Leistungsfähogkeit eines nach polnischem Recht Unterhaltsverpflichteten
Entscheidungsgründe:
I.
Die am .1986 geborene Beklagte ist die eheliche Tochter des Klägers, geboren am .1959, aus dessen geschiedener Ehe mit der
Mutter der Beklagten. Der Kläger ist deutscher Staatsangehöriger und lebt in Deutschland, die Beklagte ist polnische Staatsangehörige,
sie lebt in Polen.
Die Beklagte besuchte das Gymnasium und schloss dieses am 30.06.2005 mit dem Abitur ab. Ab dem 01.09.2005 besucht sie als
Studentin die berufliche Fachhochschule mit dem Ziel des Abschlusses einer Technikerin für Organisation der Werbung. Sie erhält
keine staatliche Unterstützung. Sie wohnt bei ihrer Mutter, die 1.200,-- PLN verdient, wovon sie die Beklagte in Höhe von
250,-- PLN (entsprechend 62,-- EUR) unterstützt.
Der Kläger hat sich in einer Jugendamtsurkunde vom 02.10.2002 verpflichtet, Kindesunterhalt in Höhe von 100,-- EUR monatlich
zu bezahlen.
Der 46 Jahre alte Kläger hat in Polen eine Ausbildung zum Schiffelektromechaniker gemacht. Er ist Mitte der 80er Jahre nach
Deutschland übersiedelt, wo diese Ausbildung nicht anerkannt wurde. Er arbeitete zunächst als Gerüstbauer und Landschaftsgärtner,
seit dem 26.08.1992 war er als ungelernter Arbeiter bei der Druckerei M. beschäftigt und verdiente dort monatsdurchschnittlich
2.500,-- EUR brutto. Nach seinem Vortrag errechnete sich hieraus ein Einkommen in Höhe von 1.400,-- EUR netto. Er leistete
Schuldentilgungen auf private Konsumkredite im Umfang von 399.- EUR (Gesamtschuld ca. 19.500.- EUR). Infolge Betriebstilllegung
wurde ihm am 25.11.2002 auf den 31.03.2003 gekündigt, er erhielt eine Abfindung in Höhe von 14.703,-- EUR. Nach seinem Vortrag
setzte er diese im Umfang von 12.000,-- EUR zu Schuldentilgungen ein. Aktuell hat er noch Schulden aus einem Darlehensvertrag
vom 17.11.2003 gegenüber der V. in ursprünglicher Gesamthöhe von 1050.- EUR, worauf er monatliche Raten von 25.- EUR bezahlt.
Er erhielt zunächst Arbeitslosengeld in Höhe von 212,66 EUR pro Woche, ab 01.04.2004 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 183,89
EUR pro Woche und ab dem 01.01.2005 zusammen mit seiner zweiten Ehefrau (geboren am .1972) Arbeitslosengeld II in Höhe von
1.337,79 EUR, ab März 2005 in Höhe von 1.311,13 EUR und ab April 2005 in Höhe von 1.177,79 EUR.
Der Kläger behauptet, er sei infolge einer Herzerkrankung seit Anfang 2004 erwerbsunfähig und bietet zum Beweis hierfür die
Einholung eines Sachverständigengutachtens an.
In der mündlichen Verhandlung erster Instanz hat der Kläger angegeben, dass er im Oktober oder November 2004 eine Rentenantrag
gestellt habe, dieser jedoch abgelehnt worden sei. Auf Nachfrage erklärte er in der Verhandlung zweiter Instanz, dass er nicht
wisse, worauf die Ablehnung beruhe, um den Bescheid habe er sich nicht bemüht. Man habe ihm lediglich erklärt, er sei zu fit
für die Rente.
Das Familiengericht hat die Jugendamtsurkunde vom 10.02.2002 dahingehend abgeändert, dass der Kläger ab dem 01. Juli 2005
keinen Unterhalt mehr zu bezahlen hat.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Familiengerichts abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Seine Anschlussberufung auf Abänderung der Jugendamtsurkunde bereits zum 01.04.2004 auf 44.- EUR und ab 01.01.2005 auf 0.-
EUR hat er in der Verhandlung zurückgenommen.
II.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Beklagten hat in der Sache teilweise
Erfolg.
Gem. Art. 18 Abs. 1
EGBGB ist auf den Unterhaltsanspruch der in Polen lebenden Beklagten polnisches Unterhaltsrecht anzuwenden.
Nach Art. 128 des polnischen Familien- und Vormundschaftsgesetzbuchs (FuVG) obliegt die Verpflichtung zur Leistung von Mitteln
für den Unterhalt den gradlinigen Verwandten und den Geschwistern. Nach Art. 135 § 1 FuVG hängt der Umfang der Unterhaltsleistungen
von den gerechtfertigten Bedürfnissen des Berechtigten und den Erwerbs- und Vermögensmöglichkeiten des Verpflichteten ab.
Dabei sieht das polnische Recht weder für den Bedarf noch für den Selbstbehalt Richtsätze vor, vielmehr bedarf es einer konkreten
Abwägung der Rechte der Berechtigten und des Pflichtigen.
Der Bedarf der Beklagten bemisst sich nach deren Vortrag, dem der insoweit darlegungspflichtige Abänderungskläger nicht widersprochen
hat, auf mindestens 785,-- PLN. Davon deckt ihre Mutter tatsächlich einen Anteil in Höhe von 250,-- PLN, so dass sie einen
offenen Unterhaltsbedarf in Höhe von 535,-- PLN, umgerechnet mindestens 134,-- EUR, hat. Sie trägt weiterhin unwidersprochen
vor, dass ihr staatliche Hilfsmittel nicht zufließen, wofür im Übrigen auch keinerlei Anhaltspunkte bestehen.
Der Kläger hat seine fehlende Leistungsfähigkeit nicht dargelegt, weshalb er sich im Ergebnis ohne Erfolg auf eine gesundheitsbedingte
Erwerbsunfähigkeit beruft.
Er hat ausweislich des Bescheides über Arbeitslosenhilfe ab dem 01.04.2004 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 183,89 EUR pro Woche
erhalten, somit monatsdurchschnittlich in Höhe von 796,86 EUR. Hiervon wurden im Wege der Pfändung 2,20 EUR kalendertäglich
für den titulierten Kindesunterhalt gepfändet, nachdem vom zuvor bezogenen Arbeitslosengeld 3,30 EUR kalendertäglich gepfändet
wurden. Nach dem Vortrag der Beklagten konnten im Jahr 2004 insgesamt 830,50 EUR gepfändet werden. Ab dem 01.01.2005 erhält
der Kläger Arbeitslosengeld II, hiervon wurden keine Gelder abgezweigt.
Bereits diese Biographie lässt ersehen, dass der Kläger trotz seines im Jahr 2000 erlittenen Herzinfarktes in der Vergangenheit
stets als arbeitsfähig angesehen wurde und dies auch jetzt noch der Fall ist, da Leistungen nach dem SGB II ausschließlich
an arbeitsfähige Erwerbslose bezahlt werden (§§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 8 Abs. 1 SGB II).
Bestätigt wird diese Einschätzung durch das Prozessverhalten des Klägers im vorliegenden Rechtstreit. Einerseits behauptet
er, ständige Schmerzen zu haben, die ihm jegliche Möglichkeit nehmen, schwer zu arbeiten und die ihn dazu zwingen, jegliche
Belastungssituation zu vermeiden. Insbesondere sehe er sich nicht in der Lage, sich um Arbeitsstellen zu bemühen, bevor nicht
weitere ärztliche Untersuchungen durchgeführt sind, wobei allerdings dem Senat nicht mitgeteilt wird, welche konkreten Maßnahmen
geplant sind. Andererseits trägt er selbst vor, dass er Ende 2004 einen Rentenantrag gestellt habe, welcher abschlägig beschieden
wurde. Über den Inhalt des Bescheides und der zugrunde liegenden Untersuchung teilte der Kläger nichts mit, er beschränkte
sich vielmehr auf die Angabe, dass er nach Auffassung des Rententrägers zu fit für die Rente sei. Angesichts der Tatsache,
dass der Rentenantrag erst ein Jahr nach Einreichung der streitgegenständlichen Abänderungsklage gestellt wurde, wäre vom
anwaltlich vertretenen Kläger zu erwarten gewesen, dass er sich mit dem arbeitsmedizinischen Gutachten des Rentenverfahrens
auseinandersetzt und darstellt, aus welchen Gründen dieses seiner Auffassung nach zu fehlerhaften Ergebnissen gekommen ist.
Die Einholung eines ergänzenden oder weiteren Gutachtens zur Erwerbsfähigkeit des Klägers ist nicht geboten, zumal sich der
Kläger auch in der Beschreibung seiner aktuellen gesundheitlichen Beschwerden auf recht allgemein gehaltene Aussagen beschränkt
und keine konkreten Anknüpfungstatsachen behauptet, die Grundlage einer Beauftragung eines medizinischen Sachverständigen
sein könnten.
Für die Feststellung der Höhe der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten kommt es nicht auf sein tatsächlich erzieltes Einkommen,
sondern auf dasjenige Einkommen an, das er bei einem objektiv zumutbaren Arbeitsaufwand entsprechend seinen beruflichen Qualifikationen
erzielen kann (Bergmann/Ferid, Polen, S. 32 b; Hohloch, Internationales Scheidungs- und Scheidungsfolgenrecht, S. 436).
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger keine in Deutschland anerkannte Berufsausbildung hat, und dass er nach seinem
Herzinfarkt grundsätzlich in gewissem Umfang gesundheitlich eingeschränkt sein dürfte. Er ist deswegen bei seinen Arbeitsbemühungen
auf ungelernte Tätigkeiten beschränkt, die ohne erhebliche körperliche Anstrengungen zu bewältigen sind. Solche Arbeiten werden
nach der Kenntnis des Senats aus einer Vielzahl anderer Verfahren bei Leiharbeitsfirmen für Männer mit einem Bruttolohn von
ca. 8.- EUR pro Stunde vergütet. Bei einer zumutbaren Arbeitszeit von 176 Stunden im Monat errechnet sich daraus folgendes
Nettoeinkommen:
Bruttolohn 176 Stunden x 8.- EUR 1.408._EUR
./. Rentenversicherung 137,28 EUR
./. Arbeitslosenversicherung 45,76 EUR
./. Krankenversicherung 110,52 EUR
./. Lohnsteuer nach Steuerklasse I/0 99,16 EUR
./. Kirchensteuer 7,93 EUR
./. Solidaritätszuschlag 3,63 EUR 991,76 EUR
./. 5 % Berufsaufwand 49,59 EUR
bereinigtes Nettoeinkommen 942,17 EUR
Aus verfassungsrechtlichen Gründen sieht es der Senat als geboten an, dem Kläger von seinem Erwerbseinkommen seinen notwendigen
Selbstbehalt in Höhe von 890.- EUR als Existenzminimum zuzubilligen, um zu vermeiden, dass er nach Bezahlung des Kindesunterhalts
zur Bestreitung des eigenen Lebensbedarfs Sozialmittel in Anspruch nehmen muss.
Das polnische Recht selbst kennt keine festen Selbstbehaltssätze, vielmehr ist in jedem Einzelfall zu entscheiden, in welchem
Umfang der Unterhaltsverpflichtete auch eventuell geringe Einkünfte mit dem Unterhaltsberechtigten zu teilen hat. Auch führen
Fragen eventuell mangelnder Leistungsfähigkeit nicht dazu, dass aus diesem Grund ein Rückgriff auf deutsches Recht und damit
direkt eine Anwendung deutscher Selbstbehaltssätze in Betracht kommt (BGH FamRZ 2001, 412).
Da in früherer Zeit das Oberste polnische Gericht entschieden hat, dass eine Unterhaltsklage nicht an einer Knappheit der
Mittel scheitert, sondern lediglich dann abzuweisen ist, wenn der Unterhaltsverpflichtete über keine finanziellen Mittel verfügt,
wird hieraus teilweise geschlossen, dass es zugunsten des Verpflichteten keine Grenze des Selbstbehalts gibt, die nicht unterschritten
werden darf (so auch Hohloch, a.a.O., S. 436). In diesem Fall wäre entsprechend einer von Henrich (IPrax 1986, 178) früher
vertretenen Auffassung das Unterhaltsverhältnis auf der Schiene einer möglichen oder nicht möglichen Vollstreckbarkeit der
ausgeurteilten Beträge zu lösen.
Allerdings richtet sich bereits nach dem Wortlaut des polnischen Rechts der Umfang des hier privilegierten Unterhaltsanspruchs
der Beklagten nicht nur nach deren Bedürfnissen, sondern auch nach der Leistungsfähigkeit des Unterhaltspflichtigen (Wendl/Dose,
§ 7 Rdnr. 94). Diese Leistungsfähigkeit kann jedoch nur nach den Lebensumständen im Lande des gewöhnlichen Aufenthalts des
Unterhaltsverpflichteten beurteilt werden, weshalb es aus verfassungsrechtlichen Gründen geboten sein dürfte, zur Vermeidung
einer eigenen Sozialhilfebedürftigkeit infolge Verpflichtung zur Bezahlung von Unterhalt dem Kläger als Existenzminimum den
notwendigen Selbstbehalt zuzubilligen (so auch OLG Karlsruhe, FamRZ 1990, 313).
Die Kreditverbindlichkeit gegenüber der V. im Umfang einer monatlichen Rate von 25.- EUR mindert die Leistungsfähigkeit des
Klägers gegenüber der Beklagten nicht. Der Kläger hat bereits noch nicht einmal vorgetragen, aus welchem Grund er den Kredit
aufgenommen hat, so dass es dem Senat nicht möglich ist, zu beurteilen, ob dem Grunde nach eine berücksichtigungsfähige Verbindlichkeit
vorliegt. Darüber hinaus hat der Kläger den Senat auch allgemein über seine wirtschaftliche Situation im Unklaren gelassen.
Noch Ende Juni 2003, also Monate nach Erhalt der Abfindung für den Verlust der Arbeitsstelle, welche der Kläger nach seinem
Vortrag im Wesentlichen für die Rückzahlung von Verbindlichkeiten eingesetzt hatte, trug er in der Begründung seines Prozesskostenhilfeantrags
vor, dass er Bankverbindlichkeiten von fast 17.000.- EUR habe. Im November 2005 waren nach der letzten PKH-Erklärung und auch
nach seinem Sachvortrag im Verfahren diese Verbindlichkeiten auf 1.050.- EUR zurück gegangen. Da er im gesamten Zeitraum lediglich
Sozialmittel bezog und auch seine Ehefrau keiner Erwerbstätigkeit nachging, lässt sich aus der Rückführung von Verbindlichkeiten
in Höhe von 16.000.- EUR in 2 Jahren mangels anderweitiger plausibler Erklärung des darlegungspflichtigen Klägers nur der
Schluss ziehen, dass er entweder über weitere Vermögenswerte oder anderweitige Unterstützungsquellen verfügt, die er bislang
nicht offenbart hat und die er möglicherweise auch zugunsten des geschuldeten Kindesunterhalts hätte einsetzen können.
Die Leistungsfähigkeit des Klägers besteht somit in Höhe von 53.- EUR (Einkommen gerundet 943.- EUR, Selbstbehalt 890.- EUR).
Der Kläger schuldet Kindesunterhalt durchgehend über den Zeitraum Juli 2005 hinaus. Die Beklagte hat im Sommer 2005 ihre allgemeine
Schulausbildung abgeschlossen und zum 01.09.2005 das Studium an der Fachhochschule aufgenommen. In der kurzen dazwischen liegenden
Zeit durfte die Beklagte ohne Verstoß gegen ihre Obliegenheit zur wirtschaftlichen Eigenversorgung einer Arbeitstätigkeit
nicht nachgehen, um die Aufnahme des Studiums vorzubereiten.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§
543 Abs.
2 ZPO). Weder liegt ein Fall von grundsätzlicher Bedeutung vor, noch weicht die Entscheidung von der Rechtsprechung des BGH ab.
Die Beurteilung der Erwerbsfähigkeit des Klägers unterliegt der tatrichterlichen Würdigung.
Die Kostenentscheidung folgt aus §
92 ZPO, die Regelung der Vollstreckbarkeit aus §§
708 Nr. 10,
709, 711
ZPO.