Anspruch auf Prozesskostenhilfe im sozialgerichtlichen Verfahren; Prüfung der hinreichenden Erfolgsaussicht bei der MdE-Feststellung
in der gesetzlichen Unfallversicherung
Gründe:
I.
Der Kläger und Beschwerdeführer (im Folgenden nur Kläger) wendet sich gegen die Ablehnung von Prozesskostenhilfe durch das
Sozialgericht. Er verfolgt in der Hauptsache einen Anspruch auf höhere Verletztenrente.
Der 1953 geborene Kläger erlitt am 12. September 2007 einen Arbeitsunfall. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 13. Januar 2011
stellte die Beklagte für den Zeitraum ab Ende der Verletztengeldzahlung vom 1. Dezember 2010 an einen Anspruch des Klägers
auf eine (Verletzten-) Rente auf unbestimmte Zeit nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H. fest. Sie zählte als
berücksichtigte Unfallfolgen auf: Versteifung des oberen und unteren Sprunggelenks rechts mit 20° Spitzfußstellung, Weichteilwunde
medial am rechten Sprunggelenk mit derzeitiger stationärer Sanierung, chronische Osteitis und erhebliche Weichteilwunden rechter
Unterschenkel, Beinlängendifferenz (rechtes Bein 2 cm kürzer), Bewegungseinschränkungen Zehen und Knie rechts, Minderung des
Muskelmantels rechtes Bein.
Dabei stützte sich die Beklagte auf ein Gutachten des Direktors der Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie der
Berufsgenossenschaftlichen Kliniken B. in H., Prof. Dr. Dr. H., vom 7. September 2010. Darin hatte er mitgeteilt, der Kläger
befinde sich aktuell zur Sanierung der Weichteilwunde in seiner stationären Behandlung. Bei deren planmäßigem Verlauf solle
eine Rehabilitation eingeleitet werden, so dass die Minderung der Erwerbsfähigkeit auf Dauer zwischen 30 und 40 v. H. liegen
dürfe.
Als weiterer unfallbedingter Befund ist eine O-Bein-Fehlstellung des rechten Unterschenkels beschrieben. Als nicht in Frage
gestellte Beschwerden sind Schmerzen bei ausgedehnten Narben des rechten Unterschenkels, Beschwerden beim Treppensteigen und
Laufen auf unebenem Gelände sowie auf der schiefen Ebene wiedergegeben. Der Kläger sei auf zwei Unterarmgehstützen angewiesen;
daneben finde eine Unterschenkelschiene Anwendung. Die Kniegelenksbeweglichkeit war rechts ausweislich des beigefügten Messblatts
in der Beugung auf 90°, die Beweglichkeit der Zehengelenke um die Hälfte vermindert.
Mit dem Entlassungsbericht vom 2. Dezember 2010 berichteten die behandelnden Ärzte der Klinik über die durchgeführte Wundbehandlung.
Es lag noch eine 10 cm große granulierte Operationswunde vor. Der Fuß musste noch entlastet bleiben.
In einer beratungsärztlichen Stellungnahme vom 20. Dezember 2010 ging der Chirurg Dr. K. von einer funktionell bedingten Minderung
der Erwerbsfähigkeit um 30 v. H. aus, schlug aber aufgrund der noch unstabilen Weichteilverhältnisse eine solche um 40 v.
H. vor.
Mit fristgerechtem Widerspruch gegen den genannten Bescheid machte der Kläger geltend, er könne nicht mehr zu 60% am Erwerbsleben
teilnehmen. Er leide unter einer Wunde im Bereich des Innenknöchels, die sich permanent öffne. Er müsse stärkste Schmerzmedikamente
einnehmen, die unter das Betäubungsmittelgesetz fielen.
In Berichten vom 9. Februar, 16. und 31. März 2011 beschrieben die behandelnden Ärzte die Weichteilwunde als oberflächliche,
Millimeter große Restläsion bzw. die Wunddehiszenz als deutlich rückläufig.
Nach einem Bericht vom 5. Mai 2011 sollte der Fuß jetzt wieder aufbelastet werden. Der Kläger gab wiederkehrende Schmerzen
im Fuß bei Kälte an. Am 12. Juli 2011 stellte sich der Patient dort unter "schmerzadaptierter Vollbelastung" mit Gießharzorthese
und zwei Unterarmgehstützen vor. Die Weichteile im Bereich des Sprunggelenks zeigten sich nahezu verschlossen und völlig reizlos.
Am 9. August 2011 betrat der Kläger das Untersuchungszimmer nach dem entsprechenden Bericht ohne Nutzung von Unterarmgehstützen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2011 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie berief sich auf das dem Bescheid
zu Grunde liegende Gutachten. Der Bescheid wurde mit gesondertem Vermerk am 26. September 2011 zur Post gegeben.
Mit der am 31. Oktober 2011, einem Montag, beim Sozialgericht Halle eingegangenen Klage hat der Kläger sein Anliegen weiter
verfolgt. Er behauptet, für Soldaten werde die Minderung der Erwerbsfähigkeit bei Verwendungsuntauglichkeit eines Unterschenkels
mit 50 v. H. eingeschätzt. Damit wolle er gleich behandelt werden. Er könne mit dem rechten Bein nicht auftreten und sei demzufolge
auf zwei Gehstützen angewiesen. Mit der Klage hat der Kläger auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
seines Prozessbevollmächtigten beantragt.
Die Beklagte hat ein weiteres Gutachten von Prof. Dr. Dr. H. v. 10. Januar 2013, Bl. 30 - 39 der Gerichtsakte zur Hauptsache,
und einen Bericht vom gleichen Tag, Bl. 40 - 42 ebda., vorgelegt. Prof. Dr. Dr. H. ist im Wesentlichen zu der Beurteilung
gelangt, die Minderung der Erwerbsfähigkeit sei "weiterhin" mit 40 v. H. einzuschätzen; eine wesentliche Änderung sei nicht
eingetreten. Der Kläger nehme regelmäßig Schmerzmedikamente ein. Er habe das Untersuchungszimmer unter Entlastung des rechten
Beines mit einer Unterarmgehstütze und der Schiene betreten und sei darauf auch angewiesen. Es liege eine Wunde im Bereich
des rechten Innenknöchels vor, die nicht reizfrei, aber ohne Infektverdacht sei. Der Infektverlauf der chronischen Osteitis
habe sich derzeit beruhigt. Im Vergleich zu dem Messblatt des Vorgutachtens hatte sich die Beweglichkeit der Zehengelenke
auf ein Fünftel verringert. Die Muskelverschmächtigung war konstant; eine Schwellung im Knöchelbereich nicht mehr messbar.
An Behandlungen sollten weiterhin zustandserhaltende Phyiotherapie und Manualtherapie in 2-3mal zehn Einheiten pro Quartal
absolviert werden.
Nach der Beschwerdewiedergabe im Bericht war der Kläger mit der Orthese und einer Unterarmgehstütze "langstreckig" mobil.
Er sei jedoch in schmerztherapeutischer Behandlung, benötige mindestens 24 mg Palladon/Tag und regelhaft zusätzlich nicht
retardierte Opiate. Am Innenknöchelbereich finde sich eine Wunde von 1 cm Durchmesser, die sich 1 cm in die Tiefe sondieren
lasse; insoweit sei seit einem Jahr kein Befundwandel eingetreten.
Mit Beschluss vom 17. September 2013 hat das Sozialgericht die Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussichten
in der Hauptsache abgelehnt: Die Erfolgschancen seien unter Berücksichtigung der derzeitigen medizinischen Unterlagen als
entfernt anzusehen. Die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit erfolge in Rechtsanwendung, der gegenüber sich die
gutachterliche Einschätzung nur als Empfehlung darstelle.
Die beim Kläger vorliegenden Einschränkungen bedingten keine höhere Minderung der Erwerbsfähigkeit als 40 v. H. Eine Versteifung
des oberen und unteren Sprunggelenkes in Funktionsstellung bedinge eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 25 v. H., die Bewegungseinschränkung
des Knies auf 0/0/90 Grad eine solche auf 15 v. H. und eine Versteifung der Zehengelenke eine solche von 10 - 20 v. H., wobei
beim Kläger keine vollständige Versteifung vorliege. Die einzelnen Größen ergäben sich aus der Literatur (jeweils Hinweis
auf Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit). Bei der Gesamteinschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit
seien die einzelnen Bewertungen nicht schematisch zusammen zu rechnen. Vielmehr habe eine integrierende Gesamtschau der Wirkung
aller Funktionseinschränkungen auf die Erwerbsfähigkeit zu erfolgen. Insofern komme angesichts der Beschränkung auf das rechte
Bein keine Summierung in Betracht, sondern erscheine eine Erhöhung der höchsten Einzelbewertung auch unter Berücksichtigung
der Weichteildefekte und der chronischen Ostitis geboten. Für eine weitgehend belastungsunfähige Extremität nach Fersenbein-Ostitis
werde eine Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H. veranschlagt.
Gegen die Befundfeststellungen in dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. H. vom 10. Januar 2013 habe der Kläger sich nicht gewandt.
Gegen den Beschluss hat der Kläger noch im gleichen Monat Beschwerde erhoben und die Auffassung vertreten, seine Minderung
der Erwerbsfähigkeit sei mit mindestens 50 v. H. einzuschätzen. Er benötige seit dem Unfall Unterarmgehstützen und eine Orthese.
Die Beinverkürzung betrage 2 cm, aber durch eine Spitzfußstellung 7 - 9 cm zur Ferse des Außenfußes. Zudem sei der Unterschenkel
- durch beigefügte Fotos veranschaulicht - stark gebogen. Im Bereich des entfernten linken Innenknöchels liege eine Wunde
vor, die sich nach ärztlicher Prognose auch auf Dauer nicht schließen werde. Er stehe in dauerhafter physiotherapeutischer
Behandlung und benötige eine dauerhafte Schmerzbehandlung. Die erforderlichen Schmerzmittel führten zu allen Formen von Müdigkeit;
Auto zu fahren sei ihm verboten.
Der Kläger beantragt,
den Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 15. August 2013 aufzuheben und ihm für das Verfahren vor dem Sozialgericht Prozesskostenhilfe
ohne Ratenzahlung unter Beiordnung seines Prozessbevollmächtigten zu bewilligen.
Bei der Entscheidung haben dem Gericht neben der Gerichtsakte zur Hauptsache die Akten der Beklagten - Az. 211/3139179 - in
sechs Bänden vorgelegen.
II.
Insbesondere bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg. Es kann dahinstehen, ob diese Erfolgsaussichten
darauf beruhen, dass der Kläger zur Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit, bei der es sich nach den zutreffenden
Darlegungen des Sozialgerichts um Rechtsanwendung handelt, einen jedenfalls vertretbaren Rechtsstandpunkt einnimmt, oder ob
weiter Sachaufklärung durch medizinische Einschätzungen erforderlich ist. Eine Beschränkung der Minderung der Erwerbsfähigkeit
auf 40 v. H. lässt sich jedenfalls derzeit nicht stichhaltig begründen; umgekehrt ist die Möglichkeit eines Erfolges der Klage
nicht nur eine entfernte.
Bei dem Kläger liegt eine komplexe Funktionsbeeinträchtigung vor, für die sich eine Minderung der Erwerbsfähigkeit nicht unmittelbar
aus den ärztlichen Erfahrungswerten entnehmen lässt, die in gängigen Tabellen niedergelegt sind. Insoweit sind zwei Wege zur
Begründung der Beurteilung der Minderung der Erwerbsfähigkeit möglich:
Zum Einen können jeweils die Einzelbeeinträchtigungen nach solchen Tabellenwerten eingeschätzt und nach den Grundsätzen der
Gesamteinschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit zusammengefasst werden. Dazu bedarf es eingehender Ausführungen zu den
Auswirkungen der jeweiligen ärztlich festgestellten körperlichen Beeinträchtigung auf die Fähigkeit zu Verrichtungen, die
üblicherweise im Erwerbsleben anfallen. Soweit diese Auswirkungen nicht aus alltäglicher Erfahrung unmittelbar abzuleiten
sind, sind sie im Wege der Beweiswürdigung aus ärztlichen Feststellungen zu entnehmen. Sodann ist eine Beurteilung zu ihrer
Überschneidung oder gegenseitigen ungünstigen Beeinflussung abzugeben und mit entsprechenden Feststellungen zu den jeweils
in Frage kommenden Funktionseinschränkungen zu untermauern.
Solche Erwägungen drängen sich derzeit weder nach Aktenlage noch nach den Ausführungen des Sozialgerichts in dem angefochtenen
Beschluss mit einem Ergebnis zu Lasten des Klägers auf. Zu berücksichtigen ist dabei auch, dass das Gutachten von Prof. H.
dazu keine konkreten Ausführungen im Zusammenhang der Beurteilung enthält; seinen Vorschlag zu einer Beurteilung mit einer
Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H. hat er direkt kaum begründet.
Zum Anderen kann die Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit durch Vergleich mit anderen Gesundheitsbeeinträchtigungen
vorgenommen werden, für die feste ärztliche Erfahrungswerte in Form von Tabellenwerten bestehen. Insofern mag die vom Sozialgericht
gezogene Parallele zu der Beurteilung einer weitgehend belastungsunfähigen unteren Extremität nach Fersenbein-Osteitis einen
sachgerechten Ansatz darstellen, der aber erst dann ein Prozessergebnis zu Gunsten des Klägers weitgehend ausschließt, wenn
das Gesamtbild mit demjenigen beim Kläger hinsichtlich der Fähigkeit zum Gehen selbst, der Erforderlichkeit von Hilfsmitteln
in Form von Gehstützen und/oder Orthesen, einer - im Falle des Klägers offensichtlich noch in erheblichem Umfang bestehenden
- typischen Behandlungsbedürftigkeit und weiterer vom Kläger angesprochener Gesichtspunkte verglichen wird. Ein solcher Vergleich
erscheint derzeit nur nach konkreter Fragestellung an einen Arzt nach den verschiedenen Gesichtspunkten überzeugend ausgestaltet
werden zu können.
Dass weitere Überlegungen auch zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 v. H. führen können, zeigt auch der Vergleich
mit der Beurteilung des Verlustes eines Beines im Unterschenkel mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 40 v. H ... Eine
solche Verletzung muss weder - wie im Falle des Klägers - zur Benutzung von Gehstützen noch zur langfristigen Behandlungsbedürftigkeit
führen. Ob gleichwohl Vergleichbarkeit vorliegt, bedarf eines Vergleiches unter genauer Auswertung der Befundbeurteilung,
die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben muss, ohne dass ein Ergebnis zu Ungunsten des Klägers vorgeprägt ist.
Die wirtschaftlichen Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe liegen vor. Der Kläger und die mit ihm im
gemeinsamen Haushalt lebende Ehefrau verfügen über kein Einkommen im Sinne von §
115 Abs.
1 S. 1
ZPO, das der Kläger für die Prozessführung einsetzen könnte. Beide haben zusammen Einkommen im Bereich ihrer Freibeträge unter
Einschluss von Alg II. Vermögen ist nicht vorhanden.
Der Beschluss ist gem. §
177 SGG unanfechtbar.