Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem SGB XII
Berufungsverfahren
Anderweitige Rechtshängigkeit
Tatbestand
Der Kläger begehrt von der Beklagten die Bewilligung von Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Siebten Kapitel des Sozialgesetzbuches
Zwölftes Buch (SGB XII) auf Dauer und nicht auf jeweils ein Jahr befristet (hier zunächst vom 01.04.2015 bis zum 31.03.2016).
Der 1964 geborene Kläger ist seit einer Fraktur der Halswirbelkörper im November 1989 inkomplett querschnittsgelähmt (sog.
Tetraplegie) und leidet daher an einer den ganzen Körper betreffenden Muskelatrophie (Muskelschwund).
Die Beklagte leistete seit ca. dem Jahr 2009 Sozialhilfe, unter anderem Hilfe zur Pflege, auch unter Einbezug von Pflegebereitschaftszeiten.
Denn der Kläger ist nicht stationär untergebracht und wohnt seit 2012 mit seiner Lebensgefährtin zusammen. Der Bescheid über
Hilfe zur Pflege regelt jeweils den Zeitraum von April bis einschließlich März des Folgejahres.
Die letzten Feststellungen zum Pflegebedarf traf das Referat für Gesundheit und Umwelt der Beklagten im Februar 2012 nach
Aktenlage, unter anderem in Kenntnis des letzten Pflegegutachtens des MDK vom 12.09.2005. Ein noch älteres Pflegegutachten
datiert vom 28.08.1995. Schon damals hielt der MDK eine Nachuntersuchung des Klägers nicht für erforderlich.
Mit hier streitbefangenem Bescheid vom 23.03.2015 bewilligte die Beklagte dem Kläger auf seinen Antrag vom März 2015 hin vorläufig
für die Zeit vom 01.04.2015 bis 31.03.2016 Grundpflege von täglich fünf Stunden und hauswirtschaftliche Versorgung von täglich
bis zu einer Stunde so wie Pflegebereitschaft von täglich bis zu 14 Stunden und 30 Minuten, an Tagen, in denen die Werkstatt
für Menschen (WfbM) mit Behinderung nicht besucht werde und Pflegebereitschaft von täglich bis zu 8 Stunden und 30 Minuten
an Tagen, an denen die WfbM tatsächlich besucht werde. Weiter wurde ein gekürztes Pflegegeld i.H.v. monatlich 128 EUR bewilligt.
Der Bescheid enthielt eine Zustimmung zur gewählten Versorgungsform und Hinweise über die Zahlung der zu erbringenden Dienste.
Die vorläufige Bewilligung erfolgte, da die Beklagte der Rechtsauffassung war, für die Erbringung der Leistungen unzuständig
zu sein, da Leistungen vorrangig von anderen Leistungsträgern zu erbringen seien. Die Regierung von Oberbayern wies den wegen
der Befristung erhobenen Widerspruch mit Bescheid vom 30.06.2016 zurück. Diese führte dazu an, dass es sich bei der Sozialhilfe
nicht um eine rentengleiche wirtschaftliche Dauerleistung handele, sondern um Hilfe für eine bestimmte Person in einer bestimmten
Notsituation.
Der Kläger hatte schon am 08.09.2014 Klage wegen des Bescheides für die vorangegangene Bewilligungsperiode (Bescheid vom 19.03.2014)
erhoben. In der mündlichen Verhandlung vor dem SG hat der Kläger dort beantragt: "die Befristung im Bescheid vom 19.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.08.2014
in der Fassung der Bescheide vom 05.03.2015 und 23.03.2015 aufzuheben". Mit Urteil vom 2. Juli 2015 hatte das SG "die Befristung auf 31.03.2015 im Bescheid vom 19.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 05.08.2014 in der Fassung
des Bescheids vom 05.03.2015 aufgehoben" und im Übrigen die Klage abgewiesen.
Am 03.08.2015 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht München (SG) gegen die im Bescheid vom 23.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2015 enthaltene Befristung erhoben.
Der Kläger wendet sich auch im vorliegenden Verfahren ausschließlich gegen die Befristung (zum 31. März 2016) und begehrt
deren Aufhebung (Klageantrag vom 03.08.2015). Er vertritt die Auffassung, eine Befristung der Leistungen der Hilfe zur Pflege
sei nicht zulässig und könne daher von ihm mit der isolierter Anfechtungsklage angegriffen werden.
Mit Urteil vom 20. Mai 2016 hat das SG festgestellt, dass der Bescheid der Beklagten vom 23.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der Regierung von
Oberbayern vom 30.06.2015 insoweit rechtswidrig und aufzuheben sei, als er eine Befristung der Leistung der Hilfe zur Pflege
bis zum 31.03.2016 enthalten habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zur Begründung des Urteils wird ausgeführt, dass
der Hauptantrag (isolierte Aufhebung der Befristung im Bescheid vom 23.03.2015) unzulässig sei, weil sich die Befristung durch
Zeitablauf erledigt habe. Erledigt sei ein Verwaltungsakt oder eine isoliert anzufechtende Nebenbestimmung jedenfalls dann,
wenn sie wegen ihres Wegfalls keinerlei Rechtsfolgen mehr auslösen könne. Dies sei bei dem Verwaltungsakt vom 23.03.2015 hinsichtlich
der dort enthaltenen Befristung der Fall. Die im Bescheid als Nebenbestimmung enthaltene Befristung (§ 32 Abs. 2 Nr. 1 SGB X) sei mittlerweile obsolet, weil der Befristungszeitraum abgelaufen sei und der sich anschließende Zeitraum im Folgebescheid
geregelt worden sei. Eine isolierte Kassation der Nebenbestimmung aus dem Bescheid vom 23.03.2015 wäre daher sinnlos. Somit
liege eine Erledigung vor. Zulässig und begründet sei aber die hilfsweise erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage. Insoweit
handele sich um eine zulässige Klageerweiterung nach §
99 Abs.
3 Nr.
3 SGG. Der Bescheid vom 23.03.2015 sei auch nicht gem. §
96 SGG Gegenstand dieses Klage- bzw. Berufungsverfahrens geworden. Die Fortsetzungsfeststellungsklage sei auch begründet. Für die
Befristung im Bescheid vom 23.03.2015 gebe es keine Rechtsgrundlage. Bei der Hilfe zur Pflege gemäß §§ 61 ff. SGB XII handele es sich um Leistungen, auf die bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen ein Anspruch bestehe (§ 61 Abs.
1 Satz 1 SGB XIII " ist Hilfe zur Pflege leisten"). Durch Rechtsvorschrift sei eine Befristung (§ 32 Abs. 1, 1. Alt. SGB X) bei der Hilfe zur Pflege nicht zugelassen. Zur Sicherstellung der Voraussetzungen des Verwaltungsaktes (§ 32 Abs. 1, 2. Alt. SGB X) sei im vorliegenden Fall eine Befristung nicht erlaubt. Der Wortlaut des § 32 Abs. 1 2. Alt. SGB X räume die Möglichkeit einer Nebenbestimmung ausdrücklich nur ein, wenn diese sicherstellen solle, dass die gesetzlichen Voraussetzungen
des Verwaltungsaktes erfüllt "werden", nicht auch dafür, dass diese erfüllt "bleiben". Weder sei aber wegen der Eigenart des
Bescheides (Hilfe zur Pflege) typischerweise damit zu rechnen, dass dessen Voraussetzungen nach einer gewissen Zeit wieder
entfallen könnten; tatsächlich habe die Beklagte dem Kläger durchgehend Leistungen in gleicher Höhe bewilligt. Dies gelte
umso mehr, als die Beklagte ihre Bescheide im Zusammenhang mit Hilfe zur Pflege nach einer in anderen Verfahren geäußerten
Rechtsansicht nicht als Bewilligung sondern nur als Zusicherung (§ 34 SGB X) verstehe. Änderungen im Hilfebedarf wären dann bei der konkreten Abrechnung der einzelnen Bewilligungsmonate zu berücksichtigen
(§ 34 Abs. 3 SGB X). Auch lägen im konkreten Fall keine greifbaren Anhaltspunkte vor, wonach zu befürchten ist, dass die Voraussetzungen für
Hilfe zur Pflege beim Kläger möglicherweise wieder entfallen könnten (vgl. BSG vom 28.09.2005 - B 6 KA 60/03 R). Dies gelte auch, soweit für die Hilfe zur Pflege Einkommen und Vermögen in bestimmten Umfang einzusetzen Zeitpunkt
Gegen das am 03.06.2016 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 16.06.2016 Berufung zum Bayer. Landessozialgericht (LSG) erhoben;
der Kläger am 04.07.2016.
Die Beklagte begründet dies damit, dass eine Befristung zulässig sei, dem SG aber insoweit zuzustimmen sei, als sich die Wirkung des angefochtenen Verwaltungsaktes bereits erledigt habe. Der Kläger
begründet seine Berufung damit, dass unter Umständen das SG mit seinem früheren Urteil vom 2. Juli 2015 einen Verfahrensfehler begangen habe, weil es den Parteien nicht die Nachholung
des fehlenden Widerspruchsverfahrens eingeräumt habe. Im Übrigen werde die Ansicht des LSG nicht geteilt, dass der Bescheid
vom 23.03.2015 Gegenstand des vorangegangenen Gerichtsverfahrens mit dem Aktenzeichen S 51 SO 531/14 geworden sei. Denn damals
(in der mündlichen Verhandlung vom 02.07.2015) sei der entsprechende Widerspruchsbescheid noch nicht ergangen gewesen und
der Klägerbevollmächtigte würde keine unzulässige Klage erheben.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 20. Mai 2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger stellt den Antrag,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Kläger stellt den Antrag,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 20. Mai 2016 aufzuheben und die Befristung auf den 31.03.2016 im Bescheid vom 23.03.2015
in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.06.2016 aufzuheben.
Die Beklagte stellt den Antrag,
die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Zwischenzeitlich sind Regelungen über weitere Bewilligungsperioden ergangen, so mit Bescheid vom 21.03.2016 über den Zeitraum
vom 01.04.2016 bis 31.03.2017, angefochten beim SG seit dem 13.10.2016 (Az.: S 53 SO 552/16) und schließlich mit Bescheid vom 30.03.2017 über den Zeitraum vom 01.04.2017 bis
31.03.2018.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten beider Instanzen und der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg. Das Urteil des SG ist aufzuheben und Klage abzuweisen.
1. Beide schriftlich eingelegten Berufungen sind form- und fristgemäß zum LSG eingelegt (§
151,
153 SGG). Es handelt sich damit bei der Berufung des Klägers vom Montag, den 04.07.2016 um keine Anschlussberufung im Sinne von §
524 ZPO an die vom Beklagten eingelegte Berufung vom 16.06.2016 gegen das am 03.06.2016 zugestellten Urteil.
Die Berufungen sind statthaft und bedürfen keiner Zulassung (§§
143,
144 Abs.
1 S. 2
SGG). Es ist umstritten, ob dem Kläger ein Recht auf Dauer zusteht, womit laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betroffen
sind.
2. Gegenstand der Berufung ist ein Urteil des SG vom 20. Mai 2016. Seit dem 21.09.2015 war aber bereits eine Berufung beim LSG (Az.: L 8 SO 206/15) anhängig, mit der das
Urteil des SG vom 2. Juli 2015 angefochten wurde, in welchem es "die Befristung auf 31.03.2015 im Bescheid vom 19.03.2014 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids vom 05.08.2014 in der Fassung des Bescheids vom 05.03.2015 aufgehoben" und im Übrigen die Klage abgewiesen
hat.
Die Entscheidung des SG war aber unvollständig. Aus dem Tenor der angefochtenen Entscheidung vom 02.07.2015 ergibt sich keine Entscheidung über den
- hier angefochtenen - Bescheid vom 23.03.2015. Dieser ist aber gemäß §
99 SGG im Wege der Klageerweiterung Gegenstand des Verfahrens geworden.
In der mündlichen Verhandlung vor dem SG am 02.07.2015 hat der Klägerbevollmächtigte beantragt, die Befristung sowohl im Bescheid vom 19.03.2014 wie auch in der Fassung
des Bescheides vom 23.03.2015 aufzuheben (Wortlaut: "die Befristung im Bescheid vom 19.03.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 05.08.2014 in der Fassung der Bescheide vom 05.03.2015 und 23.03.2015 aufzuheben"). Selbst wenn damit ein Hilfsantrag
beabsichtigt gewesen wäre, wie der Kläger angesichts des Wortlauts seines Antrags "in der Fassung des" argumentiert (für den
Fall, dass das SG eine Einbeziehung gemäß §
96 SGG annehmen würde), hätte auch dies zu einer Einbeziehung geführt. Jedenfalls hat die Beklagte einer Einbeziehung des Bescheides
vom 23.03.2015 nicht widersprochen und sich rügelos durch eigene Antragstellung in der mündlichen Verhandlung darauf eingelassen.
Damit ist der Tatbestand des §
99 Abs.
2 SGG gegeben. Gemäß §
99 Abs.
1 1. Alt.
SGG liegt somit eine Klageänderung vor. Diese war auch zulässig, weil schon vor der mündlichen Verhandlung am 02.07.2015 ein
Widerspruchsbescheid am 30.06.2015 ergangen ist.
3. Die erst am 03.08.2015 erhobene Klage zum SG, das hier streitige Verfahren mit dem Az.: S 22 SO 447/15, war damit wegen anderweitiger, bereits seit 02.07.2015 infolge
Klageänderung bestehender Rechtshängigkeit im Verfahren S 51 SO 531/14 unzulässig (§
202 Satz 1
SGG i.V.m. §
17 Abs.
1 Satz 2
Gerichtsverfassungsgesetz (
GVG)).
4. Die Berufung der Beklagten ist damit begründet, weil das SG kein Urteil in der Sache hätte erlassen dürfen. Das Urteil vom 20.05.2016 war daher aufzuheben und die Klage gegen den Bescheid
vom 23.03.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 30.06.2015 als unzulässig abzuweisen.
5. Die Berufung des Klägers ist zurückzuweisen. Sein Klageziel, anstelle der vom LSG vorgenommenen Feststellung der Rechtswidrigkeit
der Befristung die Befristung auf den 31.03.2016 im Bescheid vom 23.03.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom
30.06.2016 aufzuheben, hat er in diesem Verfahren nicht erreichen können. Daran ändert sich auch nichts dadurch, dass der
Kläger in seinem Antrag auch - kombiniert mit dem Aufhebungsantrag befristeter Bescheide - die Aufhebung des Urteils des SG formuliert hat.
6. Außergerichtliche Kosten sind dem Kläger nicht zu erstatten (§
193 SGG).
7. Gründe zur Zulassung der Revision sind nicht ersichtlich (§
160 SGG).