Vergütung von Rechtsanwälten im sozialgerichtlichen Verfahren
Anforderungen an das Vorliegen derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG in einem Rechtsstreit über die endgültige Festsetzung von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende
Gründe
Die Beschwerde ist zulässig.
Gemäß § 55 Abs. 1 S. 1 i.V.m. § 56 Abs. 2 und § 33 Abs. 3 und 4 des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes (RVG) entscheidet das Landessozialgericht als das nächsthöhere Gericht über die Beschwerde gegen den aufgrund einer Erinnerung
ergangenen Beschluss des Gerichts des ersten Rechtszugs zur Kostenfestsetzung. Die Beschwerde ist zulässig, wenn der Wert
des Beschwerdegegenstandes 200 € übersteigt (§ 33 Abs. 3 S. 1 RVG), was hier der Fall ist. Die Regelungen des
Sozialgerichtsgesetzes stehen der Zulässigkeit einer Beschwerde nicht entgegen, denn mit der Neufassung des RVG zum 01.08.2013 wird nun in § 1 Abs. 3 RVG klargestellt, dass die Vorschriften dieses Gesetzes über die Erinnerung und die Beschwerde den Regelungen der für das zu
Grunde liegende Verfahren geltenden Verfahrensvorschriften (hier: das
Sozialgerichtsgesetz -
SGG) vorgehen. Gemäß § 33 Abs. 8 S. 1 RVG entscheidet das Gericht über die Beschwerde durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, wenn die angefochtene Entscheidung
von einem Einzelrichter erlassen wurde. Gründe im Sinne von § 33 Abs. 8 S. 2 RVG für eine Übertragung auf den Senat liegen nicht vor, denn über die der Beschwerde zugrunde liegenden Rechtsfragen hat der
erkennende Senat bereits in der Besetzung mit drei Berufsrichtern (die ehrenamtlichen Richter wirken am Beschwerdeverfahren
gemäß § 33 Abs. 8 S. 3 RVG in keinem Fall mit) entschieden.
Die Beschwerde ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat mit dem angefochtenen Beschluss zu Recht die Erinnerung des Beschwerdeführers
gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss des Sozialgerichts vom 07.10.2020 zurückgewiesen.
Der im Wege der Prozesskostenhilfe im Ausgangsverfahren mit dem Aktenzeichen S 53 AS 3379/19 bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen beigeordnete Beschwerdeführer kann die mit Kostenrechnung vom 21.08.2020 beantragte Festsetzung
der Rechtsanwaltsvergütung i.H.v. 423,40 € nicht mit Erfolg beanspruchen. Der Gebührenanspruch ist aufgrund von § 15 Abs. 2 des Gesetzes über die Vergütung der Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte (RVG) in der seit dem 01.08. 2013 geltenden Fassung ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift kann der Rechtsanwalt Gebühren in derselben
Angelegenheit nur einmal fordern.
Vom Beschwerdeführer waren für seine Mandanten, die Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft nach dem SGB II sind, am 18.12.2019 drei im Wesentlichen gleichlautende Klagen beim Sozialgericht Gelsenkirchen erhoben worden. Das Verfahren
S 53 AS 3378/19 war eine Klage aller Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (zwei Erwachsene sowie drei minderjährige Kinder) gegen die endgültige
Festsetzung von Leistungen für den Zeitraum von Februar bis Juli 2019, in dem von den erwachsenen Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft
u.a. Einkommen aus nichtselbstständiger Tätigkeit in wechselnder Höhe erzielt worden war. Für dieses Verfahren hat das Sozialgericht
die Gebühren und Auslagen des Beschwerdeführers antragsgemäß festgesetzt und erstattet. Mit dem Verfahren S 53 AS 3373/19 wandte sich der Kläger zu 2) des Verfahrens S 53 AS 3378/19 gegen die von ihm verlangte Erstattung von Leistungen für den Zeitraum von Februar bis Juli 2019, weil die zunächst vorläufig
bewilligten Leistungen die endgültig festgesetzten überstiegen. Das Verfahren S 53 AS 3379/19 war die Klage der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft (Klägerin zu 1) sowie der minderjährigen Kinder) und richtete
sich ebenfalls gegen die verlangte Erstattung von Leistungen für den Zeitraum von Februar bis Juli 2019 aufgrund der gegenüber
der vorläufigen Bewilligung nur geringeren endgültigen Leistungsfestsetzung.
Wie der Senat bereits mit Beschluss vom 29.10.2021 zum Aktenzeichen L 2 AS 819/21 B im Anschluss an die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 02.04.2014 zum Az. B 4 AS 27/13 R) entschieden hat, handelt es sich gebührenrechtlich um "dieselbe Angelegenheit" im Sinne von § 15 Abs. 2 RVG, wenn mehrere Klagen gegen den an die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gerichteten Bescheid über die endgültige Leistungsfestsetzung
einerseits und andererseits gegen die deshalb an die einzelnen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft gerichteten Bescheide über
die Erstattung von zunächst vorläufig zu hoch bewilligten Leistungen für denselben Zeitraum erhoben werden. Dazu wurde vom
Senat im Beschluss vom 29.10.2021 wie folgt ausgeführt: Nach § 15 Abs. 2 RVG kann der Rechtsanwalt die Gebühren in derselben Angelegenheit nur einmal fordern. Ob dieselbe Angelegenheit im kostenrechtlichen
Sinn vorliegt, regelt das RVG nicht abschließend. Vielmehr benennen die anwaltlichen Tätigkeitskataloge des § 16 und § 17 RVG nur Regelbeispiele. Der Gesetzgeber hat die abschließende Klärung des hier maßgeblichen Begriffs derselben Angelegenheit
i.S.v. § 15 Abs. 2 RVG der Rechtsprechung und dem Schrifttum überlassen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts sowie des Bundesgerichtshofs
ist von derselben Angelegenheit im Sinne des § 15 Abs. 2 RVG in der Regel auszugehen, wenn zwischen den weisungsgemäß erbrachten anwaltlichen Leistungen, also den verschiedenen Gegenständen,
ein innerer Zusammenhang gegeben ist, also ein einheitlicher Auftrag und ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit
vorliegt (vgl. BGH Urteil vom 21.06.2011 - VI ZR 73/10 -, juris Rn. 10; BSG, Urteil vom 02.04. 2014 - B 4 AS 27/13 R -, juris Rn. 15). Das Bundesverwaltungsgericht hat zudem ausgeführt, dass "dieselbe Angelegenheit" vor allem in Fällen
paralleler Verwaltungsverfahren in Betracht kommt, wenn dieselbe Behörde Verwaltungsakte aus einem gemeinsamen Anlass und
Rechtsgrund in engem zeitlichen Zusammenhang objektbezogen erlässt, so dass einen Adressaten mehrere Verwaltungsakte erreichen,
die auch zusammengefasst in einem einzigen Bescheid hätten ergehen können. Beauftrage dann der Adressat einen Rechtsanwalt
damit, aus demselben rechtlichen Gesichtspunkt einheitlich gegen alle Verwaltungsakte vorzugehen, werde dieser, sofern keine
inhaltliche oder formale Differenzierung zwischen den Verfahren geboten sei, in "derselben Angelegenheit" tätig. Unerheblich
sei, ob der Rechtsanwalt die Widersprüche in einem einzigen, alle Verfahren betreffenden Schreiben oder in mehreren, die jeweiligen
Einzelverfahren betreffenden Schreiben, die sich nur hinsichtlich der jeweiligen Verfahrensangabe (Objekt, Aktenzeichen) unterscheiden,
einlege und begründe. Anders sei es allerdings, wenn der Rechtsanwalt auftragsgemäß unterschiedliche Einwände gegen die jeweiligen
Verwaltungsakte vortrage oder nennenswert unterschiedliche verfahrensrechtliche Besonderheiten zu beachten habe. Fehle es
an einem inneren Zusammenhang zwischen mehreren, an einen Adressaten gerichteten Verwaltungsakten, scheide schon aus diesem
Grund die Annahme "derselben Angelegenheit" aus (BVerwG, Urteil vom 09.05.2000 - 11 C 1/99 -, juris Rn. 24).
Vorliegend hat der Beschwerdeführer in den drei zeitgleich bei Gericht angebrachten Verfahren im Wesentlichen gleichlautende
Klagen eingereicht, die sich nur bezüglich der angefochtenen und beigefügten Bescheide unterschieden. In allen Verfahren wurde
eine vom 02.09.2019 datierende Vollmacht vorgelegt. Aus dem Verfahrensverlauf ergibt sich, dass ein einheitlicher Auftrag
und ein einheitlicher Rahmen der anwaltlichen Tätigkeit vorgelegen haben. Zwar sind hier Individualansprüche verschiedener
Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft streitig, jedoch können auch mehrere Aufträge verschiedener Auftraggeber "dieselbe Angelegenheit"
sein und zwar auch dann, wenn die Angelegenheit verschiedene Gegenstände und teilweise getrennte Prüfaufgaben betrifft (vgl.
BSG, Urteil vom 02.04.2014, a.a.O., juris Rn. 16). Die Klageverfahren beruhten auf einem vollständig einheitlichen Lebenssachverhalt.
Streitig und sowohl für die Höhe der endgültigen Leistungsbewilligung als auch die der Erstattung relevant war allein die
Höhe von Absatzbeträgen vom Einkommen gemäß § 11b SGB II. Es wurden keine unterschiedlichen Einwände gegen die jeweiligen Verwaltungsakte vorgetragen und es waren auch keine unterschiedlichen
verfahrensrechtlichen Besonderheiten, wie beispielsweise subjektive Aufhebungsvoraussetzungen im Rahmen von § 48 des Sozialgesetzbuches
10. Buch, zu prüfen (vgl. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 30.11.2020 - L 13 AS 109/18 B -, juris Rn. 30; Thüringer LSG, Beschluss vom 17.10.2018 - L 1 SF 263/18 B -, juris Rn. 23).
Die Beschwerde ist gebührenfrei; Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 S. 2 und 3 RVG).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 56 Abs. 2 S. 1, § 33 Abs. 4 S. 3 RVG).