Rente wegen Erwerbsminderung
Verfahrensrüge
Unbeachteter Beweisantrag
Gründe:
I
Das LSG Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 17.12.2014 einen Anspruch des Klägers auf Rente wegen Erwerbsminderung verneint.
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Bei Rentenantragstellung am 8.11.2010 erfülle der 1964 geborene Kläger nicht
die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente. Zu diesem Zeitpunkt sei er zudem noch in der
Lage gewesen, arbeitstäglich sechs Stunden und mehr auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Dies ergebe sich überzeugend
aus dem erstinstanzlich eingeholten psychiatrischen Gutachten der Sachverständigen Dr. K. vom 21.1.2014. Unerheblich sei,
dass der Kläger im November 2011 die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die begehrte Rente erfülle. Denn
der Versicherungsfall der Erwerbsminderung sei auch dann nicht eingetreten. Insoweit lasse sich eine Verschlechterung nicht
objektivieren und werde zudem vom Kläger nicht behauptet. Ein Versicherungsfall ergebe sich auch nicht daraus, dass der Kläger
seit der Stasi-Haft keine Regeln mehr akzeptieren könne. Denn er habe in der Folgezeit über viele Jahre hinweg noch im Erwerbsleben
gestanden und ua mehrere Jahre in der Automobilherstellung gearbeitet. Schließlich sei nicht zu objektivieren, dass der Versicherungsfall
bereits vor Mai 2004 eingetreten sei. In der stationären Heilbehandlungsmaßnahme vom 23.9. bis 14.10.2008 in B. W. habe der
Kläger selbst angegeben, dass er bis 2007 vollschichtig an fünf bis sechs Tagen in der Woche als Schmied schwere Arbeiten
verrichtet habe. Damit korrespondierten seine Angaben gegenüber der Gutachterin Dr. W.-R., wonach er nach dem 2001 erlittenen
Arbeitsunfall und dem damaligen dreiwöchigen Aufenthalt in der Psychiatrie wieder habe "funktionieren können" und sich "in
das System integriert" habe; auch in der Folgezeit habe er "ständig keulen müssen", um ununterbrochen den Betrieb am Laufen
zu halten. Im Entlassungsbericht vom 5.11.2008 sei sein Leistungsvermögen für seinen Herkunftsberuf des Schmieds zwar mit
unter drei Stunden bewertet, für den allgemeinen Arbeitsmarkt sei der Kläger jedoch noch in der Lage erachtet worden, leichte
bis mittelschwere Arbeiten mit sechs und mehr Stunden täglich verrichten zu können. Den in der mündlichen Verhandlung gestellten
Beweisanträgen des Klägers habe nicht weiter nachgegangen werden müssen. Anhaltspunkte dafür, dass eine weitere psychiatrische
Beweiserhebung neue Gesichtspunkte ergeben könnte, seien nicht ersichtlich. Die Sachverständige Dr. K. habe die vorliegenden
medizinischen Unterlagen - ua auch das im Hinblick auf die Fragestellungen nach dem Häftlingshilfegesetz erstellte Gutachten von Dr. E. vom 5.8.2013 - berücksichtigt und in die Beantwortung der Beweisfragen einbezogen. Auch habe
der Kläger keine Gesichtspunkte benannt, die nicht berücksichtigt worden seien. Insoweit sei nicht ersichtlich, was die Sachverständige
Dr. K. über ihre schriftlichen Ausführungen hinaus noch erläutern könnte. Da weder neue Gesichtspunkte noch Unterlagen über
die gesundheitlichen Verhältnisse des Klägers in der Vergangenheit vorlägen, sei auch nicht erkennbar, warum zusätzlich zu
dem gut nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten der Sachverständigen Dr. K. eine erneute psychiatrische Begutachtung
erfolgen solle. Eine Ausübung des Fragerechts nach §
116 S 2
SGG sei mit Bezug auf die erstinstanzlich gehörte Sachverständige Dr. K. ohnehin allenfalls bis zum Abschluss der ersten Instanz
in Betracht gekommen.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Er beruft sich auf Verfahrensmängel.
II
Die Beschwerde des Klägers ist unzulässig. Seine Begründung vom 27.3.2015 genügt nicht der gesetzlich vorgeschriebenen Form.
Der Kläger hat keinen Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG in der gebotenen Weise bezeichnet (§
160 Abs
2 Nr
3 iVm §
160a Abs
2 S 3
SGG). Seine ergänzenden Ausführungen im Schriftsatz vom 23.3.2016 konnten nicht berücksichtigt werden, weil sie deutlich nach
Ablauf der bis zum 30.4.2015 verlängerten Beschwerdebegründungsfrist beim BSG eingegangen sind (vgl §
160a Abs
2 S 1 und 2
SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur ordnungsgemäßen Bezeichnung (§
160a Abs
2 S 3
SGG) die den Verfahrensfehler (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung
erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen
kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung der Entscheidung besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
1. Sofern der Kläger eine Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach §§
103,
118 Abs
1 S 1
SGG iVm §
411 Abs
3 ZPO zunächst darin sieht, dass das LSG seinem Antrag, die Sachverständige Dr. K. zur Erläuterung ihres Gutachtens zum Termin
zu laden, zu Unrecht nicht nachgegangen sei, ist es zwar zutreffend, dass die von ihm ausdrücklich gerügte Nicht-Ladung eines
Sachverständigen zur Erläuterung seines Gutachtens in der mündlichen Verhandlung auch ein Aufklärungsmangel des LSG sein kann.
Sein Vortrag erfüllt aber nicht die Anforderungen an eine diesbezügliche Sachaufklärungsrüge (vgl hierzu Senatsbeschluss vom
19.4.2017 - B 13 R 339/16 B - Juris RdNr 6 ff).
Unabhängig davon, ob der Kläger insoweit überhaupt einen prozessordnungsgemäßen Beweisantrag iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG gestellt und bezeichnet hat (vgl hierzu Senatsbeschluss vom 12.12.2003 - B 13 RJ 179/03 B - SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6), hat er die Voraussetzungen, unter denen das LSG nur ermessenswidrig von einer Ladung
der Sachverständigen Dr. K. zur Erläuterung ihres Gutachtens hätte Abstand nehmen können, nicht in der gebotenen Weise dargetan.
Er hat bereits nicht schlüssig aufgezeigt, welche konkreten Gesichtspunkte ausgehend von der Rechtsauffassung des LSG noch
erläuterungsbedürftig sein sollten. Entsprechende Ausführungen sind aber schon deshalb notwendig, weil eine nochmalige mündliche
Befragung eines Sachverständigen zu bereits schriftlich im Rahmen der Gutachtenerstattung vorgelegten und beantworteten Fragen
im Rahmen einer auf §§
103,
118 Abs
1 S 1
SGG iVm §
411 Abs
3 ZPO gestützten Aufklärungsrüge nicht schon deshalb erfolgen muss, weil der Kläger - wie vorliegend - subjektiv noch weiteren
Erläuterungs- bzw Aufklärungsbedarf zu bereits hinreichend beantworteten Fragen gesehen haben mag. Aufzuzeigen ist vielmehr,
dass der erkannte weitere Aufklärungsbedarf in Auseinandersetzung mit dem bereits vorliegenden Gutachten näher erläutert und
das Berufungsgericht auf noch konkret erläuterungsbedürftige Punkte, die es in seine Ermessensprüfung hätte einbeziehen müssen,
hingewiesen wurde (vgl Senatsbeschluss vom 19.4.2017 - B 13 R 339/16 B - Juris RdNr 11 mwN). Aufzuzeigen ist darüber hinaus, inwiefern das LSG ausgehend von seiner Rechtsansicht von einer erneuten
Äußerung der Sachverständigen neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse hätte erwarten können (vgl Senatsbeschluss vom 19.4.2017
- B 13 R 339/16 B - Juris RdNr 12). Einen diesen Darlegungsanforderungen entsprechenden Vortrag einer Sachaufklärungsrüge nach §§
103,
118 Abs
1 S 1
SGG iVm §
411 Abs
3 ZPO enthält die Beschwerdebegründung vom 27.3.2015 nicht. Insbesondere reicht es hier nicht aus, entsprechende Ausführungen erst
im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren "nachzuholen".
Soweit der Kläger darüber hinaus in der mündlichen Verhandlung vor dem LSG ausweislich des Sitzungsprotokolls beantragt hat,
"zusätzlich zu dem bereits vorliegenden psychiatrischen Gutachten der Sachverständigen Dr. K. ein weiteres psychiatrisches
Sachverständigengutachten zum Beweis der Tatsache einzuholen, dass der Kläger nicht mehr über ein sechsstündiges Arbeitsvermögen
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt verfügt, und zwar bereits seit dem 11. Juni 2001 fortlaufend, hilfsweise, seit Zerbrechen
der Ehe im Jahre 2003, hilfsweise, seit November 2011", kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger damit einen prozessordnungsgemäßen
Beweisantrag iS des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG gestellt und bezeichnet hat. Denn es fehlt an der erforderlichen Darlegung der Voraussetzungen von §
118 Abs
1 S 1
SGG iVm §
412 Abs
1 ZPO. Hiernach erfordert eine neue Begutachtung, dass das (bzw die) bereits vorhandene(n) Gutachten "ungenügend" ist (sind); weshalb
dies der Fall sein soll, ist in der Beschwerdebegründung im Einzelnen darzustellen (Senatsbeschluss vom 20.12.2012 - B 13 R 333/12 B - Juris RdNr 7 mwN). Dazu hätte der Kläger aber darlegen müssen, dass das Sachverständigengutachten von Dr. K., soweit
das LSG seine ablehnende Entscheidung allein darauf gestützt hat, schwere Mängel aufweist, in sich widersprüchlich ist, von
unzulässigen Voraussetzungen ausgeht oder Zweifel an der Sachkunde oder Sachdienlichkeit der Sachverständigen erweckt (vgl
hierzu Senatsbeschluss vom 23.5.2006 - B 13 RJ 272/05 B - Juris RdNr 7). Entsprechenden substantiierten Vortrag enthält die Beschwerdebegründung vom 27.3.2015 nicht.
Soweit sich der Kläger in der Beschwerdebegründung vom 27.3.2015 auf das sachverständige Zeugnis von Dr. W.-R., Dr. E. und
Dr. W. beruft, kann dahingestellt bleiben, ob er die entsprechenden Anträge im Hinblick auf die dort ausdrücklich protokollierten
Beweisanträge und die Erklärung seiner Prozessbevollmächtigten, dass "damit ihre Beweisanträge ausreichend protokolliert seien",
überhaupt noch aufrechterhalten hat. Jedenfalls hat er nicht dargelegt, dass sich das LSG ausgehend von seiner Rechtsauffassung
zu einer entsprechenden Sachaufklärung gedrängt hätte fühlen müssen. Gemäß §
414 ZPO kommen in Bezug auf sachverständige Zeugen die Vorschriften der §§
373 ff
ZPO über den Zeugenbeweis zur Anwendung. Aufgabe eines sachverständigen Zeugen ist es, sein Wissen über persönliche Wahrnehmungen
zu schildern, die zu machen er aufgrund seiner besonderen Sachkunde in der Lage war (Senatsbeschluss vom 6.1.2016 - B 13 R 303/15 B - Juris RdNr 7). Ein Beweisantrag mit dem Ziel der Vernehmung eines sachverständigen Zeugen muss deshalb bei Angabe des
Beweisthemas die Art von Tatsachen (§
373 ZPO) näher bezeichnen, die dieser selbst wahrgenommen haben soll, also zB Feststellungen eines Arztes zu den von ihm erhobenen
gesundheitlichen Befunden (Senatsbeschluss vom 6.1.2016 aaO). Dass das LSG indes den Bericht der Neurologin und Psychiaterin
Dr. W.-R. vom 15.10.2009, das Gutachten der Unfallchirurgin Dr. W. vom 18.10.2010 nebst ergänzender Stellungnahme vom 15.3.2011
und auch das im Hinblick auf die besonderen Fragestellungen nach dem Häftlingshilfegesetz im Auftrag des Niedersächsischen Landesamts für Soziales, Jugend und Familie erstellte Gutachten von Dr. E. vom 5.8.2013
nicht berücksichtigt hat, behauptet der Kläger nicht. Er zeigt aber nicht auf, welche Feststellungen die genannten Ärzte als
sachverständige Zeugen über die von ihnen bereits erhobenen gesundheitlichen Befunde hinaus noch hätten bekunden können.
Dass der Kläger im Kern seines Vorbringens mit der Auswertung und Würdigung der aktenkundigen Arztberichte und Sachverständigengutachten
durch das LSG nicht einverstanden ist, ist für das Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren unerheblich. Denn auf eine Verletzung
des §
128 Abs
1 S 1
SGG (Grundsatz der freien Beweiswürdigung) kann eine Nichtzulassungsbeschwerde nach §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG nicht gestützt werden. Ebenso unerheblich ist, dass der Kläger die angefochtene LSG-Entscheidung für inhaltlich unrichtig
hält.
2. Sofern der Kläger mit seinem Vortrag, das LSG sei zu Unrecht seinem in der mündlichen Verhandlung vom 17.12.2014 gestellten
Antrag, die Sachverständige Dr. K. zur Erläuterung ihres Gutachtens zu den zu Protokoll im handschriftlichen Schriftsatz vom
selben Tag gestellten Fragen (einschließlich der Anlagen A1 und A2) zu laden, nicht nachgekommen, zugleich eine Verletzung
des Fragerechts nach §
116 S 2, §
118 Abs
1 S 1
SGG iVm §§
397,
402,
411 Abs
4 ZPO geltend machen will, erfüllt sein Vortrag nicht die Darlegungsanforderungen für eine solche Verfahrensrüge. Da das Fragerecht
an den Sachverständigen der Verwirklichung des rechtlichen Gehörs dient, muss eine entsprechende Rüge aufzeigen, dass der
Beteiligte alles getan hat, um die Anhörung des Sachverständigen zu erreichen. Hierzu gehört ua auch, dass in der Beschwerdebegründung
dargelegt wird, dass er einen hierauf gerichteten Antrag mit objektiv sachdienlichen Fragen - wobei es hier im Gegensatz zur
Aufklärungsrüge nicht allein auf den Rechtsstandpunkt des LSG ankommt (vgl Senatsbeschluss vom 16.6.2016 - B 13 R 119/14 B - Juris RdNr 12 f) - innerhalb eines angemessenen Zeitraums nach Erstattung des Gutachtens und hier insbesondere rechtzeitig
vor der mündlichen Verhandlung gestellt hat (zu diesem und zu den weiteren Darlegungsanforderungen an eine Rüge der Verletzung
des Fragerechts vgl zB Senatsbeschlüsse vom 20.12.2012 - B 13 R 333/12 B - Juris RdNr 8; vom 7.2.2013 - B 13 R 71/12 B - Juris RdNr 17; vom 7.8.2014 - B 13 R 439/13 B - Juris RdNr 10 und vom 15.9.2015 - B 13 R 201/15 B - Juris RdNr 7; BSG Urteil vom 12.4.2000 - B 9 VS 2/99 R - Juris RdNr 20). Dies hat der Kläger aber gerade nicht getan. Unabhängig davon, dass das Fragerecht grundsätzlich nur hinsichtlich
Gutachten besteht, die in derselben Instanz erstattet wurden (Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
118 RdNr 12g mwN), hat der Kläger auch keine Gründe dafür aufgezeigt, warum seine Prozessbevollmächtigte dem Berufungsgericht
die an die Sachverständige Dr. K. ergänzend zu richtenden Fragen trotz des bereits erstinstanzlich unter dem 21.1.2014 erstatteten
Gutachtens erst in der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht am 17.12.2014 vorlegen konnte und ihr dies nicht schon
früher möglich gewesen wäre, obwohl sie den Kläger bereits erstinstanzlich vertreten hatte.
3. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
4. Die Verwerfung der Beschwerde erfolgt gemäß §
160a Abs
4 S 1 Halbs 2 iVm §
169 S 2 und 3
SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.