zurückwies, da es sich bei dem Schreiben vom 29. August 2007 nicht um einen Verwaltungsakt
handele.
Dagegen hatten die Kläger durch ihren Bevollmächtigten am 18. Februar 2008 Klage vor dem Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben. Der Bevollmächtigte hatte hierbei die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Kostensenkungsaufforderung um
einen Verwaltungsakt handele. Diese Aufforderung greife nämlich regelmäßig tiefgreifend in das Leben eines Leistungsempfängers
ein. Zumindest dann, wenn die Sechsmonatsfrist des § 22 Abs. 1 SGB II in Gang gesetzt werde, komme der Aufforderung unmittelbarer Regelungscharakter zu. Eine gerichtliche Überprüfung sei auf
der Grundlage der Auffassung der ARGE Freiburg hingegen erst dann möglich, wenn es nach nicht erfolgter Senkung der Unterkunftskosten
zur Leistungskürzung komme. Damit werde dem Hilfeempfänger ein Risiko aufgebürdet, das er nicht tragen könne. Die Aufforderung
zur Senkung der Unterkunftskosten begründe die Obliegenheit des Leistungsempfängers, sich um die Senkung der Unterkunftskosten
zu bemühen. Außerdem enthalte sie die Festlegung der Behörde, in welcher Höhe Unterkunftskosten zukünftig als angemessen angesehen
würden.
Nach Eingang der Klage hat das SG mit Verfügung vom 17. März 2008 erforderliche Ermittlungen angestellt und insbesondere den Bevollmächtigten der Kläger aufgefordert,
die zunächst unvollständigen Nachweise seiner Bevollmächtigung (fehlende Vollmachten bezüglich der schon volljährigen Kläger
bzw. Vollmachten des neben der Klägerin Ziff. 1 bezüglich der minderjährigen Kinder Sorgeberechtigten) vorzulegen. Dieser
Aufforderung ist der Bevollmächtigte am 20. Mai 2008 nachgekommen.
Mit Schreiben vom 2. Juli 2008 hat das SG den Bevollmächtigten der Kläger darüber informiert, dass das Bundessozialgericht (BSG) in seiner Entscheidung vom 27. Februar 2008 (B 14/7b AS 70/06 R) weiterhin ausdrücklich die Auffassung vertrete, dass es sich bei Kostensenkungsaufforderungen nicht um Verwaltungsakte
handele (mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R). Des Weiteren hat das SG in dem Zusammenhang den Klägerbevollmächtigten auch aufgefordert zur Frage der Rechtswidrigkeit der Kostensenkungsaufforderung
(in der Sache) Stellung zu nehmen sowie ferner die erforderliche Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse
des (damals schon volljährigen) Klägers Ziff. 2 vorzulegen. Erst nach Mahnung mit Schreiben vom 12. September 2008 (mit Fristsetzung
3. Oktober 2008) und erneuter Mahnung mit Schreiben vom 29. Oktober 2008 hat der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 5.
November 2008 hierzu Stellung genommen. In der Sache hat er sich dabei darauf beschränkt, erneut seine Rechtsauffassung darzulegen,
dass es sich bei der beanstandeten behördlichen Maßnahme um einen Verwaltungsakt handele. Eine Auseinandersetzung mit den
Urteilen des BSG hierzu hat nicht stattgefunden.
Hierauf hat das SG mit Beschluss vom 21. Januar 2009 den Klägern Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung für das Klageverfahren gewährt. Es hat
dies unter anderem damit begründet, dass die Auffassung der Kläger zumindest vertretbar und die Beiordnung eines Rechtsanwaltes
auch im Hinblick auf die Schwierigkeit der Rechtslage erforderlich sei.
Nach Sachstandsanfrage des Klägerbevollmächtigten vom 18. November 2009 und dem Hinweis des SG mit Schreiben vom 20. November 2009, dass der Rechtsstreit zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vorgesehen sei, hat
der Klägerbevollmächtigte mit Schreiben vom 31. März 2010 gerügt, dass die Klageerhebung nun mehr als zwei Jahre zurückliege
und der angefochtene Verwaltungsakt vom 29. August 2007 datiere. Eine derartige Verfahrensdauer sei nicht vertretbar. Mit
Schreiben vom 6. April 2010 hat hierauf das SG den Klägerbevollmächtigten darüber informiert, dass die bisherige Vorsitzende der 3. Kammer zum 1. März 2010 in ein anderes
Bundesland gewechselt sei und voraussichtlich erst zum 1. Mai 2010 mit einer Neubesetzung gerechnet werden könne. Eine Entscheidung
innerhalb der nächsten sechs Wochen könne daher nicht in Aussicht gestellt werden. Darüber hinaus wurde der Bevollmächtigte
hinsichtlich der von ihm angesprochenen Fragen auf den Beschluss des BSG vom 13. Dezember 2005 (B 4 RA 220/04 B) verwiesen. Eine weitere Stellungnahme des Bevollmächtigten erfolgte hierauf nicht.
Aufgrund der Zustimmung der Beteiligten (Erklärung des Klägerbevollmächtigten bereits in der Klageschrift vom 13. Februar
2008 sowie Schreiben der dortigen Beklagten vom 3. November 2008) hat das SG ohne mündliche Verhandlung mit Urteil vom 30. September 2011 die Klage als unzulässig abgewiesen. Das SG hat hierbei die Auffassung vertreten, dass es sich bei der Kostensenkungsaufforderung entsprechend der Rechtsprechung des
BSG (Urteil vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 70/06 R) lediglich um ein Informationsschreiben mit Aufklärungs- und Warnfunktion und nicht um einen Verwaltungsakt handele, weshalb
die hiergegen erhobene Anfechtungsklage unzulässig sei.
Die Kläger haben gegen das ihrem Bevollmächtigten mit Empfangsbekenntnis am 6. Oktober 2011 zugestellte Urteil keine Berufung
eingelegt, sodass das Urteil zwischenzeitlich rechtskräftig ist.
Am 4. April 2012 haben die Kläger durch ihren Bevollmächtigten (per Fax) Klage vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg
wegen überlanger Verfahrensdauer, betreffend Ansprüche nach dem SGB II erhoben. Die Kläger begehren die Verurteilung des beklagten Landes Baden-Württemberg zur Zahlung einer Entschädigung nach
§
198 Abs.
2 Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG) in Höhe von insgesamt 18.500,00 € sowie die Gewährung von Prozesskostenhilfe (PKH) unter Beiordnung des Bevollmächtigten
für das Klageverfahren.
Der Klägerbevollmächtigte macht geltend, vorliegend habe das Verfahren ab der Klageerhebung am 18. Februar 2008 bis zum Urteil
vom 30. September 2011 gedauert, damit insgesamt drei Jahre und sieben Monate. Im sozialgerichtlichen Verfahren, betreffend
Ansprüche nach dem SGB II, sei jedoch regelmäßig eine Verfahrensdauer von höchstens sechs Monaten angemessen im Sinne von §
198 Abs.
1 GVG. In diesem Verfahren seien keine Sachverhaltsfragen zu klären gewesen. Das SG habe die Klage auch allein deshalb abgewiesen, weil es der Auffassung gewesen sei, dass die angefochtene Verfügung nicht
unter § 31 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch - Verwaltungsverfahren - (SGB X) zu subsumieren sei. Die Kläger hätten die Frage, ob die Aufforderung zur Senkung der Unterkunftskosten tatsächlich in keiner
Weise anfechtbar sei, durch das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) klären lassen wollen. Dies sei nicht mehr möglich gewesen,
weil die Kläger zum 1. Dezember 2011 umgezogen seien, sodass das Rechtsschutzbedürfnis entfallen sei. Dies sei den Klägern
am 6. Oktober 2011 auch bereits bekannt gewesen, denn die Wohnung, in die sie zum 1. Dezember 2011 umgezogen seien, sei zu
diesem Zeitpunkt bereits angemietet gewesen.
Ausweislich der gerichtlichen Verfügung vom 2. Juli 2008 habe sich an der Rechtsauffassung des Gerichts zwischen dem 2. Juli
2008 und dem 30. September 2011 auch nichts geändert. Durchgängig sei das SG davon ausgegangen, dass ein Verwaltungsakt nicht vorliege, sodass keinerlei Sachverhaltsaufklärung erforderlich gewesen sei.
Außerdem habe das Einverständnis beider Seiten mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung vorgelegen. Es seien also
keinerlei Gründe ersichtlich, die eine derart exorbitante Verfahrensdauer rechtfertigen könnten.
Gemäß §
198 Abs.
2 GVG werde von Gesetzes wegen vermutet, dass für den Anspruch auf Entschädigung ein Nachteil entstanden sei, wenn ein Gerichtsverfahren
unangemessen lange gedauert habe. Dies sei vorliegend der Fall. Gemäß §
198 Abs.
2 Satz 3
GVG betrage die Entschädigung 1.200,00 € für jedes Jahr der Verzögerung. Das Verfahren habe insgesamt 43 Monate gedauert. Angemessen
sei eine Dauer von sechs Monaten. Damit bestehe für 37 Monate Anspruch auf Entschädigung in Höhe von 100,00 € monatlich. Dieser
Anspruch bestehe für jeden der fünf Kläger, sodass der Entschädigungsanspruch insgesamt 18.500,00 € betrage.
§
198 Abs.
3 Satz 1
GVG sei vorliegend wegen Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz von überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren nicht einschlägig.
Das Urteil vom 30. September 2011 sei dem Bevollmächtigten am 6. Oktober 2011 zugegangen. Die Beschwerde beim Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte wäre damit bis zum 6. April 2012 möglich gewesen. Damit würden die Voraussetzungen des Art.
23 Satz 1 des Gesetzes über den Rechtsschutz von überlangen Gerichtsverfahren vorliegen.
Ergänzend im Hinblick auf den Beschluss des Senats vom 10. Dezember 2012, mit dem die Gewährung von Prozesskostenhilfe für
das Klageverfahren mangels Erfolgsaussicht abgelehnt worden war, macht der Klägerbevollmächtigte noch geltend, der Senat habe
dort bei der Prüfung der Verfahrensdauer zu Unrecht die Frage der Begründetheit der damaligen Klage mit einbezogen. Nach Auffassung
der Klägerseite sei spätestens mit der Stellungnahme des Bevollmächtigten vom 5. November 2008 zur Verfügung vom 2. Juli 2008
(und Erinnerungen vom 12. September 2008 und 29. Oktober 2008) ausgeschrieben gewesen, und zwar unabhängig davon, ob die Verfügung
vom 2. Juli 2008 ausreichend beantwortet worden sei oder nicht. Das SG habe sich jedenfalls hiermit zufriedengegeben und keine weiteren Ermittlungen angestellt, auch keine weiteren Rückfragen
an die Kläger gerichtet. Ab dem Zeitpunkt sei keine weitere Bearbeitung mehr erfolgt. Auf die Sachstandanfrage vom 2. November
2009 sei mit Schreiben vom 18. November 2009 mitgeteilt worden, dass das Verfahren zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung
vorgesehen sei, diese Entscheidung sei aber erst nahezu zwei Jahre später, nämlich am 30. September 2011 ergangen. Diese eklatante
Verzögerung des Verfahrens stünde nicht im Zusammenhang mit der Frage, ob die gerichtliche Verfügung vom 2. Juli 2008 ausreichend
beantwortet worden sei. Der Anspruch auf Abschluss eines Gerichtsverfahrens in einer angemessenen Dauer bestehe unabhängig
von der Frage, ob der klägerische Vortrag aus Sicht des Gerichtes ausreichend sei oder nicht. Es sei im streitgegenständlichen
Verfahren auch nicht erforderlich gewesen, auf die Frage nach der Richtigkeit der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs. 1 SGB II, mit der die ARGE damals operiert habe, einzugehen. So sei zum damaligen Zeitpunkt in allen Entscheidungen des SG Freiburg
und des LSG Baden-Württemberg, die dem Bevollmächtigten bekannt gewesen und bis zum 13. April 2011 ergangen seien, die Angemessenheitsgrenze,
mit der die ARGE damals operiert habe, bestätigt worden. Es sei zum damaligen Zeitpunkt wenig sinnvoll erschienen, auf diese
Frage erneut einzugehen, da bereits die Frage nach der Verwaltungsaktqualität der angefochtenen Verfügung streitig gewesen
sei. Die Unrichtigkeit der "Mietobergrenze", die damals angewendet worden sei, ergebe sich erst aus der Entscheidung des BSG vom 13. April 2011 (B 14 AS 106/10 R). Hätten die Kläger seinerzeit hierzu vorgetragen, hätten sie in einem Umfang von mindestens 20 bis 30 Seiten mit einer
Unmenge von Daten vortragen müssen hinsichtlich entsprechender statistischer Untersuchungen und unter anderem mehrerer Gutachten
zu Mietspiegeln, so dass man ihnen umgekehrt den Vorwurf hätte machen können, sie hätten durch im vorliegenden Verfahren unnötigen
Vortrag das Verfahren unnötig verkompliziert und dadurch zu seiner Verzögerung beigetragen. Selbst dann, wenn jedoch der Vortrag
der Kläger nicht ausreichend gewesen sein sollte, hätte dies zur Verzögerung des Verfahrens nichts beigetragen. Denn es wäre
Sache des Gerichts gewesen hier gegebenenfalls auch gerade unter Beachtung des Amtsermittlungsgrundsatzes zu ermitteln und
den Sachverhalt zu klären.
Schließlich hätten die Kläger keinesfalls einen Vorteil aus der langen Verfahrensdauer gehabt, denn diese habe sie nicht vor
einer jederzeit drohenden Kürzung der Leistungen für die Unterkunft geschützt. Zu einer solchen Kürzung sei es schließlich
auch gekommen, sie sei allerdings im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erfolgreich angefochten worden (SG Freiburg - S 13 AS 4002/11 ER, LSG Stuttgart - L 12 AS 3830/11 ER-B). Die Kläger hätten auch wenn dies noch möglich gewesen wäre Berufung eingelegt, aufgrund des zum 1. Dezember 2011 erfolgten
Umzuges sei jedoch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen.
Die Sache habe auch grundsätzliche Bedeutung, so sei zum einen bislang völlig ungeklärt, welche Verfahrensdauer angemessen
im Sinne von §
198 Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG), und zum anderen ob aus Sicht des Gerichtes unzureichender Sachvortrag eine Verzögerung des Verfahrens von zwei Jahren oder
gar mehr rechtfertigen könne.
Die Kläger beantragen,
den Beklagten zu verurteilen, an die Kläger eine Entschädigung nach
§
198 Abs.
2 GVG i.H.v.18.500 € zu zahlen,
hilfsweise die Revision zuzulassen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte ist der Auffassung, dass die Klage unbegründet sei. So bestimme sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer grundsätzlich
nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten
der Verfahrensbeteiligten selbst und Dritter. Die Annahme des Bevollmächtigten, ein sozialgerichtliches Verfahren betreffend
Angelegenheiten nach dem SGB II sei bereits dann von unangemessener Dauer, wenn es eine Dauer von sechs Monaten überschreite, sei angesichts der gesetzlichen
Regelung bereits im Ansatz verfehlt. Auch hier sei vielmehr auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen.
So sei zum einen zur Schwierigkeit des Verfahrens zu berücksichtigen, dass zwar in dem hier zu würdigenden Verfahren vor dem
SG die für die Beurteilung der Statthaftigkeit der erhobenen Anfechtungsklage zentrale Rechtsfrage spätestens mit den Entscheidungen
des BSG vom 27. Februar 2008 (B 14/7b AS 70/06 R) und 19. März 2008 ( B 11b AS 41/06 R) höchstrichterlich geklärt gewesen sei. Allerdings habe der Bevollmächtigte der Kläger die Relevanz dieser Rechtsprechung
für die Entscheidungsfindung ausdrücklich in Frage gestellt. Daher habe die Entscheidung hier eine nähere Auseinandersetzung
mit der Rechtsprechung des BSG und deren Tragfähigkeit erfordert. Weitere Schwierigkeiten hätten sich daraus ergeben, dass die vom Bevollmächtigten eingereichte
Klage zum Teil mit Mängeln behaftet gewesen sei, die den Aufwand der Bearbeitung des Verfahrens nicht unerheblich gesteigert
hätten. So sei der Kläger Ziff. 2 (geboren am 31. Oktober 1989) in der Klageschrift vom 13. Februar 2008 noch als minderjährig
und als durch die Klägerin Ziff. 1 gesetzlich vertreten angegeben worden. Tatsächlich habe der Kläger Ziff. 2 bereits im Jahr
2007 die Volljährigkeit erreicht, mit der Folge, dass die Klägerin Ziff. 1 im Zeitpunkt der Klageerhebung zur gesetzlichen
Vertretung des Klägers Ziff. 2 nicht mehr berufen gewesen sei. Der Bevollmächtigte habe auf die entsprechende Aufklärungsverfügung
des SG vom März 2008 erst am 20. Mai 2008 reagiert.
Ein weiterer Punkt, der für die Beurteilung der Schwierigkeit des Verfahrens von Bedeutung sei, liege darin, dass der Bevollmächtigte
praktisch vollständig davon abgesehen habe, sich zur Frage der Rechtmäßigkeit der angegriffenen behördlichen Maßnahme zu äußern.
Damit sei der eigentliche Grund für die Erhebung der Klage bis zum Ende des Verfahrens im Dunkeln geblieben. Hätte sich das
SG aber die Rechtsauffassung des Bevollmächtigten zu Eigen gemacht und die Statthaftigkeit der Klage bejaht (entgegen der Rechtsprechung
des BSG), so wäre es Aufgabe des SG gewesen, von Amts wegen eine "Vollprüfung" der Rechtmäßigkeit der angefochtenen behördlichen Maßnahme durchzuführen. Die
Vermutung liege nahe, dass das SG diesen Aspekt im Blick gehabt habe, als es in seinem PKH-Beschluss vom 21. Januar 2009 die Rechtslage als "schwierig oder
schwer zu übersehen" eingestuft habe.
Ferner sei die Bedeutung des Verfahrens zu berücksichtigen. Diese richte sich vor allem nach dem Interesse der Verfahrensbeteiligten
an einer baldigen Entscheidung. Von diesem Interesse sei insbesondere dann auszugehen, wenn sich aus einer Verzögerung der
Entscheidung für einen Beteiligten schwere und nicht oder nur begrenzt reparable Nachteile ergeben würden. Hier aber hätten
die Kläger keinerlei greifbare Nachteile aus der Dauer des Verfahrens zu befürchten gehabt. Denn unabhängig davon, ob sich
die Rechtsauffassung des Bevollmächtigten durchsetzen würde oder nicht, hätten sie jedenfalls während der Dauer des gerichtlichen
Verfahrens mit keinen nachteiligen Wirkungen zu rechnen gehabt. Im Gegenteil hätten sie vielmehr insofern einen konkreten
Vorteil ziehen können, als die Sozialverwaltung mit Blick auf das offene Verfahren offenbar keine Anstalten unternommen habe,
die als zu hoch eingestuften Unterkunftskosten der Kläger zum Anlass für Leistungskürzungen zu nehmen.
Zu berücksichtigen sei ferner, dass die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit im hier interessierenden Zeitraum bekanntlich eine
sehr hohe Verfahrenslast im Zusammenhang mit der sogenannten Hartz-IV-Gesetzgebung zu bewältigen gehabt hätten und große Mühen
hätten aufgewendet werden müssen, die Personalkapazitäten bei den Sozialgerichten der ständig wachsenden Verfahrenslast anzupassen.
Im Verfahren hier sei außerdem zu berücksichtigen, dass im Jahr 2010 ein Wechsel in der Person des Kammervorsitzenden stattgefunden
habe. Angesichts der mit einem solchen Wechsel zwangsläufig verbundenen Verfahrensverzögerungen, die sich bereits aus der
Notwendigkeit ergeben würden, dass sich der neue Vorsitzende der Kammer erst mit dem Verfahrensbestand vertraut machen müsse,
läge es besonders nahe, bis zum Eintritt des Wechsels in erster Linie diejenigen Verfahren zu bearbeiten, denen aufgrund ihrer
Bedeutung für die persönliche Lebensführung der jeweiligen Kläger Vorrang zuzumessen gewesen sei. Hierzu gehöre das hier streitige
Verfahren eindeutig nicht. Das SG habe dieses Verfahren daher zu Recht zeitweilig zurückgestellt. Dies gelte umso mehr, als der Bevollmächtigte frühzeitig
und wiederholt auf die seiner Rechtsauffassung entgegenstehende Rechtsprechung des BSG hingewiesen worden sei und jedenfalls ab dem deutlichen richterlichen Hinweis vom 6. April 2010 über den Ausgang des Verfahrens
kaum noch ein vernünftiger Zweifel habe bestehen können.
Irgendwelche Anstalten, das Gericht nach diesem Hinweis auf ein besonderes Interesse der Kläger an einer zügigen Sachentscheidung
hinzuweisen, habe der Bevollmächtigte der Kläger nach der richterlichen Verfügung vom 6. April 2010 nicht unternommen. Er
habe auch nicht über die - nun mit der Entschädigungsklage vorgetragene - Absicht der Kläger informiert, die von ihm aufgeworfene
Frage der rechtlichen Einordnung der angefochtenen behördlichen Maßnahme zum Gegenstand eines Verfahrens vor dem BVerfG zu
machen.
Im Zusammenhang mit dem hier geltend gemachten Entschädigungsanspruch sei auch zu berücksichtigen, inwieweit die Verzögerung
des Verfahrens ausschließlich durch die Verfahrensbeteiligten selbst oder durch Dritte verursacht worden sei und das Gericht
keine Möglichkeit gehabt habe, dem wirksam entgegenzusteuern. In dem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass wie bereits
dargelegt, die vom Bevollmächtigten eingereichte Klage an nicht unerheblichen Mängeln, die sowohl die Einordnung der rechtlichen
Verhältnisse zwischen den Klägern als auch die Darlegung des mit der Klage verfolgten Anliegens betreffen, gelitten habe.
Dem habe das SG mit mehreren Aufklärungsverfügungen Rechnung getragen. Letztlich habe das SG frühestens ab dem Eingang des Schreibens vom 5. November 2008 davon ausgehen können, dass der Bevollmächtigte nicht in der
Lage oder nicht Willens gewesen sei, sich inhaltlich zur Frage der Rechtmäßigkeit der von den Klägern angegriffenen behördlichen
Maßnahme zu äußern. Jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt sei die Dauer des gerichtlichen Verfahrens ausschließlich durch Umstände
zu begründen, die in der Sphäre der Kläger liegen würden. Hinzu komme, dass angesichts der ausgesprochen geringen praktischen
Nachteile der Verfahrensdauer für die Kläger sowie angesichts des Umstandes, dass das Gericht jedenfalls mit seinem Schreiben
vom 6. April 2010 einen deutlichen Hinweis auf den zu erwartenden Ausgang des Verfahrens erteilt habe, vom Bevollmächtigten
der Kläger zu erwarten gewesen wäre, durch Vortrag aktiv auf eine zügige Verfahrenserledigung hinzuwirken, wenn den Klägern
hieran tatsächlich gelegen gewesen wäre. Dies sei jedoch vollständig unterblieben.
Des Weiteren setze der Entschädigungsanspruch voraus, dass die Kläger infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens
einen Nachteil erlitten hätten. Hier sei jedoch weder eine unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens noch ein relevanter
Nachteil anzunehmen. Sofern der Senat dieser Einschätzung nicht folgen wolle, wäre jedoch angesichts der geschilderten Umstände
allenfalls daran zu denken, eine Feststellung zu treffen, dass die Verfahrensdauer unangemessen gewesen sei (§
202 Satz 2
SGG i.V.m. §
198 Abs.
4 GVG). Für die Leistung einer finanziellen Entschädigung bestehe bei dieser Sachlage weder eine rechtliche Verpflichtung des beklagten
Landes noch ein sonstiger Anlass. Dies gelte umso mehr, als den Klägern für das gerichtskostenfreie Verfahren Prozesskostenhilfe
vor dem SG bewilligt worden sei, obwohl es angesichts der bekannten Rechtsprechung des BSG zu der im Verfahren zentralen Zulässigkeitsfrage ohne Weiteres vertretbar gewesen wäre, im Prozesskostenhilfeverfahren auf
die fehlenden Erfolgsaussichten der Rechtsverteidigung abzustellen.
Ergänzend werde noch darauf hingewiesen, dass der in §
198 Abs.
2 Satz 3
GVG genannte Entschädigungsbetrag von 1.200,00 € pro Jahr der Verzögerung nicht als "billig" im Sinne von §
198 Abs.
2 Satz 4
GVG angesehen werden könne, wenn er je gesondert für mehrere Kläger geltend gemacht werde, die als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft
ein gemeinschaftliches Anliegen verfolgt hätten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sacherhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die SG-Akte S 3 AS 789/08 sowie die Senatsakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Das Landessozialgericht Baden-Württemberg ist für die hier erhobene Klage zuständig (§
51 Abs.
1 Nr.
10, §
202 S. 2
SGG in Verbindung mit den §§
198 ff.
GVG), da es sich bei den Ausgangsverfahren um Verfahren aus dem Bereich der Sozialgerichtsbarkeit handelt.
II.
Die Klage ist bereits unzulässig. Sie ist zwar fristgerecht erhoben (dazu unter 1.), jedoch rechtsmissbräuchlich (dazu unter
2.)
1.
Es handelt sich bei diesem Verfahren, das im September 2011 mit dem Urteil des SG vom 30. September 2011 (Zustellung an den Klägerbevollmächtigten am 6. Oktober 2011) nach Ablauf der Berufungsfrist seinen
(rechtskräftigen) Abschluss fand, um ein "Altverfahren".
Das Gerichtsverfahren im Sinne der §§
198 ff.
GVG beginnt mit der Einleitung, also der Klageerhebung, Antragstellung oder einem von Amts wegen veranlassten Tätigwerden (BT-Drs.
17/3802, Seite 22 zu § 198 Abs. 6 Nr. 1), wobei Verfahren über vorläufigen Rechtsschutz und die Gewährung von Prozesskostenhilfe
mit erfasst werden (§ 198 Abs. 6 Nr. 1). Abgeschlossen ist das Gerichtsverfahren mit der (formellen) Rechtskraft, also wenn
kein weiterer Rechtsbehelf mehr zur Verfügung steht. Maßgeblich ist daher nicht die einzelne Instanz (Roller DRiZ 2012 Heft
Nr. 6 Beilage Seite 7 mit Hinweis auf BSG Urteil vom 2. Oktober 2008 - B 9 VH 1/07 R - SozR 4-3100 § 60 Nr. 4; EGMR Beschluss vom 10. Februar 2009 Nr. 30209/05, [...]).
Zwar bestand grundsätzlich noch als weiteres Rechtsmittel hier die Berufung zum LSG. Nachdem aber die Kläger zum 30. November
2011 aus der streitbefangenen Wohnung auszogen und dies auch schon zum Zeitpunkt der Entscheidung des SG am 30. September 2011 feststand, hatte sich die streitbefangene Kostensenkungsaufforderung erledigt und wäre eine mögliche
Berufung schon aus diesem Grund ohne Erfolg geblieben. Daher war das Verfahren mit dem Urteil des SG vom 30. September 2011 abgeschlossen im oben genannten Sinne und damit dem Grunde nach die Möglichkeit für eine Individualbeschwerde
zum EGMR bzw. sodann nach Inkrafttreten des Gesetzes zum Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren für eine Entschädigungsklage
eröffnet.
Gemäß Art. 23 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren
vom 24. November 2011 (BGBl. I Seite 2302), in Kraft seit 3. Dezember 2011, gilt dieses Gesetz auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten bereits anhängig waren,
sowie für abgeschlossene Verfahren, deren Dauer bei seinem Inkrafttreten Gegenstand von anhängigen Beschwerden beim Europäischen
Gerichtshof für Menschenrechte ist oder noch werden kann.
In der Gesetzesbegründung (Bundesrats-Drucksache 540/10 Seite 46 bzw. BT-Drs. 17/3802 Seite 31 zu Art. 22) ist hierzu ausgeführt:
"Nach Satz 1 werden als Altfälle auch Verfahren erfasst, die bei Inkrafttreten bereits anhängig oder abgeschlossen waren.
Abgeschlossene Verfahren werden nur erfasst, wenn sie nach dem innerstaatlichen Abschluss vor dem EGMR zu einer Beschwerde wegen der Verfahrensdauer geführt haben oder noch führen können. Dadurch sollen weitere Verurteilungen
der Bundesrepublik Deutschland verhindert und der EGMR entlastet werden. Da die Beschwerdefrist des Artikels 35 Abs. 1 EMRK sechs Monate beträgt, darf der Verfahrensabschluss nicht länger als sechs Monate zurückliegen."
Hieraus ergibt sich nach Auffassung des Senates, dass nur solche abgeschlossenen Altverfahren (noch) zum Gegenstand einer
statthaften Entschädigungsklage (hier) vor dem Landessozialgericht gemacht werden können, deren Dauer bereits in zulässiger
Weise mit einer Beschwerde vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte beanstandet worden sind. Die Übergangsregelung
greift hingegen nicht bereits dann ein, wenn ein Verfahren vor dem EGMR zwar formal noch anhängig ist, mit einem Erfolg der Beschwerde aber wegen offensichtlicher Verfristung nach Art. 35 Abs. 1 EMRK nicht gerechnet werden kann. Zweck der Übergangsregelung ist es, weitere Verurteilungen der Bundesrepublik Deutschland zu
vermeiden und andererseits den EGMR zu entlasten. Dem würde es aber zuwiderlaufen, wenn bereits die Einlegung offensichtlich unzulässiger Beschwerden beim EGMR die Erhebung von Entschädigungsklagen vor den nationalen Gerichten ermöglichen würde. Dies wäre gerade dann der Fall, wenn
bereits vor Jahren rechtskräftig abgeschlossene Verfahren vor nationalen Gerichten bei offensichtlicher Missachtung der Beschwerdefrist
des Art. 35 Abs. 1 EMRK zum Gegenstand einer Individualbeschwerde vor dem EGMR gemacht werden könnten. Einerseits würde durch solche Beschwerden, die zu sachwidrigen Zwecken erhoben würden, die Geschäftsbelastung
des EGMR noch zusätzlich erhöht. Andererseits würde auch der Zweck, weiteren Erfolg versprechenden Individualbeschwerden gegen die
Bundesrepublik Deutschland die Grundlage zu entziehen, verfehlt werden.
Die Klage war am 4. April 2012 per Fax und damit gerechnet ab der Zustellung des SG-Urteils jedenfalls innerhalb der Sechsmonatsfrist nach Art. 23 Satz 1 des Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren i.V.m.
Art 35 Abs. 1 EMRK erhoben worden. Es konnte daher auch offen bleiben, ob die Sechsmonatsfrist hier erst nach Ablauf der Berufungsfrist zu laufen
begann; hierfür dürfte allerdings der Umstand sprechen, dass grundsätzlich auf den Eintritt der formellen Rechtskraft als
"Abschluss des Verfahrens" abgestellt wird (s. Roller aaO S. 7 mwN; Marx aaO §
198 GVG Rdnr.167).
2.
Die Klage ist jedoch unzulässig, weil sie zur Überzeugung des Senates rechtsmissbräuchlich ist. Der EGMR hat in seinem Urteil vom 19. Januar 2010 (Nr. 22051/07) die dortige Individualbeschwerde nach der EMRK als unzulässig verworfen, da er sie für einen Missbrauch des Beschwerderechts hielt. Zu Grunde lag dem ein Fall, im Rahmen
dessen im Zusammenhang mit einem Beihilfeantrag die Erstattung eines Kostenanteils von 7,99 € für ein Magnesiumpräparat im
Streit stand. Hierzu hat der EGMR unter anderem ausgeführt, dass er hier alle Umstände der vorliegenden Rechtssache sorgfältig geprüft habe. Insbesondere habe
er das Missverhältnis zwischen der Trivialität des Sachverhalts, also der Geringfügigkeit des in Rede stehenden Betrags und
der Tatsache, dass es bei dem Verfahren um ein Nahrungsergänzungsmittel und nicht um ein Arzneimittel gegangen sei, und der
ausgiebigen Inanspruchnahme gerichtlicher Verfahren - einschließlich der Anrufung eines internationalen Gerichts - vor dem
Hintergrund der Überlastung dieses Gerichts und der Tatsache, dass eine große Anzahl von Beschwerden anhängig sei, in denen
ernste Menschenrechtsfragen aufgeworfen würden, berücksichtigt. Darüber hinaus stellte der EGMR fest, dass Verfahren wie das dort in Rede stehende auch zu Überlastung der Gerichte auf der innerstaatlichen Ebene und somit
zu einem der Gründe für die überlange Dauer gerichtlicher Verfahren beitragen würden.
Nicht anders stellt sich der Fall hier dar. Die Klage im Ausgangsverfahren vor dem SG betraf eine Rechtsfrage, die allerspätestens kurz nach der Klageerhebung im Februar 2008 mit den weiteren BSG-Urteilen vom 27. Februar 2008 und 19. März 2008, die die frühere Entscheidung vom 7. November 2006 bestätigten, entschieden
war. Ab diesem Zeitpunkt gab es überhaupt keinen - von den Klägern im Übrigen auch nicht im Ansatz geltend gemachten - Grund,
das Verfahren noch weiter zu betreiben, insbesondere auf eine gerichtliche Entscheidung zu bestehen. Das Verfahren hatte für
die Kläger damit keine Bedeutung mehr (siehe dazu auch unter III. 2.). Wer vor diesem Hintergrund den Umstand, dass das SG ein solches, eine höchstrichterlich bereits mehrfach geklärte Rechtsfrage betreffendes Verfahren zu Gunsten anderer vordringlicher
Verfahren zurück stellte, zum Anlass nimmt, wegen überlanger Verfahrensdauer einen Entschädigungsanspruch geltend zu machen,
missbraucht das Klagerecht auf Entschädigung.
III.
Die Klage ist darüber hinaus auch unbegründet.
Nach §
198 Abs.
1 GVG in der seit 3. Dezember 2011 geltenden Fassung gem. Art. 23 des Gesetzes vom 24. November 2011 (BGBl. I S. 2302) wird wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, angemessen
entschädigt. Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich nach den Umständen des Einzelfalles, insbesondere nach der
Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter.
Gem. §
198 Abs.
2 GVG wird ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat.
Hierfür kann Entschädigung nur beansprucht werden, soweit nicht nach den Umständen des Einzelfalles Wiedergutmachung auf andere
Weise gemäß Absatz 4 ausreichend ist. Die Entschädigung gemäß Satz 2 beträgt 1 200 Euro für jedes Jahr der Verzögerung. Ist
der Betrag gemäß Satz 3 nach den Umständen des Einzelfalles unbillig, kann das Gericht einen höheren oder niedrigeren Betrag
festsetzen.
Entschädigung erhält ein Verfahrensbeteiligter gem. §
198 Abs.
3 GVG nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge
kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen
wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere
Frist geboten ist. Kommt es für die Verfahrensförderung auf Umstände an, die noch nicht in das Verfahren eingeführt worden
sind, muss die Rüge hierauf hinweisen. Anderenfalls werden sie von dem Gericht, das über die Entschädigung zu entscheiden
hat (Entschädigungsgericht), bei der Bestimmung der angemessenen Verfahrensdauer nicht berücksichtigt. Verzögert sich das
Verfahren bei einem anderen Gericht weiter, bedarf es einer erneuten Verzögerungsrüge.
Nach §
198 Abs.
4 GVG ist Wiedergutmachung auf andere Weise insbesondere möglich durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer
unangemessen war. Die Feststellung setzt keinen Antrag voraus. Sie kann in schwerwiegenden Fällen neben der Entschädigung
ausgesprochen werden; ebenso kann sie ausgesprochen werden, wenn eine oder mehrere Voraussetzungen des Absatzes 3 nicht erfüllt
sind.
Eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 kann frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge
erhoben werden. Die Klage muss spätestens sechs Monate nach Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung, die das Verfahren beendet,
oder einer anderen Erledigung des Verfahrens erhoben werden. Bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Klage ist der Anspruch
nicht übertragbar (§
198 Abs.
5 GVG).
Gem. §
198 Abs.
6 GVG ist im Sinne dieser Vorschrift
1. ein Gerichtsverfahren jedes Verfahren von der Einleitung bis zum rechtskräftigen Abschluss einschließlich eines Verfahrens
auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes und zur Bewilligung von Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; ausgenommen ist das
Insolvenzverfahren nach dessen Eröffnung; im eröffneten Insolvenzverfahren gilt die Herbeiführung einer Entscheidung als Gerichtsverfahren;
2. ein Verfahrensbeteiligter jede Partei und jeder Beteiligte eines Gerichtsverfahrens mit Ausnahme der Verfassungsorgane,
der Träger öffentlicher Verwaltung und sonstiger öffentlicher Stellen, soweit diese nicht in Wahrnehmung eines Selbstverwaltungsrechts
an einem Verfahren beteiligt sind.
Eine allgemein gültige Zeitvorgabe, wie lange ein (sozialgerichtliches) Verfahren höchstens dauern darf, um nicht als unangemessen
lang zu gelten, ist dem Gesetz nicht zu entnehmen und kann auch der EMRK nicht entnommen werden (s. u.a. BVerfG Kammerbeschluss vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11; BVerfG Beschluss vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11, NVwZ-RR 2011, 625; Steinbeiß-Winkelmann in Steinbeiß-Winkelmann/Ott Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar 2013 Einführung
S.6/7 Rdnr. 13 bzw. Ott A §
198 GVG Rdnrn. 88 - 90). Auch sonst ist die generelle Festlegung, ab wann ein Verfahren unangemessen lange dauert - insbesondere
als feste Jahresgrenze - angesichts der Unterschiedlichkeit der Verfahren nicht möglich (BVerfG stattgebender Kammerbeschluss
vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00, NJW 2001,214; Scholz Sozialgerichtsbarkeit 2012 Seite 19, 21; Roller DRiZ 2012 Heft 6 Beilage Seite 7; Steinbeiß-Winkelmnann a.a.O. S. 6/7 Rdnr. 13, 14). Die vom Klägerbevollmächtigten behauptete maximal zulässige Bearbeitungsdauer
von 6 Monaten in Verfahren nach dem SGB II findet daher gerade auch in der Rechtsprechung keinerlei Grundlage.
Ob der Anspruch eines Verfahrensbeteiligten auf Entscheidung seines gerichtlichen Verfahrens in angemessener Zeit verletzt
wurde, ist - wie in allen übrigen Verfahren - auch bei Gerichtsverfahren, die Ansprüche aus dem SGB II betreffen, vielmehr im Lichte der Rechtsprechung des EGMR zu Art. 6 Abs. 1 EMRK sowie des Bundesverfassungsgerichts zu Art.
19 Abs.
4, 20 Abs.
3 GG zu beurteilen (vgl. auch BT-Drs. 17/3802, S. 1, 15). Als Maßstab nennt §
198 Abs.
1 Satz 2
GVG die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie das Verhalten der Verfahrensbeteiligten
und Dritter (vgl. insoweit auch EGMR, Urteil vom 24. Juni 2010, Beschwerde Nr. 21423/07, Rdnr. 32; Urteil vom 8. Juni 2006 Nr.75529/01 Rdnr. 128; Urteil vom 21.
April 2011 Nr. 41599/09 Rdnr.42; BVerfG Beschluss vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11 - Rdnr. 16 in [...]; Roller aaO S. 9; Scholz aaO S.22; Steinbeiß-Winkelmann a.a.O. S.6/7 Rdnr. 14).
1.
Im Einzelnen ist unter Berücksichtigung der oben dargestellten Grundsätze auszuführen, dass hinsichtlich der Schwierigkeit
des hier streitigen Ausgangsverfahrens an sich keine neuen Rechtsfragen mehr zur Debatte standen, denn durch die BSG-Urteile von November 2006, Februar 2008 und März 2008 war die hier streitige Rechtsfrage, nämlich ob die Kostensenkungsaufforderung
einen Verwaltungsakt darstellt oder nicht, geklärt. Danach waren keine weiteren Tatsachenermittlungen notwendig. Auf der anderen
Seite wollten die Kläger diese Rechtsprechung offensichtlich nicht akzeptieren. Wenn das SG der Rechtsauffassung der Kläger gefolgt wäre (wofür zumindest der PKH-Beschluss vom Januar 2009 spricht, in dem das SG auch Ausführungen hinsichtlich einer schwierigen Rechtslage macht), wären noch Ermittlungen in der Sache zur Angemessenheit
der Kosten der Unterkunft (KdU) notwendig gewesen. Hierzu hat aber der Bevollmächtigte der Kläger zu keinem Zeitpunkt auch
nur irgendetwas vorgetragen, wiewohl er bereits mit Schreiben vom 2. Juli 2008 vom SG hierzu aufgefordert worden war.
Aus dem Umstand, dass die vom Klägerbevollmächtigten thematisierte Rechtsfrage definitiv vom Revisionsgericht bereits mehrfach
entschieden worden war, folgt schon, dass ein solches Verfahren gegenüber anderen vorrangigen Verfahren, insbesondere aus
dem Bereich des SGB II, bei denen es im Zweifel auch um laufende (existenzielle) Leistungen geht, zurückgestellt werden kann.
2.
Hinsichtlich der Bedeutung des Verfahrens ist hier vor allem auf das Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer baldigen
Entscheidung abzustellen (siehe hierzu u.a. EGMR Urteil vom 8. Juni 2006 Nr. 75529/01 Rdnr. 133; Ott in Steinbeiß-Winkelmann/Ott A §
198 GVG Rdnr. 109 ff mit Beispielen sowie Roller aaO S.9 unter Hinweis u.a., wenn die wirtschaftliche Existenz betroffen ist, auf
BVerfG Beschluss vom 2. September 2009 - 1 BvR 3171/08, EuGRZ 2009; 695; BVerfG Beschluss vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00, NJW 2001, 214, 215; EGMR Urteil vom 21. Oktober 2010 Nr. 43155/08, [...] und Urteil vom 13. Januar 2011, Nr. 34236/06, [...]; wenn um den Lebensunterhalt
sichernde sozialrechtliche Ansprüche gestritten wird siehe BVerfG Beschluss vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11, info also 2012, 28 <Grundsicherung für Arbeitsuchende>; EGMR Beschluss vom 25. März 2010 Nr. 901/05, [...] <Rente nach dem OEG>; anders EGMR Beschluss vom10. Februar 2009 Nr. 30209/05, [...] <Erziehungsgeld für abgelaufenen Zeitraum>; s.a. Roderfeld in Marx/Roderfeld
Rechtsschutz bei überlangen Gerichts- und Ermittlungsverfahren, Handkommentar 2012, §
198 GVG Rdnr. 11 mwN). Von einem solchen Interesse ist insbesondere dann auszugehen, wenn sich bei einer Verzögerung der Entscheidung
für einen Beteiligten schwere und nicht oder nur begrenzt reparable Nachteile ergeben.
Bezüglich der Bedeutung des Verfahrens machen zwar die Kläger geltend, die streitige Rechtsfrage hätte eine existenzielle
Bedeutung gerade für Hartz-IV-Empfänger wie sie. Denn bei der vom BSG vertretenen Rechtsauffassung wäre die Folge, dass sie zunächst den tatsächlichen Absenkungsbescheid des SGB II-Trägers hätten abwarten und dann hiergegen klagen müssen, während gleichzeitig aber ihre Leistungen im Bereich der KdU gekürzt
worden wären.
Der beigemessenen evidenten Bedeutung ist aber schon das eigene Verhalten nicht gerecht geworden. So ist der Klägerbevollmächtigte
trotz der eindeutigen Aufforderung im Schreiben des SG vom 2. Juli 2008, zur Rechtswidrigkeit der Kostensenkungsaufforderung noch Stellung zu nehmen, nicht nachgekommen. Wenn die
Kläger der Auffassung sind, es handele sich um einen Verwaltungsakt, wäre konsequenterweise in diesem Verfahren vor dem SG auch der Inhalt der Kostensenkungsaufforderung, damit auch die Höhe der KdU und die Frage der Angemessenheit zu prüfen und
hierzu weiterer Vortrag erforderlich gewesen. Alleine mit der Feststellung, dass es sich um einen Verwaltungsakt handele,
wären die Kläger keinen Schritt weiter, wenn im Übrigen die Aufforderung in der Sache rechtmäßig wäre, weil ihre KdU unangemessen
hoch wären und damit letztlich die Aufforderung zu Recht erfolgt wäre. Zur Klärung abstrakter Rechtsfragen ist die Gerichtsbarkeit
jedoch nicht aufgefordert (siehe etwa Beschluss des BSG vom 13. Dezember 2005 - B 4 RA 220/04 B Rdnr. 32 nach [...]). Wenn also die Klägerseite der Auffassung gewesen wäre, es handele sich hier um einen Verwaltungsakt,
wäre die Klägerseite auch aufgefordert gewesen, im weiteren Schritt konkret vorzutragen, aus welchen Gründen die Kostensenkungsaufforderung
rechtswidrig gewesen wäre. Hierzu ist zu keinem Zeitpunkt irgendetwas vorgetragen worden, insbesondere auch nicht in der konkreten
Antwort des Klägerbevollmächtigten vom 5. November 2008 auf das Schreiben des SG vom 2. Juli 2008. Von einer besonderen Bedeutung des Verfahrens für die Kläger kann vor diesem Hintergrund nicht ausgegangen
werden. Im Gegenteil, nachdem der dortige beklagte SGB II-Träger während des Verfahrens auf Maßnahmen zur Senkung der KdU (insbesondere die Festsetzung niedrigerer KdU nach Ablauf
der Sechsmonatsfrist) verzichtete und offenkundig die Bemühungen der Klägerin Ziff. 1 als ausreichend ansah - siehe hierzu
Beschluss des LSG Baden-Württemberg vom 5. Oktober 2011 (L 12 AS 3830/11 ER-B), hatten die Kläger wirtschaftlich betrachtet überhaupt kein Interesse mehr an einer zügigen Beendigung und Entscheidung
des Verfahrens, denn solange das Verfahren anhängig war, mussten sie gerade nicht mit irgendwelchen (weiteren) Kostensenkungsmaßnahmen
rechnen und konnten nach wie vor in der bisherigen Wohnung bei voller Übernahme der KdU verbleiben. Hieran ändert auch der
Umstand nichts, dass der SGB II-Träger ab April 2011 die bisherigen Nachweise über Bemühungen nach einer günstigeren Wohnung nicht mehr als ausreichend ansehen
wollte. Hiergegen haben sich die Kläger erfolgreich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gewehrt.
Soweit die Klägerseite die Auffassung vertritt, mit ihrer Antwort vom 5. November 2008 sei die Sache "jedenfalls ausgeschrieben"
gewesen, kann der Senat dem nicht folgen. Denn wenn man wie die Klägerseite der Auffassung war, dass die Kostensenkungsaufforderung
rechtswidrig gewesen sei und die Kläger damit beschwert gewesen seien - was auf jeden Fall Voraussetzung für eine Klage gegen
einen behaupteten belastenden Verwaltungsakt gemäß §
54 Abs.
1 S. 2
SGG gewesen wäre - wären zumindest ansatzweise Ausführungen zur Angemessenheit der KdU der Kläger zu erwarten gewesen (keineswegs
notwendigerweise mindestens 20 bis 30 Seiten).
Soweit die Kläger ferner der Auffassung sind, dass aus dem Umstand, dass von Ihrer Seite insoweit nicht weiter vorgetragen
worden sei und die Klage daher möglicherweise nicht begründet gewesen sei, keine Schlussfolgerungen hinsichtlich der Verfahrensdauer
gezogen werden könnten, folgt der Senat dem ebensowenig. Vielmehr können zur Überzeugung des Senates sehr wohl auch aus der
Art der Prozessführung Schlussfolgerungen hinsichtlich der (noch) bestehenden Bedeutung des Verfahrens für die Klägerseite
gezogen werden. Dies gerade umso mehr vor dem Hintergrund, dass zu diesem Zeitpunkt die Rechtsfrage durch mehrere BSG-Urteile (vom 7. November 2006 - B 7b AS 10/06 R - [...] Rdnr. 29; vom 27. Februar 2008 - B 14/7b AS 70/06 R - [...] Rdnr. 13; und vom 19. März 2008 - B 11b AS 41/06 R - [...] Rdnr. 20) bereits geklärt war. Denn gerade aufgrund dessen ist eine (besondere) Bedeutung des Verfahrens für die
Kläger für den Senat nicht mehr erkennbar. Allein die "Ungewissheit" für die Kläger, u.U. die Wohnung wechseln zu müssen bzw.
Leistungskürzungen bei der KdU in Kauf nehmen zu müssen, reicht vor dem Hintergrund, dass die Rechtsfrage durch das BSG geklärt ist, nicht (mehr) aus um eine (besondere) Bedeutung begründen zu können. Vielmehr war dies gerade aufgrund der BSG-Rechtsprechung hinzunehmen. D.h. mit anderen Worten, den Klägern drohten gerade keine schwere und nicht oder nur begrenzt
reparable Nachteile. Vielmehr handelte es sich bei der Kostensenkungsaufforderung lediglich um eine Aufklärung über eine sich
bereits unmittelbar aus dem Gesetz (§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II) ergebende Obliegenheit. Darüber hinaus drohten Nachteile frühestens dann, wenn die Kläger der Aufforderung nicht nachgekommen
wären und auch keine Nachweise über ernsthafte Bemühungen vorgelegt hätten, und zwar in Form von Kürzungen der KdU, die allerdings
mit Klage und insbesondere einstweiligen Rechtsschutzes gegebenenfalls hätten abgewehrt werden können. Alleine die sich aus
§ 22 Abs. 1 Satz 3 SGB II ergebende Obliegenheit der Kläger, sich um günstigeren Wohnraum zu kümmern, lässt für den Senat nicht im Ansatz einen schweren
und nicht oder nur bedingt reparabelen Nachteil erkennen.
In diesem Falle wäre nach Auffassung des Senates sehr wohl zu erwarten gewesen, dass in der Stellungnahme vom 5. November
2008 durch den Klägerbevollmächtigten trotz der eindeutigen Aufforderung durch das SG nicht lediglich die Ausführungen aus der Klageschrift wiederholt werden.
Schließlich ist die behauptete besondere Bedeutung bzw. das besondere Interesse an einer - wie jetzt im Klageverfahren erstmals
geltend gemachten - verfassungsrechtlichen Klärung der Frage zum Charakter der Kostensenkungsaufforderung im gesamten SG-Verfahren an keiner Stelle auch nur ansatzweise von Klägerseite dargetan worden. Dies wäre gerade auch vor dem Hintergrund
der schon vorliegenden Urteile des BSG zu dieser Rechtsfrage umso mehr zu erwarten gewesen. Zumal bei einer erneuten von den Klägern betriebenen Nichtzulassungsbeschwerde
zum BSG (mit einer erneuten Zulassung der Revision durch das LSG wäre vor dem Hintergrund der vorliegenden BSG-Entscheidungen nicht zu rechnen gewesen) auch dem Klägerbevollmächtigten bekannt ist, dass für den Zulassungsgrund der grundsätzlichen
Bedeutung u.a. notwendig ist, dass es auf die Rechtsfrage überhaupt ankommt (konkrete Klärungsfähigkeit = Entscheidungserheblichkeit).
Darüber hinaus wäre es auch für die angeblich geplante Verfassungsbeschwerde notwendig gewesen, dass die Kläger "selbst, unmittelbar
und gegenwärtig" (so bereits BVerfGE 1, 97, 101) durch diese behördliche Maßnahme in ihren Rechten verletzt wurden. Auch dies hätte zumindest die Möglichkeit vorausgesetzt,
dass die Kostensenkungsaufforderung rechtswidrig gewesen wäre (was bereits im SG-Verfahren hätte geklärt, zumindest aber von Klägerseite hätte schlüssig vorgetragen werden müssen).
Wenn aber letztlich die Kostensenkungsaufforderung rechtmäßig sein sollte, weil tatsächlich die KdU der Kläger zu hoch gewesen
wären, hätte die Frage, ob es sich hierbei um einen Verwaltungsakt handelt oder nicht, wohl keine Bedeutung gehabt. Auch vor
diesem Hintergrund wäre zu erwarten gewesen, dass der Klägerbevollmächtigte ein vitales Interesse an einer Klärung der Frage
hat, ob die KdU überhaupt angemessen sind oder nicht.
Im Ergebnis kann der Senat vor diesem Hintergrund für die trotz der eindeutigen BSG-Rechtsprechung aufrechterhaltene Klage unter keinem Gesichtspunkt mehr eine wie auch immer geartete Bedeutung erkennen, insbesondere
hatte das Verfahren gerade keine grundsätzliche Bedeutung mehr.
3.
Des Weiteren ist Voraussetzung für einen Entschädigungsanspruch, dass die unangemessene Verfahrensdauer durch staatliches
Fehlverhalten verursacht wurde, etwa organisatorisches Verschulden bei der ausreichenden personellen Ausstattung der Gerichte.
D.h. auf der anderen Seite, Entschädigungsansprüche scheiden schon dann grundsätzlich aus, wenn und soweit die Verzögerung
des Verfahrens ausschließlich durch die Verfahrensbeteiligten selbst oder durch Dritte verursacht worden ist und das Gericht
keine Möglichkeit hatte, dem wirksam entgegen zu steuern (siehe Roller aaO S. 10/11 mit verschiedenen Beispielen und Fundstellen;
Roderfeld aaO Rdnr. 12).
Hierzu ist festzuhalten, dass jedenfalls bis November 2008 Verzögerungen allein auf die Kläger zurückgehen. So fehlten zunächst
eine Vollmacht hinsichtlich des schon zum damaligen Zeitpunkt volljährigen Klägers Ziff. 2 bzw. die Zustimmungserklärungen
hinsichtlich der minderjährigen Kläger durch den anderen sorgeberechtigten Elternteil, des Weiteren fehlte die Erklärung über
die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, so dass zunächst das SG hierzu noch zur Vorlage der entsprechenden Unterlagen auffordern musste. Zum anderen hat der Klägerbevollmächtigte auf die
Aufforderung des SG vom 2. Juli 2008 zur neuesten BSG Rechtsprechung (Urteil vom 28. Februar 2008) bezüglich der streitigen Rechtsfrage Stellung zu nehmen, erst nach mehreren
Mahnungen mit Schreiben vom 5. November 2008 geantwortet. Dieser Zeitraum von sechs Monaten geht damit nicht zulasten des
Beklagten. Der sich daran anschließende Zeitraum von ca. zweieinhalb Monaten bis zur PKH-Entscheidung am 21. Januar 2009 ist
noch angemessen für die Prüfung und Bearbeitung dieser Entscheidung und daher nicht zu beanstanden. Damit verbleibt noch ab
Februar 2009 ein Zeitraum von zwei Jahren und acht Monaten bis zum Urteil am 30. September 2011. Dieser Zeitraum ist aber
vor dem Hintergrund, dass das Verfahren zur Überzeugung des Senates für die Kläger keinerlei Bedeutung hatte (siehe oben unter
2.), nicht als unangemessen lang im Sinne von §
198 GVG zu bewerten. Vielmehr ist es vor diesem Hintergrund gerechtfertigt, wenn das SG ein solches, eine bereits mehrfach geklärte Rechtsfrage betreffendes und damit im Endeffekt bedeutungsloses Verfahren zu
Gunsten anderer vordringlicher und für die dortigen Betroffenen tatsächlich bedeutsamer Verfahren zurückstellt.
4.
Dies alles zeigt für den Senat in der Gesamtschau, dass zwar das Verfahren insgesamt von seiner Verfahrensdauer vergleichsweise
lang gedauert hat. Auf der anderen Seite können aber unter Berücksichtigung dessen, dass ganz offensichtlich für die Kläger
überhaupt keine relevante Bedeutung mehr für das Verfahren bestand und von Seiten des Klägerbevollmächtigten ein auch nicht
im Ansatz erkennbares wirkliches Interesse an der Klärung der Frage tatsächlich (noch) bestanden hat, unter Berücksichtigung
der Umstände des Einzelfalles die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch nicht bejaht werden.
Aus diesen Gründen war die Klage abzuweisen.
IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 197a, 183 Satz 5
SGG.
Der Streitwert war in Höhe der geforderten Entschädigung mit 18.500,00 € festzusetzen (§ 52 Abs. 1 und 3 GKG).
Gründe für eine Zulassung der Revision (§
160 Abs.
2 SGG) liegen nicht vor, denn es besteht weder eine grundsätzliche Bedeutung noch liegt ein Fall der Divergenz vor.
Der Senat wendet die bereits vom EGMR wie auch dem BSG und dem BVerfG aufgestellten Grundsätze zur Prüfung einer überlangen Verfahrensdauer (Schwierigkeit des Verfahrens, Bedeutung
des Verfahrens für die Beteiligten sowie Verhalten der Beteiligten und Dritter), die auch vom Deutschen Bundestag im Ergebnis
in den Gesetzestext (§ 198 Abs. 1 Satz 2GVG) übernommen worden sind, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles
an.
Hinsichtlich der vom Klägerbevollmächtigten aufgeworfenen Frage welche Verfahrensdauer angemessen im Sinne von §
198 GVG sei, wird auf den Kammerbeschluss des BVerfG vom 20. Juli 2000 (1 BvR 352/00, NJW 2001, 214; s.a. BVerfG Kammerbeschluss vom 27. September 2011 - 1 BvR 232/11; BVerfG Beschluss vom 7. Juni 2011 - 1 BvR 194/11, NVwZ-RR 2011, 625;) hingewiesen, wonach gerade keine feste Jahresgrenze hinsichtlich der Frage, wann ein Verfahren unangemessen lang sei, aufgestellt
werden könne.