Zulässigkeit des Widerrufs der Berufungsrückname im sozialgerichtlichen Verfahren
Tatbestand:
Im Streit zwischen den Beteiligten stand, ob der vom Kläger am 24.08.2007 gegen den Bescheid vom 19.03.2007 eingelegte Widerspruch
rechtzeitig war. Mit Bescheid vom 19.03.2007 hatte die Beklagte den Antrag des Klägers vom 31.01.2007, ihm höhere Leistungen
der Pflegeversicherung als nach der Stufe I zu gewähren, abgelehnt. Den Widerspruch hatte sie mit Widerspruchsbescheid vom
15.10.2007 als unzulässig, da verfristet, zurückgewiesen.
Die dagegen erhobene Klage wies das Sozialgericht Regensburg mit Gerichtsbescheid vom 16.01.2008 ab, weil, wie von der Beklagten
bereits festgestellt, der Widerspruch gegen den Bescheid vom 19.03.2007 verspätet, das heißt nicht innerhalb der Monatsfrist
eingelegt worden war. Auf die hiergegen eingelegte Berufung beraumte der Senat Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 30.04.2008
an. Der persönlich anwesende Kläger erklärte nach Erörterung des Sach- und Streitverhältnisses, er nehme die Berufung gegen
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 16.01.2008 zurück. Im Protokoll ist festgehalten, dass diese Erklärung
dem Kläger vorgelesen und von ihm genehmigt wurde.
Mit beim Bayerischen Landessozialgericht am 09.06.2008 eingegangenen Schreiben rügte der Kläger, entgegen des Wortlauts im
Protokoll vom 30.04.2008 sei der Sachverhalt nicht vorgetragen und nicht erörtert worden. Es sei kein Wort darüber gefallen,
um was es sich eigentlich handle, nämlich um höhere Leistungen der Pflegeversicherung. Es sei nur um die Einlegung des Widerspruchs
gegangen. Er könne nicht verstehen, warum er nach München geladen worden war, wenn er sowieso nicht gehört wurde. Die Berufung
gegen den Gerichtsbescheid vom 16.01.2008 habe er nicht zurückgenommen. Auf das Hinweisschreiben des Senats vom 11.06.2008,
er möge sich erklären, ob er die Fortsetzung des Berufungsverfahrens anstrebe, welche nur unter den engen Voraussetzungen
eines Restitutions- oder Wiederaufnahmeverfahrens erfolgen könne, teilte der Kläger mit, er habe keine Berufung gegen den
Gerichtsbescheid eingelegt und brauche sie daher nicht zurückzunehmen. In seinem Fall sei ein Sachverständigengutachten von
der Beklagten zu Grunde gelegt worden, das nicht der Wahrheit entsprochen habe. Die ihm vom Senat erläuterten Gründe für ein
Wiederaufnahmeverfahren lägen vor, weil in diesem Gutachten Pflegezeiten "ausgelassen" worden seien. Richtigerweise hätten
weitere 82 Minuten Pflegezeit hinzugerechnet werden müssen.
Der Kläger beantragt (sinngemäß),
auf seine Berufung den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 16.01.2008 sowie den Bescheid vom 19.03.2007 in
der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 15.10.2007 aufzuheben und ihm auf seinen Antrag vom 31.01.2007 Leistungen nach Pflegestufe
II zu gewähren.
Die Beklagte beantragt
festzustellen, dass der Rechtsstreit durch die Berufungsrücknahme des Klägers vom 30.04.2008 erledigt ist.
Im Übrigen wird zur Ergänzung des Sachverhalts gemäß §
136 Abs.2
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) auf den Inhalt der Akte der Beklagten sowie der Gerichtsakten erster und zweiter Instanz und der beigezogenen Akten des
Sozialgerichts Regensburg zu den Aktenzeichen S 2 P 8/08 und S 2 P 19/08 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Rechtsstreit ist durch die Berufungsrücknahme des Klägers erledigt. Dies war durch Urteil festzustellen.
Die Rücknahme der Berufung kann als Prozesshandlung nicht angefochten werden. Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts über
Nichtigkeit und Anfechtung, insbesondere auch wegen Irrtums, sind auf Prozesshandlungen nicht anwendbar (Meyer-Ladewig,
SGG, 9. Auflage, vor §
60 Rdnr.12 und 12a).
In Betracht käme danach nur ein Widerruf, wenn Restitutionsgründe gemäß §
580 Zivilprozessordnung (
ZPO) vorlägen. Nach dieser Vorschrift findet die Restitutionsklage statt, wenn
1. der Gegner durch Beeidigung einer Aussage, auf die das Urteil gegründet ist, sich einer vorsätzlichen oder fahrlässigen
Verletzung der Eidespflicht schuldig gemacht hat;
2. eine Urkunde, auf die das Urteil gegründet ist, fälschlich angefertigt oder verfälscht war;
3. bei einem Zeugnis oder Gutachten, auf welches das Urteil gegründet ist, der Zeuge oder Sachverständige sich einer strafbaren
Verletzung der Wahrheitspflicht schuldig gemacht hat;
4. das Urteil von dem Vertreter der Partei oder von dem Gegner oder dessen Vertreter durch eine in Beziehung auf den Rechtsstreit
verübte Straftat erwirkt ist;
5. ein Richter bei dem Urteil mitgewirkt hat, der sich in Beziehung auf den Rechtsstreit einer strafbaren Verletzung seiner
Amtspflichten gegen die Partei schuldig gemacht hat;
6. das Urteil eines ordentlichen Gerichts, eines früheren Sondergerichts oder eines Verwaltungsgerichts, auf welches das Urteil
gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftiges Urteil aufgehoben ist;
7. die Partei ein in derselben Sache erlassenes früher rechtskräftig gewordenes Urteil oder eine andere Urkunde auffindet
oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die ihr eine günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde.
Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Dies gilt vor allem auch für die oben unter Ziffer 3 angeführten Gründe, auf
die sich der Kläger zu stützen scheint. Wenn er meint, das der ablehnenden Entscheidung höherer Pflegeversicherungsleistungen
von der Beklagten zu Grunde gelegte Gutachten des MDK sei unrichtig, so reicht das für die genannten Restitutionsgründe nicht
aus. Es muss sich nämlich um ein Gutachten handeln, auf welches das Urteil gegründet ist und weswegen der Sachverständige
wegen Verletzung der Wahrheitspflicht von einem Strafgericht verurteilt worden ist. Diese Voraussetzungen liegen ersichtlich
nicht vor und werden auch so vom Kläger nicht vorgetragen. Die Tatsache, dass ein Gutachten von den Vorstellungen einer Partei
abweicht, stellt in keiner Weise eine strafbare Verletzung der Wahrheitspflicht dar. In keiner Weise findet der Vorwurf des
Klägers, der Sachverständige habe bewusst Pflegezeiten "ausgelassen", eine Stütze. Zur Klarstellung weist der Senat darauf
hin, dass auch eine solche vermeintlich bewusste Falschbegutachtung noch nicht den Tatbestand einer strafbaren Verletzung
der Wahrheitspflicht entsprechen würde. Im Übrigen stützt sich der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Regensburg vom 16.01.2008
nicht auf ein Gutachten, sondern auf die versäumte Widerspruchsfrist.
Auf andere Gründe beruft sich der Kläger nicht; solche sind auch nicht zu erkennen. Es war daher festzustellen, dass der Rechtsstreit
durch die Berufungsrücknahme am 30.04.2008 erledigt wurde.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.
Für die Zulassung der Revision liegt keiner der in §
160 Abs.2 Nrn.1 und 2
SGG genannten Gründe vor.