Tatbestand
Die Klägerin begehrt nach einem angenommenen Teilanerkenntnis weitere Unterkunftskosten für Oktober 2015 bis September 2016
iHv monatlich 125,24 € und für Oktober 2017 bis September 2018 iHv monatlich 115,24 €.
Bei der 1972 geborenen Klägerin besteht eine chronifizierte therapieresistente Zwangsneurose mit depressiven Phasen und Halluzinationen.
Sie hat Angst vor Bakterien und Verschmutzung sowie den Zwang, sich ständig waschen zu müssen. Sie hat gemeinsam mit dem Zeugen
T eine 1998 geborene Tochter, mit der sie in den hier streitigen Zeiträumen in einer Wohnung lebte. Die Klägerin ist voll
erwerbsgemindert und bezieht eine entsprechende Rente, die sich ab dem 01.07.2015 auf 537,81 € belief. Darüber hinaus erhält
sie Pflegegeld nach dem Pflegegrad 2, ein entsprechendes Anerkenntnis hatte die Pflegekasse Anfang 2019 nach einer Beweisaufnahme
in einem sozialgerichtlichen Verfahren (Sachverständigengutachten Dr. X) abgegeben und die Leistungen rückwirkend ab Januar
2017 nachgezahlt. Über weiteres Einkommen und anzurechnendes Vermögen verfügt sie nicht. Die Tochter bezog in den streitigen
Zeiträumen Grundsicherung nach dem SGB II. Der Zeuge bewohnt eine eigene Wohnung, er ist die Pflegeperson der Klägerin und sucht diese regelmäßig auf.
Die Klägerin bewohnte mit ihrer Tochter zunächst eine Wohnung in der Y-Straße 12 in H. Am 29.01.2015 beantragte sie bei der
Beklagten die Zustimmung zum Umzug in eine Wohnung in der I-Straße 5 in H. Diese Wohnung hat eine Wohnfläche von 72 qm und
kostet im gesamten streitige Zeitraum monatlich 375,24 € zzgl. 120 € Abschlag für die Betriebskosten, insgesamt 495,24 € zuzüglich
der Heizkosten. Die bisherige Wohnung sei von Schimmel befallen, dies sei nicht zumutbar, zumal die Tochter Asthmatikerin
sei. Die neue Wohnung sei vollständig saniert, dies sei erforderlich, da sie aufgrund ihrer Zwangsstörung nicht in einer Wohnung
leben könne, in der sie das Gefühl habe, dass diese von anderen Personen beschmutzt worden sei. Die Klägerin legte auf Anforderung
der Beklagten mit Schreiben vom 19.02.2015 Atteste über ihre Zwangserkrankung und das Asthma der Tochter vor. Der Außendienst
der Beklagten bestätigte nach einem Hausbesuch am 19.02.2015 den Schimmelbefall der bisherigen Wohnung. Die Beklagte lehnte
den Antrag auf Zustimmung zum Umzug mit Bescheid vom 07.04.2015 ab. Grundsätzlich werde dem Umzug zugestimmt, aber die Wohnung
müsse angemessen sein. Die Mietobergrenze liege bei 290 € Kaltmiete zzgl. 80 € Betriebskosten und werde durch die neue Wohnung
deutlich überschritten. Die Klägerin mietete die Wohnung zum 01.05.2015 an und teilte der Beklagten am 16.06.2015 ihren Umzug
mit. Sie beglich die Unterkunftskosten in den hier streitigen Zeiträumen vollständig mit einem Darlehen des Zeugen, das sie
diesem Anfang 2019 aus der Nachzahlung des Pflegegeldes zurückzahlte.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 23.09.2015 Grundsicherung nach dem SGB XII für Oktober 2015 bis September 2016. Dabei berücksichtigte sie monatlich mit 185 € die Hälfte der nach ihrer Auffassung angemessenen
Unterkunftskosten von 370 €. Der Tochter wurden vom Jobcenter ebenfalls 185 € Unterkunftskosten bewilligt. Die Klägerin legte
gegen den Bescheid am 16.10.2015 Widerspruch ein. Die Rente der Klägerin erhöhte sich zum 01.07.2016 auf 559,39 €. Mit Änderungsbescheid
vom 23.06.2016 rechnete die Beklagte ab dem 01.07.2016 die Rentenerhöhung auf die Leistungen an. Mit Änderungsbescheid vom
26.09.2016 bewilligte die Beklagte ab dem 01.09.2016 zusätzlich die Hälfte der tatsächlichen Heizkosten. Mit Bescheid vom
23.11.2017 bewilligte die Beklagte Grundsicherung für Oktober 2017 bis September 2018. Dabei berücksichtigte sie mit 190 €
die Hälfte der nach ihrer Auffassung angemessenen Unterkunftskosten von 380 € und die Hälfte der Heizkosten iHv 83 €. Der
Tochter wurden vom Jobcenter ebenfalls 190 € Unterkunftskosten bewilligt. Die Klägerin legte gegen den Bescheid am 07.12.2017
Widerspruch ein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2018, der Klägerin zugestellt am 22.05.2018, wies die Beklagte die Widersprüche gegen die
Bescheide vom 23.09.2015 und 23.11.2017 zurück. Die Unterkunftskosten der Klägerin seien nicht angemessen, da nach den für
die Beklagte geltenden Richtlinien die Mietobergrenze für einen Zweipersonen-Haushalt bis zum 30.06.2017 bei 370 € (Grundmiete
290 € und Betriebskosten 80 €) gelegen habe und ab dem 01.07.2017 bei 380 € (Grundmiete 300 € und Betriebskosten 80 €) liege.
Entsprechende Leistungen seien der Klägerin bewilligt worden. Der Umstand, dass die Klägerin aufgrund ihres Gesundheitszustandes
auf eine vollständig renovierte Wohnung angewiesen sei, stelle keinen Grund dar, auf Dauer unangemessene Unterkunftskosten
anzuerkennen.
Die Klägerin hat am 28.05.2018 Klage erhoben. Ihre Unterkunftskosten seien vollständig zu übernehmen, da sie angemessen seien.
Sie sei auf eine renovierte Wohnung angewiesen.
Die Rente der Klägerin hat sich am 01.07.2018 auf 587,10 € erhöht. Mit Änderungsbescheid vom 25.06.2018 hat die Beklagte ab
dem 01.07.2018 die Rentenerhöhung angerechnet.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 23.09.2015 und 23.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2018
zu verurteilen, ihr höhere Leistungen nach dem SGB XII in Form der tatsächlichen Unterkunftskosten für den Zeitraum von Oktober 2015 bis September 2016 und für den Zeitraum von
Oktober 2017 bis September 2018 zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Ein weitergehender Anspruch auf Unterkunftskosten bestehe nicht, da die angemessenen Kosten auf der Grundlage eines schlüssigen
Konzepts ermittelt worden seien (Bezugnahme auf BSG Urteil vom 17.09.2020 - B 4 AS 22/20 R, LSG Nordrhein-Westfalen Urteil vom 05.12.2019 - L 7 AS 1764/18). Der Umstand, dass die Klägerin aus gesundheitlichen Gründen nur eine renovierte Wohnung beziehen könne, führe nicht zu
einem anderen Ergebnis. Denn es stünden ausreichend renovierte Wohnungen zur Verfügung und der Klägerin könne eine Beihilfe
für eine Einzugsrenovierung bewilligt werden.
Das Sozialgericht hat Herrn T als Zeugen vernommen. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Mit Urteil vom 15.06.2021, der Klägerin zugestellt am 30.06.2021, hat das Sozialgericht die Beklagte unter Abänderung der
Bescheide vom 23.09.2015 und 23.11.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.05.2018 verurteilt, der Klägerin von
Oktober 2015 bis September 2016 und von Oktober 2017 bis September 2018 weitere Leistungen für die Unterkunft iHv weiteren
22,50 € zu gewähren. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Die zulässige Klage sei nur im Hinblick auf die Nebenkosten begründet.
Die Klägerin habe nur einen Anspruch auf Übernahme der angemessenen Unterkunftskosten, da die Beklagte dem Umzug nicht zugestimmt
habe. Die monatlichen Unterkunftskosten der Klägerin iHv 495,24 Euro (375,24 € Grundmiete sowie 120 € Betriebskosten) seien
nicht angemessen. Die Kaltmiete sei von der Beklagten zutreffend iHv 290 € bzw. ab dem 01.07.2017 iHv 300 € bewilligt worden,
denn insoweit beruhe die Angemessenheitsgrenze der Beklagten auf einem schlüssigen Konzept. Demgegenüber sei bei den Betriebskosten
der Landesbetriebskostenspiegel Nordrhein-Westfalen zugrunde zu legen. Dieser enthalte einen angemessenen Wert von 1,92 €
pro Quadratmeter, sodass für einen Zwei-Personen-Haushalt mit einer angemessenen Wohnfläche von 65 m² ein Wert von 125 € anzuerkennen
sei. Dieser Betrag liege 45 € über der Angemessenheitsgrenze der Beklagten, wovon die Klägerin die Hälfte als zusätzliche
Leistungen beanspruchen könne. Die Unterkunftskosten der Klägerin seien auch konkret unangemessen. Die Beklagte habe nachgewiesen,
dass angemessene Wohnungen in ausreichender Anzahl verfügbar seien, darunter auch renovierte Wohnungen. Darüber hinaus sei
nach Absprache mit der Beklagten eine Unterstützung für eine weitere ggf notwendige Einzugsrenovierung mit zB einer gesamten
Desinfektion der Wohnung durchaus möglich gewesen. Die Klägerin habe diese Absprache jedoch nicht gesucht. Sie habe auch nicht
nachgewiesen, dass die weiteren verfügbaren Wohnungen ihren Anforderungen nicht genügten und die von ihr angemietete Wohnung
als einzige dem tatsächlich erforderlichen Standard der Sanierung entsprach und dieser Standard in den anderen kostengünstigeren
Wohnungen auch durch weitere Renovierungsmaßnahmen nicht erreichbar gewesen wäre. Darüber hinaus habe sie durch ihren Umzug
gezeigt, dass ihr grundsätzlich ein Umzug in eine andere Wohnung zumutbar gewesen sei. Die Zahlungen des Zeugen in Höhe von
monatlich 100 € führten nicht zu einer Bedarfsdeckung, da es sich lediglich um ein Darlehen gehandelt habe, das die Klägerin
zwischenzeitlich zurückgezahlt habe.
Die Klägerin hat am 12.07.2021 Berufung eingelegt. Die Unterkunftskosten seien vollständig zu übernehmen. Die Klägerin habe
alles Mögliche getan, um eine kostengünstige und ihrem Krankheitsbild entsprechende Wohnung zu finden. Dies werde bestätigt
durch die Aussage des Zeugen.
Die Beklagte hat den geltend gemachten Anspruch in der mündlichen Verhandlung am 08.09.2022 insoweit anerkannt, als sie die
die Hälfte der tatsächlichen Heizkosten bereits ab dem 01.10.2015 übernimmt. Die Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 15.06.2021 zu ändern und die Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 23.09.2015
und der Änderungsbescheide vom 23.06.2016 und 26.09.2016 sowie des Bescheides vom 23.11.2017, alle in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 16.05.2018 sowie des Bescheides vom 25.06.2018 zu verurteilen, von Oktober 2015 bis September 2016 weitere Unterkunftskosten
iHv monatlich insgesamt 125,24 € und von Oktober 2017 bis September 2018 weitere Unterkunftskosten iHv monatlich insgesamt
115,24 € zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält das Urteil des Sozialgerichts für zutreffend. Ein Anspruch auf weitergehende Unterkunftskosten bestehe nicht.
Der Senat hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen T. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das
Sitzungsprotokoll Bezug genommen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf
die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
I. Die Berufung ist gemäß §§
143,
144 SGG statthaft und auch sonst zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden (§§
151 Abs.
1,
64 Abs.
2 SGG). Die Berufungssumme des §
144 Abs.
1 Nr.
1 SGG iHv 750 € wird erreicht und die Berufung betrifft laufende Leistungen für mehr als ein Jahr.
II. Die Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht nur teilweise stattgegeben. Die Klägerin hat Anspruch
auf weitere Unterkunftskosten für Oktober 2015 bis September 2016 iHv monatlich insgesamt 125,24 € und für Oktober 2017 bis
September 2018 iHv monatlich insgesamt 115,24 €.
1. Streitgegenstand des Verfahrens sind die Bescheide vom 23.09.2015 und vom 23.11.2017 jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 16.05.2018, mit denen die Beklagte Leistungen für Oktober 2015 bis September 2016 und Oktober 2017 bis September 2018
bewilligt hat. Es sind nur die Leistungen für Unterkunft und Heizung streitig. Bei diesen handelt es sich um abtrennbare selbstständige
Ansprüche (BSG Urteil vom 14.04.2011 - B 8 SO 18/09 R) und die Klägerin hat ihr Begehren im erstinstanzlichen Verfahren entsprechend beschränkt.
Dementsprechend werden die Änderungsbescheide, die die Unterkunfts- und Heizkosten ändern, gem. §
86 SGG bzw. §
96 SGG, Gegenstand des Verfahrens. Dies ist bei den Bescheiden vom 23.06.2016 und 25.06.2018, mit denen jeweils die Rentenerhöhungen
angerechnet worden sind, und dem Bescheid vom 26.09.2016, geändert durch das Teilanerkenntnis vom 08.09.2022, mit dem die
Heizkosten ab Oktober 2015 anerkannt worden sind, der Fall. Die Klägerin macht ihren Anspruch zutreffend mit der Anfechtungs-
und Leistungsklage (§
54 Abs.
4 SGG) geltend.
2. Die Klägerin erfüllte in den streitigen Zeiträumen die Voraussetzungen des § 41 Abs. 1 und 3 SGB XII. Sie hatte ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Inland, konnte ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend
aus Einkommen und Vermögen nach § 43 SGB XII bestreiten und war voll erwerbsgemindert. Die Beklagte ist sachlich und örtlich zuständig (§ 46b Abs. 1 SGB XII i.V.m. § 1 Abs. 3 AG-SGB XII NRW). Die Klägerin hatte ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort im Zuständigkeitsbereich der Beklagten. Diese ist der örtliche
Träger der Sozialhilfe (§§ 3 Abs. 2, 97 Abs. 1 SGB XII). Abweichende landesrechtliche Regelungen bestehen nicht.
3. Die Bedarfe für Unterkunft und Heizung werden in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen
sind (§ 35 SGB XII). Zur Berechnung dieser Bedarfe sind die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung, deren Angemessenheit und
ihre Verteilung auf die in der Wohnung lebenden Personen zu ermitteln sowie ggfs. weitere mögliche Einwände zu prüfen (BSG Urteil vom 22.08.2013 - B 14 AS 85/12 R). Die tatsächlichen Aufwendungen für die Unterkunft belaufen sich von Oktober 2015 bis September 2016 und von Oktober 2017
bis September 2018 durchgehend auf 495,24 € (Kaltmiete 375,24 € zzgl. 120 € Nebenkosten). Eine Zusicherung zur Übernahme dieser
Kosten hat die Beklagte nicht erteilt, so dass diese nicht allein deshalb zu übernehmen sind (§ 35 Abs. 2 Satz 4 SGB XII).
Die Ermittlung des angemessenen Umfangs der Aufwendungen für Unterkunft und Heizung hat nach ständiger Rechtsprechung des
BSG (Urteil vom 17.09.2020 - B 4 AS 22/20 R mwN) in zwei größeren Schritten zu erfolgen: Zunächst sind die abstrakt angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft, bestehend
aus Nettokaltmiete und kalten Betriebskosten (Bruttokaltmiete), zu ermitteln. Sodann ist die konkrete Angemessenheit dieser
Aufwendungen- insbesondere auch im Hinblick auf die Zumutbarkeit der notwendigen Einsparungen einschließlich eines Umzugs
- zu prüfen. Die Ermittlung der abstrakt angemessenen Aufwendungen hat unter Anwendung der sog. Produkttheorie (Wohnungsgröße
in Quadratmeter multipliziert mit dem Quadratmeterpreis) in einem mehrstufigen Verfahren zu erfolgen. Zunächst ist die (abstrakt)
angemessene Wohnungsgröße für die leistungsberechtigte(n) Person(en) zu bestimmen, sodann der angemessene Wohnungsstandard.
Anschließend ist die aufzuwendende Nettokaltmiete für eine nach Größe und Wohnungsstandard angemessene Wohnung in dem maßgeblichen
örtlichen Vergleichsraum nach einem schlüssigen Konzept unter Einbeziehung der angemessenen kalten Betriebskosten zu ermitteln
(BSG Urteil vom 17.09.2020 - B 4 AS 22/20 R mwN).
Die von der Beklagten zugrunde gelegten Angemessenheitswerte für die Kaltmiete beruhen nach der Rechtsprechung des LSG Nordrhein-Westfalen
(Urteil vom 05.12.2019 - L 7 AS 1764/18) und des BSG (Urteil vom 17.09.2020 - B 4 AS 22/20 R) auf einem schlüssigen Konzept. Zwar hat das BSG das Verfahren hinsichtlich der kalten Betriebskosten an das LSG zurückverwiesen, die weiteren Ermittlungen haben jedoch nicht
zu einem weitergehenden Anspruch geführt, so dass die Klage in dem Verfahren L 7 AS 145/21 ZVW zurückgenommen wurde.
Im Rahmen der abstrakten Angemessenheit folgt ein Anspruch auf höhere Unterkunftskosten nicht aus dem Umstand, dass die Klägerin
aufgrund ihrer Erkrankung auf eine vollständig sanierte Wohnung angewiesen ist. Bei der Bestimmung der für die abstrakte Angemessenheit
maßgeblichen Faktoren (abstrakt angemessener Wohnfläche, maßgeblicher Vergleichsraum und abstrakt angemessener, im Quadratmeterpreis
ausgedrückter Wohnungsstandard) sind persönliche Lebensumstände des Hilfebedürftigen, auch wenn sie für bestimmte Personengruppen
typisch sein mögen, nicht einzubeziehen (BSG Urteile vom 02.09.2021 - B 8 SO 13/19 R und vom 22.08.2012 - B 14 AS 13/12 R).
Nach § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII sind die Aufwendungen für die Unterkunft, die den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, als
Bedarf anzuerkennen. solange es der betroffenen Person nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel,
durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Die Vorschrift
begründet eine Obliegenheit zur Kostensenkung (BSG Urteil vom 27.02.2008 - B 14/7b AS 70/06 R; BSG Urteil vom 19.02.2009 - B 4 AS 30/08 R jeweils zur Parallelvorschrift im SGB II). Es ist in diesem Rahmen zu überprüfen, ob Kostensenkungsmaßnahmen sowohl subjektiv zumutbar als auch objektiv möglich sind
(BSG Urteil vom 15.06.2016 - B 4 AS 36/15 R). Dabei können die persönlichen Lebensumstände des Leistungsberechtigten zu erheblich eingeschränkten Obliegenheiten zur
Kostensenkung führen (BSG Urteil vom 02.09.2021 - B 8 SO 13/19 R).
Die Klägerin trifft keine Obliegenheit zur Kostensenkung. Sie kann keine andere Wohnung anmieten, da sie dazu aufgrund ihrer
Erkrankung nicht in der Lage ist. Dabei kann offen bleiben, ob es bereits an der Fähigkeit fehlt, ein geordnetes Gespräch
zu führen, wie es der Sachverständige Dr. X in seinem Gutachten vom 24.10.2018 beschreibt. Danach sei die Klägerin nicht in
der Lage gewesen, ihren Tagesablauf zu schildern, sondern sei immer wieder auf die Themen Verschmutzung und Bakterien zurückgekommen.
Dem steht allerdings entgegen, dass die Klägerin nach der Aussage des Zeugen durchaus Telefongespräche mit potentiellen Vermietern
führen könnte und auch in der Lage sei, sich schriftlich zu äußern. Letztlich kommt es darauf jedoch nicht an, denn die Klägerin
ist jedenfalls ohne Hilfe nicht in der Lage, die notwendigen Wohnungsbesichtigungen durchzuführen. Das folgt sowohl aus dem
Gutachten des Sachverständigen Dr. X vom 24.10.2018, der der Klägerin jegliche soziale Kompetenzen abspricht, als auch aus
der Aussage des Zeugen. Dieser hat bekundet, dass die Klägerin aufgrund ihrer psychischen Erkrankung nicht in der Lage sei,
sich allein eine potentielle neue Wohnung anzusehen. Der Senat hält diese Aussage für glaubhaft, denn der Zeuge hat die bestehende
Krankheit der Klägerin bei seiner Vernehmung nicht dramatisiert, sondern ihre Kompetenzen im Hinblick auf Telefongespräche
und schriftliche Mitteilungen eingeräumt. Vor diesem Hintergrund gibt es keinen Grund, seiner Aussage im Hinblick auf die
Wohnungsbesichtigungen nicht zu glauben.
Ist die Klägerin zur selbstständigen Durchführung von Wohnungsbesichtigungen nicht in der Lage, kann sie auch keine Wohnung
anmieten. Die Besichtigungen dienen nicht nur dazu, dass der Mietinteressent die Wohnung in Augenschein nehmen kann, sondern
auch dazu, dass sich der potentielle Vermieter ein Bild von dem Interessenten machen kann. Vor diesem Hintergrund ist ein
persönliches Erscheinen zwingend erforderlich, um eine Wohnung anmieten zu können.
In einer solchen Konstellation, in der die Klägerin selbst keine andere Wohnung anmieten kann, sind die Unterkunftskosten
zu übernehmen, bis der Betroffene entsprechende Unterstützung bei der Wohnungssuche tatsächlich erhält (Krauß in: Hauck/Noftz
SGB II, § 22, Rn. 176). Die Beklagte hätte der Klägerin daher eine Unterstützung bei der Wohnungssuche anbieten müssen. Sie wusste
spätestens aufgrund des ärztlichen Attestes vom 11.02.2015, dass bei der Klägerin eine Zwangsstörung besteht und sie daher
auf eine voll renovierte Wohnung angewiesen ist. Es war für die Beklagte auch zu erkennen, dass die Klägerin Hilfe bei der
Wohnungssuche benötigt, jedenfalls hätte das ärztliche Attest sie zu entsprechenden Nachfragen veranlassen müssen. Das ist
jedoch nicht erfolgt, stattdessen wurde der Antrag auf Zustimmung zum Umzug (erst) mit Bescheid vom 07.04.2015 abgelehnt.
Die Unterstützung durch die Beklagte hätte zB so aussehen können, dass sie ihr selbst eine Wohnung vermittelt, die den Anforderungen
der Klägerin entspricht. Oder sie hätte ihr Sozialleistungen bewilligen können, mit denen sie entsprechende Dienstleistungen
in Anspruch nehmen kann. Die Übernahme von Wohnungsbeschaffungskosten, zB für einen Makler, ist in § 35 Abs. 2 Satz 5 SGB XII ausdrücklich vorgesehen. Darüber hinaus kommen zB unterstützende Maßnahmen durch den Sozialhilfeträger auf Grundlage von
§§ 67, 68 SGB XII (Krauß in: Hauck/Noftz SGB II, § 22, Rn. 176) und Hilfen bei der Beschaffung, dem Umbau, der Ausstattung und der Erhaltung einer Wohnung, die den besonderen
Bedürfnissen der behinderten Menschen entspricht, nach 55 Abs.
2 Nr.
5 SGB IX aF (jetzt §
113 Abs.
2 Nr.
1 SGB IX i.V.m. §
77 Abs.
1 SGB IX) in Betracht. Ohne dass dies im vorliegenden Verfahren zu entscheiden wäre, hatte die Klägerin Anspruch auf solche Leistungen,
denn bei ihrer Zwangsstörung handelt es sich um eine wesentliche Behinderung iSv § 53 Abs. 1 SGB XII aF (jetzt §
99 Abs.
1 SGB IX) i.V.m. mit § 3 Eingliederungshilfe-Verordnung. Erst wenn ihr Leistungen bewilligt werden, mit denen sie eine andere bedarfsgerechte Wohnung finden kann, kommt der Verweis
auf eine abstrakt angemessene Wohnung in Betracht.
Das Ergebnis würde sich nicht ändern, wenn die Klägerin keine angemessene Wohnung finden konnte, weil der Zeuge T ihr bei
der Wohnungssuche nicht in ausreichendem Maße geholfen hat. Offen bleiben kann, ob ein etwaiges Verschulden innerhalb von
Einstandsgemeinschaften nach § 27 Abs. 2 SGB XII zugerechnet werden muss, denn eine solche lag nicht vor. Die Obliegenheit zur Kostensenkung trifft gem. § 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 SGB XII nur Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Absatz 2 zu berücksichtigen sind. Nach § 27 Abs. 2 SGB XII sind bei nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern das Einkommen und Vermögen beider Ehegatten oder Lebenspartner
gemeinsam zu berücksichtigen. Gleiches gilt für Personen, die in eheähnlicher oder lebenspartnerschaftsähnlicher Gemeinschaft
leben, denn diese dürfen gem. § 20 SGB XII hinsichtlich der Voraussetzungen sowie des Umfangs der Sozialhilfe nicht besser gestellt werden als Ehegatten. Zwischen der
Klägerin und dem Zeugen besteht jedoch weder eine Ehe, noch eine eheähnliche Gemeinschaft. Letzteres scheitert schon daran,
dass die beiden nicht in einem Haushalt zusammenleben (vgl. § 7 Abs. 3 Nr. 3c SGB II). Ein etwaiges Verschulden des Zeugen T bei der Wohnungssuche könnte der Klägerin daher nur zugerechnet werden, wenn sie
ihn zur Erfüllung ihrer Obliegenheiten gegenüber der Beklagten eingeschaltet hätte. Dafür gibt es jedoch keine Anhaltspunkte,
sondern der Zeuge ist tätig geworden, um der Klägerin und der gemeinsamen Tochter zu helfen. Es handelt sich um eine reine
Gefälligkeit, die nicht zur Grundlage einer Verschuldenszurechnung gemacht werden kann.
Der Anwendung der Schutzvorschrift des § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII steht nicht entgegen, dass diese Bestimmung grundsätzlich voraussetzt, dass der Leistungsberechtigte die unangemessen teure
Wohnung bei Eintritt der Hilfebedürftigkeit bereits bewohnt (dazu Wrackmeyer-Schoene in Grube/Wahrendorf/Flint, SGB XII, § 35 Rn. 49). Der Wortlaut der Vorschrift lässt auch eine weitere Auslegung zu. Entscheidend für die Anwendung der Schutzvorschrift
ist allein, dass es der betroffenen Person - wie hier - nicht möglich ist (ohne Hilfe) die unangemessenen Unterkunftskosten
zu senken.
4. Der Anspruch der Klägerin beinhaltet die vollständige Übernahme der Kosten, soweit diese nicht bereits durch die Beklagte
und für die Tochter durch das Jobcenter getragen worden sind. Daraus ergibt sich im Zeitraum Oktober 2015 bis September 2016
ein Anspruch iHv monatlich 125,24 € und für Oktober 2017 bis September 2018 iHv monatlich 115,24 €. Zwar sind die Aufwendungen
für Unterkunft und Heizung nach gefestigter Rechtsprechung des BSG im Regelfall unabhängig von Alter und Nutzungsintensität anteilig pro Kopf aufzuteilen, wenn Hilfebedürftige eine Unterkunft
gemeinsam mit anderen Personen nutzen (BSG Urteil vom 22.08.2013 - B 14 AS 85/12 R). Hintergrund für dieses auf das BVerwG (Urteil vom 21.01.1988 - 5 C 68/85) zurückgehende "Kopfteilprinzip" sind Gründe der Verwaltungsvereinfachung sowie die Überlegung, dass die gemeinsame Nutzung
einer Wohnung durch mehrere Personen deren Unterkunftsbedarf dem Grunde nach abdeckt und in aller Regel eine an der unterschiedlichen
Intensität der Nutzung ausgerichtete Aufteilung der Aufwendungen für die Erfüllung des Grundbedürfnisses Wohnen nicht zulässt.
Eine Ausnahme vom Kopfteilprinzip ist indes anerkannt bei einem über das normale Maß hinausgehenden Bedarf einer der in der
Wohnung lebenden Person wegen Behinderung oder Pflegebedürftigkeit (BSG Urteil vom 22.08.2013 - B 14 AS 85/12 R). Dies setzt voraus, dass nach den Umständen des Einzelfalls tatsächliche Aufwendungen eindeutig dem zB wegen Behinderung
oder Pflegebedürftigkeit spezifischen Unterkunftsbedarf eines bestimmten Bewohners zugeordnet werden können (Urteil des Senates
vom 08.09.2022 - L 9 SO 403/20; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 23. Mai 2018 - L 13 AS 59/16). So liegt der Fall hier, denn die weitergehenden Kosten, die lediglich aufgrund der fehlenden Fähigkeit der Klägerin, eine
andere Wohnung anzumieten zu übernehmen sind, können ausschließlich ihr als behinderungsbedingtem Mehrbedarf zugeordnet werden.
5. Dem Anspruch der Klägerin steht nicht entgegen, dass die Unterkunftskosten im streitigen Zeitraum aufgrund der Zuwendung
eines Darlehens durch den Zeugen bereits vollständig beglichen sind. Nach der Rechtsprechung des BSG steht der Bewilligung von Sozialhilfeleistungen bei einer rechtswidrigen Ablehnung eine zwischenzeitliche Bedarfsdeckung
im Wege der Selbsthilfe oder Hilfe Dritter nicht entgegen (BSG Urteil vom 26.10.2017 - B 8 SO 11/16 R mwN; für Eingliederungshilfeleistungen BSG Urteil vom 22.03.2012 - B 8 SO 30/10 R).
II. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
III. Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§
160 Abs.
2 Nr.
1 SGG).