Gründe
I.
Zwischen den Beteiligten ist die Bewertung der vom Kläger vom 3. Mai 1977 bis zum 28. Oktober 1978 im Beitrittsgebiet zurückgelegten
Zeiten des Wehrdienstes nach dem
Sechsten Buch Sozialgesetzbuch (Gesetzliche Rentenversicherung -
SGB VI) umstritten.
Die Beklagte bewilligte dem am ... 1957 geborenen Kläger ab dem 1. April 2021 Altersrente für besonders langjährig Versicherte
(Bescheid vom 11. Januar 2021). Dabei berücksichtigte sie die Pflichtbeitragszeiten für den im Beitrittsgebiet zurückgelegten
Wehrdienst ausgehend von 0,75 Entgeltpunkten für jedes volle Kalenderjahr anteilig für den Zeitraum vom 3. Mai 1977 bis zum
28. Oktober 1978.
Mit dem hiergegen am 22. Januar 2021 eingelegten Widerspruch verfolgte der Kläger die Bewertung der Grundwehrdienstzeit bei
der Nationalen Volksarmee (NVA) mit 1,0 Entgeltpunkten pro Jahr entsprechend der Bewertung für denselben Zeitraum des Wehrdienstes
im „Altbundesgebiet“ gemäß §
256 Abs.
3 S. 1
SGB VI.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. März 2021 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Ein Anspruch auf Bewertung
der Zeit des Grundwehrdienstes im Beitrittsgebiet für die Zeit vom 3. Mai 1977 bis zum 28. Oktober 1978 mit einem Entgeltpunkte
bestehe nicht. Im Beitrittsgebiet seien für die Zeiten des Grundwehrdienstes von der NVA bzw. vom Staat keine Beiträge zur
Sozialversicherung gezahlt worden. Die Zeit des Grundwehrdienstes sei nach den Regelungen im Beitrittsgebiet eine versicherungspflichtige
Tätigkeit in der Sozialversicherung der DDR gewesen, wobei die Beitragszahlung zur Sozialversicherung während dieser Zeit
geruht habe. Um gleichwohl Zeiten des gesetzlichen Wehrdienstes im Beitrittsgebiet in die Rentenberechnung nach gesamtdeutschen
Recht einfließen lassen zu können, sei in §
256a Abs.
4 SGB VI normiert worden, dass im Beitrittsgebiet bis zum 31. Dezember 1981 zurückgelegte Grundwehrdienstzeiten mit 0,75 Entgeltpunkten
pro Kalenderjahr zu bewerten seien. Für vom 1. Mai 1961 bis zum 31. Dezember 1981 in den alten Bundesländern zurückgelegte
Zeiten des gesetzlichen Wehrdienstes seien tatsächlich Beiträge vom Bund eingezahlt worden, weshalb diese Zeiten eine Bewertung
mit einem Entgeltpunkt erhielten. Die hiervon abweichende Regelung des §
256a Abs.
4 SGB VI sei vom Gesetzgeber mit der tatsächlich fehlenden Beitragszahlung im Beitrittsgebiet begründet worden. Ab dem 1. Januar 1982
seien Grundwehrdienstzeiten sowohl im alten Bundesgebiet als auch im Beitrittsgebiet mit 0,75 Entgeltpunkten bzw. 0,75 Entgeltpunkten
(Ost) pro Jahr zu bewerten.
Hiergegen hat der Kläger am 1. April 2021 Klage beim Sozialgericht Halle erhoben. Der Rentenbescheid der Beklagten verstoße
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art.
3 Abs.
1 Grundgesetz (
GG) und sei daher rechtswidrig und abzuändern. Nach Art.
3 Abs.
1 GG dürfe insbesondere niemand wegen seiner Heimat und Herkunft benachteiligt werden. Eine entsprechende Ungleichbehandlung sei
vorliegend gegeben, da gemäß §
256 Abs.
3 S. 1
SGB VI der Wehrdienst bzw. der Zivildienst zwischen 1961 und 1981 in den alten Bundesländern pro Kalenderjahr mit einem Entgeltpunkte
berücksichtigt werde, wohingegen im Beitrittsgebiet lediglich eine Berücksichtigung mit 0,75 Entgeltpunkten erfolge. Wegen
der Verfassungswidrigkeit der angewendeten Norm sei eine Richtervorlage gemäß Art.
100 Abs.
1 GG, §§ 80 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz angezeigt.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 15. Juni 2021 abgewiesen. Der Bescheid der Beklagten vom 11. Januar 2021 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2021 sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Die
Beklagte habe bei der Rentenberechnung das geltende Recht richtig angewandt. Nach §
256a Abs.
4 SGB VI seien für Zeiten vor dem 1. Januar 1992, in denen Personen aufgrund gesetzlicher Pflicht mehr als drei Tage Wehrdienst oder
Zivildienst im Beitrittsgebiet geleistet hätten, für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte, für jeden Teilzeitraum der
entsprechende Anteil zugrunde zu legen. Diese Vorschrift verstoße nicht gegen das
Grundgesetz. Art.
3 Abs.
1 GG gebiete, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit sei dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung
verwehrt. Dem Gesetzgeber sei bei der Neuordnung sozialrechtlicher Rechtsverhältnisse im Zusammenhang mit der Wiedervereinigung
ein besonders großer Gestaltungsspielraum zuzubilligen gewesen (Hinweis auf den Nichtannahmebeschluss des Bundesverfassungsgerichts
[BVerfG] vom 13. Dezember 2002 - 1 BvR 1144/00 -, juris RdNr. 15). Vorliegend habe der Gesetzgeber differenzierende Regelungen insoweit treffen dürfen, als dass für einen
Grundwehrdienstleistenden im Zeitraum 1977/78 nach dem damals geltenden Recht der Bundesrepublik Deutschland tatsächlich Beiträge
zur Rentenversicherung gezahlt worden seien, für einen Grundwehrdienstleistenden in der DDR hingegen nicht. Der Kläger werde
damit nicht wegen seiner Heimat oder Herkunft benachteiligt, da die Bewertung seiner Wehrdienstzeit nicht an seine Heimat
oder Herkunft anknüpfe. Es liege auch kein Verstoß gegen Art.
14 Abs.
1 GG vor, da Rentenanwartschaften, die in der DDR begründet worden seien und im Zeitpunkt des Beitritts zur Bundesrepublik bestanden,
am Schutz des Art.
14 GG nur in der Form teilnähmen, die sie aufgrund des Eingliederungsvertrages (gemeint: Einigungsvertrages) erhalten hätten.
Der Kläger hat gegen das ihm am 2. August 2021 zugestellte Urteil am 4. August 2021 Berufung beim Landessozialgericht Sachsen-Anhalt
eingelegt. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem ersten Rechtszug wiederholt. Der streitgegenständliche Rentenbescheid
der Beklagten basiere auf der Regelung des §
256 Abs.
3 S. 1
SGB VI, welche aufgrund des Verstoßes gegen Art.
3 Abs.
1 GG verfassungswidrig sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf Blatt 64 bis 66 der Gerichtsakte
Bezug genommen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 15. Juni 2021 abzuändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 11.
Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2021 zu verurteilen, ihm unter Bewertung seiner Grundwehrdienstzeiten
vom 3. Mai 1977 bis zum 28. Oktober 1978 mit einem Entgeltpunkt pro Kalenderjahr eine höhere Rente nach den gesetzlichen Vorschriften
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Halle vom 15. Juni 2021 zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil und ihren Bescheid für rechtmäßig.
Mit gerichtlichem Schreiben vom 3. Januar 2022 ist der Kläger darauf hingewiesen worden, dass keine Bedenken des Senats gegen
die dem angefochtenen Bescheid zugrundeliegende Anwendbarkeit des §
256a Abs.
4 SGB VI in der ab dem 1. Juli 2019 geltenden Fassung bestünden und die Rücknahme der Berufung angeregt werde. Soweit das Rechtsmittel
aufrechterhalten bleibe, sei beabsichtigt, über die Berufung durch Beschluss gemäß §
153 Abs.
4 Sozialgerichtsgesetz (
SGG) zu entscheiden. Die Beklagte hat eine Abschrift dieses Schreibens erhalten. Der Kläger hat hierzu am 5. Januar 2022 mitgeteilt,
er nehme die Berufung nicht zurück.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte
und der Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der Entscheidungsfindung des Senats gewesen sind, Bezug genommen.
II.
Die Berufsrichter des Senats durften über die Berufung durch Beschluss entscheiden, da sie das Rechtsmittel einstimmig für
unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Die Beteiligten sind vorher gehört worden (§
153 Abs.
4 SGG).
Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger ist durch
den angefochtenen Bescheid vom 11. Januar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. März 2021 nicht beschwert (§§
153 Abs.
1,
54 Abs.
2 S. 1
SGG). Ihm steht ein Anspruch auf Bewilligung einer höheren Altersrente nicht zu. Insbesondere die verfolgte Bewertung der vom
Kläger vom 3. Mai 1977 bis zum 28. Oktober 1978 im Beitrittsgebiet zurückgelegten Zeiten des Wehrdienstes mit 1,0 Entgeltpunkten
gemäß §
256 Abs.
3 S. 1 2. Alt
SGB VI kommt nicht in Betracht, da der Kläger nicht vom Anwendungsbereich der Vorschrift erfasst ist. Da er seinen Wehrdienst im
Beitrittsgebiet zurückgelegt hat, richtet sich die Bewertung seiner Wehrdienstzeiten nach der insoweit spezialgesetzlichen
Regelung des §
256a Abs.
4 SGB VI, wonach für Zeiten vor dem 1. Januar 1992 für jedes volle Kalenderjahr 0,75 Entgeltpunkte und für jeden Teilzeitraum der
entsprechende Anteil zugrunde zu legen sind.
Soweit der Kläger demgegenüber anstatt der normierten 0,75 Entgeltpunkte die Bewertung der Wehrdienstzeit entsprechend §
256 Abs.
3 S. 1
SGB VI mit 1,0 Entgeltpunkten verfolgt und sich auf die Unvereinbarkeit des §
256 Abs.
3 S. 1
SGB VI mit Art.
3 Abs.
1 GG beruft, führt dies nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn selbst wenn §
256 Abs.
3 S. 1
SGB VI - wie der Kläger meint - wegen des Verstoßes gegen Art.
3 Abs.
1 GG verfassungswidrig wäre, wäre die Vorschrift zwar nicht anwendbar; es verbliebe aber bei der insoweit spezialgesetzlichen
Regelung des §
256a Abs.
4 SGB VI.
Die von §
256 Abs.
3 S. 1
SGB VI abweichende Bewertung der Wehrdienstzeiten im Beitrittsgebiet in §
256a Abs.
4 SGB VI verstößt gleichfalls nicht gegen das
Grundgesetz, insbesondere nicht gegen Art.
3 Abs.
1 GG und/oder gegen Art.
14 Abs.
1 GG. Zur Begründung verweist der Senat zum einen auf die zutreffenden Gründe in der erstinstanzlichen Entscheidung, die er sich
nach eigener Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht (§
153 Abs.
2 SGG). Zum anderen ist auf die Gesetzesbegründung zum Rentenüberleitungsgesetz (RÜG) zu §
256a Abs.
4 SGB VI zu verweisen, wonach eine Übertragung von im alten Bundesgebiet aufgrund tatsächlicher Beitragszahlung bestehenden unterschiedlichen
Werten auf das Beitrittsgebiet mangels entsprechender Regelungen nicht angezeigt gewesen sei (vgl. Diel in jurisPK-
SGB VI, 3. Aufl. 2021, §
256a SGB VI RdNr. 214 m.w.N.).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Gründe für eine Zulassung der Revision im Sinne von §
160 Abs.
2 SGG liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf - wie oben dargelegt - gesicherter Rechtsgrundlage,
ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG genannten Gerichte abweicht.