Asylbewerberleistungsrecht
Leistungskürzung
Verfassungskonforme Auslegung
Verflüchtigung unlauterer Einreisemotive bei längerem Aufenthalt
Gründe:
Die Antragsteller zu 1 und zu 2 (geboren 1981 und 1984) reisten am 22. November 2007 ohne Identitätspapiere zusammen mit den
Antragstellern zu 3 und 4 (geboren 2002 und 2004) in das Bundesgebiet ein und beantragten am 27. November 2007 finanzielle
Hilfe bei der Stadt Köln. Nach eigenen Angaben stammen sie aus Bosnien-Herzegowina und gehören zur Volksgruppe der Roma. Die
Antragsteller haben keinen Asylantrag gestellt. Sie haben eine Duldung gemäß § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG, da keines der Familienmitglieder im Besitz eines Identitätsnachweises ist. Drei weitere gemeinsame Kinder der Antragsteller
zu 1 und 2 (geboren 2008, 2010 und 2012) kamen in Deutschland zur Welt. Gemäß Bescheid des Antragsgegners vom 18. Dezember
2007 erhalten die Antragsteller zu 1 bis 4 seit dem 1. Januar 2008 eingeschränkte Leistungen nach §
1a Nr. 1
AsylbLG. Sie wohnen gemeinsam in einer Mietwohnung. Den Antragstellern zu 1 und zu 2 wurde zwischenzeitlich eine Beschäftigungserlaubnis
erteilt.
Mit dem an den Antragsteller zu 1 gerichteten Bescheid vom 26. Juni 2013 stellte der Antragsgegner die den Antragstellern
gewährten Leistungen nach dem
AsylbLG "ab 01.07.2013" neu fest. Den Antragstellern zu 1 bis 4 wurden wie bisher eingeschränkte Leistungen nach §
1a Nr. 1
AsylbLG als vorläufige Leistungen gewährt. Die Feststellung wurde dabei auf den Monat Juli 2013 beschränkt, zugleich aber mit dem
Zusatz versehen: "Die bewilligte(n) Leistung(en) wird (werden) zunächst nur für einen Monat und unter der Voraussetzung gewährt,
dass sich die vom Hilfesuchenden angegebenen und der Bewilligung zugrunde gelegten Verhältnisse nicht ändern. Tritt keine
Änderung ein, so erfolgt - ohne Antrag - aufgrund stillschweigender monatlicher Neubewilligung die Weiterzahlung der bisher
bewilligten Leistung(en) in der in diesem Bescheid angegebenen Höhe. Ist der Leistungsbezug befristet, so endet die Zahlung
mit Ablauf des angegebenen Zeitpunktes." Dabei kürzte der Antragsgegner die Grundleistungen in Höhe von 318 EUR (Antragsteller
zu 1 und 2) und 242 EUR (Antragsteller zu 3 und 4) um den "soziokulturellen Anteil" (Abt. 7-12) jeweils in Höhe eines monatlichen
Geldbetrags von 123 EUR (Antragsteller zu 1 und 2) bzw. von 88 EUR (Antragsteller zu 3 und 4). Gegen diesen Bescheid legten
die Antragsteller über ihre Prozessbevollmächtigte mit Schriftsatz vom 9. Juli 2013 Widerspruch ein.
Vorangegangene Widersprüche vom 16. Juli 2012, 23. Juli 2012 und 28. September 2012 der Antragsteller gegen die Bescheide
vom 27. Juni 2012 und 10. September 2012 wies der Antragsgegner mit Widerspruchsbescheid vom 8. April 2013 zurück. Hiergegen
ist ein Klageverfahren beim Sozialgericht Gießen anhängig (Az. S 18 AY 8/13).
Am 16. Juli 2013 haben die Antragsteller zu 1 bis 4 bei dem Sozialgericht Gießen (SG) beantragt, ihnen im Wege der einstweiligen Anordnung ungekürzte existenzsichernde Leistungen nach dem
AsylbLG in Höhe der Leistungen der Übergangsregelung zu gewähren. Zur Begründung führten sie aus, § 1 Abs. 1
GG garantierte ein einheitliches, das physische und soziokulturelle Existenzminimum umfassendes Grundrecht. Migrationspolitische
Erwägungen könnten kein Absinken des Leistungsstandards unter das Existenzminimum rechtfertigen. Dies gelte auch für eine
kurze Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland (Hinweis auf BVerfG, 18. Juli 2012 - 1 BvL 10/10 und 1 BvL 2/11). Auch wenn sich das BVerfG nicht ausdrücklich mit der Leistungskürzung nach §
1a AsylbLG auseinandergesetzt habe, dürfte eine Leistungseinschränkung angesichts dieser Vorgaben nicht mehr zu vertreten sein. Im Übrigen
lägen die Voraussetzungen des §
1a AsylbLG nicht vor. Sie seien nicht zum Zwecke des Leistungsbezugs eingereist. Sie gehörten der Minderheit der Roma an und seien als
solche in ihrem Heimatland Diskriminierungen ausgesetzt gewesen. Außerdem sei ihnen die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt.
Diese Erlaubnis erfolge nur dann, wenn kein Ausschlusstatbestand nach § 11 BeschVerfV erfüllt sei. Nach den Ausführungen des Antragsgegners im Widerspruchsbescheid habe der Antragsteller zu 1 angegeben, dass
er sein Heimatland verlassen habe, weil sie dort keine Lebensmittel gehabt hätten und er den ganzen Tag für 10 EUR habe arbeiten
müssen. Es gebe dort eine Menge Rassisten und die Kinder hätten dort nicht zur Schule gehen können. Weil er wolle, dass seine
Kinder hier besser leben könnten, möchte er mit seiner Familie dauerhaft in Deutschland bleiben. Diese Angaben seien nicht
geeignet, den alleinigen Zweck der Einreise zum Leistungsbezug nachzuweisen. Der Antragsgegner trage die Beweislast für ein
derartiges Vorbringen. Der Antragsteller zu 1 habe deutlich betont, aufgrund der erlebten Diskriminierung nach Deutschland
eingereist zu sein. Im Übrigen sei die Frage der Einbeziehung minderjähriger leistungsberechtigter Kinder bei gemeinsamer
Einreise angesichts der Entscheidung des BVerfG vom 18. Juli 2012 verfassungsrechtlich neu zu bewerten. Unabhängig davon komme
es auch nicht darauf an, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen nach §
1a Nr.1
AsylbLG erfüllt seien. Die Leistungen seien jedenfalls bis zu einer Neuregelung in Höhe der Grundleistungen nach der Übergangsregelung
zu gewähren (Hinweis auf LSG Nordrhein-Westfalen vom 24. April 2013 - L 20 AY 153/12 B ER). Reise der Ausländer im Sinne von
§
1a Nr. 1
AsylbLG mit dem prägenden Motiv in das Bundesgebiet ein, Leistungen nach dem
AsylbLG zu erhalten, fehle es bereits an der Option, durch eigenes Verhalten wieder ungekürzte Grundleistungen zu erlangen.
Der Antragsgegner hat ausgeführt, die Leistungskürzungen hinsichtlich der Antragsteller zu 1 - 4 nach §
1a Nr. 1
AsylbLG seien offensichtlich rechtmäßig. Es werde auf die Anhörung des Antragstellers zu 1 durch die Stadt Köln vom 27. November
2007 Bezug genommen. Die in Deutschland geboren Kinder der Antragsteller zu 1 und 2 erhielten keine Kürzungen. Die Kürzung
der Leistungen nach §
1a AsylbLG sei nach wie vor verfassungsgemäß. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012. Dieses
habe weder direkt noch mittelbar Aussagen zur Verfassungsmäßigkeit des §
1a AsylbLG getroffen. Insbesondere ergebe sich aus dem Urteil des BVerfG nicht das verfassungsrechtlich geschützte Existenzminimum aus
der in der Entscheidung festgelegten Leistungshöhe (Hinweis auf SG Münster, Urteil vom 27. Februar 2013 - S 12 AY 11/13 ER).
Dass keine Absenkung des Lebensstandards unter das Existenzminimum durch die Kürzung nach §
1a AsylbLG erfolge, ergebe sich auch aus Folgendem: Regelungen wie in §
1a AsylbLG seien im Sozialleistungsbereich durchaus üblich. Exemplarisch sei hier § 26 SGB XII, der Leistungseinschränkungen und Aufrechnungsmöglichkeiten normiere, sowie § 23 Abs. 3 SGB XII, wonach Ausländer keinen Anspruch auf Sozialhilfe hätten, wenn sie nur eingereist sein, um diese zu erlangen.
Die Antragsteller haben eingewandt, in der Literatur und Rechtsprechung werde vertreten, dass eine Kürzung nach § 26 SGB XII für maximal 3 Monate vertretbar sei. Die Aufrechnung im SGB XII, die ein Verschulden voraussetze und von zu Unrecht bewilligten Leistungen ausgehe, sei auf einen Zeitraum von 3 Jahren beschränkt.
Eine Aufrechnung erfolge zudem nur, wenn es sich um Ansprüche auf Erstattung von zu Unrecht erbrachten Leistungen handele,
die die leistungsberechtigte Person oder ihr Vertreter durch vorsätzlich oder grob fahrlässig unrichtige oder unvollständige
Angaben oder pflichtwidriges Unterlassen veranlasst habe, oder aber wenn es sich um Ansprüche auf Kostenersatz nach §§ 103 und 104 SGB XII handele.
Das SG hat mit Beschluss vom 6. August 2013 den Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes abgelehnt. Zur Begründung hat
es ausgeführt, die Antragsteller hätten keinen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, insbesondere keinen Anspruch auf Gewährung
uneingeschränkter Leistungen gemäß §
3 AsylbLG. Eine Leistungseinschränkung über §
1a AsylbLG werde auch angesichts der Rechtsprechung des BVerfG weiterhin grundsätzlich für möglich gehalten (Hinweis auf Bayerisches
LSG, Beschluss vom 24. Januar 2013 - L 8 AY 4/12 B ER) und der Tatbestand des §
1a Nr. 1
AsylbLG als erfüllt angesehen. Wenn Einschränkungen der Leistungen nach dem SGB II und SGB XII auch angesichts der Rechtsprechung des BVerfG zur Höhe der Leistungen nach dem SGB II (BVerfG, Urteil vom 9. Februar 2010 - 1 BvL 1/09 u. a.) grundsätzlich zulässig seien, und zugleich für Leistungsbezieher nach dem SGB II, SGB XII und
AsylbLG hinsichtlich des Anspruchs auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums dieselben Maßstäbe gelten sollen, sei kein
Grund erkennbar, warum Leistungen nach dem
AsylbLG dem Grunde nach nicht eingeschränkt werden können sollten. Umfang und Dauer der Einschränkungen müssten an denselben Maßstäben
orientiert sein wie bei Einschränkungen nach dem SGB II und SGB XII. Eine ermessensgerechte Anwendung der Kürzungsmöglichkeiten in den Fällen des § 26 Abs. 1 SGB XII setze eine Prüfung und Abwägung über die Tauglichkeit der Kürzung zur Verhaltensänderung des Betroffenen voraus und sei zur
Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes auf jeden Fall zeitlich zu befristen. Im Rahmen des § 26 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII sei eine vorherige Belehrung über die Folgen einer Fortsetzung des sanktionsbedrohten Verhaltens erforderlich. Wenn unter
diesen Voraussetzungen eine Einschränkung möglich sei, müsse sich diese der Höhe nach an § 26 SGB XII orientieren. Eine Einschränkung der Leistungen um 20 - 30 % werde für zulässig gehalten. Nach dieser Maßgabe sei die hier
streitgegenständliche Einschränkung der Leistungen rechtmäßig. Der Tatbestand des §
1a Nr.1
AsylbLG sei erfüllt. Die Antragsteller hätten andere prägende Gründe für die Einreise als die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel
nicht substantiiert dargetan. Die Gründe für die Einreise, wie sie der Antragsteller zu 1 bei seiner Anhörung am 27. November
2007 gegenüber der Stadt Köln angegeben habe, deuteten auf eine nahezu ausschließlich mit einer Verbesserung des Lebensstandards
verbundene Motivation zur Einreise in die BRD hin. Die Einschränkung sei der Höhe nach nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner
gehe von einem Regelbedarfssatz gemäß der Rechtsprechung des BVerfG aus. Die Einschränkung bewege sich mit Blick auf die Rechtsprechung
zu § 26 SGB XII in vertretbarem Rahmen und sei verhältnismäßig.
Gegen den ihnen am 9. August 2013 zugestellten Beschluss haben die Antragsteller zu 1 bis 4 am 16. August 2013 Beschwerde
eingelegt und unter anderem darauf hingewiesen, dass ihnen die Ausübung einer Beschäftigung erlaubt worden sei. Das Ausländeramt
sei folglich zu dem Ergebnis gekommen, dass sie sich weder in das Inland begeben hätten, um Leistungen nach dem
AsylbLG zu erlangen, noch aus von ihnen zu vertretenden Gründen aufenthaltsbeendende Maßnahmen nicht vollzogen werden könnten. Die
Antragstellerin zu 2 trägt über ihre Prozessbevollmächtigte vor, ab ca. ihrem 2. Lebensjahr in Hamburg aufgewachsen zu sein
und eine Aufenthaltserlaubnis gehabt zu haben. Im Jahr 2000 sei sie unfreiwillig nach Bosnien-Herzegowina zurückgekehrt, verschleppt
von einer Familie, die sie für ihren Sohn als Ehefrau wollte. Sie habe auch in Deutschland Rassismus kennengelernt, in ihrem
Heimatland sei die Diskriminierung weitaus schlimmer. Die Leistungskürzung erfolge bereits seit 2007, so dass sie selbst nach
den vom SG selbst aufgestellten Kriterien unzulässig wäre. Unabhängig von den Motiven der Antragsteller zu 1 und 2 könnten die minderjährigen
Antragsteller zu 3 und 4 nicht in "Sippenhaft" für ein Verhalten der Antragsteller zu 1 und 2 genommen werden. Eine politische
Verfolgung sei nicht der Maßstab für die Frage, ob bei einer Diskriminierung unterhalb der Schwelle der Asylanerkennungsgründe
davon ausgegangen werden dürfe, dass die Einreise allein zum Zwecke des Leistungsbezugs erfolgt sei.
Die Antragsteller zu 1 - 4 beantragen (sinngemäß),
den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Antragstellern zu 1 bis 4 vorläufig uneingeschränkte
existenzsichernde Leistungen nach dem
AsylbLG zu gewähren.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er trägt vor, entgegen der Ansicht der Antragsteller sei die wirtschaftliche Situation im Heimatland und die Erlangung von
Sozialleistungen prägender Grund für die Einreise gewesen. Eine Verfolgung aus politischen, religiösen oder sonstigen Gründen
sei von den Antragstellern zu 1 und 2 im Anhörungsbogen verneint worden, ebenso die Frage, ob Schutz vor Verfolgung bzw. Rückführung
gesucht werde. Darüber hinaus hätten die Antragsteller zu 1 und 2 keinen Asylantrag gestellt und die Frage, ob eine Rückkehr
in das Heimatland möglich sei, mit Ja beantwortet. Sie hätten danach die Erklärungen auch verbindlich für alle Familienmitglieder
abgegeben. Minderjährigen Leistungsberechtigten sei bei gemeinsamer Einreise mit den gesetzlichen Vertretern deren leistungsmissbräuchliche
Einreiseabsicht zuzurechnen. Dies ergebe sich aus § 26 Abs. 2 Satz 1 SGB XII. Die Erlaubnis der Ausübung einer Beschäftigung führe nicht zu einer gebundenen Entscheidung des Antragsgegners nach dem
AsylbLG. Die Kürzung der Leistungen nach §
1a AsylbLG sei nach wie vor verfassungsgemäß. Der Antragsgegner hat zwei Schreiben der Ausländerbehörde vom 18. Oktober 2013 an die
Antragsteller zu 1 und 2 vorgelegt, wonach beabsichtigt ist, diesen die Beschäftigungserlaubnis wieder zu entziehen, da sie
offensichtlich kein Interesse daran gezeigt hätten, ihren Lebensunterhalt durch eine Beschäftigung sicherzustellen.
Die Antragsteller haben hiergegen eingewandt, aus dem Anhörungsschreiben der Ausländerbehörde könne nicht der Schluss gezogen
werden, dass die Einreise nur zum Zweck des Leistungsbezugs erfolgt sei.
Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichts- und Verwaltungsakten Bezug genommen, der Gegenstand der Entscheidungsfindung
gewesen ist.
II. Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist nach §
172 Abs.
1 SGG statthaft und nicht gemäß §
173 Abs.
3 Nr.
1 SGG ausgeschlossen. Maßgebend ist, ob im Hauptsacheverfahren die Voraussetzungen des §
144 Abs.
1 SGG für eine zulassungsfreie Berufung vorliegen. Der danach maßgebliche Beschwerdewert von 750 EUR ist hier erreicht. Der nominale
Regelungsgehalt des Bescheids vom 26. Juni 2013 ist zwar zeitlich auf den Monat Juli 2013 beschränkt, die Bewilligung für
die Folgemonate erfolgt jedoch (zeitlich unbegrenzt) jeweils konkludent durch Weiterzahlung bzw. Überweisung (vgl. zu dieser
Gestaltung BSG, Urteil vom 17. Juni 2008, B 8/9b AY 1/07 R, Juris Rn. 11 ff). Bei unveränderten Verhältnissen erlangt der Bescheid vom 26.
Juni 2013 somit Bedeutung auch für die Folgemonate und damit Dauerwirkung. Aufgrund der auf diese Weise unbefristeten Bewilligung
der Leistungen ist der Beschwerdegegenstand nicht auf den Monat Juli 2013 beschränkt. Die Antragsteller begehren ungekürzte
Leistungen jedenfalls ab Antragstellung am 16. Juli 2013. Der maßgebliche Beschwerdewert wird bereits durch Leistungseinschränkungen
für 2 Monate in Höhe von insgesamt 844 EUR überschritten.
Die Beschwerde ist auch begründet.
Die Antragsteller haben Anspruch auf vorläufige Gewährung uneingeschränkter Leistungen nach §
3 AsylbLG nach den geltenden Bestimmungen bis zur Rechtskraft der Entscheidung in der Hauptsache. Die in den angefochtenen Bescheiden
vorgenommenen Anspruchseinschränkungen nach §
1 a Nr. 1
AsylbLG sind rechtswidrig und verletzen die Antragsteller in ihren Rechten.
Gemäß §
86 b Abs.
2 Satz 1
SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die
Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt
oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug
auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint
(Satz 2). Gemäß §
86 b Abs.
2 Satz 3
SGG in Verbindung mit §
920 Abs.
2 Zivilprozessordnung (
ZPO) sind der Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund glaubhaft zu machen.
Die Antragsteller haben einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht, dieser beruht auf §
3 AsylbLG in Verbindung mit der Übergangsregelung aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 1 BvL 2/11).
Seitens des Senats bestehen bereits Zweifel, ob vorliegend die Tatbestandsvoraussetzungen der leistungseinschränkenden Vorschrift
des § 1a Nr. 1 AsylbG gegeben sind und die Antragsteller sich in den Geltungsbereich dieses Gesetztes begeben haben, um Leistungen
nach diesem Gesetz zu erlangen. Der Hinweis des Antragstellers zu 1 auf Rassismus und Benachteiligungen für sich und seine
Familie in seinem Heimatland bei seiner Befragung durch die Stadt Köln ist als Indiz zu werten, dass der Leistungsbezug nicht
prägendes Einreisemotiv war. Auch nach dem aktuellen Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschieberelevante
Lage in Bosnien-Herzegowina vom 18. Oktober 2013 können Roma noch immer in verschiedenen Bereichen nicht auf ausreichende
Unterstützung staatlicher Stellen hoffen. Danach werden Roma insbesondere bei der Suche nach einer Beschäftigung, beim Erhalt
von Sozialleistungen und einer Krankenversicherung, bei Aus- und Fortbildung, bei Fragen der Ansiedlung bzw. Unterkunft, beim
Zugang zu Personaldokumenten und Erhalt der BIH-Staatsangehörigkeit häufig benachteiligt. Noch ausgeprägter stellte sich die
Benachteiligung nach den Lageberichten des Auswärtigen Amtes vom 7. August 2006 und 27. Mai 2008 dar. Die Zweifel gegen den
Leistungsbezug als prägendes Motiv der Einreise werden genährt durch die Tatsache, dass den Antragstellern zu 1 und 2 eine
Beschäftigungserlaubnis trotz des Ausschlusstatbestands des § 11 BeschVerfV erteilt worden ist, wonach geduldeten Ausländern die Beschäftigung u.a. nicht erlaubt werden darf, wenn sie sich in das Inland
begeben haben, um Leistungen nach dem
AsylbLG zu erlangen.
Im Ergebnis kann jedoch offen bleiben, ob die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
1a Nr. 1
AsylbLG erfüllt sind. Diese Vorschrift ist verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass Einschränkungen der Grundleistungen wegen
einer unlauteren Einreiseabsicht nach den konkreten Umständen des Einzelfalles nur im Hinblick auf einen absehbar kurzen Aufenthalt
des Ausländers im Inland vorgenommen werden können, denn nur unter dieser Voraussetzung erscheint es gerechtfertigt, von einem
besonderen verminderten Bedarf auszugehen, für den die inländische Gemeinschaft einzustehen hat.
§
1a AsylbLG schränkt Grundleistungen, die Asylbewerber gemäß §
3 AsylbG erhalten, weiter ein, wenn ein Missbrauchstatbestand vorliegt. Aus verfassungsrechtlichen Gründen (Schutz eines soziokulturellen
Existenzminimums) ist die Norm restriktiv auszulegen (Birk in LPK-SGB XII, Rn. 1 zu §
1a AsylbLG; Hohm in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, Rn. 2 zu §
1a AsylbLG).
Nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 8. Juli 2012 1 Bvl 10/10, 1 BvL 2/11 verlangt Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss (vgl. BVerfGE 125,175 (253)). Art.
1 Abs.
1 GG garantiert danach ein menschenwürdiges Existenzminimum, das durch im Sozialstaat des Art.
20 Abs.
1 GG auszugestaltende Leistungen zu sichern ist, als einheitliches, das physische und soziokulturelle Minimum umfassendes Grundrecht.
Migrationspolitische Erwägungen, die Leistungen an Asylbewerber und Flüchtlinge niedrig zu halten, um Anreize für Wanderungsbewegungen
durch ein im internationalen Vergleich eventuell hohes Leistungsniveau vermeiden zu können, können danach von vornherein kein
Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum rechtfertigen (vgl. Beschlussempfehlung
und Bericht des Ausschusses für Familie und Senioren (13. Ausschuss), vom 14. Mai 1993, BT-Drucks. 12/5008, S. 13 f.) Die
in §
1 AsylbLG in der Festlegung des Kreises der Berechtigten angelegte Vermutung, diese hielten sich nur kurzzeitig in Deutschland auf,
ist erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt (BVerfG, aaO., Juris Rn. 93 f.). Selbst wenn die Prognose für die
Anfangszeit des Aufenthalts der Betroffenen nur aus dem Aufenthaltsstatus abgeleitet werden könnte, ist es jedenfalls für
die in §
2 Abs.
1 AsylbLG vorgesehene Dauer von mittlerweile 4 Jahren des Leistungsbezugs und folglich einen evtl. auch längeren Aufenthalt nicht mehr
gerechtfertigt, von einem nur kurzen Aufenthalt mit möglicherweise spezifisch niedrigem Bedarf auszugehen. Auch eine kurze
Aufenthaltsdauer oder Aufenthaltsperspektive in Deutschland rechtfertigen es nicht, den Anspruch auf Gewährleistung eines
menschenwürdigen Existenzminimums auf die Sicherung der physischen Existenz zu beschränken. Art.
1 Abs.
1 GG i.V.m. Art.
20 Abs.
1 GG verlangt, dass das Existenzminimum in jedem Fall und zu jeder Zeit sichergestellt sein muss (vgl. BVerfGE 125, 175 (253)).
Das BVerfG hat sich in der vorzitierten Entscheidung nicht ausdrücklich mit der Verfassungsmäßigkeit von §
1a AsylbLG befasst, in Literatur und Rechtsprechung wurden daher in der Folge Zweifel geäußert, ob Leistungseinschränkungen nach § 1a
AslybG auf das unabweisbar Gebotene aus verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten noch zulässig sind (vgl. hierzu Bayer. LSG,
Beschluss vom 24. Januar 2013, L 8 AY 4/12 B ER, Juris Rn. 31 mit Literatur- und Rechtsprechungsnachweisen). In der Entscheidung
des Bayer. LSG, aaO., wurde offengelassen, ob Leistungseinschränkungen nach §
1 a Nr. 2
AsylbLG nach dem Urteil des BVerfG vom 18. Juli 2012 grundsätzlich verwehrt sind. Im Rahmen der Rechtsfolgenabwägung sei jedoch der
Geldbetrag zur Deckung der persönlichen Bedürfnisse des täglichen Lebens als Teil des soziokulturellen Existenzminimums vorläufig
zu gewähren (Leitsatz Nr. 3 und Juris Rn. 32 f.). In weiteren Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes wurden verfassungsrechtliche
Bedenken gegen die Anwendbarkeit des §
1a Nr. 2
AsylbLG verneint (vgl. LSG Hamburg, Beschluss vom 29. August 2013, L 4 A5/13 B ER, L 4 AY 6/13 B PKH, Leitsatz und Juris Rn. 6 f.;
LSG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 19. August 2013, L 8 AY 3/13 B ER, Leitsatz und Juris Rn. 35 f.; LSG Niedersachsen-Bremen,
Beschluss vom 20. März 2013, L 8 AY 59/12 B ER, Leitsatz und Juris Rn. 24 f; LSG Thüringen, Beschluss vom 17. Januar 2013,
L 8 AY 1801/12 B ER, Juris Rn. 24). Dies wurde zum Teil damit begründet, dass es der Leistungsberechtigte in der Hand habe,
die Leistungsvoraussetzungen zu erfüllen und eine Kürzung zu vermeiden. Nicht anders als in anderen Grundsicherungssystemen
sei die Verknüpfung von Mitwirkungspflichten und Verhaltenspflichten mit Leistungseinschränkungen auch im
AsylbLG verfassungsrechtlich unbedenklich (vgl. LSG Thüringen, aaO., Juris Rn 24). In anderen Entscheidungen des einstweiligen Rechtsschutzes
wurde der Rechtsbegriff der "im Einzelfall unabweisbar gebotenen Leistungen" auf der Rechtsfolgenseite des §
1a AsylbLG dahingehend verfassungskonform ausgelegt, dass für die Zeit bis zu einer gesetzlichen Neuregelung eine Absenkung der Grundleistungen
nach §
3 AsylbLG auf der Grundlage des §
1a AsylbLG nicht in Betracht kommt (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 24. April 2013, L 20 AY 153/12 B ER, Juris Rn. 48; LSG
Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 27. März 2013, L 3 AY 2/13 B ER, veröffentlicht in Juris; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 6. Februar 2013, L 15 AY 2/13 B ER, Juris Rn. 8). Auch im Rahmen des § 1a AsylblG dürfe der Leistungsumfang das menschenwürdige
Existenzminimum nicht unterschreiten. Insofern könnten sich bei summarischer Prüfung für die nach §
1a AsylbLG unabweisbar zu gewährenden Leistungen wertmäßig keine Unterschiede zu denjenigen Leistungen ergeben, die nach dem
AsylbLG Leistungsberechtigten als Übergangsleistungen bei §
3 AsylbLG im Anschluss an die Entscheidung des BVerfG zur Verfügung zu stellen seien (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, aaO., Juris Rn.
44).
Vor dem Hintergrund der dargestellten Erwägungen des BVerfG hält der erkennende Senat es jedenfalls für unverhältnismäßig
und nicht mit Art.
1 Abs.
1 GG in Verbindung mit Art.
20 Abs.
1 GG vereinbar, den betroffenen Ausländern ohne zeitliche Begrenzung über Jahre hinweg eingeschränkte Leistungen nach §
1a Nr. 1
AsylbLG zu gewähren, zumal es diese nicht in der Hand haben, durch eigenes Verhalten die Gewährung ungekürzter Leistungen herbeizuführen
(zu diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Bedenken vgl. bereits SG Münster, Beschluss vom 1. März 2013, S 12 AY 13/13 ER,
Juris Rn. 12 f.; Deibel, Asylbewerberleistungsrecht aktuell: Zwischen Bundesverfassungsgericht und gesetzlicher Neuregelung,
Sozialrechtaktuell 3/2013, S. 103, 108; Janda, Quo vadis,
AsylbLG? Möglichkeiten der Neugestaltung der existenzsichernden Leistungen für Personen mit vorübergehendem Aufenthalt nach dem Urteil
des BVerfG, ZAR 2013, 175, 4.2.4.1) und daher eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift für geboten.
Zwar hält auch der Senat Leistungskürzungen nach §
1a AsylbLG im Grundsatz für verfassungsrechtlich zulässig, insbesondere auch im Hinblick auf verhaltensbedingte Leistungskürzungen im
Fürsorgerecht (vgl. § 31 Abs. 2 SGB II, §§ 26, 41 Abs. 4 SGB XII). Jedenfalls zeitlich begrenzte verhaltensbedingte Einschränkungen der Leistungen müssen danach aus Gründen der "Gleichbehandlung"
auch im Asylbewerberleistungsrecht möglich sein, um eine Privilegierung von Leistungsberechtigten nach dem
AsylbLG im Vergleich zu deutschen Sozialhilfeempfängern und dauerhaft in Deutschland lebenden Ausländern zu verhindern (vgl.zu diesem
Gesichtspunkt LSG Bayern mit Hinweis auf die Gesetzesbegründung BT-Drs. 13/1055, S. 5 linke Spalte a.E.; Wahrendorf in Grube/Wahrendorf,
SGB XII, 4. Auflage, Rn. 2 zu §
1a AsylbLG). Leistungskürzungen im SGB II und SGB XII sind jedoch in der Regel vorübergehender Natur, und es geht ihnen eine Belehrung über die Folgen der Fortsetzung des sanktionsbedrohten
Verhaltens voraus.
Auch der konkrete Missbrauchstatbestand des §
1a Nr.1
AsylbLG begegnet hinsichtlich seiner tatbestandlichen Voraussetzungen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, jedoch beanspruchen
die verfassungsrechtlichen Vorgaben bei der Bestimmung dessen, was nach den Umständen im Einzelfall unabweisbar geboten ist,
nach der dargestellten Rechtsprechung des BVerfG verstärkte Beachtung. Bereits die bisherigen Kommentierungen dieser Vorschrift
betonen - wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung -, dass bei der Bestimmung des Leistungsumfangs die Dauer des noch verbleibenden
Aufenthalts in der Bundesrepublik sowie die objektiv vorhandene Möglichkeit einer Rückreise in das Heimatland zu berücksichtigen
sind (s. Warendorf in: Grube/Warendorf, SGB XII, Kommentar, 3. Aufl. 2010, §
1a AsylbLG, Rn. 32).
Eine verfassungskonforme Auslegung dieser Vorschrift steht einer dauerhaften Leistungsminderung entgegen und lässt Einschränkungen
der Grundleistungen wegen einer unlauteren Einreiseabsicht nach den konkreten Umständen des Einzelfalles nur im Hinblick auf
einen absehbar kurzen Aufenthalt des Ausländers im Inland zu, denn nur unter dieser Voraussetzung erscheint es gerechtfertigt,
von einem besonderen verminderten Bedarf auszugehen, für den die inländische Gemeinschaft einzustehen hat. Erweitert sich
die Aufenthaltsperspektive des Ausländers objektiv zu einem längerfristigen oder gar absehbar dauernden Aufenthalt im Inland,
so verflüchtigt sich der Umstand der unlauteren Einreiseabsicht und verfassungsrechtlich ist der Übergang von den unabweisbar
gebotenen existenzsichernden Leistungen zu den ungekürzten Grundleistungen geboten (in diesem Sinn auch Deibel, aaO. S. 108).
Dies ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn bereits über mehrere Jahre hinweg eingeschränkte Leistungen nach §
1a Nr. 1
AsylbLG bezogen wurden, und konkrete Maßnahmen zur Durchsetzung der Ausreisepflicht des Ausländers nicht ersichtlich sind. In entsprechender
Anwendung des §
2 AsylbLG kann dabei auf einen Zeitraum von 4 Jahren als absolute zeitliche Grenze der Leistungseinschränkungen abgestellt werden (ebenso
Deibel aaO.)
Im streitgegenständlichen Fall beziehen die Antragsteller eingeschränkte Leistungen nach §
1a Nr. 1
AsylbLG seit mittlerweile knapp 6 Jahren. Anhaltspunkte für eine baldige Beendigung des Aufenthalts der Antragsteller im Bundesgebiet
sind nicht ersichtlich, vielmehr sprechen integrative Aspekte wie die Erteilung von Beschäftigungserlaubnissen an die Antragsteller
zu 1 und 2 - unabhängig von einem gegebenenfalls beabsichtigen Entzug - für eine Aufenthaltsverfestigung. Daher ist es nicht
mit der gebotenen verfassungskonformen Auslegung des Art. 1 Nr. 1a
AsylbLG vereinbar, dass der Antragsgegner den Antragstellern mit Bescheid vom 26. Juni 2013 erneut nur eingeschränkte Leistungen
nach §
1a AsylbLG ab 1. Juli 2013 gewährt hat.
Wenn Grundleistungen wie vorliegend in Form von Barbeträgen gewährt werden, bestimmt sich die Höhe der Leistungen bis zum
Inkrafttreten einer gesetzlichen Neuregelung nach §
3 Abs.
2 Satz 2
AsylbLG und der Übergangsregelung des BVerfG (entsprechende Anwendung des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes). Hinzu kommt der Geldbetrag
gemäß §
3 Abs.
1 Satz 4
AsylbLG (Leistungen zur Sicherung des soziokulturellen Existenzminimums). Soweit Grundleistungen bereits erbracht wurden, sind noch
die gekürzten Beträge nachzuzahlen.
Der Anordnungsgrund folgt aus dem existenzsichernden Charakter der Leistungen (vgl. auch Oppermann in jurisPK-SGB II, Stand 13. November 2013, Rn. 103 zu §
1a AsylbLG).
Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.
Dieser Beschluss ist gemäß §
177 SGG unanfechtbar.