Vergütung von Sachverständigen im sozialgerichtlichen Verfahren
Kein Beginn der Ausschlussfrist des § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG von drei Monaten nach dem Eingang eines nicht unterschriebenen Gutachtens
Gründe:
I.
Die Beschwerdeführerin macht ihre Vergütung als Sachverständige geltend. Sie erstellte auf Grund der Beweisanordnung des Ausgangsgerichts
das Sachverständigengutachten vom 15. September 2018, das im gleichen Monat per Post beim Gericht einging, aber keine handschriftliche
Unterschrift trug.
Der Antrag der Beschwerdeführerin auf Vergütung nach dem JVEG ist am 3. Januar 2019 beim Sozialgericht eingegangen. Die Kostenbeamtin hat die Vergütung wegen Versäumung der Dreimonatsfrist
zur Geltendmachung abgelehnt.
Die Kammervorsitzende hat mit Beschluss vom 23. Mai 2019 eine Entschädigung der Sachverständigen abgelehnt, weil zwischen
dem Eingang des Gutachtens und dem des Entschädigungsantrags mehr als drei Monate vergangen seien, nach deren Ablauf der Entschädigungsanspruch
erloschen sei.
Gegen den postalisch zugestellten Beschluss wendet sich die Beschwerdeführerin mit der am 24. Juni 2019 beim Rechtsmittelgericht
eingegangenen Beschwerde. Sie trägt vor, sie sei noch mit Schreiben vom 25. Januar 2019 zur Nachreichung von Unterlagen aufgefordert
worden. Darauf komme es als Datum der letzten Heranziehung nach § 2 Abs. 1 S. 3 JVEG aber an. Zudem habe sie ihren Antrag schon am 20. Dezember 2018 abgesandt und mit dem rechtzeitigen Eingang rechnen dürfen.
Im Übrigen sei entsprechend dem Hinweis des Berichterstatters das Gutachten erst im Laufe des Beschwerdeverfahrens unterschrieben
und damit eine abrechenbare Leistung erbracht worden. Soweit die Beschwerdegegnerin die für das Aktenstudium angesetzten 10
Stunden für überhöht halte, habe sie auch die Auswertung der beim Aktenstudium gewonnenen Erkenntnisse darin einbezogen, wobei
die Komplexität der Angelegenheit zu berücksichtigen sei.
Die Beschwerdeführerin beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Magdeburg
vom 23. Mai 2019 aufzuheben und die geltend gemachte Vergütung in Höhe von 1.890,22 EUR festzusetzen, hilfsweise ihr gegen
die Versäumung der Frist zur Geltendmachung Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
Die Beschwerdegegnerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, eine Heranziehung im Sinne des JVEG sei nicht schon in der Aufforderung zur Nachsendung fremder Unterlagen zu sehen. Sie erfordere vielmehr die Anordnung einer
eigenen gutachtlichen Leistung des Sachverständigen. Auch sei nicht erklärlich, weshalb der am 1. Dezember 2018 ausgefüllte
Vergütungsantrag gerade am 20. Dezember 2018 abgesandt worden sein sollte. Dazu fehle konkreter Vortrag. Zudem seien auch
von diesem Datum bis zum Fristablauf gerade noch 3 Postbeförderungstage verblieben.
Im Übrigen habe die Sachverständige ihren Auftrag mit der Aufgabe des Gutachtens zur Post als erledigt angesehen. Da es so
letztlich verwertet worden sei, sei mit dem Eingang beim Sozialgericht die Vergütung fällig geworden. Für das Aktenstudium
von knapp 600 Seiten könnten nur sechs Stunden - eine Stunde pro 100 Seiten - berücksichtigt werden. Bei einem Vergütungssatz
von 100,- EUR, einem weiteren Aufwand von 1,5 Stunden für die Untersuchung, 3 Stunden für die Ausarbeitung und einer Stunde
für Diktat bzw. Korrektur ergäben sich 1.150,- EUR, nebst einem Honorar für besondere Leistungen in Höhe von 440,22 EUR insgesamt
1.590,22 EUR.
Das Sozialgericht hat der Beschwerde mit Vermerk vom 17. Februar 2020 nicht abgeholfen. Es hat dazu ausgeführt, ein vergütungsfähiges
Gutachten sei schon am 25. September 2019 beim Sozialgericht eingegangen. Die Verwertbarkeit scheitere nicht an der fehlenden
Unterschrift. Die Sachverständige habe den ordnungsgemäßen Ausgang nachfolgend mehrfach bestätigt. Eine verantwortliche Zeichnung
des Gutachtens sei nur erforderlich, wenn die Mitarbeit eines anderen Arztes dokumentiert werden müsste. Schon aus § 8a Abs. 2 JVEG lasse sich ableiten, dass auch eine nicht ordnungsgemäße Leistungserbringung durch den Sachverständigen trotzdem verwertbar
bleiben könne. Deshalb könne es für den Fristbeginn nur auf den Eingang des Gutachtens ankommen, sofern das Gericht den Sachverständigen
nicht zeitnah auf Fehler hinweise, die zur Unverwertbarkeit des Gutachtens führten.
Bei der Entscheidung haben neben der Beschwerdeakte die Hauptsacheakten des Sozialgerichts in drei Bänden und das zugehörige
Kostenheft vorgelegen. Hierauf wird wegen weiterer Einzelheiten Bezug genommen.
II.
Die gem. § 4 Abs. 3 des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) statthafte Beschwerde hat (überwiegend) Erfolg.
Darüber hatte der Senat gem. § 4 Abs. 7 S. 1 JVEG durch den Einzelrichter zu entscheiden.
Die Beschwerde ist ordnungsgemäß beim Sozialgericht Magdeburg eingegangen. Maßgebliche und eingehaltene Frist war die Jahresfrist
des §
66 Abs.
2 S. 1 des
Sozialgerichtsgesetzes (
SGG); die für die Beschwerdeeinlegung und die dafür zuständigen Gerichte maßgeblichen Vorschriften der jeweiligen Prozessordnungen
sind anzuwenden, soweit das JVEG keine eigenen Regelungen trifft. Die dem Beschluss des Sozialgerichts nach § 4c JVEG beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung war unrichtig, weil sie als für den Eingang zuständiges Gericht auf das Landessozialgericht
anstatt auf das nach § 4 Abs. 6 S. 3 JVEG zuständige Sozialgericht Magdeburg hinweist.
Die Beschwerdeführerin hat die Jahresfrist zumindest deshalb eingehalten, weil die innerhalb dieser Frist beim Landessozialgericht
eingegangene Beschwerde an das Sozialgericht weitergeleitet (vgl. §
91 SGG) worden ist.
Dem Anspruch auf Vergütung der Beschwerdeführerin nach § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 JVEG steht nicht § 2 Abs. 1 S. 1 JVEG entgegen, weil die Frist von drei Monaten zu keinem Zeitpunkt vor Geltendmachung begonnen hat.
Die Voraussetzungen des Fristlaufs - hier nur in Betracht kommend - des § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG sind vor der Geltendmachung nicht eingetreten, weil bis dahin kein Gutachten im Sinne der Vorschrift bei dem Sozialgericht
als heranziehender Stelle eingegangen war. Denn die als Computerausdruck per Post eingegangene Beurteilung des Falls durch
die Beschwerdeführerin stellte ein Gutachten nicht dar, weil es nicht von der Beschwerdeführerin unterschrieben war.
Der Vergütungstatbestand ergibt sich zunächst aus der Anordnung des Sozialgerichts gem. §
118 Abs.
1 S. 1
SGG i. V. m. §
411 Abs.
1 der
Zivilprozessordnung, wonach die Beschwerdeführerin als Sachverständige ein von ihr unterschriebenes Gutachten zu übermitteln hatte. Dies ist
aber auch nur Ausdruck des ohnedies geltenden allgemeinen Rechtsgrundsatzes aus §
126 Abs.
1 des
Bürgerlichen Gesetzbuches, wonach die Schriftform eine eigenhändige Namensunterschrift des Ausstellers erfordert. Dieser Voraussetzung unterliegt auch
eine schriftliche Begutachtung im Sinne des Eingangsfalls des § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 JVEG.
Ob und ggf. wann angesichts des Fehlens der Unterschrift die Frist hier untypischer Weise begonnen haben könnte, bedarf für
die konkreten Abläufe keiner vertieften Erörterung. Der erste Ansatz zu einer Überlegung, ob das Gericht die Leistung als
Gutachten gelten lassen will, liegt in der Übersendung an den Sachverständigen Prof. Dr. K. zu einer Auseinandersetzung mit
der Einschätzung der Beschwerdeführerin in einer ergänzenden Stellungnahme. Diese erfolgte erst nach der Geltendmachung der
Kosten durch die Beschwerdeführerin. Der erste Ansatz zu einer Erwägung, ob die Beschwerdeführerin sich das Gutachten auf
andere Weise als ihre sachverständige Leistung zu Eigen gemacht hat, liegt in einem von ihr unterschriebenen Schreiben vom
1. Februar 2019, ebenfalls nach Geltendmachung der Vergütung. Umgekehrt kann jedenfalls in dem dem Gutachten unausgefüllt
beigefügten Vordruck mit dem unterschriebenen Vermerk, ein Vergütungsantrag werde nachgereicht, gerade keine verbindliche
Aneignung der gutachterlichen Leistung gesehen werden, die den Vergütungsanspruch begründen könnte. Denn damit wird gerade
kein gegenwärtiger Bezug zu dem vorgelegten Gutachten hergestellt, der die Leistung für den Sachverständigen als seine eigene
verbindlich macht.
Fest steht auch, dass der Fristbeginn nicht rückwirkend davon abhängig gemacht werden kann, ob das Gericht die unterschriftslose
Beurteilung durch einen Sachverständigen tatsächlich zur Beendigung des Verfahrens genutzt hat. Denn ein wegen fehlender Unterschrift
nicht entstehender Vergütungsanspruch kann jedenfalls nicht rückwirkend dadurch beeinflusst werden, ob der zuständige Richter
sofort oder im späteren zeitlichen Verlauf des Verfahrens das Fehlen als grundlegenden Mangel einordnet oder es - ggf. auch
mangels Bemerkens - außer Acht lässt. Zudem ist der Eintritt der Rechtsfolge des § 2 Abs. 1 S. 1 JVEG - nämlich eines Erlöschens des Vergütungsanspruchs - notwendig ausgeschlossen, wenn dieser noch überhaupt nicht entstanden
ist. Auch insoweit kommt ein Fristlauf frühestens in Betracht, wenn mit der Verwertung des Gutachtens Anknüpfungspunkte für
eine Anspruchsentstehung erstmals denkbar sind.
Etwas anderes folgt auch aus dem Rechtsgedanken des § 8a Abs. 2 S. 2 JVEG nicht, weil sich daraus nicht ergibt, dass eine - ggf. nach mehrfachem Wechsel zuständiger Richter - beim Verfahrensabschluss
berücksichtigte Leistung schon vergütet werden durfte, bevor die Berücksichtigung überhaupt feststeht. Wird dagegen die fehlende
Unterschrift vom beauftragenden Gericht im Sinne der geforderten Leistung nachgefordert, fehlt ebenso eine Grundlage für früheres
Entstehen und frühere Fälligkeit der Vergütungsforderung wie für einen Fristbeginn für einen Vergütungsantrag. Eine nicht
entstandene und fällige Vergütung kann und darf auch nicht geltend gemacht werden.
Der Vergütungsanspruch der Beschwerdeführerin ist nach § 2 Abs. 1 S. 1, 2 JVEG dem Grunde nach jedenfalls und spätestens durch die Nachholung der Unterschrift unter das Gutachten im Verlaufe des Beschwerdeverfahrens
entstanden. Insoweit kommt es auf den Eingang beim beauftragenden Gericht nicht mehr an, weil das Gutachten unterschrieben
vorliegt, das seinem Inhalt nach bereits dem Sozialgericht vorlag und das dem dortigen Abschluss des Hauptsacheverfahrens
zu Grunde lag.
Die Höhe der Vergütung beläuft sich nach den nachvollziehbaren Angaben im Vergütungsantrag der Beschwerdeführerin auf den
Betrag des Entscheidungsausspruchs.
Der Vergütung legen die Beteiligten zu Recht die Vergütungsgruppe M 3 nach § 9 Abs. 1 S. 1 JVEG zu Grunde. Es handelt sich um ein Gutachten mit hohem Schwierigkeitsgrad im Sinne der Anlage 1 zu § 9 Abs. 1 JVEG, weil es sich bei der Bewertung des Behandlungserfolges einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode als Gegenstand
des Ausgangsverfahrens um die Frage nach einer Prognose im Sinne der Vorschrift, nämlich einer solchen der Krankheitsentwicklung,
handelt.
Bei einem Zeitaufwand von 11,5 Stunden für die Gutachtenerstellung errechnet sich eine Stundenvergütung von 1.150,- EUR.
Die notwendig erbrachte Zeit für das Aktenstudium beläuft sich auf 6 Stunden; soweit die Beschwerdeführerin insoweit "neben
dem Aktenstudium" die Auswertung der daraus gewonnenen Erkenntnisse mit eingerechnet hat, handelt es sich nicht um Aktenstudium.
Von der Sachverständigen waren 429 Seiten Gerichtsakten, 44 Seiten Verwaltungsakten und einzelne Seiten mitgebrachter Unterlagen
zu erfassen; der dafür nach allgemeinen Erfahrungswerten von der Beschwerdegegnerin angesetzte Zeitaufwand von sechs Stunden
erscheint angemessen. Soweit es sich überhaupt um Aktenstudium gehandelt hat, widerspricht die Beschwerdeführerin dem auch
nicht.
Die antragsgemäß veranlagten drei Stunden für die Ausarbeitung des Gutachtens von 15 Seiten hält das Gericht ebenfalls für
angemessen. Dagegen lässt sich nicht nachvollziehen, inwieweit dieser Zeitaufwand noch durch weitere, sachlich zur Ausarbeitung
gehörende Zeiten einer Auswertung von Erkenntnissen ausgeweitet worden sein könnte. Die ersten fünf Seiten enthalten ohnedies
eine überwiegend tabellenartig geordnete Wiedergabe des Sachverhaltes, für deren Ausarbeitung eine stichwortartige Aufnahme
neben dem Aktenstudium ohne bedeutenden Zeitaufwand ausreicht. Für die in der nachfolgenden zweiseitigen Epikrise vorgenommene
beurteilende Würdigung des Akteninhalts erscheint auch bei Berücksichtigung einer Einsichtnahme in die zitierte Literatur
ebenfalls kein erheblicher Aufwand erforderlich. Weiterhin benötigt die nachfolgend einseitige Zusammenfassung der durchgeführten
Untersuchung keinen Zeitaufwand, der zu einer Überschreitung des ursprünglich beantragten Maßes für die Ausarbeitung führen
könnte. Die auf insgesamt sechs, nicht durchgehend voll beschriebenen Seiten vorgenommene Beantwortung der Beweisfragen macht
letztlich eine Ausarbeitungszeit von insgesamt drei Stunden erklärlich, bietet aber keine Ansätze für deren Überschreitung.
Die von den Beteiligten gemeinsam angesetzten 1,5 Stunden für die Durchführung der Untersuchung und eine Stunde für Diktat
und Korrektur des Gutachtens hält das Gericht für nachvollziehbar.
Nach den von der vorgenommenen Labordiagnostik erfassten Parametern hat das Gericht mit der Beschwerdegegnerin auch keine
Zweifel an der geltend gemachten Höhe von zusammen 440,22 EUR. Aus der Gesamtheit der aufgeführten Vergütungspositionen ergibt
sich der im Tenor genannte Vergütungsbetrag.
Der Beschluss ist nach § 4 Abs. 4 S. 2, 3, Abs. 5 S. 1 JVEG nicht mehr anfechtbar.