Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Vorliegen einer Bedarfsgemeinschaft bei nicht dauernd getrennt lebenden Ehegatten
Tatbestand:
Der Kläger macht einen Anspruch darauf geltend, von dem Beklagten über den 1. Oktober 2006 hinaus unterhaltssichernde Leistungen
nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - SGB II - als Alleinstehender ohne Rücksicht auf Einkommen und Vermögen seiner Ehefrau durch selbständigen Verwaltungsakt zugesprochen
zu erhalten.
Der Kläger ist verheiratet und bewohnt gemeinsam mit seiner Ehefrau ein Reihenhaus, in dem sie beide allerdings nach den Angaben
des Klägers seit 2001 dauernd getrennt leben. Bis einschließlich September 2006 beschied der Beklagte die Leistungsansprüche
des Klägers nach dem SGB II auf dieser Grundlage durch gesonderte Bescheide, in denen er den Kläger zudem als Alleinstehenden behandelte. Den Fortzahlungsantrag
des Klägers für die Zeit ab 1. Oktober 2006 lehnte indessen der Beklagte mit Bescheid vom 21. September 2006 unter Hinweis
darauf ab, dass der Kläger mit seiner Ehefrau eine Bedarfsgemeinschaft bilde, so dass die Leistungsgewährung künftig unter
der Bedarfsgemeinschaft erfolgen werde. Ein entsprechender Änderungsbescheid sei seiner Ehefrau erteilt worden. Den hiergegen
erhobenen Widerspruch des Klägers, zu dessen Begründung er auf das Getrenntleben hinwies, wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid
vom 31. Januar 2007 zurück. Zur Begründung stützte er sich dabei in tatsächlicher Hinsicht auf folgende Umstände:
- In einem Schreiben vom 11. Juni 2006 habe die Ehefrau des Klägers diesen gegenüber dem Sozialgericht Braunschweig ausdrücklich
als ihren Ehegatten bezeichnet, - am 30. Mai 2006 habe die Ehefrau des Klägers mitgeteilt, dass sie und ihr "Ehemann" sich
für ca. zwei Wochen auf Stellensuche ins Ausland begeben wollten, - am 8. Juni 2006 habe der Kläger mitgeteilt, dass er sich
mit seiner "Frau" 14 Tage zwecks Arbeitsuche in H. aufhalten wolle, - mit einer Vollmacht vom 13. August 2006 habe der Kläger
seine Ehefrau wie folgt bevollmächtigt: "Frau I. J. ist hiermit bevollmächtigt, für o. g. Herrn K. J. sämtliche Angelegenheiten
mit der ARGE des Landkreises L. zu regeln. Dieses beinhaltet auch den Empfang ihm zustehender Gelder." Diese Vollmacht sei
persönlich von der Ehefrau des Klägers abgegeben worden. - Beide Eheleute unterhielten eine gemeinsame Privathaftpflichtversicherung,
- in einem gemeinsamen Presseinterview gegenüber dem "M. Blitz" hätten sich beide Eheleute als "Ehepaar" bezeichnet, - mit
einer Veränderungsanzeige vom 10. Oktober 2006 habe die Ehefrau des Klägers mitgeteilt, dass die Leistungen nach dem SGB II künftig auf das Konto N. bei der Volksbank O. gehen sollten; bei diesem Konto handele es sich um das Konto des Klägers.
In Würdigung dieser Umstände bestehe an der ehelichen Lebensgemeinschaft kein Zweifel.
Am 20. Februar 2007 hat der Kläger hiergegen Klage erhoben und im Wesentlichen geltend gemacht, es lasse keine Rückschlüsse
auf den Fortbestand der ehelichen Gemeinschaft zu, dass er und seine Ehefrau sich gegenseitig als Ehegatten bezeichnet hätten.
Dies entspreche lediglich der Wahrheit, da sie noch verheiratet seien. Eine Scheidung unterbleibe lediglich aus Kostengründen.
Die Stellensuche im Ausland betreffe ihre Bemühungen, gemeinsam an Hausmeisterstellen zu gelangen, die für Ehepaare ausgeschrieben
seien. Diese Bemühungen seien völlig unabhängig davon, dass sie weiterhin getrennt von Tisch und Bett leben würden. Die Bevollmächtigung
seiner Ehefrau sei ebenfalls aus Gründen der Kostenersparnis erfolgt, da jeder Besuch bei dem Beklagten Fahrgeld koste. Die
Haftpflichtversicherung stamme noch aus der Zeit vor der Trennung. Da er sich aus finanziellen Gründen keine eigene Versicherung
leisten könne, sei es dabei verblieben. Auch das Konto hätten er und seine Ehefrau aus Kostengründen zusammengelegt, da sich
ab 1. Juli 2006 die Kontoführungsgebühren erhöht hätten. Hausbesuche, die der Beklagte am 21. Mai 2004 und 6. Juni 2005 durchgeführt
habe, müssten ergeben haben, dass zwischen ihm und seiner Ehefrau keine eheliche Gemeinschaft mehr bestehe. Auch finde keine
gemeinsame steuerliche Veranlagung mehr statt. Es sei nicht nachzuvollziehen, dass nun plötzlich im September 2006 von einer
Bedarfsgemeinschaft ausgegangen werde. Dies müsse auch deswegen überraschen, weil seit 2005 ein weiterer Hausbesuch nicht
mehr durchgeführt worden sei.
Das Sozialgericht (SG) Braunschweig hat den Kläger im Termin am 10. April 2008 gehört. Dieser hat bekundet, dass er von seiner Ehefrau 10,00 EUR
im Monat für Beköstigung, Hygieneartikel und sonstige Lebensnotwendigkeiten erhalte. Eine Scheidung sei bisher nicht erfolgt,
weil er verhindern wolle, dass das gemeinsam bewohnte Haus unter den Hammer komme. Die Räumlichkeiten seien ausreichend, um
sich aus dem Weg zu gehen.
Mit Gerichtsbescheid vom 15. Januar 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es sich darauf bezogen, dass zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau eine Bedarfsgemeinschaft
bestehe.
Am 4. Februar 2009 hat der Kläger hiergegen Berufung eingelegt. Zur Begründung hat er unter anderem geltend gemacht, dass
das SG keine ausreichenden Ermittlungen angestellt und angebotene Beweise nicht erhoben habe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Braunschweig vom 15. Januar 2009 sowie den Bescheid des Beklagten vom 21. September
2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 31. Januar 2007 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm unterhaltssichernde
Leistungen nach dem SGB II über den 1. Oktober 2006 hinaus als Alleinstehendem zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie
der Leistungsakten des Beklagten Bezug genommen, die beigezogen worden sind.
Entscheidungsgründe:
Nachdem der Rechtsstreit durch Senatsbeschluss vom 14. Dezember 2010 gem. §
153 Abs.
5 SGG dem Berichterstatter übertragen worden ist, entscheidet dieser mit den ehrenamtlichen Richtern.
Dabei erweist sich die zulässige Berufung als unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger
hat keinen Anspruch darauf, dass der Beklagte ihm über den 1. Oktober 2006 hinaus unterhaltssichernde Leistungen nach dem
SGB II wie einem Alleinstehenden gewährt und deren Höhe durch gesonderten Bescheid ihm gegenüber festsetzt. Der Kläger hat im streitbefangenen
Zeitraum eine Bedarfsgemeinschaft mit seiner im gleichen Reihenhaus wohnhaften Ehefrau gebildet. Über die ihm zustehenden
Leistungen war demgemäß unter Berücksichtigung des gemeinsamen Einkommens und Vermögens zu entscheiden (§ 9 Abs. 2 Satz 1 SGB II), während auf Bedarfsseite nicht der Regelbedarf für Alleinstehende, sondern derjenige für Partner (§ 20 Abs. 3 SGB II) zu berücksichtigen war.
Nach § 7 Abs. 3 Lit. a) SGB II gehört zur Bedarfsgemeinschaft neben einem erwerbsfähigen Hilfebedürftigen als dessen Partner auch der nicht dauernd getrennt
lebende Ehegatte. Der Kläger ist im maßgeblichen Zeitraum verheiratet gewesen und hat mit seiner Ehefrau das im gemeinsamen
Eigentum stehende Reihenhaus unter der Anschrift Friedlandweg 22, 38154 Königslutter bewohnt, in dem beide noch heute wohnen.
Eine Bedarfsgemeinschaft zwischen den Eheleuten läge hiernach allein dann nicht vor, wenn beide in der gemeinsamen Ehewohnung
dauernd getrennt voneinander gelebt hätten. Durch die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 18. Februar 2010, Az. B 4 AS 49/09 R, Rdnr. 13) ist insoweit bereits abschließend geklärt, dass der Begriff dauernden Getrenntlebens in § 7 Abs. 3 Lit. a) SGB II dem Begriff dauernden Getrenntlebens in §
1567 Abs.
1 BGB entspricht und daher die zu dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze Anwendung finden. Bereits zu den gesetzlichen Voraussetzungen
dauernden Getrenntlebens gehört aber gem. §
1567 Abs.
1 BGB neben der Aufhebung der häuslichen Gemeinschaft als weitere Voraussetzung, dass - wenigstens - ein Ehegatte sie erkennbar
nicht herstellen will, weil er die eheliche Lebensgemeinschaft ablehnt. Dieser Trennungswille wenigstens eines Ehegatten muss
anhand objektivierbarer Umstände nach außen hin erkennbar sein (Brudermüller in Palandt,
BGB, 71. Aufl. 2012, § 1567 Rdnr. 5). Auch für die Anwendung von § 7 Abs. 3 Lit. a) SGB II kommt es insoweit neben dem Fehlen oder der Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft darauf an, dass wenigstens ein Partner das
Eheband lösen will (so ausdrücklich BSG, aaO., Rdnr. 13).
Hieran anknüpfend hat der Senat mit seinem zwischen den Beteiligten ergangenen Beschluss vom 10. Dezember 2010 (Az. L 15 AS 356/10) im Anschluss an die Rechtsprechung des 9. Senats des LSG Niedersachsen - Bremen (Beschluss vom 3. August 2006, Az. L 9 AS 357/06 ER) bereits entschieden, dass es an einem nach außen hin erkennbaren Trennungswillen im vorstehenden Sinne mangelt, wenn
die Ehe über eine Zeit des Getrenntlebens von drei Jahren hinaus in der gemeinsamen Ehewohnung fortgesetzt wird, ohne dass
ein Partner von der Möglichkeit Gebrauch macht, die Scheidung ohne das Einverständnis des anderen durchzusetzen (§
1566 Abs.
2 BGB). An dieser Auffassung hält der Senat fest. Sie wird nicht durch den Umstand infrage gestellt, dass nach ausdrücklicher Bestimmung
des §
1567 Abs.
1 Satz 2
BGB die Ehegatten auch in der gemeinsamen Ehewohnung getrennt leben können. Nicht das Getrenntleben, sondern der nach außen erkennbare
Trennungswille entfällt, wenn die Ehegatten nach vollzogener Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft auf Dauer gemeinsam in der
Ehewohnung verbleiben, ohne dass mindestens einer von ihnen erkennbar die Scheidung anstrebt. In seinem Urteil vom 18. Februar
2010 (Az. B 4 AS 49/09, Rdnr. 13) hat das BSG zu Recht hervorgehoben, dass die häusliche Gemeinschaft zwar ein Grundelement der ehelichen Lebensgemeinschaft ist, ihr Fehlen
aber nicht die Annahme dauernden Getrenntlebens rechtfertigt, wenn es auf der einvernehmlichen Wahl eines entsprechenden Lebensmodells
bei der Eheschließung beruht. In einem solchen Fall leben die Ehegatten nur dann dauernd getrennt, wenn wenigstens einer von
ihnen zu erkennen gibt, dass er auch die einvernehmlich gewählte, die Herstellung der häuslichen Gemeinschaft ausschließende
Form der Ehe ablehnt (BSG, aaO.). Es spricht nichts für die Annahme, dass Ehegatten allein bei der Eheschließung zu einem Einvernehmen darüber gelangen
können, dass ihre Ehe die Herstellung und Aufrechterhaltung der häuslichen Gemeinschaft nicht einschließen soll. Ebenso gut
ist es möglich, dass Ehegatten im Verlauf der Ehe ihre ursprünglichen Vorstellungen ändern und nachträglich Einverständnis
über ein Lebensmodell entwickeln, dass die häusliche Gemeinschaft nicht mehr vorsieht, den Bestand der Ehe aber nicht infrage
stellt. Nachdem der Kläger und seine Ehefrau nach eigenem Bekunden seit 2001 in der Ehewohnung dauernd getrennt gelebt, dabei
aber im Interesse der Sicherung ihres gemeinsamen Vermögens ausdrücklich auch für die Zukunft an der Ehe festgehalten haben,
vermag der Senat einen nach außen erkennbaren Trennungswillen wenigstens eines der Ehegatten nicht zu erkennen. Vielmehr deutet
aus der familienrechtlich maßgeblichen Außensicht alles darauf hin, dass sich der Kläger und seine Ehefrau in einem Zustand
des Getrenntlebens als Eheleute einvernehmlich eingerichtet haben.
Unabhängig hiervon fehlt es jedoch auch noch aus einem anderen, die Entscheidung gleichermaßen tragenden Grund an den Voraussetzungen
dauernden Getrenntlebens. Dieser Grund stellt - anders als die Fortsetzung der Ehe selbst - nicht erst das Vorliegen eines
nach außen hin erkennbaren Trennungswillens, sondern bereits die Aufgabe der häuslichen Gemeinschaft infrage. Nach der insoweit
übereinstimmenden Rechtsprechung der Zivilgerichte in Familiensachen setzt das Getrenntleben von Ehegatten namentlich dann,
wenn es in der gemeinsamen Ehewohnung stattfindet, eine konsequente Trennung der persönlichen Sphären voraus, die grundsätzlich
alle Lebensbereiche durchziehen muss und nur in unbedeutenden oder unumgänglichen Einzelheiten der Lebensumstände ausnahmsweise
durchbrochen werden darf (BGH, Urt. v. 14. Juni 1978, Az. IV ZR 164/77; OLG Stuttgart, Urt. v. 27. Februar 2001, Az. 17 UF 411/00; OLG München, Urt. v. 7. Juli 1997, Az. 26 UF 826/97; OLG Köln, Urt. v. 5. September 1978, Az. 21 UF 277/77; OLG Hamm, Urt. v. 5. Dezember 1977, Az. 4 UF 34/77; OLG Köln, Urt. v. 20. September 1977, Az. 21 U 27/77). Eine solche konsequente Trennung der Lebensbereiche findet auch dann nicht statt, wenn die Ehegatten noch in wesentlicher
Beziehung gemeinsam wirtschaften (OLG Stuttgart, aaO.). Danach ist von einem dauernden Getrenntleben auch dann nicht auszugehen,
wenn die Ehegatten im Bezug unterhaltssichernder Leistungen nach dem SGB II stehen und füreinander beim zuständigen Träger Leistungen beantragen oder entgegennehmen (KG Berlin, Beschluss vom 30. April
2012, Az. 17 WF 108/12 im Leitsatz). Ein solcher Fall ist vorliegend im Sinne der Gegenseitigkeit gegeben; denn während der Kläger seine Ehefrau
unter dem 13. August 2006 bevollmächtigt hat, für ihn sämtliche Angelegenheiten mit dem Beklagten zu regeln und dabei auch
die ihm zustehenden Gelder in Empfang zu nehmen - diese Vollmacht ist nach den vom Senat im Verfahren L 15 AS 416/10 mit Urteil vom 13. Dezember 2011 getroffenen Feststellungen erst mit Schreiben vom 11. Mai 2008 widerrufen worden -, hat
umgekehrt die Ehefrau des Klägers mit Wirkung für sich selbst und den Kläger den Beklagten unter dem 10. Oktober 2006 angewiesen,
die gemeinsamen Leistungen auf ein vom Kläger unterhaltenes Girokonto auszuzahlen. Dass hierfür der Wunsch maßgeblich gewesen
sein mag. Kontogebühren zu sparen, ist unerheblich. Eine Entflechtung der wirtschaftlichen Verhältnisse der Eheleute hat hiernach
im streitbefangenen Zeitraum jedenfalls nicht bestanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Ein Grund, gem. §
160 Abs.
2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.