Sozialversicherungsbeitragspflicht für eine Tätigkeit als Pflegemutter
Ehrenamtliche Tätigkeit
Finanzielle Anerkennung als verdeckte Entlohnung
Tatbestand
Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Feststellung, dass ihre Tätigkeit als Pflegemutter bei dem Beigeladenen seit dem
01.10.2010 sozialversicherungspflichtig ist.
Am 19.08.2010 schloss die Klägerin mit dem Beigeladenen, dem Träger des örtlichen Amtes für Jugendhilfe, eine Vereinbarung
über die vorübergehende Aufnahme von minderjährigen Jungen/Mädchen im Alter von Geburt bis 12 Jahren mit Wirkung ab dem 01.10.2010.
Vorgesehen waren zwei Wochen Dienst und vier Wochen keine Verfügbarkeit, außer in Notfällen. Als Gegenleistung war ein heilpädagogisches
Pflegekindergeld in Höhe von zunächst monatlich 305 € auch ohne Zuweisung von Pflegekindern für die Vorhaltung von Räumen
vereinbart. Bei Aufnahme gab es zusätzlich das Pflegekindergeld, welches nach Alter differierte und sich über die Jahre erhöhte.
Im Jahr 2010 gab es für Kinder im Alter bis fünf Jahre 473 €, zwischen 6 und 11 Jahren 547 € und ab 12 Jahren 628 € an materiellen
Aufwendungen sowie Kosten der Erziehung in Höhe von 440 € pro Monat. Grundlage waren die Empfehlung des Deutschen Vereins
für öffentliche und private Fürsorge e. V. zur Fortschreibung der Pauschalbeträge in der Vollzeitpflege. Als „Notpflege“ erhielt
die Klägerin den 2,5-fachen Satz des hierin vorgesehenen Pauschalbetrages für die Kosten der Erziehung. Die Klägerin erhielt
laut Aufstellung (Bl. 95 GA) im Jahr 2010 den weit geringsten Betrag in Höhe von insgesamt 3.410,68 €, im Anschluss mehr als
10.000 € pro Jahr und im Jahr 2015 bislang maximal 22.664,83 €. In den Gesamtbeträgen waren neben der monatlich gezahlten
Pauschale und dem Pflegegeld auch einmalige Beihilfen für Kleidung, Spielgerät, Windeln, Fahrtkosten, Einrichtungsgegenstände
usw. enthalten. Mittlerweile (im Jahr 2022) erhält die Klägerin monatlich 355 € für die Vorhaltung von Räumlichkeiten und
Tagessätze an Pflegegeld in Höhe von 40 € für bis fünfjährige Kinder, in Höhe von 44 € für Kinder von sechs bis elf Jahren
und in Höhe von 47 € für Kinder ab zwölf Jahren.
Am 22.02.2017 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status im Verhältnis
zum Beigeladenen. Die Beklagte hörte die Beteiligten an, ließ sich Unterlagen vorlegen und entschied mit Bescheid vom 27.07.2017,
dass eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung vorliege.
Der Beigeladene erhob hiergegen mit Faxschreiben vom 15.08.2017 Widerspruch und berief sich diesbezüglich auf die Urteile
des Sozialgerichts Dresden vom 15.11.2016 (S 33 R 773/13) und des Sozialgerichts Düsseldorf vom 13.12.2016 (S 7 R 2581/14).
Die Beklagte nahm die Bescheide vom 27.07.2017 mit Bescheid vom 10.11.2017 zurück und gab gegenüber der Klägerin an, dass
sie hiergegen Klage erheben könne, was diese dann zunächst am 06.12.2017 beim Sozialgericht Stade tat. Auf Hinweis des Sozialgerichts
erhob die Klägerin mit Schreiben vom 30.01.2018, bei der Beklagten eingegangen am 31.01.2018, Widerspruch, den die Beklagte
mit Widerspruchsbescheid vom 16.04.2018 zurückwies.
Die Klägerin hat hiergegen am 15.05.2018 beim Sozialgericht Stade Klage erhoben. Von den vom Bundessozialgericht entwickelten
28 Kriterien träfen 25 auf die Klägerin zu. Die Formulierungen im Vertrag entsprächen denen eines Arbeitsvertrages. Aus §§
1-5 ergäben sich Weisungsrechte des Beigeladenen. Eine Eingliederung in die Betriebsorganisation ergäbe sich aus der Einteilung
zu den vierzehntägigen Bereitschaftsdiensten. Ort, Dauer und Zeit der Tätigkeit seien klar strukturiert. Die Klägerin habe
ein Diensttelefon und müsse nach einer schriftlichen Vereinbarung rund um die Uhr im Bereitschaftsdienst erreichbar sein.
Der Beigeladene habe 2018 die Formulierungen in den Verträgen geändert, um den Schluss auf eine abhängige Beschäftigung zu
beseitigen. Insbesondere sei der Ausschließlichkeitsanspruch des Beigeladenen herausgenommen worden. Es bestehe eine finanzielle
Abhängigkeit. Die Klägerin könne keiner zusätzlichen Tätigkeit nachgehen. Die Arbeitszeiten ergäben sich unter anderem aus
den Bereitschaftsdienstplänen sowie den Belegungen durch den Allgemeinen Sozialdienst (ASD), Pflegekinderdienst (Pkd) und
der Belegung durch Amtsvormünder. Die Dauer der Belegung werden von Mitarbeitern des ASD und Pkd entschieden. Ausgehend von
einem Mindestlohn in Höhe von 9,60 € und einem sich hieraus ergebenden monatlichen Entgelt in Höhe von 1.230 € sowie einer
jährlichen Vergütung von 14.760 € ergäbe sich eine Entsprechung mit der durchschnittlichen jährlichen Pflegegeldsumme in Höhe
von rund 14.400 €. In die Arbeitsabläufe des Jugendamtes sei die Klägerin insoweit integriert worden, als sie Fahrten für
die Sozialarbeiter des Pkd, des ASD oder für die Amtsvormünder getätigt hat.
Das Sozialgericht Stade hat die Klage mit Urteil vom 17.12.2021, der Klägerin zugestellt am 09.01.2022, abgewiesen. Die Beklagte
habe zu Recht nach §
7a SGB IV festgestellt, dass bei der Klägerin keine Versicherungspflicht vorliege. Bei dem Einsatz der Klägerin als Pflegefamilie handele
es sich bereits nicht um eine Arbeit im Sinne von §
7 Abs.
1 S. 1
SGB IV. Es handele sich vielmehr um ein öffentliches Rechtsverhältnis eigener Art. Des Weiteren liege kein Arbeitsentgelt vor. Bei
den gezahlten Pflegegeldern handele es sich um Unterhaltszahlungen für das jeweilige Kind. Bei der pauschalen monatlichen
Zahlung handele es sich um eine Aufwandsentschädigung.
Die Klägerin hat hiergegen mit elektronischem Schreiben vom 19.01.2022 Berufung eingelegt. Sie sei gegenüber dem Beigeladenen
höchst persönlich zur (Dienst-)Leistung verpflichtet, u.a. zur Ableistung von zweiwöchigen Bereitschaftsdiensten. Durch diese
Bereitschaftsdienste sei es der Klägerin nicht möglich, andere Tätigkeiten aufzunehmen. Sie trage kein Unternehmerrisiko.
Von keiner anderen Behörde würden ihr Kinder zugewiesen. Daraus resultiere eine wirtschaftliche Abhängigkeit, zumal die Klägerin
im Übrigen nur eine kleine Witwenrente erhalte. Der Beigeladene erwarte umfangreiche Berichtspflichten, denen die Klägerin
auch telefonisch nachgekommen sei. Er könne die Kinder jederzeit anderweitig unterbringen, wohingegen die Klägerin verpflichtet
sei, die ihr zugewiesenen Kinder aufzunehmen. Die zur Verfügung gestellten Zimmer stellten sich auch nicht als eigene Betriebsstätte,
sondern als Betriebsstätte des Beigeladenen dar, als diese dem Beigeladenen vertraglich bedingt zur Verfügung gestellt worden
seien. Insofern bestünden Zugriffs- und Einwirkungsmöglichkeiten. Weisungen ergäben sich aus den durchgeführten Dienstbesprechungen
sowie den Vorgaben der Amtsvormünder und Sozialarbeiter wie z. B. Fahrten zur Herkunftsfamilie, Arztterminen oder Begutachtungen.
In neueren Vereinbarungen des Beigeladenen sei ausdrücklich eine selbständige Tätigkeit vereinbart. Eine solche Regelung fehle
in der Vereinbarung mit der Klägerin. Die von der Klägerin betriebene Notpflege sei auch nicht mit einer Vollzeitpflege zu
vergleichen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stade vom 17.12.2021 und den Bescheid der Beklagten vom 10.11.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheides
vom 16.04.2018 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte ist im Wesentlichen der Auffassung, dass die angefochtenen Entscheidungen rechtmäßig seien.
Der Beigeladene beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beigeladene ist im Wesentlichen der Auffassung, dass die angefochtene Entscheidung rechtmäßig sei. Bei der Aufnahme der
Kinder handele es sich um eine Vollzeitpflege nach § 33 SGB VIII. Insofern handele es sich bei dem Erziehungsbeitrag um eine staatliche Leistung für den notwendigen Unterhalt des Kindes,
nicht jedoch um Einkommen der Pflegeperson. Anspruchsinhaber der vom Beigeladenen an die Klägerin gezahlten (Unterhalts-)Gelder
seien die Personensorgeberechtigten. Die Pflegeperson habe lediglich einen Kostenerstattungsanspruch gegenüber den Personensorgeberechtigten,
der vom Beigeladenen abweichend vom Dreiecksverhältnis direkt an die Pflegepersonen bedient werde. Bei der Aufnahme eines
Kindes handele es sich nicht um eine Dienstleistung für den Beigeladenen. Da die Klägerin weniger als sieben Kinder betreut
habe, greife die Vermutung, dass sie nicht erwerbsmäßig tätig gewesen sei. Nach Maßgabe der Vorgaben aus dem Urteil des Bundessozialgerichts
vom 31.03.2017, Az: B 12 R 7/15 R, läge eine selbständige Tätigkeit vor. Die Klägerin hätte weitere Kinder aufnehmen und weitere Tätigkeiten ausüben können.
Sie sei weisungsfrei tätig und könne Belegungen beenden oder ablehnen. Das Pflegegeld weise den Charakter einer Aufwandsentschädigung
und nicht eines Entgelts auf. Die Klägerin unterliege keinen Berichtspflichten. Die Kommunikation zwischen dem Beigeladenen
und der Klägerin ergäbe sich aus dem Anspruch auf Beratung und Unterstützung aus § 37a SGB VIII.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Rechtsstreits wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen,
die jeweils Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht Stade hat zutreffend die Klage mit Urteil vom 17.12.2021 abgewiesen.
Der Bescheid der Beklagten vom 10.11.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.04.2018 ist rechtmäßig.
In der Sache erweist sich die in dem angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung, dass die Klägerin nicht sozialversicherungspflichtig
beim Beigeladenen beschäftigt war und ist, als rechtmäßig.
Beschäftigung ist gemäß §
7 Abs.
1 SGB IV die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis (Satz 1). Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind
eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers (Satz 2). Nach der ständigen
Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (siehe zuletzt: BSG, Urteil vom 27. April 2021 – B 12 KR 25/19 R –, BSGE 132, 97-105, SozR 4-2400 § 7 Nr 55, Rn. 13 – 14 mwN) setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber
persönlich abhängig ist.
Eine Beschäftigung im Rechtsverhältnis zum Beigeladenen kommt von vornherein deshalb nicht in Betracht, weil die Pflegetätigkeit
der Klägerin keine zu Erwerbszwecken ausgeübte Tätigkeit ist (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 28. Juni 2018 – B 5 AL 1/17 R –, BSGE 126, 109-118, SozR 4-4300 § 28a Nr 11, SozR 4-2400 § 7 Nr 38, Rn. 20 – bezogen auf eine mit einem Stipendium geförderte Forschungstätigkeit).
Die Erwerbsabsicht ist ein wesentliches Merkmal zur Abgrenzung von Tätigkeiten, die vorwiegend auf ideellen Beweggründen beruhen.
Zwar ist die Entgeltlichkeit kein absolut zwingendes Kriterium abhängiger Beschäftigung, jedoch ist sie Typus bildend für
die abhängige Beschäftigung, denn regelhaft liegt der Ausübung einer Beschäftigung ein Erwerbszweck zugrunde (vgl. zum Ehrenamt:
BSG, Urteil v. 16.8.2017, Az: B 12 KR 14/16 R - BSGE <vorgesehen> = SozR 4-2400 § 7 Nr 31, RdNr
31). Ehrenamtliche Tätigkeiten führen regelmäßig nicht zu der in §
7 Abs.
1 SGB IV umschriebenen persönlichen Abhängigkeit (BSG, Urteil vom 23. Februar 2021 – B 12 R 15/19 R –, BSGE 131, 266-277, SozR 4-2400 § 7 Nr 54, Rn. 17 – bezogen auf eine ehrenamtlich wahrgenommene organschaftliche Stellung). Nur wenn die
Pflegetätigkeit eine auf Erwerb gerichtete Tätigkeit ist, kann ihr deshalb als Beschäftigung i.S. von §
25 Abs.
1 S. 1
SGB III sozialversicherungsrechtliche Relevanz zukommen. Die Tätigkeit muss ausgeübt werden, um Erwerbseinkommen zu erzielen (vgl.
diesbezüglich auch zum Ehrenamt: BSG, aaO, Rn. 33, unter Hinweis auf BAG Urteil vom 29.8.2012 - 10 AZR 499/11 - BAGE 143, 77).
Aus der monatlichen Zahlung fester Beträge folgt nicht die Zuordnung der Pflegetätigkeit zum rechtlichen Typus der Beschäftigung
(vgl. hierzu und im Folgenden: BSG, Urteil vom 27. April 2021 – B 12 KR 25/19 R –, BSGE 132, 97-105, SozR 4-2400 § 7 Nr 55, Rn. 27 - 34). Kennzeichnend für die persönliche Abhängigkeit Beschäftigter ist, dass sie ihre
Arbeitsleistung auf der Grundlage eines Rechtsverhältnisses erbringen, um als Gegenleistung dafür eine Entlohnung zu erhalten,
sodass die Arbeitsleistung bei objektiver Betrachtung zu Erwerbszwecken erbracht wird (BSG Urteil vom 16.8.2017 - B 12 KR 14/16 R - BSGE 124, 37 = SozR 4-2500 § 7 Nr 31, RdNr 17). Eine sozialversicherungsfreie ehrenamtliche Tätigkeit erhält demgegenüber ihr Gepräge
durch ihre ideellen Zwecke und Unentgeltlichkeit (BSG, Urteil vom 27. April 2021 – B 12 KR 25/19 R –, BSGE 132, 97, Rn. 27 mwN).
Das Gesetz bezieht Beschäftigte im Sinne individueller Vorsorge einerseits und zum Schutz der Allgemeinheit vor mangelnder
Eigenvorsoge des Einzelnen andererseits in die einzelnen Zweige der Sozialversicherung ein und ordnet dazu Versicherungs-
und Beitragspflicht an. Das Sozialversicherungsverhältnis als solches erfordert, dass aus der Beschäftigung Erwerbseinkommen
erzielt wird, aus dem sozial angemessene Beiträge zur Finanzierung des jeweiligen Systems geleistet werden können (vgl. §
2 Abs.
2 Nr.
1 SGB IV). Die Unentgeltlichkeit eines Ehrenamts ist hingegen Ausdruck dafür, dass keine Erwerbsabsicht im Vordergrund steht, weil
es seiner Art oder den Umständen nach mit keiner berechtigten Vergütungserwartung verbunden ist. Finanzielle Zuwendungen in
Form von Aufwendungsersatz für konkrete oder pauschal berechnete Aufwände einschließlich eines Ausgleichs für die übernommene
Verpflichtung und einer gewissen Anerkennung der ehrenamtlichen Tätigkeit hindern die Sozialversicherungsfreiheit nicht (BSG, Urteil vom 16.8.2017 - B 12 KR 14/16 R - BSGE 124, 37 = SozR 4-2400 § 7 Nr 31, RdNr 30 ff).
Als vergleichbares Beispiel können auch die Freiwilligen im Bundesfreiwilligendienst (BFD) herangezogen werden, die zu dessen
Träger weder in einem Arbeits- noch einem Ausbildungsverhältnis stehen (so zur vergleichbaren Tätigkeit in einem Freiwilligen
Sozialen Jahr: BSG, Urteil v. 23.02.2017, Az: B 11 AL 1/16 R, Rn. 16 mwN). Vielmehr stellt der BFD von seiner Konzeption her eine freiwillige Betätigung für das Allgemeinwohl dar (vgl.:
§ 1 BFDG) und ist damit einem Ehrenamt ähnlich (so: BSG, Urteil v. 26.07.2016, Az: B 4 AS 54/15 R = SozR 4-4225 § 1 Nr. 3, Rn. 26, wonach der BFD auch keine Erwerbstätigkeit im Sinne des SGB II ist; vgl. zum Vorstehenden: BSG, Urteil v. 12.12.2017, Az: B 11 AL 26/16 R = SozR 4-4300 § 44 Nr. 1, Rn. 23).
Die Erwerbsmäßigkeit beurteilt sich bei der Bewertung der konkreten Tätigkeit nicht aus der subjektiven Sicht des Einzelnen;
das ehrenamtliche Engagement ist objektiv abzugrenzen (vgl. hierzu und im Folgenden: BSG, Urteil v. 27.04.2021, Az: B 12 KR 25/19 R, BSGE 132, 97, Rn. 29 mwN). Dazu ist zu klären, was vom ehrenamtlich Tätigen im konkreten Fall normativ oder mangels rechtlicher Regelung
nach allgemeiner Verkehrsanschauung ohne Entlohnung seiner Arbeitskraft erwartet werden kann. Die Verrichtung von Tätigkeiten
zur Verfolgung eines ideellen Zwecks ohne Erwerbsabsicht muss objektiv erkennbar vorliegen; die gewährte Aufwandsentschädigung
darf sich nicht als verdeckte Entlohnung einer Erwerbsarbeit darstellen (BSG, Urteil vom 16.8.2017 - B 12 KR 14/16 R - BSGE 124, 37 = SozR 4-2400 § 7 Nr 31, RdNr 34). Insoweit sieht das Bundessozialgericht bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung keine Möglichkeit,
eine für alle Tätigkeiten gleichermaßen geltende Grenze der Unentgeltlichkeit vorzugeben. Die Bestimmung einer festen Grenze
der sozialversicherungsrechtlichen Schutzbedürftigkeit auch des nach Normen außerhalb des Sozialversicherungsrechts ehrenamtlich
Tätigen ist Sache des Gesetzgebers. Ohne eine solche gesetzlich vorgegebene Grenze bedarf es unter Einbeziehung des mit der
Aufwandsentschädigung berücksichtigten Aufwands, der mit der Tätigkeit gegebenenfalls verbundenen Kosten und eines Vergleichs
mit normativen Pauschalen für ehrenamtliche Tätigkeiten in anderen Bereichen, auch außerhalb des Sozialversicherungsrechts,
einer Gesamtwürdigung der im Einzelfall festzustellenden Umstände. Auf deren Grundlage kann eine Evidenzkontrolle Aufschluss
darüber geben, ob noch eine ehrenamtliche Entschädigung zum Ausgleich von Beschwernissen und Einbußen angenommen werden kann
oder eine solche offensichtlich überschritten ist und damit eine verdeckte Entlohnung vorliegt (vgl.: BSG, Urteil v. 23.02.2021, Az: B 12 R 15/19 R - SozR 4-2400 § 7 Nr. 54 Rn. 35, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen).
Nach diesen Kriterien erbringt die Klägerin keine Arbeitsleistung mit dem Ziel, als Gegenleistung eine Entlohnung zu erhalten.
Vorliegend bestimmte maßgeblich das Vertragsverhältnis zwischen dem Beigeladenen und der Klägerin der „Vereinbarung über die
vorübergehende Aufnahme von minderjährigen Jungen/Mädchen im Alter von Geburt bis 12 Jahren“ vom 19.08.2010. Die Tätigkeit
der Klägerin wurde und wird bei objektiver Betrachtung nicht zu Erwerbszwecken verrichtet, sondern erhielt und erhält ihr
Gepräge durch die der Pflegetätigkeit innewohnenden ideellen Zwecke und Unentgeltlichkeit. Bei den der Klägerin gewährten
Zuwendungen vom Beigeladenen handelt es sich um eine pauschalierte Aufwandsentschädigung und nicht um eine (verdeckte) Entlohnung
(dazu 1.). Auch die Höhe der finanziellen Zuwendungen führt im Rahmen der Evidenzkontrolle nicht zu einer beitragspflichtigen
Entlohnung (dazu 2.).
1.
Die finanziellen Zuwendungen an die Klägerin stellen ihrer Art nach keine Vergütung, sondern eine den beitragsrechtlichen
Maßstäben genügende Ehrenamtsentschädigung dar. Die Aufwandsentschädigung hatte vorrangig den Zweck, die durch die Pflege
verursachten Kosten abzudecken und nur untergeordnet eine Entschädigung für den Erziehungsaufwand zu leisten. Im Jahr 2010
erhielt die Klägerin den geringsten Betrag für Kinder im Alter bis fünf Jahre in Höhe von 473 € pro Monat für materielle Aufwendungen
neben den pauschal für die Vorhaltung der Zimmer gezahlten 305 € sowie Kosten der Erziehung in Höhe von 440 € pro Monat. Lediglich
etwas mehr als Drittel aber deutlich weniger als die Hälfte der Zahlbeträge entfallen auf die Kosten der Erziehung. Die Beträge
haben sich im Verlaufe der Jahre zwar erhöht, aber das Verhältnis hat sich - wie gleich noch aufzuzeigen sein wird - nicht
grundlegend verändert.
2.
Die Höhe der gewährten Zahlungen legt ebenfalls eine (verdeckte) Vergütung nicht nahe. Die Kosten der Erziehung entsprechen
umgerechnet auf einen Stundenlohn auch keiner für eine herausfordernde, weil problembehaftete Kinderbetreuung adäquaten Entlohnung
einer Beschäftigung. 440 € verteilt auf 30 Arbeitstage mit 24 Stunden ergeben einen Stundenlohn in Höhe von 0,61 € oder 14,67
€ pro Tag. Auch unter Berücksichtigung der Erhöhung der Beträge ergibt sich keine wesentliche Veränderung der Größenordnung,
zumal die Beträge nur der Inflation angepasst erhöht worden sind.
Im vorliegenden Fall hat die Klägerin bezogen auf das (beispielhaft herausgegriffene) Jahr 2020 (vgl. Anlage 9 zum Schriftsatz
des Beigeladenen vom 29. September 2021, Bl. 96 R GA) für die Betreuung eines bis zu 5jährigen Kindes monatlich 1.172,50 €
erhalten. Dies entspricht einem Tagessatz von (gerundet) 39 €. Von diesen 39 € entfielen ca. 19 € (1/30 von 560 €) auf die
materiellen Kosten der Kinderbetreuung und die restlich ca. 20 € auf die sog. „Kosten der Erziehung“ (245 € im Monat multipliziert
mit dem dort ausgewiesenen und von der Beklagten herangezogenen Faktor von 2,5 und geteilt durch 30).
Mit diesen 20 € je Kind sollte im Ausgangspunkt der gesamte persönliche Einsatz der Klägerin während eines Tages für die Betreuung
und Erziehung des Kindes abgegolten werden. Auch wenn zu berücksichtigen sein dürfte, dass mitunter die Klägerin auch zeitgleich
zwei Kinder betreut hat und sie dann für die gemeinsame Betreuung beider Kinder ca. 40 € je Tag erhalten hat, ist die Honorierung
doch noch sehr weit entfernt von einem Stundenlohnanspruch, wie er auch nur im Niedriglohnsektor üblich (und vorgeschrieben)
ist.
Die monatliche Pauschale hatte sich im Jahr 2020 auf 330 € (für Januar bis Juli 2020) bzw. 355 € (ab August 2020) erhöht.
Vertraglich waren diese Beträge ausdrücklich für die Kosten für die Vorhaltung von Räumlichkeiten und nicht für eine Entlohnung
irgendwelcher Tätigkeiten der Klägerin vorgesehen. Eine verdeckte Entlohnung ist trotz der hierzu ausdrücklich erfolgten Hinweisverfügung
des Senates vom 22.08.2022 weder von den Beteiligten diesbezüglich vorgetragen noch sind dem Senat hierfür Anhaltspunkte ersichtlich,
als die Beträge jedenfalls in keinem evidenten Missverhältnis für Kosten stehen, die bei Vorhaltung von bis zu zwei Zimmern
anfallen. Soweit in den Pflegesätzen, die bei tatsächlicher Belegung gezahlt worden sind, weitere Anteile für Raumkosten enthalten
waren, entstehen bei Nutzung von Räumen insbesondere durch das dann erforderliche Heizen auch erhöhte Vorhaltekosten. Nach
der hier gebotenen Evidenzkontrolle ergibt sich auch insofern kein offensichtliches Missverhältnis, welches auf eine verdeckte
Entlohnung schließen lassen muss.
Ergänzend ist auch auf die steuerrechtliche Bewertung zu verweisen, die eine Vermutung einer Erwerbstätigkeit bei Pflegetätigkeiten
von Kindern erst ab einer Anzahl von sieben Kindern vorsieht (“Werden mehr als sechs Kinder gleichzeitig im Haushalt aufgenommen,
wird eine Erwerbstätigkeit vermutet. Bei einer Betreuung von bis zu sechs Kindern ist ohne weitere Prüfung davon auszugehen,
dass die Pflege nicht erwerbsmäßig betrieben wird.“; vgl. die Rundschreiben des Bundesministeriums der Finanzen an die Obersten
Finanzbehörden der Länder vom 20.11.2007, IV C 3-S 2342/07/000, BStBl I 2007, 824; vom 21.04.2011, IV C 3-S 2342/07/0001:126, FMNR1dd000011, BStBl I 2011, 487; vom 31.08.2021, IV C 3-S 2342/20/10001:003, https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/BMF_Schreiben/Steuerarten/Einkommensteuer/2021-08-31-einkommensteuerrechtliche-behandlung-der-geldleistungen-fuer-kinder-in-vollzeitpflege-und-anderen-betreuungsverhaeltnissen.pdf?_blob=publicationFile&v=1).
Die Klägerin hatte indes nie mehr als drei Kinder gleichzeitig zur Pflege. Auch wenn die sozialgerichtliche Rechtsprechung
nicht an die Beurteilung der Finanzverwaltung gebunden ist und in verfahrensrechtlicher Hinsicht keine Bindung der Träger
der Sozialversicherung an die Verwaltungsakte der Steuerbehörden und die Entscheidungen der Finanzgerichte besteht (BSG, Urteil vom 28. Juni 2018 – B 5 AL 1/17 R –, BSGE 126, 109-118, SozR 4-4300 § 28a Nr 11, SozR 4-2400 § 7 Nr 38, Rn. 32), stützt die Annahme der Finanzverwaltung dennoch die hiesige
Einschätzung einer fehlenden Gewinnerzielungsabsicht nach objektiven Maßstäben bei einer Pflege von bis zu sechs Kindern.
Im Ergebnis spricht gegen eine erwerbsmäßige Aufnahme, dass der Senat nicht erkennen kann, dass die gezahlten Gelder den mit
der vollzeitigen Betreuung der verhaltensauffälligen Kinder und Jugendlichen verbundenen sachlichen und zeitlichen Aufwand
der Klägerin tatsächlich abdecken konnten. Auch die Höhe des jeweils vereinbarten Tagessatzes lässt einen solchen Schluss
nicht zu (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFHE 249, 1, BStBl II 2017, 432: Tagessatzhöhe von 83,82 € im Fall einer Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII). Die Annahme einer erwerbsmäßigen Betreuung ist im Zusammenhang mit einer Aufnahme von Kindern und Jugendlichen in den eigenen
Haushalt -- wie in den Fällen der Vollzeitpflege gemäß § 33 SGB VIII -- nur dann gerechtfertigt, wenn andere Umstände, wie z.B. die Anzahl der durch die Pflegeperson betreuten Kinder bzw. Jugendlichen,
für einen Vergütungscharakter der gezahlten Gelder sprechen (BFH, Urteil vom 14. Juli 2020 – VIII R 27/18 –, BFHE 270, 113, BStBl II 2021, 672, Rn. 25).
Der beigeladene Landkreis hat der Klägerin für die rund um die Uhr zu gewährleistende persönliche Betreuung der Pflegekinder
(neben der Abgeltung der damit verbundenen Aufwendungen einschließlich der Aufwendungen für die Vorhaltung der für die kindgerechte
Unterbringung der Pfleglinge benötigten zusätzlichen Räumlichkeiten) lediglich einen Betrag in der Größenordnung von ca. 20
€ (zuletzt 21 €) je Tag und Kind gewährt. Die damit verbundenen Zuwendungen machen nur einen kleinen Bruchteil der Beträge
aus, welche der Beigeladene bei einer entsprechenden Betreuung durch abhängig beschäftigte Kräfte zum Tariflohn (oder auch
nur zum gesetzlichen Mindestlohn) hätte aufbringen müssen. Bei dieser Ausgangslage ist eindeutig festzustellen, dass mit diesen
Zahlungen bei verständiger Würdigung lediglich eine „gewisse (finanzielle) Anerkennung der ehrenamtlichen Tätigkeit“ bewirkt
(vgl. dazu BSG, Urteil v. 27.04.2021, Az: B 12 KR 25/19 R –, BSGE 132, 97, Rn. 27) und nicht etwa ein entgeltliches Beschäftigungsverhältnis begründet werden sollte.
Auch im Rahmen der familienhaften Mithilfe kennt die Rechtsprechung finanzielle Zuwendungen für die erbrachte Unterstützung,
welche angesichts ihrer geringen Höhe keine Entgeltlichkeit der Mithilfe zu begründen vermögen. Die dort entwickelten Grundsätze
sind entsprechend bei der Beurteilung der Entgeltlichkeit bzw. Unentgeltlichkeit einer ehrenamtlichen Tätigkeit heranzuziehen
(BSG, Urteil v. 16.08.2017, Az: B 12 KR 14/16 R –, BSGE 124, 37, Rn. 32).
Dementsprechend ist auch im vorliegenden Zusammenhang die Rechtsprechung heranzuziehen, wonach der Höhe der gewährten Zuwendung
namentlich in Form einer erheblich untertariflichen Bezahlung jedenfalls eine Indizwirkung zukommt (BSG, Urteil v. 17.12.2002, Az.: B 7 AL 34/02 R –, Rn. 15, juris). Im vorliegenden Fall verrichtet die Klägerin im Rahmen Sicherstellung des vom Staat zugunsten der betroffenen
Kinder wahrzunehmenden Schutzauftrages auf Ersuchen der zuständigen Behörde im öffentlichen Interesse ihre Tätigkeit als Pflegemutter
und erhält für ihren persönlichen Einsatz Zuwendungen lediglich in einer Höhe, die nur einen kleinen Bruchteil der abhängig
Beschäftigten tarifvertraglich zu gewährenden Entlohnung ausmacht.
Soweit in solchen Fallgestaltungen überhaupt noch Raum ist, die angesprochene Indizwirkung zu widerlegen, ist bezogen auf
den vorliegenden Fall jedenfalls festzuhalten, dass keine zur Widerlegung geeigneten Umstände festzustellen sind. Die Betreuung
der Kinder hat die Klägerin in ihrem eigenen Haushalt übernommen; sie ist – ebenso wie bei herkömmlichen Familien – verwoben
mit der eigenen häuslichen Lebensführung.
Absprachen mit dem Jugendamt zur Sicherstellung einer den Bedürfnissen der Kinder entsprechenden Betreuung waren natürlich
erforderlich; dies ergab sich schon aus der Struktur der übernommenen Tätigkeit als Bereitschaftspflegemutter. Ohnehin sind
auch bei ehrenamtlichen Tätigkeiten Absprachen mit weiteren Beteiligten im Interesse einer zielstrebigen und nachhaltigen
Verfolgung der angestrebten Ziele regelmäßig erforderlich, zumal wenn es sich – wie etwa bei der Erziehung hilfsbedürftiger
Kinder – um besonders verantwortungsvolle Tätigkeiten handelt. Auch von Seiten der Klägerin wird nichts substantiiert dafür
vorgetragen, dass der Informationsaustausch insbesondere mit dem Jugendamt des beigeladenen Landkreises oder andere Umstände
die übernommenen Pflegetätigkeiten in einer Weise prägen, welche Raum für die Annahme einer Widerlegung der angesprochenen
Indizwirkung bieten könnten.
Soweit die Klägerin eine Eingliederung in den Betrieb geltend macht, kann lediglich festgestellt werden, dass sich die Klägerin
allenfalls zu Besprechungen beim Beigeladenen aufgehalten hat. Ein verbindlicher Charakter hierfür ist dem Senat nicht nachvollziehbar,
als z. B. zu einem Frühstück eingeladen worden war und die Klägerin auch bei einer fehlenden Teilnahme keine Nachteilte hinnehmen
musste bzw. befürchten musste. Zudem machten diese „Besprechungen“ nur einen Bruchteil der Tätigkeitszeit der Klägerin aus
und beinhalteten nicht einmal die eigentliche Ausübung der Tätigkeit, nämlich die Pflege der anvertrauten Kinder. Diese Tätigkeit
übte die Klägerin nämlich (weitestgehend) zu Hause aus. Auch das monatlich bezahlte Vorhalteentgelt in Höhe von 305 € (nunmehr
355 €) bewirkt nicht, dass die vorgehaltenen Räumlichkeiten zu Betriebsräumen des Beigeladenen wurden. Der Klägerin wurden
lediglich die mit der Vorhaltung verbundenen Kosten pauschal erstattet. Weder gingen die Räume in das Eigentum oder in den
Besitz des Beigeladenen über, noch ergaben sich für den Beigeladenen Nutzungsrechte aus der abgeschlossenen Vereinbarung.
Soweit der Vereinbarung ein Betretungs- und/oder Inspektionsrecht zu entnehmen war, ist eine dauerhafte Verfügungsgewalt nicht
auf den Beigeladenen übergegangen.
Für die Pflege wird insofern der Ort der Pflege, nämlich in einer fremden Betriebsstätte z. B. im Haushalt der sorgeberechtigten
Person oder in einer Pflegeeinrichtung im Gegensatz zum Haushalt der Pflegeperson, als taugliches Abgrenzungskriterium angesehen
(Struck, in: Wiesner, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, Kommentar, 4. Aufl., § 23, Rn. 42ff.). Der Ort der Pflege stellt insofern ein Indiz für Weisungen dar, als in einer Pflegeeinrichtung und im Haushalt
der sorgeberechtigten Person die Gestaltungsfreiheit der Pflegeperson durch die Einwirkungsmöglichkeiten der Einrichtungsleitung
und der sorgeberechtigten Person faktisch und rechtlich eingeschränkt sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen (§
160 Abs.
2 SGG), sind nicht gegeben.