Zahlung aus einer rückwirkend bewilligten Erwerbsminderungsrente
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Mit Urteil vom 15.8.2019 hat das LSG Berlin-Brandenburg einen Anspruch des Klägers auf Zahlung weiterer 1454,09 Euro aus einer
von der Beklagten rückwirkend bewilligten Erwerbsminderungsrente verneint. Der Kläger wendet sich mit seiner Beschwerde, die
er mit Schriftsatz vom 28.11.2019 begründet hat, gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung.
II
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 Satz 2 und
3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter als unzulässig zu verwerfen. Die Beschwerdebegründung vom 28.11.2019
genügt nicht der nach §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gebotenen Form. Der Kläger hat darin den allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) nicht in jeder Hinsicht in der gesetzlich vorgesehenen Weise dargelegt.
Wird mit der Nichtzulassungsbeschwerde die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG geltend gemacht, muss der Beschwerdeführer in der Beschwerdebegründung ausführen, welche Rechtsfrage sich ernsthaft stellt,
deren Klärung über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung im allgemeinen
Interesse erforderlich (Klärungsbedürftigkeit) und deren Klärung durch das Revisionsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit).
In der Beschwerdebegründung ist deshalb auszuführen, inwiefern die Rechtsfrage nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre
nicht ohne Weiteres zu beantworten ist, und der Schritt darzustellen, den das Revisionsgericht zur Klärung der Rechtsfrage
im allgemeinen Interesse vornehmen soll (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 19.10.2011 - B 13 R 241/11 B - SozR 4-4200 § 25 Nr 1 RdNr 9 mwN; Senatsbeschluss vom 8.8.2019 - B 13 R 289/18 B - juris RdNr 9; vgl auch BVerfG <Kammer> Beschluss vom 18.12.1991 - 1 BvR 1411/91 - SozR 3-1500 §
160a Nr 7 RdNr 8; ferner Leitherer in Meyer- Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 14 ff mwN).
Der Kläger formuliert die Frage:
"Wird durch § 40 Abs. 4 SGB II in der bis zum 31.07.2016 geltenden Fassung die Erfüllungsfiktion des § 107 Abs. 1 SGB X dahingehend begrenzt, dass ein Erstattungsanspruch, der über § 104 SGB X geltend gemacht wird, insoweit nicht als erfüllt ist (Anm: gemeint ist "nicht als erfüllt anzusehen ist"), als er 56 % des
bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes II berücksichtigten Bedarf für Unterkunft enthält."
Er legt jedoch nicht ausreichend dar, dass der aufgeworfenen Frage und damit dem gesamten Rechtsstreit eine über den Einzelfall
hinausgehende Bedeutung beikomme.
§ 40 Abs 4 SGB II in der bis zum 31.7.2016 geltenden Fassung (der Neubekanntmachung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch vom 13.5.2011 - BGBl I 850 - im Folgenden: § 40 Abs 4 SGB II aF) ist mit Wirkung zum 1.8.2016 neu gefasst worden; die bislang dort enthaltene Regelung ist mit Wirkung ebenfalls zum 1.8.2016
ersatzlos weggefallen (durch Art 1 Nr 34 Buchst c, e und g des Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - sowie zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht vom 26.7.2016 -
BGBl I 1824). Die aufgeworfene Rechtsfrage betrifft mithin im Kern ausgelaufenes Recht, wie der Kläger selber einräumt. Auslaufendes oder
ausgelaufenes Recht kann in aller Regel aber keine grundsätzlichen Rechtsfragen mehr aufwerfen (vgl BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10; Senatsbeschluss vom 7.1.2020 - B 13 R 273/18 B - juris RdNr 7; jeweils mwN). Eine Bejahung des Klärungsbedarfs bei auslaufendem bzw ausgelaufenem Recht kann nur angenommen werden, wenn es a) noch eine
erhebliche Anzahl von Fällen gibt, für die die Rechtsfrage von Bedeutung ist (vgl BSG Beschluss vom 28.11.1975 - 12 BJ 150/75 - SozR 1500 § 160a Nr 19); b) die Vorschrift insoweit nachwirkt, als sie die Grundlage für eine Nachfolgevorschrift darstellt (vgl BSG Beschluss vom 19.1.2017 - B 10 EG 4/16 B - juris RdNr 7), oder c) die frühere Rechtsprechung für die neue Rechtslage erheblich geblieben ist (vgl BSG Beschluss vom 19.3.1986 - 7 BAr 75/85 - SozR 1500 § 160a Nr 58). Das Vorliegen dieser Voraussetzungen ist, wenn dies nicht offensichtlich ist, genau und im Einzelnen darzulegen (BSG Beschluss vom 28.11.1975 - 12 BJ 150/75 - SozR 1500 § 160a Nr 19 S 27; BSG Beschluss vom 16.12.2009 - B 6 KA 13/09 B - juris RdNr 7; BSG Beschluss vom 19.7.2012 - B 1 KR 65/11 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 32 RdNr 10). Das ist mit der Beschwerdebegründung vom 28.11.2019 nicht erfolgt.
Der Kläger trägt darin ausschließlich zur Fallkonstellation a) vor und stellt im Wesentlichen auf die Dauer von sozialgerichtlichen
Streitigkeiten ab. Hierzu bringt er vor, in den bisher ergangenen Entscheidungen zur Anwendung des § 40 Abs 4 SGB II aF auf Erstattungsansprüche zwischen Leistungsträgern seien die Berufungsurteile teilweise erst sechs Jahre nach Ende des
dort jeweils streitigen Zeitraums ergangen, sodass auch zukünftig noch mit entsprechenden Verfahren zu rechnen sei. Deren
genaue und zu erwartende Zahl könne nicht angegeben werden; im Berliner Büro seiner Bevollmächtigen seien jedenfalls "noch
weitere Verfahren zu der Problematik anhängig" und das BSG habe in einer Entscheidung über eine andere Nichtzulassungsbeschwerde betreffend eine vergleichbare Rechtsfrage zu § 40 Abs 4 SGB II aF acht vergleichbare Fälle in der Kanzlei des dortigen Bevollmächtigten erwähnt (Hinweis auf BSG Beschluss vom 8.5.2019 - B 5 R 138/18 B - juris). Angesichts der Vielzahl der auf die Vertretung in Angelegenheiten des Grundsicherungsrechts spezialisierten Kanzleien, der
Anzahl der nicht vertretenen Kläger und der Belastung der Sozialgerichtsbarkeit mit Verfahren nach dem SGB II insgesamt könne davon ausgegangen werden, dass die aufgeworfene Rechtsfrage auch in den nächsten Jahren noch "in einer Vielzahl
von Verfahren" entscheidungserheblich sei.
Damit hat der Kläger indes nicht hinreichend konkret aufgezeigt, dass die Klärung der aufgeworfenen Rechtsfrage weiterhin
für eine erhebliche Zahl von Rechtsstreitigkeiten bedeutsam sei. Sein allgemeiner Hinweis auf die große Menge an Streitigkeiten
zum SGB II genügt schon deswegen nicht, weil die aufgeworfene Rechtsfrage offensichtlich nicht in sämtlichen Klagen auf dem Gebiet der
Grundsicherung für Arbeitsuchende relevant werden kann, sondern nur in Fallgestaltungen, in denen einem Bezieher von Arbeitslosengeld
II rückwirkend - dh auch für die Zeit des Arbeitslosengeld II-Bezugs - eine Rente oder sonstige andere Sozialleistung gewährt
wird. Nur dann stellt sich die Frage nach der Anwendbarkeit des § 40 Abs 4 SGB II aF auf Erstattungsansprüche zwischen den Leistungsträgern und damit verbunden nach dem Eintritt der - den Nachzahlungsanspruch
des Betroffenen mindernden - Erfüllungsfiktion des § 107 Abs 1 SGB X. Wie viele Fälle dieser Art bei Eingang der Beschwerdebegründung noch auf Grundlage des ausgelaufenen Rechts zu entscheiden
gewesen sind, hat der Kläger nicht einmal überschlägig angegeben. Sein bloßer Verweis auf die in der BSG-Entscheidung vom 8.5.2019 mitgeteilten acht Fälle reicht insoweit gerade nicht aus, hat das BSG in der genannten Entscheidung doch bezweifelt, dass mit lediglich acht vor den Sozialgerichten anhängigen Verfahren, die
zudem nach dem dortigen Vorbringen ausschließlich in einer Rechtsanwaltskanzlei bearbeitet worden sind, eine erhebliche Zahl
von noch zu entscheidenden (Alt-)Fällen dargelegt worden sei (vgl BSG Beschluss vom 8.5.2019 - B 5 R 138/18 B - juris RdNr 11). Erst recht nicht ausreichend ist der allgemeine Verweis auf die Dauer von sozialgerichtlichen Verfahren. Das gilt vorliegend
umso mehr, als bei Eingang der Beschwerdebegründung vom 28.11.2019 die Regelung in § 40 Abs 4 SGB II aF schon mehr als drei Jahre nicht mehr bestanden hat. Die Frage nach ihrer Anwendbarkeit auf den Erstattungsanspruch zwischen
Leistungsträgern hat bei Eingang der Beschwerdebegründung vom 28.11.2019 sogar seit mehr als dreieinhalb Jahren an Bedeutung
verloren gehabt, weil, worauf der Kläger selbst aufmerksam macht, § 8 Abs 1 Satz 3 Nr 4 WoGG in der bereits seit dem 1.1.2016 geltenden Fassung (des Gesetzes zur Reform des Wohngeldrechts und zur Änderung des Wohnraumförderungsgesetzes - WoGRefG - vom 2.10.2015 - BGBl I 1610) ua Empfänger von Arbeitslosengeld II vom Wohngeld nicht ausschließt, wenn der Anspruch auf SGB II-Leistungen nachträglich entfällt oder gegenüber einer anderen Sozialleistung nachrangig ist; seitdem kommt grundsätzlich
auch eine rückwirkende Gewährung von Wohngeld in Betracht.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
2. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.