Vergütung von Hilfsmitteln
Vergütung für Blutzuckerteststreifen ohne Vertrag
Keine Versorgung mit Arzneimitteln durch Hilfsmittelerbringer
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Vergütung von Hilfsmitteln für den Zeitraum 25. November 2014 bis 1. Februar 2017.
Die Klägerin ist Leistungserbringerin von Hilfsmitteln im Sinne des §
126 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (
SGB V) und schwerpunktmäßig im Bereich der Diabetes-Versorgung tätig. Sie ist nach der Präqualifizierungsurkunde vom 14. März 2012
präqualifiziert für die Versorgungsbereiche 03BR (Spritzen und Zubehör, Pens), 03ER (Pumpensysteme) und 21BR (Messgeräte zur
Lungenfunktionsmessung, Blutdruckmessgeräte, Blutgerinnungsmessgeräte/Blutzuckermessgeräte, Personenwaagen, Sprachausgaben
zu Messgeräten). Sie ist Mitglied des Verbandes NetDiab – Verband der Diabetes-Fachhändler. Bis zum 24. November 2014 versorgte
sie Versicherte der Beklagten auf Basis von Einzelkostenvoranschlägen. Auch Blutzuckerteststreifen wurden ohne vertragliche
Grundlage geliefert und abgerechnet.
Die Beklagte machte im Februar 2014 ihre Absicht zum Abschluss von Verträgen nach §
127 Abs
2 SGB V zur Versorgung mit Hilfsmitteln
- der Produktgruppen 03 und 21 sowie mit Produkten gemäß §
31 SGB V bei insulinpflichtigem Diabetes und
- zur Insulintherapie
öffentlich bekannt. Auf Anforderung der Klägerin übersandte die Beklagte dieser die Vertragsentwürfe. In der Folgezeit fanden
Gespräche zwischen dem NetDiab-Verband und der Beklagten im Hinblick auf einen möglichen Vertragsabschluss statt. Zu einer
Einigung kam es dabei nicht.
Zum 1. Mai 2014 schloss die Beklagte mit der Firma M. sowie einem weiteren Leistungserbringer einen „Vertrag über die Versorgung
mit Hilfsmitteln der PG 03 und PG 21 sowie mit Produkten gemäß §
31 SGB V bei insulinpflichtigem Diabetes“ (im Folgenden: Vertrag Hilfsmittel zur Diabetestherapie) und mit der Firma N. einen „Vertrag
nach §
127 Abs
2 SGB V über die Versorgung mit Hilfsmitteln zur Insulinpumpentherapie“ (im Folgenden: Vertrag Hilfsmittel zur Insulinpumpentherapie).
Mit Schreiben vom 25. November 2014 erklärte die Klägerin ihren Beitritt zu beiden Verträgen jedoch unter „Protest und Ausschluss“
bestimmter Regelungen aus beiden Verträgen (wobei sie die Bezeichnung der Verträge vertauschte). Es handelt sich bei den ausgeschlossenen
Regelungen um die folgenden Bestimmungen:
1. Vertrag Hilfsmittel zur Diabetestherapie
§ 2 Geltungsbereich und Beitrittsvoraussetzungen
[...]
(5) Dieser Vertrag gilt neben der erstunterzeichnenden Krankenkasse auch für Krankenkassen, die diesem Vertrag schriftlich
beigetreten sind (Anlage 5). Der Beitritt erfolgt zum nächsten ersten eines Monats, sofern dieser spätestens am 15. des letzten
Monats bestätigt wurde.
(6) Voraussetzung für die Geltung dieses Vertrags für die beitretenden Leistungserbringer und Krankenkassen ist, dass der
Vertrag zwischen der erstunterzeichnenden Krankenkasse und dem erstunterzeichnenden Leistungserbringer besteht und nicht gekündigt
worden ist.
§ 18 Rechnungslegung und Begleichung
[...]
(3) Eine Überschreitung der Frist nach Abs 1 um bis zu einem Monat berechtigt die Krankenkasse, den Gesamtbruttobetrag dieser
Verordnungsblätter um 10 Prozent zu kürzen. Eine Überschreitung der Frist nach Abs 1 um mehr als einen Monat bis vier Monate
berechtigt die Krankenkasse, den ursprünglichen Gesamtbruttobetrag dieser Verordnungsblätter um jeweils weitere 20 Prozent
je angefangenen Überschreitungsmonat zu kürzen. Nach Ablauf dieser Frist entfällt ein Anspruch auf Bezahlung.
2. Vertrag Hilfsmittel zur Insulinpumpentherapie
§ 2 Geltungsbereich und Beitrittsvoraussetzungen
(4) Dieser Vertrag gilt neben der erstunterzeichnenden Krankenkasse auch für Krankenkassen, die diesem Vertrag schriftlich
beigetreten sind (Anlage 6). Der Beitritt erfolgt zum nächsten ersten eines Monats, sofern dieser spätestens am 15. des letzten
Monats bestätigt wurde.
(5) Voraussetzung für die Geltung dieses Vertrages für die beitretenden Leistungserbringer und Krankenkassen ist, dass der
Vertrag zwischen der erstunterzeichnenden Krankenkasse und dem erstunterzeichnenden Leistungserbringer besteht und nicht gekündigt
worden ist.
Darüber hinaus erklärte die Klägerin im Vertrag „Hilfsmittel zur Insulinpumpentherapie“ den Ausschluss der Preisregelung zu
den Blutzuckerteststreifen, wobei ein solcher Teil lediglich im Vertrag „Hilfsmittel zur Diabetestherapie“ existiert. Für
die Abgabe und Abrechnung von Blutzuckerteststreifen sehe das Gesetz kein zwingendes Vertragserfordernis vor, so dass sie
auch ohne eine vertragliche Preisabrede die Versicherten der Beklagten mit Blutzuckerteststreifen versorgen und zu marktüblichen
Preisen abrechnen könne.
Mit Schreiben vom 26. November 2014 an die Klägerin erklärte die Beklagte, ein Beitritt zu einem Vertrag sei nach §
127 Abs
2a SGB V nur zu den gleichen Bedingungen möglich, da ansonsten ein neuer Vertrag geschlossen werden würde, dem die übrigen Leistungserbringer
ebenfalls beitreten könnten. Aufgrund der geforderten Einschränkungen sei daher kein Beitritt im Sinne des §
127 Abs
2a SGB V erfolgt. Es handele sich vielmehr um ein Angebot zum Abschluss eines neuen Vertrages, das aus Gründen der Wirtschaftlichkeit
ausdrücklich abgelehnt werde. Falls nicht bis zum 5. Dezember 2014 ein uneingeschränkter Beitritt erfolge, werde darauf hingewiesen,
dass die Klägerin weiterhin nicht zur Versorgung von Versicherten mit den betroffenen Hilfsmitteln berechtigt sei.
Ein uneingeschränkter Beitritt der Klägerin erfolgte in der Folgezeit zunächst nicht.
Am 20. Februar 2015 hat die Klägerin Klage bei dem Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben und die Feststellung des wirksamen Vertragsbeitritts sowie der Berechtigung zur Abrechnung von Blutzuckerteststreifen
ohne Abschluss eines Versorgungsvertrages, hilfsweise die Verurteilung der Beklagten zur Vergütung offener Forderungen in
Höhe von 27.151,12 Euro begehrt. Sie hat vorgetragen, sie sei ihrer Auffassung nach mit der Erklärung vom 25. November 2014
sowohl dem Vertrag „Hilfsmittel zur Diabetestherapie“ als auch dem Vertrag „Hilfsmittel zur Insulinpumpentherapie“ wirksam
beigetreten und habe dabei die beanstandeten Passagen ausnehmen dürfen. Das Beitrittsrecht sei eingeführt worden, um den willkürlichen
Ausschluss von Leistungserbringern bei der Versorgung von Versicherten zu verhindern. Dadurch habe weder der Anspruch auf
individuelle Vertragsverhandlungen abgeschafft noch den Krankenkassen das Recht eingeräumt werden sollen, alle Vertragskonditionen
einseitig zu diktieren. In der Praxis schlössen die Krankenkassen von ihnen vorgegebene Rahmenverträge mit einzelnen Leistungserbringern.
Da diese aufgrund des „Vertragsregimes“ der §§
126,
127 SGB V von den Krankenkassen abhängig seien, finde sich hierfür in aller Regel ein Leistungserbringer. Andere würden sodann auf
den Beitritt zu diesem Rahmenvertrag verwiesen. Individuelle Vertragsverhandlungen würden nur pro forma durchgeführt, Änderungen
würden mit Verweis auf das „zu gleichen Bedingungen“ bestehende Beitrittsrecht abgelehnt. Dabei könne die Vertragskompetenz
der Beklagten nur so weit gehen, wie das Gesetz es erlaube. Geeigneten Leistungserbringern dürften unter dem Aspekt der Berufsfreiheit
(Art
12 Grundgesetz –
GG) nicht der Zugang zur Regelversorgung willkürlich verwehrt werden, indem der Beitritt von rechtswidrigen Klauseln abhängig
gemacht werde. Die Vertragskompetenz des §
127 SGB V statuiere nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 21. Juli 2011 – B 3 KR 14/10 R) Spielräume nur in Bezug auf die wirtschaftliche Seite der Leistungserbringung, nämlich bei der Leistungsvergütung. Über
den Mindeststandard des §
126 Abs
1 Satz 2
SGB V hinausreichende Anforderungen an die Leistungserbringung zu stellen, sei nur im Einvernehmen mit den betroffenen Leistungserbringern
möglich. Die Krankenkasse dürfe auch keine Auswahlentscheidungen unter konkurrierenden Leistungserbringern treffen, die mit
dem maßgebenden Leistungserbringerrecht nicht im Einklang stünden (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 KR 26/08).
Die beanstandeten Vertragsklauseln stünden nicht im Einklang mit maßgebenden Vorschriften des Leistungserbringerrechts und
seien nicht von §
127 Abs
2 SGB V gedeckt. Ferner verstießen sie gegen §
307 Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB). Das Beitrittsrecht anderer Krankenkassen ermögliche allen Krankenkassen, mit denen die Klägerin eigene Verträge oder Vereinbarungen
abgeschlossen habe, ohne ihre Zustimmung die Teilnahme an diesem Vertrag. Eine Vertragsabschlusskompetenz stehe der Beklagten
in dieser Hinsicht jedoch nicht zu. Dem gesetzgeberischen Willen entspreche gerade die Diversität der unterschiedlichen Verträge
(LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 15. April 2011 – L 16 KR 7/11 B ER). Nach §
307 Abs
1 und
2 BGB seien zudem Klauseln unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen
benachteiligten. Eine solche Benachteiligung liege vor, wenn ein Leistungserbringer an den Verhandlungen über den Abschluss
eines Versorgungsvertrages nicht beteiligt werde. Auch die Abhängigkeit des Bestandes des Vertrages vom Erstunterzeichnervertrag
sei unwirksam, weil die weitere Versorgungsberechtigung der Klägerin damit vom Willen und Handeln eines Dritten abhängig gemacht
werde. Durch den Beitritt sei zudem ein eigenständiger Vertrag zustande gekommen, der vom Schicksal des Ursprungsvertrages
unabhängig sei (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Februar 2012 – L 9 KR 389/11 B ER). Blutzuckerteststreifen seien nach §
31 Abs
1 SGB V leistungsrechtlich in die Versorgung mit Arzneimitteln einbezogen und damit nicht zwingend von dem Abschluss von Verträgen
nach §§
126,
127 SGB V abhängig. Der aus diesem Grund erfolgte Teilbeitritt sei nach der Rechtsprechung (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. März 2012 – L 1 KR 18/12 B ER) zulässig, wenn es sich – wie hier – um klar abgrenzbare Versorgungsbereiche handele.
Die Beklagte hat behauptet, Verhandlungen hätten im Vorfeld der Vertragsabschlüsse nicht lediglich pro forma, sondern tatsächlich
stattgefunden. Die Klägerin habe sich hieran jedoch nach Zusendung der Vertragsentwürfe in keiner Weise beteiligt und trotz
eingeräumter Möglichkeit kein Angebot abgegeben. Im Übrigen seien betreffend Hilfsmittel zur Diabetestherapie auch nicht lediglich
ein, sondern zwei Verträge geschlossen worden. Die Leistungserbringer hätten damit die Wahl gehabt, welchem sie hätten beitreten
wollen. Ein Beitritt durch die Klägerin sei nicht wirksam erfolgt. Ein Beitritt „zu den gleichen Bedingungen“ liege dann nicht
vor, wenn ein beitragswilliger Leistungserbringer – wie hier – einzelnen Klauseln ausdrücklich widerspreche. Die ausgeschlossenen
Klauseln seien auch nicht rechtswidrig. Die §§
305 ff
BGB seien auf öffentlich-rechtliche Verträge der vorliegenden Art nicht anwendbar. Es fehle am typischen Machtgefälle zwischen
den Vertragspartnern. Darüber hinaus scheitere eine Anwendung aber auch daran, dass ein Vertragsschluss mangels ordnungsgemäßen
Beitritts gar nicht zustande gekommen sei. Es wäre der Klägerin zuzumuten gewesen, dem Vertrag zunächst uneingeschränkt beizutreten
und sodann eine gerichtliche Prüfung zu veranlassen. Die Klauseln benachteiligten die Klägerin auch nicht unangemessen. Das
Beitrittsrecht anderer Krankenkassen sei vor allem für Krankenkassen gedacht, die eine so geringe Anzahl an Versorgungsfällen
habe, dass sich ein eigener Vertragsabschluss nicht lohne. Die Regelung zur Abhängigkeit des Bestandes des Vertrages vom Erstunterzeichnervertrag
sei folgerichtig, weil der Beitretende rechtlich nur eine Stellung als zusätzlicher Vertragspartner einnehme und die Verträge
nicht unabhängig voneinander bestünden.
Soweit die Klägerin für den Vertrag „Hilfsmittel zur Insulinpumpentherapie“ lediglich einen Teilbeitritt erklärt habe, sei
zu erwähnen, dass dieser Vertrag gar keine Regelungen zu Blutzuckerteststreifen enthalte. Für den anderen Vertrag „Hilfsmittel
zu Diabetestherapie“ habe die Klägerin dagegen keinen Teilbeitritt erklärt. Im Übrigen sei ein Teilbeitritt nur für klar voneinander
abgrenzbare Produktgruppen bzw Versorgungsbereiche zulässig. Solche lägen hier nicht vor, da die vom Vertrag umfassten Hilfsmittel
und Blutzuckerteststreifen untrennbar zusammengehörten. Dies gelte insbesondere für Blutzuckermessgeräte und Blutzuckerteststreifen.
Die §§
126,
127 SGB V seien für die Versorgung mit Teststreifen auch anwendbar. Trotz der leistungsrechtlichen Zuordnung zu §
31 SGB V handele es sich um notwendiges Zubehör zu einem Hilfsmittel.
Zum 1. Februar 2017 trafen die Beklagten und ihre Vertragspartner für beide streitgegenständliche Verträge Änderungsvereinbarungen,
mit der sie unter anderem die Beitrittsmöglichkeit für andere Krankenkassen sowie die Abhängigkeit des Vertragsfortbestandes
für beigetretene Leistungserbringer vom Ursprungsvertrag strichen. Die Klägerin erklärte daraufhin den uneingeschränkten Beitritt
zu den geänderten Verträgen zum 1. Februar 2017.
Die Klägerin hat ihre offenen Forderungen aus Hilfsmittel- und Teststreifenlieferungen für den Zeitraum 25. November 2014
bis 1. Februar 2017 auf 27.151,12 Euro beziffert (26.367,21 Euro aus Hilfsmittelversorgungen und 783,91 Euro aus Teststreifenversorgungen).
Die Beklagte ist dieser Bezifferung entgegengetreten. Nach ihren Daten habe die Klägerin im streitgegenständlichen Zeitraum
lediglich 10.447,64 Euro im Zusammenhang mit der Versorgung mit von den Verträgen umfassten Hilfsmitteln abgerechnet. Hiervon
habe die Beklagte aufgrund fehlender Versorgungsberechtigung 3.103,58 Euro einbehalten. In Bezug auf Teststreifen ergebe sich
ein einbehaltener Betrag von lediglich 695,27 Euro.
Dagegen seien in den Jahren 2015 bis 2017 von der Klägerin insgesamt 877 Packungen mit Blutzuckerteststreifen an ihre Versicherten
abgegeben und vergütet worden, davon 509 im Jahre 2015, 339 im Jahre 2016 und 29 bis zum 31. Januar 2017. Hierauf habe kein
Anspruch bestanden, so dass ein Rückzahlungsanspruch in Höhe von insgesamt 22.407,31 Euro aus öffentlich-rechtlichem Erstattungsanspruch
bestehe.
Die Beklagte forderte die Klägerin mit Schreiben vom 10. Dezember 2018 mit Fristsetzung bis zum 18. Dezember 2018 außergerichtlich
zur Rückzahlung von 22.407,31 Euro auf. Die Klägerin kam dem nicht nach, verzichtete allerdings am 21. Dezember 2018 auf die
Einrede der Verjährung.
Die Beklagte hat am 24. Juli 2019 Widerklage erhoben und die Rückzahlung der vergüteten Blutzuckerteststreifen begehrt.
Mit Urteil vom 18. November 2019 hat das SG die Klage abgewiesen. Auf die Widerklage hat es die Klägerin verurteilt, der Beklagten 22.407,31 Euro nebst Zinsen in Höhe
von 9 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19. Dezember 2018 zu zahlen.
Die Feststellungsklage sei bereits unzulässig, da die Klägerin die Möglichkeit habe, ihr eigentliches Klageinteresse im Wege
der (von ihr hilfsweise erhobenen) Leistungsklage geltend zu machen und ein weitergehendes Feststellungsinteresse nicht ersichtlich
sei. Streitig seien nur noch die erbrachten Leistungen für einen abgeschlossenen Zeitraum in der Vergangenheit, so dass die
Feststellungsklage einen weitergehenden Rechtsschutz als die Leistungsklage nicht ermögliche. Außerdem sei eine endgültige
Beilegung der zwischen den Beteiligten umstrittenen Hilfsmittelversorgung über eine Feststellungsklage nicht zu erwarten,
weil auch Uneinigkeit über den Umfang und den Preis der abgegebenen Hilfsmittel bestehe. Die hilfsweise erhobene Leistungsklage
sei zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Zahlung von 27.151,12 Euro aufgrund der Versorgung mit
Hilfsmitteln und Teststreifen für den Zeitraum 25. November 2014 bis 1. Februar 2017, da sie den Verträgen nicht wirksam beigetreten
sei und eine sonstige Anspruchsgrundlage nicht ersichtlich sei. Der Beitritt sei nicht „zu den gleichen Bedingungen“ erklärt
worden, da die Klauseln über das Beitrittsrecht anderer Krankenkassen und die Abhängigkeit des Vertrages vom Erstunterzeichner
ausgeschlossen worden seien. Unabhängig von der Frage, ob die Regelungen über die allgemeinen Geschäftsbedingungen vorliegend
überhaupt anwendbar seien, sei nicht ersichtlich, inwiefern die beanstandeten Klauseln die Klägerin entgegen den Geboten von
Treu und Glauben unangemessen benachteiligten. Hinsichtlich der Abhängigkeit des Vertrages vom Bestand des Vertrags mit dem
Erstunterzeichner sei zu berücksichtigen, dass der Versorgungsvertrag mit § 14 Abs 2 ein Kündigungsrecht mit einer Frist von
vier Wochen zum Monatsende enthalte. Insofern hätte die Beklagte sich im Falle der Beendigung des Vertrages mit dem Erstunterzeichner
ohnehin leicht von der vertraglichen Beziehung mit der Klägerin lösen können. Die Klägerin selbst hätte im Falle des (ungewollten)
Beitritts einer anderen Krankenkasse ebenfalls die Möglichkeit der Kündigung. Die von der Klägerin herangezogene Entscheidung
des BSG sei für den hiesigen Sachverhalt nicht aussagekräftig, da vorliegend weder die Voraussetzungen für die Teilnahme an der Versorgung
noch die fachlichen Anforderungen der Hilfsmittelversorger zur Debatte stünden. Auch sei der von der Klägerin erklärte Teilbeitritt
nur zu Teil A des Vertrages über die Versorgung mit Hilfsmitteln zur Diabetestherapie nicht zulässig gewesen. Ein Teilbeitritt
sei nur möglich, wenn der Vertrag verschiedene, klar abgrenzbare Versorgungsbereiche oder Produktgruppen umfasse. Das sei
hier nicht der Fall. Im Gegenteil stünden die Behandlung von Diabetes und das zugehörige Zubehör in Form von Blutzuckerteststreifen
in einem Zusammenhang, der kaum enger sein könnte. Zudem diene die Möglichkeit des Teilbeitritts dem Schutz spezialisierter
oder kleiner Leistungserbringer und sei nur zulässig, wenn dem Leistungserbringer die Versorgung mit dem ausgeschlossenen
Produkt nicht zumutbar sei. Die Klägerin vertreibe aber sowohl die Hilfsmittel als auch die zugehörigen Teststreifen.
Eine Versorgung mit Teststreifen sei ohne Vertragsbeitritt nicht möglich, da sie unter das Vertragsregime der §§
126 f
SGB V fielen. Sie dürften daher nur auf der Grundlage von Verträgen abgegeben werden. Blutzuckerteststreifen seien als Zubehör
von §
33 SGB V umfasst, da sie zum Gebrauch der Messgeräte erforderlich seien. Dem stehe ihre Erwähnung in §
31 SGB V nicht entgegen. Eine sonstige Anspruchsgrundlage wie zB ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch sei bei einer Versorgung
ohne Versorgungsvertrag nicht gegeben.
Die zulässige Widerklage sei dagegen begründet. Die Beklagte habe einen Anspruch iHv 22.407,31 Euro aus einem öffentlich-rechtlichen
Bereicherungsanspruch. Die Höhe des Anspruchs sei hinreichend substantiiert und von der Klägerin nicht bestritten worden.
Da die Klägerin nicht berechtigt gewesen sei, die Versicherten der Beklagten ohne Vertrag zu versorgen, seien die Leistungen
auch ohne Rechtsgrund erbracht worden. Der Anspruch sei nicht verjährt. Die Einrede der Verjährung, die ohnehin durch Verzicht
vom 21. Dezember 2018 ausgeschlossen sei, habe die Klägerin nicht erhoben. Der Anspruch sei auch nicht dadurch verwirkt, dass
die Beklagte in den Jahren 2015 bis 2017 in Kenntnis ihrer Nichtschuld geleistet habe. Es fehle an einem Verwirkungsverhalten.
Die Klägerin habe nicht darauf vertrauen dürfen, dass sie das rechtsgrundlos geleistete Geld habe behalten dürfen. Im Gegenteil
habe die Beklagte ihre Rechtsauffassung, dass es zu keinem Vertragsbeitritt gekommen und eine Versorgung mit Teststreifen
ohne Vertrag nicht zulässig sei, stets deutlich gemacht.
Gegen das ihr am 27. November 2019 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 20. Dezember 2019 Berufung bei dem Landessozialgericht
(LSG) Niedersachsen-Bremen eingelegt, mit der sie ihr hilfsweise geltend gemachtes Leistungsbegehren weiterverfolgt und sich
außerdem gegen den im Wege der Widerklage zugesprochenen Erstattungsausspruch wendet.
Sie ist nach wie vor der Auffassung, sie sei den streitgegenständlichen Verträgen wirksam beigetreten. Zwar spreche der Wortlaut
des §
127 Abs
2a SGB V von „gleichen Bedingungen“, dies sei jedoch mit Blick auf den gesetzgeberischen Willen auszulegen. Die Vorschrift habe jedenfalls
nicht zur Abschaffung von individuellen Vertragsverhandlungen und dem einseitigen Bedingungsdiktat der Krankenkassen führen
sollen. Die Beklagte habe Vorschläge zu einem divergierenden Vertragsinhalt vehement abgelehnt. Diesen Umstand berücksichtige
das SG nicht, obwohl jedem Leistungserbringer ein Anspruch auf Vertragsverhandlungen zur Seite stehe. Soweit das SG sich mit den einzelnen streitgegenständlichen Klauseln im Urteil näher befasst habe, könne seinen Begründungen nicht gefolgt
werden. Der Erstunterzeichner werde durch die monierten Klauseln gegenüber anderen Leistungserbringern trotz gleicher gesetzlicher
Eignung privilegiert und faktisch zum Vertreter aller Leistungserbringer. Ihre Möglichkeit der Kündigung im Falle des ungewollten
Beitritts einer anderen Krankenkasse sei nicht zielführend, da sie ohne Versorgungsvertrag keine Hilfsmittel abgeben dürfe
und sie daher auf einen solchen angewiesen sei. Unzutreffend sei auch die Einschätzung des SG, dass eine Versorgung mit Blutzuckerteststreifen ohne Vertragsbeitritt nicht möglich sei. Es handele sich nur bei Blutzuckermessgeräten
um Hilfsmittel im Sinne des §
33 SGB V, wohingegen Teststreifen ausdrücklich in §
31 Abs
1 SGB V genannt und daher vom Direktversorgungsanspruch gedeckt seien. Diese getrennte Wertung finde auch bei der Vergütung durch
die Krankenkassen Berücksichtigung, da Hilfsmittel nach §
302 SGB V abgerechnet würden, Blutzuckerteststreifen dagegen gemäß §
300 SGB V.
Daher sei auch die Widerklage unbegründet, da die Versorgung mit Blutzuckerteststreifen nicht ohne Rechtgrund erfolgt sei.
Darüber hinaus wäre ein Rückzahlungsanspruch der Beklagten aber jedenfalls verwirkt. Sie – die Klägerin – habe aufgrund der
anstandslosen Weiterzahlung der Vergütung – insbesondere trotz des laufenden Rechtsstreits – darauf vertrauen dürfen, dass
die Beklagte diese nicht zurückfordern würde. Diese habe sie erstmalig mit Schreiben vom 10. Dezember 2018 mit einem Rückzahlungsbegehren
konfrontiert. Zuvor habe sie trotz ihres Hinweises im Schreiben vom 26. November 2014, dass ein Beitritt ihrer Auffassung
nach nicht wirksam erfolgt sei, über Jahre hinweg und ohne Erklärung eines Vorbehaltes Zahlungen getätigt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des SG Osnabrück vom 18. November 2019 aufzuheben und
1. die Beklagte zu verurteilen, 27.151,12 Euro zzgl Zinsen iHv neun Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu zahlen.
2. die Widerklage abzuweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der geltend gemachte Zahlungsanspruch sei nach wie vor nicht hinreichend substantiiert und decke sich nicht mit eigenen Berechnungen.
Die Klägerin habe die im Zeitraum 1. Januar 2015 bis 1. Februar 2017 abgegebenen Teststreifen zu einem höheren Preis zur Abrechnung
gebracht als im Vertrag „Hilfsmittel zur Diabetestherapie“ vereinbart gewesen sei. Die Rechnungen seien zunächst im automatisierten
Abrechnungsverfahren gem §
300 SGB V auf den Vertragspreis „gekürzt“ und ohne vorherige Prüfung vergütet worden. Die Klägerin mache nun zusätzlich die Differenz
zwischen ihrem „Wunschpreis“ und dem Vertragspreis geltend. In weiteren Fällen fordere die Klägerin offenbar die Nachzahlung
von Versorgungen, die gar nicht unter den streitgegenständlichen Vertrag fielen, die außerhalb des Gültigkeitsdatums der zugrundeliegenden
Verordnung erbracht worden seien und für Personen, die bei einer anderen Krankenkasse versichert seien. Auch im Bereich der
Versorgung mit anderen Hilfsmitteln würden höhere als die Vertragspreise begehrt, Zuzahlungen doppelt eingefordert und Leistungen
geltend gemacht, die außerhalb des Geltungszeitraumes der streitgegenständlichen Verträge erbracht worden seien. Teilweise
seien Versorgungen doppelt in Rechnung gestellt worden.
Die Behandlung von Blutzuckerteststreifen als Zubehör zu Hilfsmitteln verstoße nicht gegen den Wortlaut. Teststreifen seien
aus historischen Gründen im §
31 Abs
1 SGB V verortet. Dies schließe ihre Zuordnung als Zubehör zu Hilfsmitteln zum Vertragsregime der §§
126,
127 SGB V aber nicht aus. Eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers dahingehend, dass Blutzuckerteststreifen nicht wie Hilfsmittel
behandelt werden sollten, existiere gerade nicht. Sie sei daher berechtigt gewesen, Blutzuckerteststreifen in einem Vertrag
nach §
127 SGB V zu regeln. Aus der unterschiedlichen Abrechnung von Hilfsmitteln nach §
302 SGB V einerseits und Blutzuckerteststreifen nach §
300 SGB V andererseits ergebe sich nichts Anderes. Auch dieser Umstand habe historische Gründe und liege darin begründet, dass Hilfsmittel
eine Hilfsmittelpositionsnummer hätten und Blutzuckerteststreifen eine Pharmazentralnummer (PZN).
Das SG habe zutreffend entschieden, dass die Klägerin den beiden streitgegenständlichen Verträgen nicht wirksam beigetreten sei.
Dabei habe die Klägerin entgegen ihrer Auffassung einen „Anspruch auf Verhandlungen“ nur in den Grenzen und im Rahmen des
Vertragsabschlusses nach §
127 Abs
2 SGB V, wenn eine Krankenkasse ihre Absicht zum Abschluss eines Vertrages bekanntgebe. Solche Verhandlungen hätten vorliegend mit
anderen – interessierten – Krankenkassen stattgefunden, ohne dass es ein Vertragsedikt gegeben habe.
Ihr Rückzahlungsanspruch auf die vergüteten Blutzuckerteststreifen sei nicht verwirkt. Im automatisierten Verfahren erfolge
nicht im Vorfeld jeder Abrechnung eine Prüfung, ob der Abrechnende auch versorgungsberechtigt sei. Der Vergütung habe somit
nicht jeweils ein bewusstes Handeln zugrunde gelegen. Einen Vertrauenstatbestand des „Behaltendürfens“ habe sie nicht gesetzt.
Entscheidend hierfür sei das Schreiben vom 26. November 2014, in dem sie nicht nur mitgeteilt habe, dass der Beitritt zum
Vertrag nicht wirksam erfolgt sei, sondern auch darauf hingewiesen habe, dass die Klägerin nicht versorgungsberechtigt sei.
An dieser Rechtsauffassung habe sie auch während des gesamten Klageverfahrens festgehalten.
Die Berichterstatterin hat die Klägerin mit Verfügung vom 15. Februar 2022 aufgefordert, die geltend gemachte Gesamtforderung
von 27.151,12 Euro weiter zu spezifizieren und nachzuweisen. Mit Verfügungen vom 1. April 2022 und 16. Mai 2022 hat sie an
die Erledigung ihrer Verfügung erinnert. Mit Verfügung vom 4. Juli 2022 hat sie die Klägerin unter Fristsetzung bis zum 4.
August 2022 aufgefordert darzulegen, wie sich die Klageforderung zusammensetze und die behaupteten Hilfsmittel- und Teststreifenversorgungen
insgesamt nachzuweisen. Sie hat die Klägerin darauf hingewiesen, dass das Gericht Erklärungen und Beweismittel, die erst nach
Fristablauf vorgebracht würden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden könne, wenn die Zulassung der Erklärungen
und Beweismittel nach der freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde und die Verspätung
nicht genügend entschuldigt werde. Die Frist ist ereignislos abgelaufen. Nach Terminierung des Verfahrens zur mündlichen Verhandlung
mit Verfügung vom 12. August 2022 (Eingang bei der Klägerin am 15. August 2022) für den 13. September 2022 ist am 9. September
2022 (Freitag) um 16:37 Uhr bei Gericht ein Schriftsatz der Klägerin eingegangen, dem eine Aufstellung von durch die Beklagte
gekürzte bzw abgelehnte Hilfsmittelvergütungen beigefügt gewesen ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes und wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den
Inhalt der Prozessakte Bezug genommen. Diese hat vorgelegen und ist Gegenstand der Entscheidungsfindung geworden.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist gemäß §§
143 ff
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) form- und fristgemäß eingelegt worden und auch im Übrigen zulässig. Sie ist aber größtenteils nicht begründet.
I. Zu Recht hat das SG die Klage abgewiesen. Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist nur noch der im Klageverfahren hilfsweise geltend gemachte
Antrag auf Zahlung von 27.151,12 Euro aus Hilfsmittelversorgung für den Zeitraum 25. November 2014 bis 1. Februar 2017. Die
beiden Hauptanträge auf Feststellung des wirksamen Beitritts sowie Feststellung der Berechtigung zur Abgabe von Blutzuckerteststreifen
hat die Klägerin im Berufungsverfahren nicht mehr weiterverfolgt.
Die im Wege der Leistungsklage gemäß §
54 Abs
5 SGG zulässige Klage ist nicht begründet. Die Klägerin ist den beiden streitgegenständlichen Versorgungsverträgen nicht wirksam
beigetreten (hierzu unter 1.). Sie kann die Vergütung der Abgabe von Blutzuckerteststreifen auch nicht ohne Vertrag nach §
127 Abs
2 SGB V verlangen (hierzu unter 2.).
1. Die §§
126 bis
128 SGB V regeln die Beziehungen der Krankenkassen zu Leistungserbringern von Hilfsmitteln. Hilfsmittel dürfen gemäß §
126 Abs
1 SGB V nur auf der Grundlage von Verträgen nach §
127 Abs
1 und 3 abgegeben werden (Satz 1). Vertragspartner der Krankenkassen können nur Leistungserbringer sein, die die Voraussetzungen
für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel erfüllen (Satz
2). Die Krankenkassen stellen gemäß §
126 Abs
1a SGB V sicher, dass die Voraussetzungen nach Absatz
1 Satz 2 erfüllt sind (Satz 1). Die Leistungserbringer führen den Nachweis der Erfüllung der Voraussetzungen nach Absatz 1
Satz 2 durch Vorlage eines Zertifikats einer geeigneten, unabhängigen Stelle (Präqualifizierungsstelle); bei Verträgen nach
§ 127 Absatz 3 kann der Nachweis im Einzelfall auch durch eine Feststellung der Krankenkasse erfolgen (Satz 2). Nach §
127 Abs
1 Satz 1
SGB V können die Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften, soweit dies zur Gewährleistung einer wirtschaftlichen
und in der Qualität gesicherten Versorgung zweckmäßig ist, im Wege der Ausschreibung Verträge mit Leistungserbringern oder
zu diesem Zweck gebildeten Zusammenschlüssen der Leistungserbringer über die Lieferung einer bestimmten Menge von Hilfsmitteln,
die Durchführung einer bestimmten Anzahl von Versorgungen oder die Versorgung für einen bestimmten Zeitraum schließen. Soweit
Ausschreibungen nach Absatz 1 nicht durchgeführt werden, schließen die Krankenkassen, ihre Landesverbände oder Arbeitsgemeinschaften
gemäß §
127 Abs
2 SGB V Verträge mit Leistungserbringern oder Verbänden oder sonstigen Zusammenschlüssen der Leistungserbringer über die Einzelheiten
der Versorgung mit Hilfsmitteln, deren Wiedereinsatz, die Qualität der Hilfsmittel und zusätzlich zu erbringender Leistungen,
die Anforderungen an die Fortbildung der Leistungserbringer, die Preise und die Abrechnung (Satz 1). Die Absicht, über die
Versorgung mit bestimmten Hilfsmitteln Verträge zu schließen, ist in geeigneter Weise öffentlich bekannt zu machen (Satz 3).
Über die Inhalte abgeschlossener Verträge sind andere Leistungserbringer auf Nachfrage unverzüglich zu informieren (Satz 4).
Solchen Verträgen nach Absatz
2 Satz 1 können Leistungserbringer gemäß §
127 Abs
2a SGB V in der bis zum 10. April 2017 geltenden Fassung zu den gleichen Bedingungen als Vertragspartner beitreten, soweit sie nicht
auf Grund bestehender Verträge bereits zur Versorgung der Versicherten berechtigt sind. Es handelt sich bei dem Beitritt um
ein Gestaltungsrecht, das durch einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärung gegenüber den Krankenkassen ausgeübt wird
(LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Februar 2012 – L 9 KR 389/11 B ER; Stallberg MPR 2010, 50, 53; Vilaclara Kooperative Kostensteuerung, 152) und nicht um ein Vertragsangebot, das einer Annahmeerklärung der Krankenkasse bedarf (Nusser in Krauskopf, 114. EL April 2022,
SGB V §
127 Rn 25; Lungstras in Becker/Kingreen, 8. Aufl 2022,
SGB V §
127 Rn 19). Durch den Vertragsbeitritt kommt ein eigenständiger Vertrag zwischen der Krankenkasse und dem beitretenden Hilfsmittelerbringer
zustande (Sächsisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2022 – L 1 KR 650/17). Ein Bestimmungsrecht über den Inhalt des Vertrages hat der beitretende Leistungserbringer allerdings nicht (Nusser aaO). Abgesehen davon, dass der Leistungserbringer, um dem Vertrag beitreten zu können, die gesetzlichen Anforderungen an die
Leistungserbringung nach §
126 Abs
1 Satz 2
SGB V erfüllen, also für eine ausreichende, zweckmäßige und funktionsgerechte Herstellung, Abgabe und Anpassung der Hilfsmittel
Sorge tragen können muss, muss er die Konditionen des Vertrags anerkennen und die Anforderungen des Vertrags, dem er beitreten
will, erfüllen (Weber in NZS 2011, 53, 55 beck-online).
Ein wirksamer Beitritt nach dieser Maßgabe ist seitens der Klägerin zu den streitgegenständlichen Verträgen nicht erfolgt.
Der von ihr am 25. November 2014 erklärte Beitritt erfolgte nicht zu den gleichen Bedingungen des Vertrages. Dabei kann dahinstehen,
inwieweit §
127 Abs
2a SGB V auch Teilbeitritte dergestalt zulässt, dass der Beitritt nur für bestimmte Bereiche des Vertrages erklärt wird. In Rechtsprechung
und Literatur wird teilweise vertreten, dass ein Teilbeitritt für sachlich oder räumlich klar abtrennbare Versorgungsbereiche,
insbesondere für einzelne Produktgruppen zulässig ist (Sächsisches LSG, aaO; LSG NRW, Beschluss vom 14. April 2011 – L 16 KR 7/11 ER; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. März 2011 – L 11 KR 4724/10 ER B). Andernfalls könnten die Krankenkassen bzw deren Verbände durch die Einbeziehung mehrerer oder im Extremfall nahezu aller
Versorgungsbereiche der Hilfsmittelversorgung in einen Versorgungsvertrag ihre Vertragspartner auf einige wenige große Hilfsmittelerbringer
beschränken und den Beitritt kleiner Leistungserbringer gegen die Intentionen des Gesetzgebers ausschließen und deren Beitrittsrecht
leerlaufen lassen (Nusser aaO, Rn 26). Allerdings setzt ein Teilbeitritt jedenfalls voraus, dass der betreffende Leistungserbringer gerade die für die fragliche
Produktgruppe geltenden Bedingungen akzeptiert (LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. Februar 2012 – L 9 KR 389/11 B ER; LSG NRW aaO; LSG Baden-Württemberg aaO). Nicht möglich ist es dagegen, über einen Teilbeitritt unliebsame Vertragsklauseln abzubedingen (Sächsisches LSG aaO).
Vorliegend ist bereits fraglich, ob die Klägerin überhaupt einen Teilbeitritt nur zu Teil A des „Vertrages zur Diabetestherapie“
erklärt hat. Denn der Ausschluss der Preisregelung zu den Blutzuckerteststreifen erfolgte ausdrücklich zum „Vertrag nach §
127 Abs 2 über die Versorgung mit Hilfsmitteln zur Insulinpumpentherapie vom 01.05.2014“. Dieser Vertrag enthält jedoch überhaupt
keine Preisregelung zu Blutzuckerteststreifen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Klägerin bereits zu diesem Zeitpunkt anwaltlich
vertreten war, spricht Einiges dafür, dass sie sich an dem Erklärten festhalten lassen muss.
Jedenfalls aber hat die Klägerin mit ihrem Beitritt nicht nur den Teil zur Versorgung mit Blutzuckerteststreifen ausgeschlossen,
sondern darüber hinaus in beiden Verträgen bestimmte, von ihr nicht gewünschte Klauseln – das Beitrittsrecht für andere Krankenkassen,
die Abhängigkeit des Vertragsbestandes vom Erstunterzeichnervertrag sowie die Regelungen zur Rechnungskürzung bei Fristüberschreitung
– ausgeschlossen. Um einen Beitritt zu den gleichen Bedingungen des Vertrages handelte es sich daher eindeutig nicht mehr.
Allenfalls konnte der Beitritt als neues Vertragsangebot der Klägerin gewertet werden, das von der Beklagten aber nicht angenommen,
sondern im Gegenteil mit Schreiben vom 26. November 2014 vielmehr ausdrücklich abgelehnt worden ist.
Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus einem Verstoß der abgelehnten Klauseln gegen die §§
307 ff
BGB. Offenbleiben kann, ob die Vorschriften über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) auf Verträge nach §
127 SGB V überhaupt Anwendung finden (so Sächsisches LSG aaO) oder eine entsprechende Geltung bei koordinationsrechtlichen Verträgen mangels einer dem Zivilrecht entsprechenden Interessenlage
abzulehnen ist (siehe zum Streitstand Hissnauer in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 2. Aufl, § 61 SGB X [Stand: 8. August 2022], Rn 11.11 mwN). Denn eine Überprüfung der monierten Klauseln würde voraussetzen, dass überhaupt ein wirksamer Beitritt erfolgt ist. Allein
für diesen Fall könnte im Rahmen der Vergütungsforderung der Klägerin bzw im Rahmen einer Feststellungsklage nötigenfalls
eine inzidente Überprüfung des Vertrags erfolgen. Da ein Beitritt wirksam und explizit insbesondere zu den streitgegenständlichen
Klauseln jedoch überhaupt nicht stattgefunden hat, ist eine Prüfung derselben nicht möglich. Abgesehen davon, dass es sich
mangels eigener Vertragspartnerstellung letztlich um die Überprüfung des Vertrags eines Dritten handeln würde, würde auch
ein etwaiger Verstoß einer oder mehrerer Klauseln gegen AGB nicht zum Abschluss eines fiktiven Vertrags unter Ausschluss der
nicht gewünschten Klauseln führen (so auch Sächsisches LSG aaO).
Schließlich lässt sich auch aus dem von der Klägerin angeführten Anspruch auf Vertragsverhandlungen ein wirksamer Beitritt
nicht herleiten. Zwar ist es zutreffend, dass die Krankenkassen jedem zugelassenen und geeigneten Leistungserbringer die Möglichkeit
zur Beteiligung an der Versorgung der Versicherten nach Maßgabe sachgerechter, vorhersehbarer und transparenter Kriterien
im Rahmen der jeweils geltenden gesetzlichen Vorgaben einzuräumen haben (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 KR 26/08 R, juris Rn 23). Mittlerweile ist in §
127 Abs
1 Satz 2
SGB V auch explizit die Verpflichtung der Krankenkassen geregelt, jedem Leistungserbringer oder Verband oder sonstigen Zusammenschlüssen
der Leistungserbringer Vertragsverhandlungen zu ermöglichen. Damit wollte der Gesetzgeber zum Ausdruck bringen, dass keine
Open-House-Gestaltung gewollt ist, in der die Krankenkassen Vertragsbedingungen formulieren und jedem Leistungserbringer den
Beitritt zum Vertrag zu den vorgegebenen Bedingungen freistellen und dass die Krankenkassen keine Auswahlentscheidung in Bezug
auf einen bestimmten Leistungserbringer treffen können, sondern mit mehreren Leistungserbringen Verträge abzuschließen haben
(BT-Drucksache 19/8351, Seite 202). Die Krankenkassen dürfen also die Aufnahme von Vertragsverhandlungen nicht ablehnen, weil sie meinen, bereits genügend
Leistungserbringer unter Vertrag zu haben (Schneider in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 4. Aufl, §
127 SGB V [Stand: 27. September 2021], Rn 29). Auch der Hinweis auf die Möglichkeit zum Beitritt zu bereits bestehenden Verträgen nach Absatz 2 rechtfertigt nicht den
Abbruch von Vertragsverhandlungen (BT-Drucksache 19/17589, Seite 208). Zum einen ändert ein grundsätzlicher Anspruch auf Teilnahme an der Versorgung jedoch nichts daran, dass die vertragliche
Ausgestaltung der Leistungsbeziehungen regelmäßig dem Verhandlungsgeschick der Beteiligten und damit dem freien Spiel der
Kräfte überlassen ist und es nicht Aufgabe der Gerichte ist, nach Art von Schiedsstellen den angemessenen Vertragsinhalt festzusetzen
(BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 KR 26/08 R, juris Rn 21 unter Verweis auf BSGE 101, 142 = SozR 4-2500 § 69 Nr 4, juris Rn 19). Ein gerichtlich durchsetzbarer Anspruch auf den Abschluss eines Versorgungsvertrags zu bestimmten Bedingungen ergibt sich
hieraus allenfalls im Ausnahmefall (BSG, Urteil vom 21. Juli 2011 – B 3 KR 14/10 R, juris Rn 8; Urteil vom 10. März 2010 – B 3 KR 26/08 R, juris Rn 21). Zum Anderen begehrt die Klägerin gerade nicht die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder die Verpflichtung der Beklagten
zu einem bestimmten Vertrag, sondern sie macht Vergütungsforderungen aus einem bestehenden Vertrag geltend, dem sie beigetreten
sein will.
Darüber hinaus scheitert ein Vergütungsanspruch aber auch daran, dass die Klägerin ihre Forderung nicht näher substantiiert,
geschweige denn nachgewiesen hat. Sie hat die Gesamtforderung von 27.151,12 Euro lediglich auf 26.367,21 für Forderungen aus
Hilfsmittelversorgungen und auf 783,91 Euro für Forderungen aus Teststreifenversorgungen differenziert, obwohl die Beklagte
die Forderung auch der Höhe nach wiederholt bestritten hat. Soweit in der mündlichen Verhandlung vor dem SG Unterlagen vorgelegt worden sein sollen, befinden sich diese jedenfalls nicht in der Akte, worauf das Gericht auch hingewiesen
hatte. Dem Senat war eine Überprüfung deshalb nicht möglich. Nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz
der objektiven Beweislast (Feststellungslast), nach dem ein nicht zu beweisender Sachverhalt zu Lasten des Beteiligten geht,
der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet(vgl zB BSG SozR 4-2500 § 44 Nr 7 Rn 19 mwN; BSGE 102, 181 = SozR 4-2500 § 109 Nr 15, Rn 28 mwN), trägt unter diesen Umständen die Klägerin das Risiko der Nichterweislichkeit der eingeklagten Forderung. Die Klägerin geht
fehl in der Annahme, dass stattdessen die Beklagte ihre Einwendungen gegen die Forderungen näher substantiieren müsse. Abgesehen
davon, dass diese im Gegensatz zu der Klägerin durchaus zumindest durch Nennung einzelner Beispiele erläutert hat, wo die
Forderungen ihrer Auffassung nach dem Grunde bzw der Höhe nach unzutreffend seien, verkehrt diese Auffassung die Beweislastgrundsätze
ins Gegenteil.
Die erst mit Schriftsatz vom 9. September 2022 eingegangenen Aufstellungen musste der Senat nicht berücksichtigen. Gemäß §
153 Abs
1 SGG iVm §
106a Abs
2 SGG kann der Vorsitzende, bzw der Berichterstatter (§
155 Abs
1, 4
SGG) einem Beteiligten unter Fristsetzung aufgeben, zu bestimmten Vorgängen Tatsachen anzugeben oder Beweismittel zu bezeichnen
(Ziff 1), Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen sowie elektronische Dokumente zu übermitteln, soweit der Beteiligte
dazu verpflichtet ist (Ziff 2). Das Gericht kann nach §
106a Abs
3 SGG Erklärungen und Beweismittel, die erst nach Ablauf einer nach §
106a Abs
2 SGG gesetzten Frist vorgebracht werden, zurückweisen und ohne weitere Ermittlungen entscheiden, wenn ihre Zulassung nach der
freien Überzeugung des Gerichts die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde, der Beteiligte die Verspätung nicht genügend
entschuldigt und er über die Folgen einer Fristversäumung belehrt worden ist (Satz 1). Satz 1 gilt nicht, wenn es mit geringem
Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln (Satz 2).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die Berichterstatterin hat der Klägerin mit Verfügung vom 4. Juli 2022 unter Fristsetzung
bis zum 4. August 2022 aufgegeben darzulegen, wie sich die Klageforderung von 27.151,12 Euro zusammensetzt und die behaupteten
Hilfsmittel- und Teststreifenversorgungen insgesamt nachzuweisen. Sie hat die Klägerin auf die Rechtsfolgen des §
106a Abs
3 SGG hingewiesen. Die Verfügung wurde mit vollem Namen unterzeichnet und der Klägerin am 5. Juli 2022 zugestellt (siehe zu diesen Erfordernissen BSGE 119, 298). Die Fristsetzung von einem Monat war auch angemessen, was insbesondere vor dem Hintergrund gilt, dass die Berichterstatterin
die Klägerin zuvor bereits mehrfach mit Verfügungen vom 15. Februar 2022, 1. April 2022 und 16. Mai 2022 erfolglos und ohne
Reaktion seitens der Klägerin zur Substantiierung ihrer Forderung aufgefordert hatte. Menge und Art der erbachten Hilfsmittel
und die Höhe der jeweils erfolgten Kürzungen lagen auch in der alleinigen Sphäre der Klägerin, so dass eine Ermittlung von
Amts wegen insoweit nicht in Betracht kam. Eine Zulassung der nunmehr noch eingereichten Aufstellungen hätte die Erledigung
des Rechtsstreits zur Überzeugung des Senats auch verzögert. Unabhängig davon, ob dabei von einem absoluten Verzögerungsbegriff
auszugehen ist, wonach entscheidend ist, ob der Rechtsstreit sich durch das Zulassen des Vortrags (und ggf des Beweises) verzögern
würde (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Mai 2014 – L 11 KR 1169/13 –, Rn 36, juris; vgl zu §
87b VwGO: BVerwG 18. Februar 1998, 11 A 6/97, juris; zu §
296 ZPO: BGH 2. Dezember 1982, VII ZR 71/82, juris) oder im Wege einer Prognose festzustellen ist, ob der Rechtsstreit bei rechtzeitigem Vorbringen schneller hätte entschieden
werden können (siehe B Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG – Kommentar, 13. Aufl 2020, §
106a Rn 16), liegt eine Verzögerung vor. Denn während eine rechtzeitige Einreichung der erbetenen Unterlagen das Gericht in die Lage
versetzt hätte, diese zu prüfen und hierauf zu reagieren bzw sie ihrer Entscheidung zugrunde zu legen, wäre eine Berücksichtigung
der verspätet eingereichten Aufstellung zwingend mit einer Vertagung verbunden gewesen. Eine Prüfung der erst am Freitag nach
Schluss der Geschäftsstelle eingegangenen Unterlagen bis zur für den Dienstagmorgen geladenen mündlichen Verhandlung wäre
ebenso wenig möglich und zumutbar gewesen wie die Gewährung angemessenen rechtlichen Gehörs gegenüber der Beklagten. Die Klägerin
hat die Verspätung auch in keiner Weise entschuldigt. Dahinstehen kann vor diesem Hintergrund, ob die Auflistung der Klägerin
ohne Vorlage weiterer – ebenfalls angeforderter – Nachweise überhaupt geeignet gewesen wäre, die ausstehenden Zahlungen zu
belegen.
2. Die Klägerin kann die Vergütung von abgegebenen Blutzuckerteststreifen auch nicht ohne Vertrag nach §
127 Abs
2 SGB V von der Beklagten verlangen. Das System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ist vom Prinzip der Naturalleistung geprägt;
dieses stellt ein grundsätzliches Strukturprinzip dar. Kennzeichnend für die GKV ist, dass die Krankenkasse Sach- oder Dienstleistungen
zur Verfügung stellt, §
2 Abs
2 SGB V (Plagemann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 4. Aufl, §
2 SGB V [Stand: 15. Juni 2020), Rn 61). Diesen Sicherstellungs- und Gewährleistungsauftrag erfüllt sie gemäß § 2 Abs 2 Satz 3 durch den Abschluss entsprechender
Verträge mit den Leistungserbringern, die ihrerseits im Vierten Kapitel des
SGB V näher geregelt sind (Krauskopf/Vossen, 115. EL Juni 2022,
SGB V §
2 Rn 30).
Für die Abgabe von Hilfsmitteln an Versicherte und die Abrechnung mit den Krankenkassen ist ein Vertrag nach §
127 gemäß §
126 Abs
1 Satz 1
SGB V notwendige Voraussetzung (vgl BSGE 106, 29 = SozR 4–2500 §
126 Nr 2, siehe auch bereits oben). Hilfsmittel im Sinne des §
33 SGB V sind sächliche Mittel, die durch ersetzende, unterstützende oder entlastende Wirkung den Erfolg einer Krankenbehandlung sichern
oder eine Behinderung ausgleichen bzw ihr vorbeugen (BSG, Urteil vom 30. Januar 2001 – B 3 KR 6/00 R, NZS 2001, 532, 533). Hierzu zählen auch Blutzuckermessgeräte als Hilfsmittel zur Messung der Glukosekonzentration im Blut (siehe auch Hilfsmittelverzeichnis des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen unter https://hilfsmittel.gkv-spitzenverband.de/home/verzeichnis/584eb635-33fb-4712-be28-152ffbedf747,
vgl zudem BSG, Urteil vom 8. Juli 2015 – B 3 KR 5/14 R). Als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal umfasst der Hilfsmittelanspruch darüber hinaus die Gewährung von Zubehör, um den
bestimmungsgemäßen Gebrauch des Hilfsmittels zu ermöglichen bzw zu erhalten (BSG, Urteil vom 18. Mai 1978 - 3 RK 47/77). Um solche Zubehörteile handelt es sich bei den Blutzuckerteststreifen, mit denen die Blutzuckermessgeräte jeweils zu bestücken
sind (so auch SG München, Beschluss vom 23. Juli 2018 – S 39 KR 216/15).
Etwas Anderes ergibt sich entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus §
31 Abs
1 Satz 1
SGB V. Hiernach haben Versicherte neben dem Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln auch Anspruch auf Versorgung
mit Verbandmitteln, Harn- und Blutteststreifen. Blutteststreifen werden hier also leistungsrechtlich in die Versorgung mit
Arzneimitteln einbezogen, was angesichts ihres Charakters als Hilfsmittelzubehör eigentlich systemwidrig ist (so auch Krauskopf/Wagner, 115. EL Juni 2022,
SGB V §
31 Rn 23). Die Versicherten können gemäß §
31 Abs
1 Satz 5
SGB V für die Versorgung nach Satz 1 unter den Apotheken, für die der Rahmenvertrag nach §
129 Abs
2 SGB V Geltung hat, frei wählen. §
31 SGB V gilt damit ausschließlich für die Versorgung von Versicherten durch Apotheken. Hätte die Regelung für die Versorgung mit
Blutteststreifen abschließenden Charakter, dürften diese von Hilfsmittelleistern wie der Klägerin gar nicht erbracht werden
(Sächsisches LSG, Urteil vom 26. Januar 2022 – L 1 KR 650/17). Eine abschließende leistungsrechtliche Bestimmung trifft §
31 SGB V jedoch weder ausdrücklich noch ihrem Sinn und Zweck nach (so auch Sächsisches LSG aaO; Urteil vom 24. August 2011 – L 1 KR 74/09; LSG Schleswig-Holstein, Urteil vom 15. März 2005 – L 5 KR 84/03; SG München aaO). Vielmehr ergibt sich aus der Gesetzesbegründung, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass Blutzuckerteststreifen
von den Krankenkassen leistungsrechtlich den Applikationshilfen zugeordnet und daher wie Hilfsmittel behandelt würden (BT-Drucksache 12/3937, Seite 12). In Bestätigung dieser Annahme wurde zunächst in §
31 Abs
3 SGB V in Abgrenzung zu Arzneimitteln die Zuzahlungsfreiheit der Blutteststreifen klargestellt (BT-Drucksache aaO) und später im Zuge der Beschränkung des Versorgungsanspruchs auf apothekenpflichtige Arzneimittel mit dem 2. GKV-Neuordnungsgesetz
vom 30. Juni 1997 (BGBl I Seite 1520) Blutteststreifen durch Aufnahme in den §
31 Abs
1 SGB V hiervon ausdrücklich ausgenommen (siehe zu näheren Einzelheiten der historischen Entwicklung des §
31 SGB V Sächsisches LSG Urteil vom 26. Januar 2022 – L 1 KR 650/17). Die Klägerin ist damit auch als Hilfsmittelerbringerin grundsätzlich zur Versorgung von Versicherten mit Blutzuckerteststreifen
berechtigt, unterliegt jedoch dem Vertragsregime der §§
126 f
SGB V.
Dieser Auslegung steht entgegen der Auffassung der Klägerin das Urteil des BSG vom 10. März 2010 (B 3 KR 26/08) nicht entgegen. Das Verfahren betraf einen völlig anderen Sachverhalt, bei dem der klagende Hilfsmittelerbringer die Feststellung
der Verpflichtung der beklagten Krankenkasse zum Abschluss eines Rahmenvertrages bzw die Feststellung des Rechts auf Beteiligung
an der Hilfsmittelversorgung begehrte und zwar in einem Zeitraum, in dem für Hilfsmittellieferanten noch das Zulassungsprinzip
statt des nunmehr geltenden Vertragsmodells galt (BSG aaO, juris Rn 16). Eine Versorgung mit Blutzuckerteststreifen war nicht streitgegenständlich. Soweit die Klägerin auf den Vorrang des Gesetzes
und die abschließende Ausgestaltung der Rechtsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern im 4. Kapitel als
wesentliche in der Entscheidung aufgestellte Grundsätze verweist, sei darauf hingewiesen, dass das BSG einen Anspruch der Klägerin auf Aufnahme von Vertragsverhandlungen in Anwendung dieser Grundsätze gerade verneint hat. Aufgrund der gemäß §
69 Abs
1 Satz 1
SGB V abschließenden Ausgestaltung der Leistungsbeziehungen zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern im Vierten Kapitel sowie
in den §§
63 und
64 SGB V könne die Krankenkasse Versorgungsverträge nur schließen und ein Leistungserbringer eine Beteiligung an dem darauf gerichteten
Verfahren nur beanspruchen, solange die hieraus sich ergebenden Grenzen gewahrt seien (BSG aaO, Rn 24). Die Entscheidung spricht damit nicht für, sondern gerade gegen einen Anspruch der Klägerin. Wenn die Prämisse der Klägerin
zuträfe, dass die §§
126,
127 SGB V auf Blutzuckerteststreifen keine Anwendung fänden, da sie den Arzneimitteln zuzurechnen seien, existierte für eine Versorgung
mit Blutzuckerteststreifen durch die Klägerin keine Rechtsgrundlage. Denn §
31 SGB V gilt ausschließlich für Apotheken. Eine Versorgung mit Arzneimitteln durch Hilfsmittelerbringer sieht das abschließende vierte
Kapitel des
SGB V nicht vor.
Ob andere Krankenkassen als die Beklagte in Bezug auf die Abgabe von Blutzuckerteststreifen teilweise andere Vorgehensweisen
praktizieren – wie die Klägerin vorträgt – und eine Vergütung ohne Abschluss eines Vertrages zu Apothekenpreisen vornehmen
oder Verträge im Wege des Open-House-Verfahrens abschließen, ist dabei unerheblich. Solche Ausgestaltungen stünden mit der
geltenden rechtlichen Regelung nicht im Einklang, so dass die Klägerin hieraus keine Gleichheit im Unrecht herleiten kann
(siehe hierzu zB BVerwG, Urteil vom 26. Februar 1993 – 8 C 20/92 –, BVerwGE 92, 153-157; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 11. Mai 2005 – L 11 KA 130/03 –, Rn 31, juris).
Einem Leistungserbringer steht für Leistungen, die er nicht gemäß den Bestimmungen des Leistungserbringungsrechts erbracht
hat, auch kein Vergütungsanspruch auf bereicherungsrechtlicher Grundlage zu (ständige Rechtsprechung des BSG, siehe zB Urteil vom 12. August 2021 - B 3 KR 8/20 R - juris Rn 20; vom 20. April 2016 - B 3 KR 23/15 R - juris Rn 32 - SozR 4-2500 § 124 Nr 4; vom 17. November 2015 - B 1 KR 12/15 R - juris Rn 23). Denn die Bestimmungen des Leistungserbringungsrechts über die Erfüllung bestimmter formaler oder inhaltlicher Voraussetzungen
der Leistungserbringung könnten ihre Steuerungsfunktion nicht erfüllen, wenn der Leistungserbringer die rechtswidrig bewirkten
Leistungen über einen Wertersatzanspruch aus ungerechtfertigter Bereicherung im Ergebnis dennoch vergütet bekäme (BSG, Urteil vom 2. Juli 2013 - B 1 KR 49/12 R - juris Rn 26 - SozR 4-2500 § 129 Nr 9; vom 24. Januar 2008 - B 3 KR 17/07 R - juris Rn 29). Es handelt sich bei diesen Bestimmungen auch nicht lediglich um bloße Ordnungsvorschriften, sondern um solche, die die
Qualität der Leistungserbringung sichern und deren Überprüfung erleichtern sollen (siehe hierzu BSG, Beschluss vom 4. Mai 1994 - 6 RKa 40/93 - juris Rn 18 - BSGE 74, 154; Urteil vom 8. September 2004 - B 6 KA 14/03 R - juris Rn 23 - SozR 4-2500 § 39 Nr 3).
Nur ergänzend sei angemerkt, dass die Beklagte auch die abgegebenen und von der Beklagten nicht vergüteten Blutzuckerteststreifen
nicht weiter substantiiert und nachgewiesen hat, so dass ein Anspruch auch aus diesem Grunde nach dem Grundsatz der objektiven
Beweislast ausscheidet (siehe hierzu bereits oben unter 1.).
II. In Bezug auf die Widerklage hat die Berufung ebenfalls überwiegend keinen Erfolg. Diese ist zulässig und bis auf einen
Teil der Zinsforderung begründet. Gemäß §
100 SGG kann bei dem Gericht der Klage eine Widerklage erhoben werden, wenn der Gegenanspruch, mit dem in der Klage geltend gemachten
Anspruch oder mit den gegen ihn vorgebrachten Verteidigungsmitteln zusammenhängt. Dies ist hier der Fall. Die Beklagte macht
mit ihrer Widerklage die Rückforderung der im streitigen Rechtsverhältnis der Beteiligten trotzdem geleisteten (Teil-)Vergütung
geltend, die gleichsam das Spiegelbild der weiteren Vergütungsforderung der Klägerin darstellt.
Die Widerklage ist in der Hauptsache auch begründet. Die Beklagte kann von der Klägerin die Rückzahlung der geleisteten Vergütung
für Blutzuckerteststreifen in Höhe von 22.407,31 Euro im Wege eines öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs verlangen.
Ein solcher setzt voraus, dass der Berechtigte im Rahmen eines öffentlichen Rechtsverhältnisses Leistungen ohne rechtlichen
Grund erbracht hat (vgl zB BSG SozR 4-2500 § 264 Nr 3 Rn 15, stRspr). So liegt es hier. Die Klägerin hat im Zeitraum 25. November 2014 bis 31. Januar 2017 insgesamt 877 Packungen (509 im Jahr
2015, 399 im Jahr 2016 und 29 im Jahr 2017) mit Teststreifen zu einem Preis zu Lasten der Beklagten abgegeben und abgerechnet
und hierfür insgesamt 22.407,31 Euro vergütet erhalten, wie sie in ihrem Schreiben an die Klägerin vom 10. Dezember 2018 näher
spezifiziert und nach den jeweiligen PIC-Nummern, Abgabedaten, PZN, Handels- und Herstellername, Packungsanzahl und Erstattungsbetrag
näher aufgeschlüsselt hat. Der Senat hat keine Veranlassung an diesen plausiblen und von der Klägerin unwidersprochenen Angaben
der Beklagten zu zweifeln, so dass sich weitere Ermittlungen hierzu erübrigen. Mangels Vertrags zwischen den Beteiligten nach
Maßgabe des §
127 Abs
2 SGB V hat die Beklagte die Vergütungen auch ohne Rechtgrund erbracht (siehe oben unter 1).
Die Forderung ist auch durchsetzbar. Auf die Geltendmachung der Einrede der Verjährung hat die Klägerin verzichtet. Der Anspruch
ist auch nicht verwirkt. Dabei ist für den Senat fraglich, ob die Verwirkung als Einwand unzulässiger Rechtsausübung (§
242 BGB) überhaupt zulässig ist, wenn die einwendende Partei auf die Einrede der Verjährung gerade verzichtet hat. Jedenfalls aber
liegen die Voraussetzungen der Verwirkung nicht vor. Diese setzt als Unterfall der unzulässigen Rechtsausübung voraus, dass
der Berechtigte die Ausübung seines Rechts während eines längeren Zeitraums unterlassen hat und weitere besondere Umstände
hinzutreten, die nach den Besonderheiten des Einzelfalls und des in Betracht kommenden Rechtsgebietes das verspätete Geltendmachen
des Rechts dem Verpflichteten gegenüber nach Treu und Glauben als illoyal erscheinen lassen. Solche, die Verwirkung auslösenden
"besonderen Umstände" liegen vor, wenn der Verpflichtete infolge eines bestimmten Verhaltens des Berechtigten (Verwirkungsverhalten)
darauf vertrauen durfte, dass dieser das Recht nicht mehr geltend machen werde (Vertrauensgrundlage) und der Verpflichtete
tatsächlich darauf vertraut hat, dass das Recht nicht mehr ausgeübt wird (Vertrauenstatbestand) und sich infolgedessen in
seinen Vorkehrungen und Maßnahmen so eingerichtet hat (Vertrauensverhalten), dass ihm durch die verspätete Durchsetzung des
Rechts ein unzumutbarer Nachteil entstehen würde (stRspr, siehe statt vieler BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 – B 1 KR 47/12 R –, Rn 10, juris). Die vorbehaltslose Zahlung nach Rechnungsstellung stellt gerade keine solche Ausnahmekonstellation dar (Wahl in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGB V, 4. Aufl, §
109 SGB V [Stand: 6. Mai 2022], Rn 252). Dies gilt vorliegend umso mehr, als die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 26. November 2014 ausdrücklich darauf hingewiesen
hat, dass diese ohne uneingeschränkten Beitritt zu den streitgegenständlichen Verträgen nicht zur Versorgung mit den betroffenen
Hilfsmitteln berechtigt sei.
Die Beklagte kann sich für die Zinshöhe allerdings nicht mit Erfolg darauf berufen, dass bei Rechtsgeschäften, an denen ein
Verbraucher nicht beteiligt ist, der Zinssatz für Entgeltforderungen neun Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beträgt (§
288 Abs
2 BGB). Diese Regelung ist zwar grundsätzlich im Rahmen des §
69 Satz 3
SGB V aF anwendbar (vgl BSG, Urteil vom 19. April 2007 - B 3 KR 10/06 R, RdNr 11, USK 2007-48). Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl BVerwG NVwZ 2004, 991, Leitsatz 4, juris RdNr
50) ist §
288 Abs
2 BGB allerdings auf Prozesszinsen für einen öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch nicht entsprechend anzuwenden. Es handelt
sich hierbei nicht um Entgeltforderungen. Die Parteien standen nicht in einem vertraglichen Austauschverhältnis (BSG, Urteil vom 8. September 2009 – B 1 KR 8/09 R –, SozR 4-2500 § 69 Nr 7, SozR 4-7610 § 246 Nr 1, SozR 4-7610 § 288 Nr 2, SozR 4-2500 § 112 Nr 7, Rn 18). Der Zinsanspruch ist daher nach Maßgabe des §
288 Abs
1 Satz 2
BGB auf fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz beschränkt.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a SGG in Verbindung mit 154 Abs 1
Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO) und berücksichtigt den Umstand, dass die Beklagte lediglich mit einem kleinen Teil ihrer Zinsforderung unterlegen ist.
Ein gesetzlicher Grund zur Zulassung der Revision ist nicht gegeben (§
160 Abs
2 SGG).
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §§ 43 Abs 2, 47 Abs 1 und 2, 52 Abs 1 und 3 Gerichtskostengesetz (GKG). Die Forderung der Klägerin und die Gegenforderung der Beklagten waren zusammenzurechnen, weil es sich dabei nicht um denselben
Gegenstand handelt.