Rente wegen voller Erwerbsminderung
Würdigung entgegenstehender Gutachten
Ergänzende Stellungnahme eines bereits gehörten Sachverständigen
1. Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist unverzichtbar, damit das Beschwerdegericht
an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann.
2. Keinesfalls gehört es zu den Aufgaben des BSG, den Vortrag daraufhin zu analysieren, ob sich aus ihm eventuell eine entsprechende Rechtsfrage herausfiltern ließe.
3. Es gehört zu den Aufgaben der Tatsachengerichte, sich im Rahmen der Beweiswürdigung auch mit einander entgegenstehenden
Gutachtenergebnissen auseinanderzusetzen.
4. Hält das Gericht eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein
weiteres Gutachten einholen zu müssen.
5. Soweit eine Verletzung des rechtlichen Gehörs darin gesehen wird, dass das Berufungsgericht die eingeholte gutachterliche
Stellungnahme nach Aktenlage auch dem bereits gehörten Sachverständigen zu einer ergänzenden Stellungnahme hätte zuleiten
müssen, liegt hierin keine Gehörs- sondern eine Sachaufklärungsrüge.
Gründe:
Das Thüringer LSG hat mit Urteil vom 6.5.2015 den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung
für die Zeit vom 1.9.2008 bis 31.8.2013 verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin beim BSG Beschwerde eingelegt. Sie beruft sich auf eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache und einen Verfahrensmangel.
Die Beschwerde der Klägerin ist unzulässig. Ihre Beschwerdebegründung vom 21.7.2015 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen
Form, denn sie hat die geltend gemachten Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargetan (vgl §
160 Abs
2 Nr
1 und Nr
3 iVm §
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit oder Fortbildung
des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren
Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche Fragen sich stellen, dass diese
noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts
erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine solche Klärung erwarten lässt.
Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss ein Beschwerdeführer mithin eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit,
ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von
ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (vgl zum Ganzen BSG Beschluss vom 25.9.2002 - SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN).
Die Beschwerdebegründung wird schon dem ersten Darlegungserfordernis nicht gerecht. Denn die Klägerin hat keine abstrakt-generelle
Rechtsfrage - zur Auslegung, zum Anwendungsbereich oder zur Vereinbarkeit einer konkreten revisiblen (Bundes-)Norm (vgl §
162 SGG) mit höherrangigem Recht - formuliert (vgl BSG Beschluss vom 6.4.2010 - B 5 R 8/10 B - BeckRS 2010, 68786 RdNr 10; BSG Beschluss vom 21.7.2010 - B 5 R 154/10 B - BeckRS 2010, 72088 RdNr 10; BSG Beschluss vom 5.11.2008 - B 6 KA 24/07 B - BeckRS 2009, 50073 RdNr 7). Die Bezeichnung einer abstrakten, aus sich heraus verständlichen Rechtsfrage ist jedoch unverzichtbar,
damit das Beschwerdegericht an ihr die weiteren Voraussetzungen der Grundsatzrüge prüfen kann (Becker, SGb 2007, 261, 265; Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 6. Aufl 2011, Kap IX, RdNr 181). Keinesfalls gehört
es zu den Aufgaben des BSG, den Vortrag daraufhin zu analysieren, ob sich aus ihm evtl eine entsprechende Rechtsfrage herausfiltern ließe (vgl BSG Beschluss vom 12.5.1999 - SozR 3-1500 § 160a Nr 26 S 48).
Soweit die Klägerin im Übrigen meint, es sei bisher ungeklärt, "wie ein Berufungsgericht letztlich in Fällen widerstreitender
Gutachten vorzugehen" habe, sei lediglich darauf hingewiesen, dass es zu den Aufgaben der Tatsachengerichte gehört, sich im
Rahmen der Beweiswürdigung auch mit einander entgegenstehenden Gutachtenergebnissen auseinanderzusetzen. Hält das Gericht
eines von mehreren Gutachten für überzeugend, darf es sich diesem grundsätzlich anschließen, ohne ein weiteres Gutachten einholen
zu müssen (vgl BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 21 RdNr 8).
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen für die Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf
dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
a) Soweit die Klägerin der Auffassung ist, das LSG hätte "ein weiteres Gutachten mit persönlicher Untersuchung" anfordern
müssen, wendet sie sich gegen die Sachaufklärung des LSG (vgl §
103 SGG). Ihr Vortrag erfüllt jedoch die an eine Sachaufklärungsrüge zu stellenden Darlegungsanforderungen nicht (vgl hierzu exemplarisch
Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 5). Denn es fehlt bereits an der Bezeichnung eines von ihr bis
zuletzt aufrechterhaltenen prozessordnungsgemäßen Beweisantrags (vgl §
118 Abs
1 S 1
SGG iVm §
403 ZPO).
b) Soweit die Klägerin eine Verletzung ihres rechtlichen Gehörs darin sieht, dass das Berufungsgericht die eingeholte gutachterliche
Stellungnahme nach Aktenlage auch dem bereits gehörten Sachverständigen G. zu einer ergänzenden Stellungnahme hätte zuleiten
müssen, liegt hierin keine Gehörs-, sondern eine Sachaufklärungsrüge. Deren Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerdebegründung
auch hier schon mangels Benennung eines entsprechenden prozessordnungsgemäßen Beweisantrags nicht. Die Anforderungen an eine
ordnungsgemäße Sachaufklärungsrüge können nicht dadurch umgangen werden, dass der Vorhalt unzureichender Sachaufklärung in
der Gestalt einer Gehörsrüge geltend gemacht wird (Senatsbeschlüsse vom 5.2.2015 - B 13 R 372/14 B - Juris RdNr 15 und vom 3.12.2012 - B 13 R 351/12 B - Juris RdNr 12).
c) Dass die Klägerin im Kern ihres Vorbringens mit dem Ergebnis der Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 S 1
SGG) des LSG nicht einverstanden ist, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich. Denn nach der ausdrücklichen
Regelung des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann hierauf eine Verfahrensrüge nicht gestützt werden.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von §
193 SGG.