Tatbestand
Der klagende Krankenhausträger verlangt von der beklagten Krankenkasse die Zahlung von Krankenhausbehandlungskosten in Höhe
von insgesamt 28.257,18 Euro.
In dem von der Klägerin betriebenen zugelassenen Krankenhaus wurde der bei der Beklagten krankenversicherte G Q (geb. 00.00.1946)
in der Zeit vom 11.04.2016 bis 16.04.2016 sowie ferner vom 30.05.2016 bis 04.06.2016 stationär behandelt. Der Versicherte
litt an einer schwerstgradigen chronisch-obstruktiven Lungenerkrankung mit funktional relevantem Lungenemphysem sowie respiratorischer
hypoxischer Insuffizienz unter körperlicher Belastung. Die stationäre Aufnahme des Versicherten erfolgte in Absprache mit
dem behandelnden Pulmologen zur Abklärung der Indikation für eine endoskopische Lungenvolumenreduktion durch sog. Coils. Bei
dieser Methode wird das Lungengewebe durch den Einsatz von durchschnittlich 10 Spiralen pro Lungenflügel, sog. Coils, zum
Zwecke der Volumenverringerung zusammengezogen. Luftsäcke werden so verkleinert und durch Offenhaltung der Atemwege während
des Ausatmens wird einer Lungenaufblähung und damit einhergehenden Atemproblemen entgegengewirkt. Nach einer ersten Operation
während des stationären Aufenthalts im April 2016 erfolgte der zweite Eingriff im Rahmen des stationären Aufenthalts im Mai/Juni
2016 zur Implantation weiterer Coils.
Die Klägerin stellte der Beklagten auf der Grundlage der DRG E02B (andere OR-Prozeduren an den Atmungsorganen mit aufwändigem
Eingriff oder schwerste CC Alter ) 9 Jahre) unter dem 13.05.2016 einen Betrag in Höhe von 15.226,01 Euro für den Aufenthalt
im April 2016 und unter dem 20.06.2016 einen Betrag in Höhe von 16.126,91 Euro für den Aufenthalt im Mai/Juni 2016 in Rechnung.
Die Prüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) führte zu dem Ergebnis, dass eine Kostenübernahme
für die Implantation von 10 Spiralen aufgrund bislang unklaren Schadenspotentials außerhalb klinischer Studien nicht empfohlen
werden könne. Es habe vielmehr eine Abrechnung nach der DRG E65B zu erfolgen, so dass sich für den stationären Aufenthalt
des Versicherten im Mai/Juni eine Vergütung in Höhe von 3.095,74 Euro ergebe (Stellungnahme vom 30.09.2016). Diesen Betrag
zahlte die Beklagte und verweigerte die Begleichung weiterer Kosten der stationären Behandlung des Versicherten.
Die Klägerin hat am 31.05.2017 Klage vor dem Sozialgericht Aachen erhoben, mit der sie die Zahlung von 28.257,18 Euro (15.226,01
Euro plus 16.126,91 Euro minus 3.095,74 Euro) begehrt hat.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Coil-Implantationen medizinisch indiziert und notwendig gewesen seien. Sie seien
leitliniengerecht gewissenhaft und lege artis ausgeführt worden. Abweichungen von vorgegebenen Qualitätsstandards seien nicht
ersichtlich. Das endoskopische Vorgehen im Falle des Versicherten habe im Vergleich zu einer chirurgischen Volumenreduktion
deutliche Vorteile aufgewiesen. Die Voraussetzungen des §
137c Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (
SGB V) seien erfüllt. Sie habe deshalb Anspruch auf die vollständige Begleichung der Behandlungskosten.
Die Klägerin hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 28.257,18 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 15.226,01
Euro seit dem 29.05.2016 sowie aus 13.031,17 Euro seit dem 15.10.2016 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Auffassung vertreten, dass die Lungenvolumenreduktion durch Coils nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenversicherung
zähle. Die Voraussetzungen des §
137c SGB V seien nicht erfüllt, weil die Qualitätskriterien des §
2 Abs.
1 S. 2
SGB V auch hier gelten würden. Ein weit überwiegender wissenschaftlicher Konsens zur Vorteilhaftigkeit und dem Nutzen der Therapie
mit Coils sei nicht gegeben gewesen. Dass die streitgegenständliche Methode nicht dem Qualitätsgebot entspreche, sei im Übrigen
durch das Bundessozialgericht im Urteil vom 19.12.2017 (B 1 KR 17/17 R) bestätigt worden.
Das Sozialgericht hat der Klage durch Urteil ohne mündliche Verhandlung vom 18.10.2018 stattgegeben. Wegen der Einzelheiten
der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe Bezug genommen.
Gegen das ihr am 05.11.2018 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 06.11.2018 Berufung eingelegt. Im Termin zur mündlichen
Verhandlung am 16.06.2020 hat die Beklagte einen Vergütungsanspruch der Klägerin für die Behandlung des Versicherten in der
Zeit vom 11.04.2016 bis 16.04.2016 in Höhe von 5.248,38 Euro nebst den vertraglichen bzw. gesetzlichen Zinsen anerkannt. Die
Klägerin hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.
Zur Begründung der im Übrigen aufrecht erhaltenen Berufung hat die Beklagte geltend gemacht: Das erstinstanzliche Urteil stehe
in Widerspruch zur Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 19.12.2017 a.a.O) sowie einer Reihe weiterer Entscheidungen
von Landessozialgerichten. Diesen Entscheidungen sei die Auffassung gemeinsam, dass die Geltung des Qualitätsgebots aus §
2 Abs.
1 S. 3
SGB V durch §
137c SGB V nicht eingeschränkt werde. Die Voraussetzungen des Qualitätsgebots seien hier aber gerade nicht erfüllt, denn einzelne positive
Studien zur endoskopischen Lungenvolumenreduktion genügten nicht, um von einer qualitätsgerechten, abrechenbaren Leistung
auszugehen. Die Qualität einer Behandlung müsse durch zweifelsfreie Langzeitstudien begründet werden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 18.10.2018 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Sie hält das erstinstanzliche Urteil für zutreffend.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird verwiesen auf den übrigen Inhalt der Streitakten sowie der
Verwaltungsakten der Beklagten und der Krankenakten der Klägerin, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
A) Gegenstand der nach §
144 Abs.
1 S. 1 Nr.
1 SGG statthaften und im Übrigen zulässigen Berufung ist einmal, ob die Klägerin wegen der Behandlung des Versicherten im April
2016 - über das im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.06.2020 erklärte Teilanerkenntis in Höhe von 5248,38 Euro hinaus
- die Zahlung weiterer 9.977,63 Euro verlangen kann. Des Weiteren ist zu entscheiden, ob der Klägerin ein weiterer Zahlungsanspruch
aus der Behandlung des Versicherten im Mai/Juni 2016 in Höhe von 13.031,17 Euro zusteht.
B) Die Klage ist zwar als (echte) Leistungsklage (§
54 Abs.
5 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig, sie ist jedoch unbegründet.
I. Die Klägerin hat keine Ansprüche auf Zahlung von weiteren 9.977,63 Euro sowie 13.031,17 Euro aus den Behandlungsfällen
des Versicherten (stationäre Aufenthalte vom 11.04.2016 - 16.04.2016 sowie 30.05.2016 - 04.06.2016).
Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung und damit korrespondierend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse
entsteht - unabhängig von einer Kostenzusage - unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft
Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus erfolgt und im Sinne von §
39 Abs
1 S 2
SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist (st. Rspr. z.B. BSG, Urteil vom 28.03.2017 - B 1 KR 29/16 R Rn. 9 m.w.N.).
Die Voraussetzungen eines Vergütungsanspruches für eine (vollstationäre) Krankenhausbehandlung sind nicht erfüllt, sodass
die Klägerin von der Beklagten für die Behandlungen des Versicherten vom 11.04.2016 - 16.04.2016 sowie 30.05.2016 - 04.06.2016
- über von der Beklagten bereits geleisteten Zahlungen hinaus - keine weitere Vergütung beanspruchen kann.
Denn bei den Coil-Implantationen handelte es sich um eine nach zwingenden normativen Vorgaben ungeeignete Versorgung von Versicherten
nach dem
SGB V. Die Behandlung war daher nicht im Sinne §
39 Abs
1 S. 2
SGB V erforderlich mit der Folge, dass die Klägerin hierfür keine Vergütung beanspruchen kann.
Versicherte haben aufgrund des Qualitätsgebots (§
2 Abs.
1 S. 3
SGB V) und des Wirtschaftlichkeitsgebots (§
12 Abs.
1 SGB V) keinen Anspruch auf ungeeignete Leistungen (vgl. BSG, Urteil vom 19.04.2016 - B 1 KR 28/15 Rn. 13 m.w.N.). Das Qualitätsgebot gilt nach dem Wortlaut des Gesetzes für alle Leistungsbereiche
des
SGB V und wird in §
70 Abs.
1 S. 1
SGB V auch als allgemeiner Grundsatz des Leistungserbringungsrechts im Ersten Abschnitt des Vierten Kapitels des
SGB V ausdrücklich hervorgehoben. Somit gilt das Qualitätsgebot nach dieser Gesetzeskonzeption uneingeschränkt auch im Leistungserbringungsrecht.
Das
SGB V macht keine Ausnahme hiervon für die Krankenhausbehandlung. Die Leistungen der zur Versorgung der in der gesetzlichen Krankenversicherung
Versicherten zugelassenen Krankenhäuser müssen demzufolge grundsätzlich bereits dem Qualitätsgebot genügen, um überhaupt zu
Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung abrechenbar zu sein (vgl. BSG Urteil vom 19.12.2017 - B 1 KR 17/17 R m.w.N.).
Das Qualitätsgebot erfordert, wie die Beklagte mit der Berufungsbegründung zutreffend ausgeführt hat und was zwischen den
Beteiligten wohl auch nicht streitig ist, dass die große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die
Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit
der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode - die
in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist - zuverlässige wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen
gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten
Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden
Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (BSG a.a.O. Rn 14 m.w.N.).
Mit diesem strengen Maßstab schränkt das Bundessozialgericht die eher liberale Konzeption des Gesetzgebers in §
137c Abs.
1 und Abs.
3 SGB V nicht unerheblich ein (vgl. Makoski in jurisPR-MedizinR 3/2018 Anm. 3). Neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden dürfen
auch im Rahmen einer stationären Krankenhausversorgung also nur dann angewendet werden, wenn der Behandlungserfolg "aus wissenschaftlich
einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode" abzulesen ist (vgl.
dazu auch Hauck, GesR 2014, 257 sowie Clemens, KrV 2018, 1, 7 f.). Sobald diese Daten vorliegen, handelt es sich jedoch meist
schon nicht mehr um eine "neuartige" Methode, sondern eine Methode im Rahmen des medizinischen Standards, die dann sogar zwingend
anzuwenden ist (so Makoski a.a.O.).
Ebenso wie der MDK und die Beklagte ist der Senat davon überzeugt, dass die Coil-Implantationen jedenfalls im Jahr 2016 nicht
dem Qualitätsgebot in §
2 Abs.
1 S. 3
SGB V entsprachen.
In der "Zusammenfassenden Dokumentation des Gemeinsamen Bundesausschuss zu Lungenvolumenreduktionsverfahren bei schwerem Lungenemphysem"
vom 20.03.2019, "A-3 Tragende Gründe und Beschluss zu den bronchoskopischen Lungenvolumenreduktionsverfahren mittels Einlage
von Spiralen (Coils), A-3.3.2.1 Evidenzlage" wird dargelegt, dass der Abschlussbericht des IQWIG (N14-04, Verfahren zur Lungenvolumenreduktion
beim schweren Lungenemphysem 07.02.2017, https://www.iqwig.de/download/N14-04 Abschlussbericht LVR-beim-schweren-Lungenemphysem.pdf.)
auf den "drei publizierten Studien REVOLENS (Deslee G et al. Lung Volume Reduction Treatment vs. Usual Care in Patients With
Severe Emphysema: The REVOLENS Radomized Clinical Trial. JAMA. 2016;315(2):175-84.), RENEW (Sciurba FC et al. Effect of Endobronchial
Coils vs Usual Care on Exercise Tolerance in Patients With Severe Emphysema: The RENEW Randomized Clinical Trial. JAMA. 2016;
315(20):2178-89.) sowie RESET (Shah PL et al. Endobronchial coils fort he treatment of severe emphysema with hyperinflation
(RESET): a randomised controlled trial. Lancet Respir Med. 2013, 1(3):233-40) beruht. Unter Berücksichtigung der Ergebnisse
der Expertenanhörungen sowie Bewertung laufender Studien ist der Gemeinsame Bundesausschuss zu der Einschätzung gelangt, "dass
die Datenlage für die Anwendung von Coils beim schweren Lungenemphysem für die Teilpopulation der Patientinnen und Patienten
mit einem pulmonalen Residualvolumen von mindestens 225% vom Soll eine Bewertung des Nutzens auf einem ausreichend sicheren
Erkenntnisniveau erlaubt". Unabhängig davon, ob der Versicherte überhaupt der erwähnten Teilpopulation der Versicherten zuzurechnen
war, können jedenfalls die erst im Jahr 2016 veröffentlichten Studien REVOLENS und RENEW sowie der erwähnte Abschlussbericht
des IQWIG vom 07.02.2017 nicht bewirkt haben, dass bereits im Zeitpunkt der Behandlung des Versicherten die große Mehrheit
der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler) die Behandlungsmethode der Coil-Implantation befürwortet und dass von
einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit dieser Therapie Konsens bestand. Denn
im Behandlungszeitpunkt existierte als evidenz-basierte Studie - die das Meinungsbild der einschlägigen Fachkreise hätte prägen
können - allein die Studie RESET.
Die Lungenvolumenreduktion mittels Coils mag daher im Sinne von §
137c Abs.
1 bzw. Abs.
3 SGB V ggf. das "Potential" einer erforderlichen Behandlungsalternative geboten haben. Die hohen, sich aus den §§
2 und
12 SGB V ergebenden Anforderungen erfüllt(e) sie (jedenfalls 2016) nicht.
Demzufolge streiten die Beteiligten zu Recht im Kern darum, ob sich aus §
137c (Abs.
3)
SGB V ein davon abweichendes Ergebnis rechtfertigen lässt. Diese Frage ist unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts,
der sich der Senat (weiterhin) anschließt, zu verneinen.
Dabei ist im Ausgangspunkt festzuhalten, dass die bisherige Grundkonzeption, d.h. der "Vorrang" des Qualitätsgebots (s.o.),
durch die mit Wirkung zum 01.01.2012 vorgenommene Änderung des §
137c SGB V bzw. die gleichzeitige Einfügung des §
137e SGB V durch das Versorgungsstrukturgesetz vom 22.12.2011 (BGBl I 2011, Seite 2983) unangetastet geblieben ist. Mit dieser Änderung wurde lediglich die Möglichkeit geschaffen, unter gewissen Voraussetzungen
Erprobungsrichtlinien zu erlassen (vgl. dazu ausführlich BSG, Urteil vom 19.12.2017 - B 1 KR 17/17 R Rn. 20-22).
Die mit Wirkung zum 23.07.2015 eingefügte Regelung des §
137c Abs.
3 SGB V durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vom 16.07.2015 (BGBl. I 2015, Seite 1211) hat den Vorrang des Qualitätsgebots in diesem Bereich ebenfalls nicht beseitigt. Auch dies hat das Bundessozialgericht bereits
entschieden (vgl. Urteile vom 24.04.2018 - B 1 KR 13/16 R Rn. 16 ff. und vom 19.12.2017 - B 1 KR 17/17 R Rn. 23; zustimmend LSG NRW, Urteil vom 17.09.2019 - L 11 KR 10/17 Rn. 62 ff.; LSG Bayern, Urteil vom 27.11.2018 - L 20 KR 525/17 - Rn. 44 ff. sowie Mittelbach, NZS 2019 Seite 64 ff.; ablehnend Schifferdecker NZS 2018 Seite 698 ff.).
Seine Rechtauffassung, die der erkennende Senat für überzeugend hält, hat das Bundessozialgericht im Wesentlichen aus dem
Gesetzeswortlaut und systematischen Erwägungen gewonnenen.
Aus der Formulierung in §
137c Abs.
3 S. 1
SGB V "dürfen angewandt werden" könne - insbesondere im Vergleich zu der Formulierung in §
2 Abs.
1a SGB V "können beanspruchen" - abgeleitet werden, dass §
137c Abs.
3 SGB V keine Aussage zu Leistungsansprüchen von Versicherten treffe, sondern diese vielmehr voraussetze (BSG, Urteil vom 24.04.2018 - B 1 KR 13/16 R Rn. 16).
Ferner sei der Zweck der Ausrichtung der Leistungsansprüche der Versicherten an dem Qualitätsgebot zu berücksichtigen, im
Interesse des Patientenschutzes und des effektiven Mitteleinsatzes zu gewährleisten, dass eine nicht ausreichend erprobte
Maßnahme nicht zu Lasten der Krankenkassen abgerechnet werden dürfe (a.a.O. Rn. 17 ff.).
Schließlich hat das Bundessozialgericht (a.a.O Rn. 20) auf eine sachwidrige Ungleichbehandlung Versicherter und damit auf
einen Verstoß gegen Art.
3 Abs.
1 GG für den Fall hingewiesen, dass der Vorrang des Qualitätsgebotes aufgegeben würde. Denn die Gruppe der Versicherten, die dem
Qualitätsgebot entsprechende Leistungen benötigt, hätte einen rechtlich gesicherten Zugang zu diesen Leistungen auch dann,
wenn sie im Inland überhaupt nicht oder jedenfalls nicht innerhalb des Leistungserbringungssystems zur Verfügung stehen oder
rechtswidrig verweigert werden. Die Gruppe der Versicherten, die Potentialleistungen als Regelversorgung begehrte, hätte hingegen
keinen rechtlich gesicherten Anspruch auf die Potentialleistungen. Würde die Potentialleistung im Inland nicht durch nach
§
108 SGB V zugelassene Krankenhäuser erbracht, könnte diese Gruppe sich die Leistung zulasten der gesetzlichen Krankenkassen weder in
Krankenhäusern außerhalb des Leistungserbringungssystems, sei es im Inland, sei es im Ausland, beschaffen, noch wäre eine
Leistungsablehnung durch die Krankenkasse rechtswidrig mit der Folge der Selbstbeschaffungsmöglichkeit (§
13 Abs
3 S. 1 2. Var.
SGB V).
Soweit von der Klägerin geltend gemacht und von dem Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung entscheidungstragend ausgeführt
wird, die (nach Wortlaut, Systematik und Regelungsziel) vorgenommene Auslegung widerspreche dem in der Gesetzesbegründung
(BT-Drs. 18/4095, S. 121 f.) unmissverständlich zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers, hat sich das Bundessozialgericht
auch damit (a.a.O. Rn. 23) unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts überzeugend auseinandergesetzt.
Es hat u.a. darauf hingewiesen, dass die Gesetzesmaterialien nur mit Vorsicht und unterstützend sowie insgesamt nur insofern
heranzuziehen seien, als sie auf einen objektiven Gesetzesinhalt schließen ließen und im Gesetzeswortlaut eine Stütze fänden.
Der Einwand, das Bundessozialgericht habe damit die Grenzen richterlicher Rechtsauslegung überschritten, greift nicht durch.
Anwendung und Auslegung der Gesetze durch die Gerichte stehen mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art.
20 Abs.
3 GG) in Einklang, wenn sie sich in den Grenzen vertretbarer Auslegung und zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung bewegen.
Art.
2 Abs.
1 GG gewährleistet i.V.m. Art.
20 Abs.
3 GG, dass gerichtliche Entscheidungen diesen Anforderungen genügen. Das schließt richterliche Rechtsfortbildung nicht aus. Sie
gehört traditionell zu den Aufgaben der Rechtsprechung. Der Gesetzgeber hat sie anerkannt und den obersten Gerichtshöfen des
Bundes die Aufgabe der Rechtsfortbildung (z.B. in §
41 Abs.
4 SGG) ausdrücklich überantwortet. Dies belässt dem Gesetzgeber die Möglichkeit, in unerwünschte Rechtsentwicklungen korrigierend
einzugreifen und so im Wechselspiel von Rechtsprechung und Rechtsetzung demokratische Verantwortung wahrzunehmen. Die Anwendung
des einfachen Rechts obliegt den Fachgerichten, wobei sie den Methoden der Auslegung zu folgen haben. Eine Interpretation,
die sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch
legitimierten Gesetzgebers ein. Für die Beantwortung der Frage, welche Regelungskonzeption dem Gesetz zugrunde liegt, kommt
neben Wortlaut und Systematik den Gesetzesmaterialien eine Indizwirkung zu. So verwirklicht sich die in Art.
20 Abs.
3 und Art.
97 Abs.
1 GG vorgegebene Bindung der Gerichte an das Gesetz. Sie ist eine Bindung an die im Normtext zum Ausdruck gebrachte demokratische
Entscheidung des Gesetzgebers, dessen Erwägungen zumindest teilweise in den Materialien dokumentiert sind. (vgl. zum Ganzen
etwa BVerfG, Beschluss vom 06.06.2018 - 1 BvL 7/14 Rn. 73-75 und Beschluss vom 26.11.2018 - 1 BvR 318/17 Rn. 29-32 - beide m.w.N.).
Davon ausgehend sind hier die Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung nicht überschritten. Denn wie oben näher ausgeführt,
hat sich das Bundessozialgericht an den Herkömmlichen Auslegungsgrundsätzen (Wortlaut, Systematik, Telos) orientiert und hieraus
seine Überzeugung gewonnen. Die Gesetzgebungsmaterialien hat es dabei ausdrücklich in seine Überlegungen einbezogen und diese
lediglich im Rahmen einer Gesamtabwägung der einzelnen Auslegungsgesichtspunkte in den Hintergrund treten lassen. Ein Hinwegsetzen
über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers war damit nicht verbunden. Denn weder dem Gesetzeswortlauf noch der Gesetzesbegründung
war zu entnehmen, dass der Gesetzgeber durch die Einfügung von §
137c Abs.
3 SGB V den Vorrang des Qualitätsgebotes und damit die bisherige Grundkonzeption aufgeben wollte. Dies ist - nach Überzeugung des
Senats - vielmehr erst durch die jüngste am 18.12.2019 in Kraft getretene Änderung des § 137c durch das Implantateregister-Einrichtungsgesetz
vom 12.12.2019 (BGBl. I 2019 Seite 2494) geschehen, indem §
137c Abs.
3 S. 1
SGB V (erstmals) als Anspruchsnorm ausgestaltet und dazu flankierend die leistungsrechtliche Bestimmung in §
39 Abs.
1 S. 1
SGB V entsprechend angepasst wurde.
Entsprach die Anwendung der Lungenvolumenreduktion mittels Coils (jedenfalls im Jahr 2016) nicht dem Qualitätsgebot und ergibt
sich aus §
137c Abs.
3 SGB V keine andere Beurteilung des Falles, kommt eine Vergütung der von der Klägerin erbrachten Leistungen hier auch nicht ausnahmsweise
unter dem Aspekt der grundrechtsorientierten Leistungsauslegung nach den Vorgaben in §
2 Abs.
1a S. 1
SGB V in Betracht (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 19.12.2017 - B 1 KR 17/17 Rn. 31).
Nach §
2 Abs.
1a S. 1
SGB V können nur Versicherte mit einer lebensbedrohlichen, einer regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer damit zumindest wertungsmäßig
vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur
Verfügung steht, auch eine vom Qualitätsgebot abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht
auf Heilung oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Ob die Lungenvolumenreduktion mittels Coils im Falle des Versicherten eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung
oder auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf bestand, kann offenbleiben. Denn es fehlt jedenfalls
an einer lebensbedrohlichen, regelmäßig tödlichen Erkrankung oder einer damit zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung
und damit an einer nach §
2 Abs.
1a S. 1
SGB V erforderlichen notstandsähnlichen Situation (vgl. dazu zuletzt BSG, Urteil vom 19.03.2020 - B 1 KR 22/18 R sowie BSG, Urteil vom 20.03.2018 - B 1 KR 4/17 R Rn. 21).
Die notstandsähnliche Situation muss im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegen,
wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist. Das bedeutet, dass nach den konkreten
Umständen des Falles bereits drohen muss, dass sich der voraussichtlich tödliche Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren,
überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird (BSG, Urteil vom 20.03.2018 - B 1 KR 4/17 R Rn. 21). Hierfür bietet der vorliegende Sachverhalt keine belastbaren Anhaltspunkte. Außerdem stand in Form der chirurgischen
Lungenvolumenreduktion eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung.
II. Da die Klägerin schon mit ihrer Hauptforderung nicht durchdringt, liegen auch die Voraussetzungen für den geltend gemachten
Zinsanspruch (gemäß §
15 Abs.
1 des Landesvertrages nach §
112 Abs.
2 S. 1 Nr.
1 SGB V) nicht vor.
D) Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere die Voraussetzungen nach §
160 Abs.
2 Nr.
2 SGG sind nicht erfüllt, weil sich die Entscheidung an der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts zu §
137c SGB V orientiert.