Sozialversicherungsbeitragspflicht
Einstweiliger Rechtsschutz
Abgrenzung von Beschäftigung und Selbstständigkeit
Verjährungsfrist bei bedingtem Vorsatz
Gründe
I. Die am 11.7.2016 bei dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen schriftlich eingelegte Beschwerde der Antragsgegnerin
gegen den ihr am 29.6.2016 zugestellten Beschluss des Sozialgerichts (SG) Köln vom 23.6.2016 ist zulässig, insbesondere statthaft (§
172 Abs.
1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) sowie form- und fristgerecht (§
173 Sätze 1 und 2, §
64 Abs.
1, Abs.
2, §
63 SGG) eingelegt worden.
II. Die Beschwerde der Antragsgegnerin ist jedoch nur teilweise begründet.
Nach §
86b Abs.
1 Satz 1 Nr.
2 SGG kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben,
diese ganz oder teilweise anordnen. Die aufschiebende Wirkung entfällt gemäß §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG bei Entscheidungen über Beitragspflichten und die Anforderung von Beiträgen sowie der darauf entfallenden Nebenkosten einschließlich
der Säumniszuschläge (vgl. zu Letzteren: Senat, Beschluss v. 7.1.2011, L 8 R 864/10 B ER, NZS 2011, 906; Beschluss v. 9.1.2013, L 8 R 406/12 B ER; Beschluss v. 27.6.2013, L 8 R 114/13 B ER; Beschluss v. 11.3.2016, L 8 R 506/14 B ER, jeweils [...]). Die Entscheidung, ob die aufschiebende Wirkung ausnahmsweise durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt
aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses
an der Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an §
86a Abs.
3 Satz 2
SGG zu berücksichtigen, in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die
Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge
hätte.
Da §
86a Abs.
2 Nr.
1 SGG das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert, können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit
des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs zumindest überwiegend wahrscheinlich
erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen
zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen
die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. Senat, Beschluss v. 7.1.2011, a.a.O.; Beschluss v. 10.1.2012,
L 8 R 774/11 B ER; Beschluss v. 10.5.2012, L 8 R 164/12 B ER; Beschluss v. 9.1.2013, a.a.O.; Beschluss v. 27.6.2013, a.a.O.; Beschluss v. 11.3.2016, a.a.O., jeweils [...]).
Nach dieser Maßgabe ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Antragsgegnerin
vom 30.11.2015 teilweise begründet. Der Erfolg des Rechtsbehelfs in der Hauptsache ist nach gegenwärtiger Erkenntnislage hinsichtlich
der Nacherhebung von Pflichtbeiträgen für die Beigeladene nebst Umlagebeiträgen für den Zeitraum vom 15.2.2006 bis zum 31.12.2010
sowie hinsichtlich der Festsetzung von Säumniszuschlägen überwiegend wahrscheinlich. Im Übrigen spricht derzeit mehr dafür,
dass dem Anfechtungswiderspruch kein Erfolg beschieden sein wird, weil der Bescheid vom 30.11.2015 insoweit rechtmäßig ist.
1. Ermächtigungsgrundlage für den Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.11.2015 ist § 28p Abs. 1 Satz 5 Sozialgesetzbuch Viertes
Buch (
SGB IV). Danach erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Betriebsprüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht
und Beitragshöhe der Arbeitnehmer in der Sozialversicherung gegenüber den Arbeitgebern. Diese Rechtsgrundlage ermächtigt auch
zur Erhebung von Säumniszuschlägen gemäß §
24 SGB IV (vgl. nur Scheer in: jurisPK-
SGB IV, 3. Aufl. 2016, § 28p Rdnr. 213).
2. Der Bescheid der Antragsgegnerin vom 30.11.2015 ist formell rechtmäßig, insbesondere ist die Antragstellerin vor Erlass
des sie belastenden Prüfungsbescheides unter dem 28.10.2015 ordnungsgemäß nach § 24 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) angehört worden.
3. Nach summarischer Beurteilung spricht gegenwärtig mehr dafür als dagegen, dass der Bescheid vom 30.11.2015 die Antragstellerin
nicht beschwert, soweit mit diesem Pflichtbeiträge zur gesetzlichen Sozialversicherung betreffend die Beigeladene für den
Zeitraum vom 1.1.2011 bis zum 31.12.2014 nacherhoben werden [hierzu a)]. Hinsichtlich der für den Zeitraum vom 15.2.2006 bis
zum 31.12.2010 nacherhobenen Pflichtbeiträge [hierzu b)] und der festgesetzten Säumniszuschläge (§
24 SGB IV) ist hingegen gegenwärtig mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Verwaltungsakt vom 30.11.2015 im
Widerspruchsverfahren aufzuheben sein wird [hierzu c)].
a) Nach §
28e Abs.
1 SGB IV hat der Arbeitgeber den Gesamtsozialversicherungsbeitrag für die bei ihm Beschäftigten, d.h. die für einen versicherungspflichtigen
Beschäftigten zu zahlenden Beiträge zur Kranken-, Renten-, Arbeitslosen- und Pflegeversicherung (§
28d Sätze 1 und 2
SGB IV), zu entrichten.
Der Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt
beschäftigt sind (§ 5 Abs. 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch [SGB V], § 20 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Elftes
Buch [SGB XI], § 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI], § 25 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch
[SGB III]). Das gilt nicht, wenn eine zur Entgeltgeringfügigkeit führende Beschäftigung nach §
8 Abs.
1 Nr.
1 SGB IV vorliegt, die nach §
27 Abs.
2 Satz 1
SGB III, §
7 SGB V und §
5 Abs.
2 Nr.
1 SGB VI zur grundsätzlichen Versicherungsfreiheit in den jeweiligen Zweigen der Sozialversicherung führt.
aa) Der Feststellung einer in sämtlichen Zweigen der Sozialversicherung versicherungspflichtigen Beschäftigung der Beigeladenen
ab dem 15.2.2006 steht aller Voraussicht nach die Erklärung der DAK vom 26.1.2001 nicht entgegen.
(1) Dieser Erklärung zufolge hat eine erneute Überprüfung der Versicherungsfreiheit der Beigeladenen ergeben, dass diese eine
"selbständige Tätigkeit" ausübte. Sie sei im Umfang von 10 % an den Geschäftsanteilen der Antragstellerin beteiligt, vertrete
die Gesellschaft nach außen und sei nicht weisungsgebunden.
(2) Diese Erklärung ist nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont (vgl. §
133 Bürgerliches Gesetzbuch) dahingehend auszulegen, dass die DAK in ihrer Eigenschaft als Einzugsstelle (§
28h Abs.
2 SGB IV) Versicherungsfreiheit der Beigeladenen in den vom Gesamtsozialversicherungsbeitrag umfassten Versicherungszweigen der gesetzlichen
Kranken- und Rentenversicherung, der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung (§§ 28h Abs.
1 Satz 1,
28d Satz 1 und 2
SGB IV) durch Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X festgestellt hat. Dies folgt bereits aus der Überschrift ("Überprüfung der Versicherungsfreiheit"). Eine Beschränkung der
Statusbeurteilung auf einzelne Zweige der Sozialversicherung ist nicht zu erkennen.
(3) Derzeit spricht indessen Überwiegendes dafür, dass der Bescheid vom 26.1.2001 die Verhältnisse im Streitzeitraum nicht
mehr erfasst hat, weil er sich vorher auf andere Weise im Sinne von § 39 Abs. 2 SGB X erledigt hat.
Ein Verwaltungsakt erledigt sich auf andere Weise, wenn er nicht mehr geeignet ist, rechtliche Wirkungen zu entfalten, oder
wenn die Steuerungsfunktion, die ihm ursprünglich innewohnte, entfallen ist (Roos in: von Wulffen/Schütze, SGB X, 8. Aufl. 2014, § 39 Rdnr. 14; Steinwedel in Kasseler Kommentar, 88. EL 2015, § 39 SGB X Rdnr. 24). Das ist insbesondere der Fall, wenn der Regelungsgegenstand weggefallen ist (vgl. BSG, Urteil v. 27.1.1993, 4 RA 4092, SozR 3-8570 § 10 Nr. 1; Urteil v. 25.5.2011, B 12 KR 9/09 R, SozR 4-2500 § 8 Nr. 3).
Hier war der Regelungsgegenstand die Beurteilung der Versicherungspflicht der Beigeladenen als Geschäftsführerin der Antragstellerin.
Diese Position hatte die Beigeladene im fraglichen Zeitraum inne, und für dieses Verständnis spricht insbesondere, dass der
Bescheid der DAK vom 26.1.2001 ausdrücklich als Ergebnis einer erneuten Prüfung der "eingereichten Unterlagen" ergangen ist.
Dieses Anstellungsverhältnis hat jedoch mit Abberufung der Beigeladenen als Geschäftsführerin (Gesellschafterversammlung der
Antragstellerin vom 15.2.2006) sein Ende gefunden. Auch wenn im sodann geschlossenen Anstellungsvertrag vom 15.2.2006 (nachfolgend:
AnstV) von einer "Fortführung des bestehenden Anstellungsvertrages nach der Abberufung als Geschäftsführerin" die Rede ist,
ist derzeit nicht ersichtlich, dass dieser Vertrag ein bereits existentes Vertragsverhältnis fortsetzt. Dagegen spricht vielmehr,
dass der AnstV ersichtlich die vertraglichen Pflichten neu regelt, indem er u.a. Festlegungen zur Tätigkeit der Beigeladenen
(§ 2 AnstV), zum Gehaltsanspruch (§ 3 AnstV) und zu Kündigungsregelungen (§ 8 AnstV) trifft.
bb) Mit überwiegender Wahrscheinlichkeit war die Beigeladene im Zeitraum vom 15.2.2006 bis zum 31.12.2014 bei der Antragstellerin
gegen Entgelt (§
14 Abs.
1 SGB IV) beschäftigt.
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer Beschäftigung ist §
7 Abs.
1 SGB IV. Beschäftigung in diesem Sinne ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für
eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.
Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden
Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und er dabei einem Zeit, Dauer, Ort und
Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann eingeschränkt und
zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit
vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit
über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig
beschäftigt oder selbstständig tätig ist, richtet sich ausgehend von den genannten Umständen nach dem Gesamtbild der Arbeitsleistung
und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (BSG, Urteil v. 18.11.2015, B 12 KR 16/13 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 25; Urteil v. 11.11.2015, B 12 KR 10/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 28; Urteil v. 11.11.2015, B 12 KR 13/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 26; jeweils m.w.N.; zur Verfassungsmäßigkeit dieser Abgrenzung: BVerfG, Beschluss v. 20.5.1996, 1 BvR 21/96, SozR 3-2400 § 7 Nr. 11).
Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. der selbständigen Tätigkeit
setzt dabei voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer
Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den
Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (BSG, Urteil v. 18.11.2015, a.a.O.; Urteil v. 29.7.2015, B 12 KR 23/13 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 24).
Zur Abgrenzung von Beschäftigung und Selbständigkeit ist regelmäßig vom - wahren und wirksamen - Inhalt der zwischen den Beteiligten
getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Auf dieser Grundlage ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus
der abhängigen Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit vorzunehmen und in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob besondere
Umstände vorliegen, die eine hiervon abweichende Beurteilung notwendig machen (vgl. hierzu im Einzelnen BSG, Urteil v. 24.3.2016, B 12 KR 20/14 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 29; Urteil v. 18.11.2015, a.a.O.; Urteil v. 29.7.2015, a.a.O.).
(1) Der AnstV enthält arbeitsvertragstypische Regelungen. Dazu gehören der Anspruch auf ein Festgehalt einschließlich eines
Urlaubs- und Weihnachtsgeldes (§ 3 AnstV), Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall (§ 4 AnstV) und der Anspruch auf Urlaub (§
5 AnstV).
(2) Auf dieser vertraglichen Grundlage hat die Beigeladene die vereinbarte Tätigkeit als "festangestellte Mitarbeiterin" (§
2 AnstV) bzw. als "Marketingdirektorin" (Beschluss der Gesellschafterversammlung der Antragstellerin v. 15.2.2006 [Niederschrift
v. 15.2.2006]) in einem für sie fremden Betrieb, nämlich dem der Antragstellerin, unter Nutzung der von der Gesellschaft bereitgestellten
Räumlichkeiten und ihrer Infrastruktur ausgeübt. Alleinige Unternehmensträgerin war die als juristische Person des Privatrechts
mit eigener Rechtspersönlichkeit ausgestaltete GmbH selbst. Diese ist von den als Gesellschaftern dahinterstehenden juristischen
oder natürlichen Personen unabhängig (vgl. hierzu nur BSGE 95, 275 = SozR 4-2600 § 2 Nr. 7, Rdnr. 21 m.w.N.) und von den verwandtschaftlichen oder wirtschaftlichen Beziehungen getrennt zu
betrachten (vgl. BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 17 Rdnr. 18).
(3) Die Beigeladene hat die streitige Tätigkeit auch im Sinne des §
7 Abs.
1 Satz 2
SGB IV nach Weisungen ausgeübt. Sie besaß im Streitzeitraum keine im Gesellschaftsrecht wurzelnde Rechtsmacht (zu diesem Erfordernis
etwa BSG, Urteil v. 29.7.2015, B 12 KR 23/13 R; zur Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Rechtsmacht vgl. BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 17, Rdnr. 32), die sie in die Lage versetzt hätte, eine Einflussnahme auf ihre Tätigkeit, insbesondere
durch etwaige Weisungen in Bezug auf ihr Anstellungsverhältnis, jederzeit wirksam zu verhindern.
(a) Innerhalb der Gesellschaft stand die für die Statusbeurteilung maßgebliche abstrakte Rechtsmacht zur Ausübung von Weisungen
betreffend das Dienstverhältnis der Beigeladenen dem Geschäftsführer der Antragstellerin zu. Hierzu war im Streitzeitraum
- unstreitig - allein Herr M L, der Bruder der Beigeladenen, bestellt und in dieser Eigenschaft im Handelsregister eingetragen.
Die Beigeladene ist ausweislich eines Auszugs aus dem Handelsregister des Amtsgerichts Köln (HR B 000) erst am 14.12.2015,
mithin nach dem bis zum 31.12.2014 reichenden Streitzeitraum wieder als Geschäftsführerin der Gesellschaft eingetragen worden.
Die Dienstaufsicht und das Weisungsrecht über die Angestellten einer Gesellschaft mit beschränkten Haftung (GmbH) ist - vorbehaltlich
abweichender gesellschaftsvertraglicher Vereinbarungen - nämlich Sache der laufenden Geschäftsführung und nicht der Gesellschafterversammlung
(BSG, Urteil v. 17.5.2001, B 12 KR 34/00 R; BSG, Urteil v. 23.6.1994, 12 RK 72/92, USK 9448 S. 253 = NJW 1994, 2974, 2975).
(b) Eine abweichende Beurteilung rechtfertigt auch der Beschluss der Gesellschafterversammlung der Antragstellerin vom 15.2.2006
zu TOP 2 ("Weiterbeschäftigung von Frau J L") nicht, wonach die Dienstaufsicht für die Beigeladene der Gesellschafterversammlung
und nicht der Geschäftsführung unterliegt. Dieser Beschluss hat eine wirksame Änderung des Gesellschaftsvertrages der Antragstellerin
nicht bewirkt. Ihm fehlt nämlich jedenfalls die nach § 53 Abs. 2 des Gesetzes über die Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbHG) erforderliche notarielle Beurkundung. Zudem ist die - mutmaßlich mit dem Beschluss angestrebte - Abänderung des Gesellschaftsvertrages
nicht den Erfordernissen des § 54 Abs. 1 GmbHG entsprechend zum Handelsregister angemeldet worden. Eintragen wurde unter dem 10.3.2006 lediglich die Abberufung der Beigeladenen
als Geschäftsführerin.
(4) Besondere Umstände, die die Annahme einer fehlenden Weisungsgebundenheit der Beigeladenen rechtfertigen, sind derzeit
nicht zu erkennen (vgl. zur Unbeachtlichkeit einer etwaigen faktischen, aber jederzeit abänderbaren und rechtlich ungebundenen
familiären Rücksichtnahme BSG, Urteil v. 29.7.2015, B 12 KR 23/13 R und B 12 R 1/15 R; jeweils [...] unter Verweis auf BSGE 111, 257 = SozR 4-2400 § 7 Nr. 17, Rdnr. 32).
(5) Nach derzeitiger Erkenntnislage überwiegen die für eine abhängige Beschäftigung sprechenden Indizien.
cc) Tatbestände, die eine Versicherungsfreiheit der Beigeladenen in einzelnen Zweigen der Sozialversicherung begründen, sind
weder ersichtlich noch vorgetragen worden.
b) Die mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.11.2015 für den Zeitraum vom 15.2.2006 bis zum 31.12.2010 nacherhobenen Pflichtbeiträge
sind nach gegenwärtiger Erkenntnislage indessen verjährt.
Nach §
25 Abs.
1 Satz 1
SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Beiträge,
die nach dem Arbeitsentgelt oder dem Arbeitseinkommen zu bemessen sind, werden spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des
Monats, in dem die Beschäftigung oder Tätigkeit, mit der das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen erzielt wird, ausgeübt worden
ist oder als ausgeübt gilt (§
23 Abs.
1 Satz 2
SGB IV). Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie
entstanden sind (§
25 Abs.
1 Satz 2
SGB IV).
Nach den zur Beurteilung des Vorsatzes im Sinne des §
25 Abs.
1 Satz 2
SGB IV entwickelten Grundsätzen reicht die Feststellung bedingten Vorsatzes für die Anwendung der 30-jährigen Verjährungsfrist aus
(BSG, Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7; BSG, SozR 3-2400 § 25 Nr. 7 S. 35 m.w.N.). Hierfür genügt, dass der Beitragsschuldner seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung
der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (BSG, SozR 3-2400 § 25 Nr. 7 S. 35). Der subjektive Tatbestand ist dabei bezogen auf die konkreten Umstände des Einzelfalles und den betreffenden
Beitragsschuldner individuell zu ermitteln; die Feststellungslast für den subjektiven Tatbestand trifft im Zweifel den Versicherungsträger.
"Kenntnis" in diesem Sinne ist das sichere Wissen darum, rechtlich und tatsächlich zur Zahlung der Beiträge verpflichtet zu
sein. Nicht ausreichend ist eine bloße Fahrlässigkeit, auch in der Form der "bewussten Fahrlässigkeit", bei welcher der Handelnde
die Möglichkeit der Pflichtverletzung zwar erkennt, jedoch darauf vertraut, die Pflichtverletzung werde nicht eintreten (BSG, Urteil v. 16.12.2015, a.a.O., Rdnr. 65 unter Hinweis auf BSG SozR 3-2400 § 25 Nr. 7 S. 33, 35 f.; BSG, Urteil v. 18.11.2015, B 12 R 7/14 R).
Zur Verschuldenszurechnung im Rahmen des §
25 Abs.
1 Satz 2
SGB IV hat der Senat folgende Grundsätze entwickelt: Bei juristischen Personen ist in erster Linie auf die Kenntnis der für sie
handelnden vertretungsberechtigten Organwalter (vgl. BGH, Urteil v. 8.12.1989, V ZR 246/87, NJW 1990, 975 f. m.w.N.) abzustellen. Handelt es sich - wie im vorliegenden Fall - um eine GmbH, ist also die Kenntnis zumindest eines
der Geschäftsführer maßgebend. Außerdem ist das Wissen derjenigen Mitarbeiter zuzurechnen, die mit der Wahrnehmung der Pflichten
des Arbeitgebers bei der Zahlung des Gesamtsozialversicherungsbeitrags gemäß §
28e Abs.
1 Satz 1
SGB IV bevollmächtigt sind (vgl. §
166 Abs.
1 BGB). Darüber hinaus kann das Wissen anderer Mitarbeiter zuzurechnen sein, sofern dieses Wissen bei ordnungsgemäßer Organisation
im Betrieb weiterzugeben und im Rahmen der Erfüllung der Arbeitgeberpflichten abzufragen ist (vgl. BGH, Urteil v. 13.12.2000,
V ZR 349/99, NJW 2001, 359 f.; BSG, Urteil v.16.12.2015, B 12 R 11/14 R, SozR 4-24009 § 28p Nr. 6). Schließlich kommt auch die Zurechnung bei einem (selbständigen) Rechtsanwalt oder Steuerberater
im Rahmen der Wissensvertretung nach §
166 Abs.
1 BGB analog und der Gehilfenverantwortung nach §
278 BGB analog in Betracht (Senat, Beschluss v. 7.11.2012, L 8 R 699/12 B ER, [...]; Senat, Beschluss v. 22.12.2015, L 8 R 213/13 B ER; BayLSG, Urteil v. 5.4.2016, L 5 KR 392/12, [...]).
Im vorliegenden Fall geht der Senat nach derzeitiger Sachlage eingedenk der vorstehenden Grundsätze zur Wissenszurechnung
eines Steuerberaters nicht davon aus, dass die Antragstellerin Beiträge im Sinne des §
25 Abs.
1 Satz 2
SGB IV vorsätzlich vorenthalten hat. Gegen eine dahingehende Annahme spricht aktuell jedenfalls, dass der Bescheid der DAK vom 26.1.2001
nicht ausdrücklich auf die Tätigkeit als Geschäftsführerin beschränkt war und die die Statusfeststellung tragenden und in
dem Verwaltungsakt dargelegten Erwägungen - ungeachtet ihrer tatsächlichen Relevanz für die getroffene Statusbeurteilung -
bei dem Adressaten die unzutreffende Annahme rechtfertigen konnten, dass die Beigeladene auch nach der Abberufung als Geschäftsführerin
weiterhin versicherungsfrei ist. So war die Beigeladene nicht nur im Umfang von 10% an den Geschäftsanteilen der Antragstellerin
beteiligt, sondern verfügte zwischenzeitlich sogar über 50% des Stammkapitals der Gesellschaft. Dieser Umstand konnte zu dem
Schluss verleiten, dass die Versicherungsfreiheit nunmehr erst recht gegeben war. Zudem war die Beigeladene zu 1) nach Maßgabe
der am 15.2.2006 erteilten Handlungsvollmacht befugt, alle Geschäfte und Rechtshandlungen vorzunehmen, die der Betrieb eines
Handelsgewerbes gewöhnlich mit sich bringt. Soweit nach dem internen Vermerk der Antragsgegnerin vom 18.5.2016 der Bescheid
der DAK vom 26.1.2001 einen Hinweis auf das Erfordernis auf eine neue Anfrage enthalten habe, lässt sich dies nach dem Inhalt
der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin nicht bestätigen, da diese den Bescheid der DAK vom 26.1.2001 nicht
enthalten. Die von der Antragstellerin im gerichtlichen Verfahren zur Akte gereichte Kopie des Bescheides der Einzugsstelle
vom 26.1.2001 enthält einen entsprechenden Hinweis indessen nicht.
Soweit die Antragsgegnerin auf den Inhalt des Bescheides über die frühere Betriebsprüfung vom 27.7.2007 verweist, beinhaltet
dieser zwar die schon damals in tatsächlicher Hinsicht (unzutreffende) Feststellung, dass die Beigeladene Gesellschafter-Geschäftsführerin
der Antragstellerin sei. Zugleich wird ausgeführt, dass "laut Bestätigung des Steuerberaters ( ) für Gesellschafterbeschlüsse
die einfache Mehrheit vereinbart" sei. Dass auch der Wegfall der Geschäftsführerbestellung - wie in dem internen Vermerk vom
18.5.2016 angedeutet - "verschwiegen" worden sei, lässt sich derzeit nicht objektivieren. Die Formulierung in dem Bescheid
vom 27.7.2007 lässt vielmehr auch den Schluss zu, dass eine Rückfrage nur zur Ausgestaltung des Mehrheitserfordernisses in
der Gesellschafterversammlung eingeholt worden ist.
c) Ebenso wird dem Widerspruch hinsichtlich der Anfechtung der festgesetzten Säumniszuschläge (§
24 SGB IV) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit abzuhelfen sein.
Nach §
24 Abs.
1 Satz 1
SGB IV ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat,
für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 v.H. des rückständigen auf 50,00 EUR nach unten abgerundeten
Betrages zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf
entfallender Säumniszuschlag nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis
von der Zahlungspflicht hatte (§
24 Abs.
2 SGB IV).
Für die Frage, ob in diesem Sinne unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht vorgelegen hat, ist in Ermangelung
anderer Maßstäbe auf diejenigen zurückzugreifen, die das BSG für die Beurteilung des Vorsatzes im Sinne des §
25 Abs.
1 Satz 2
SGB IV entwickelt hat (BSG, Urteil v. 26.1.2005, B 12 KR 3/04 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 7). Aufgrund der unter b) dargestellten Erwägungen ist - jedenfalls derzeit - der Nachweis einer Kenntnis
von einer Zahlungspflicht nicht überwiegend wahrscheinlich.
Soweit die Antragsgegnerin in dem Bescheid vom 30.11.2015 ausführt, es von "mindestens grober Fahrlässigkeit" auszugehen,
rechtfertigt dieser Umstand die Erhebung von Säumniszuschlägen nach den vorstehenden Erwägungen nicht.
2. Soweit demnach der Bescheid vom 30.11.2015 nicht außer Vollzug gesetzt wurde und damit Beiträge einstweilen zu entrichten
sind, hat der Antragsteller nicht glaubhaft gemacht, dass die Vollziehung des Betriebsprüfungsbescheides eine unbillige, nicht
durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hat. Allein die mit der Zahlung auf eine Beitragsforderung
für sie verbundenen wirtschaftlichen Konsequenzen führen nicht zu einer solchen Härte, da sie lediglich Ausfluss der Erfüllung
gesetzlich auferlegter Pflichten sind. Darüber hinausgehende, nicht oder nur schwer wieder gut zu machende Nachteile sind
nicht hinreichend dargelegt. Eine beachtliche Härte in diesem Sinne ist regelmäßig nur dann denkbar, wenn es dem Beitragsschuldner
gelingt darzustellen, dass das Beitreiben der Forderung aktuell die Insolvenz und/oder die Zerschlagung seines Geschäftsbetriebes
zur Folge hätte, die Durchsetzbarkeit der Forderung bei einem Abwarten der Hauptsache aber zumindest nicht weiter gefährdet
wäre als zurzeit (Senat, Beschluss v. 13.7.2011, L 8 R 287/11 B ER, [...]). Das ist vorliegend jedoch nicht glaubhaft gemacht.
Hinsichtlich etwaiger mit dem Forderungseinzug verbundener wirtschaftlicher Härten hat sich die Antragstellerin an die zuständige
Einzugsstelle zu wenden. Diese hat als Anspruchsinhaberin bzw. gesetzliche Prozessstandschafterin des Anspruchs auf Zahlung
des Gesamtsozialversicherungsbeitrags (vgl. §
28h Abs.
1 Satz 3
SGB IV) über Fragen des Forderungseinzugs zu befinden und insoweit über eine etwaige Stundung, einen Erlass oder die Niederschlagung
der Beitragsforderung (§
76 Abs.
3 SGB IV) sowie die Einstellung bzw. Beschränkung der Zwangsvollstreckung (vgl. §
257 Abgabenordnung) zu entscheiden (vgl. zur Zuständigkeit der Einzugsstelle im Rahmen des Beitragseinzugs auch BSG, Urteil v. 28.5.2015, B 12 R 16/13 R, [...], Rdnr. 23).
Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs.
1 Satz 1
SGG i.V.m. §
155 Abs.
1 Satz 1 Altern. 2, §
154 Abs.
3 Verwaltungsgerichtsordnung (
VwGO). Die Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig, weil diese auf eine Antragstellung verzichtet hat (vgl. §
162 Abs.
3 VwGO).
Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren folgt aus §
197a SGG i. V. m. §§ 52, 53 Abs. 3 Nr. 4 Gerichtskostengesetz und berücksichtigt, dass in Verfahren des vorläufigen Rechtschutzes, die Beitragsangelegenheiten betreffen, regelmäßig nur
ein Viertel des Wertes der Hauptsache als Streitwert anzusetzen ist (Senat, Beschluss v. 8.10.2010, L 8 R 368/10 ER [[...]]).
Der Beschluss kann nicht mit der Beschwerde zum Bundessozialgericht angefochten werden (§
177 SGG).