Existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Im Streit stehen existenzsichernde Leistungen nach dem SGB II von November 2014 bis April 2015.
Nach Bezug vorläufig bewilligter Leistungen ermittelte das beklagte Jobcenter auf vom Kläger vorgelegte Angaben über Einnahmen
und Ausgaben aus seiner Tätigkeit als freiberuflicher Rechtsanwalt im Streitzeitraum einen monatlichen Gewinn von 262,26 Euro,
von dem es den Absetzbetrag nach § 11b Abs 2 SGB II in Höhe von 100 Euro und den Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs 3 SGB II in Höhe von 32,45 Euro abzog. Daraus leitete es für November und Dezember 2014 einen Alg II-Anspruch von 592,19 Euro monatlich
und für Januar bis April 2015 von 600,19 Euro monatlich sowie eine zu erstattende Überzahlung von insgesamt 733,68 Euro ab
(Bescheide vom 14.9.2015).
Das SG hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 1.10.2018), das LSG hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision nicht zugelassen (Urteil vom 11.4.2019). Gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG richtet sich die auf die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache
(§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), eine Divergenz der Entscheidung des LSG von der Rechtsprechung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des BVerfG (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) und Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung ist jedenfalls unbegründet und deshalb
zurückzuweisen.
1. Bezogen auf die Grundsatzrügen ist die Beschwerde unzulässig.
a) Grundsätzliche Bedeutung hat eine Rechtssache nur, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus
- aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Nach den aus §
160a Abs
2 Satz 3
SGG sich ergebenden Anforderungen muss ein Beschwerdeführer dazu anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der
höchstrichterlichen Rechtsprechung aufzeigen, welche klar formulierte Frage sich stellt, dass diese Rechtsfrage noch nicht
geklärt ist, weshalb deren Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass
das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung dieser Rechtsfragen erwarten lässt (vgl Krasney/Udsching, Handbuch des sozialgerichtlichen Verfahrens, 7. Aufl 2016, IX, RdNr 56 ff).
b) Diesen Begründungsanforderungen genügt die Beschwerde mangels hinreichend konkreter Fragen nicht, soweit sie es als grundsätzlich
klärungsbedürftig ansieht, ob (a) "Ausgaben eines selbständig Hilfebedürftigen im sogenannten ersten Schritt zur Bestimmung
des Brutto-Einkommens nach steuerrechtlichen Grundsätzen (§
6 EStG) bewertet und prozentual begrenzt werden" dürfen, wie (b) "jahresbezogenen Ausgaben abzuziehen" sind, ob (c) "gesetzlich
vorgeschriebene Ausgaben eines selbständig erwerbstätigen Hilfebedürftigen als Betriebsausgaben im sogenannten ersten Schritt
zur Bestimmung des Brutto-Einkommens abzuziehen" sind, ob (d) "Ausgaben eines selbständig erwerbstätigen Hilfebedürftigen,
die zum Zeitpunkt der Ausgabe einen Nutzen für dessen selbständige Erwerbstätigkeit erwarten Lassen, als Betriebsausgaben
im sogenannten ersten Schritt zur Bestimmung des Brutto-Einkommens abzuziehen" sind, ob (f) "bei Freiberuflern des freiberufliche
Leitbild dem selbständig erwerbstätigen Hilfebedürftigen zum Nachteil gereichen" darf und ob (g) ein selbständig erwerbstätiger
Hilfebedürftiger berechtigt ist, "die Geschäftsjahrmethode (für die Behörde verbindlich) anzuwenden".
Damit bezeichnet die Beschwerde keine hinreichend konkreten Rechtsfragen. Die Konkretisierung erfordert regelmäßig, dass die
Rechtsfrage mit "Ja" oder "Nein" beantwortet werden kann; das schließt nicht aus, dass eine Frage gestellt wird, die je nach
den formulierten Voraussetzungen mehrere Antworten zulässt. Unzulässig ist jedoch eine Fragestellung, deren Beantwortung von
den Umständen des Einzelfalles abhängt und damit auf die Antwort "kann sein" hinausläuft (stRspr; vgl zB BSG vom 11.11.2019 - B 1 KR 87/18 B - RdNr 6 mwN; BSG vom 27.1.2020 - B 8 SO 67/19 B - RdNr 10). Hier stellt der Kläger unter (a), (b), (c), (d) und (g) allgemein gehaltene Fragen, deren Beantwortung eine kommentar- oder
lehrbuchartige Aufbereitung durch den Senat verlangen würde, was gerade nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens sein kann
(vgl hierzu auch BSG vom 1.3.2018 - B 8 SO 104/17 B - RdNr 8). Ersichtlich ebenfalls nicht auf eine grundsätzliche Klärung, sondern auf die - eine Zulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung
ebenfalls nicht rechtfertigende - Überprüfung der Einzelfallentscheidung gerichtet zielt es ab, soweit der Kläger geprüft
sehen möchte, ob (f) einem Freiberufler das freiberufliche Leitbild "zum Nachteil gereichen" darf.
c) Soweit die Beschwerde es als grundsätzlich klärungsbedürftig bezeichnet, ob "§ 3 Abs. 7 S. 1 ALG II VO gegen höherrangiges Recht" verstößt, ist die Klärungsbedürftigkeit nicht dargelegt. Der erkennende Senat hat bereits
entschieden, dass es nicht gegen höherrangiges Recht verstößt, die Kosten für den Unterhalt eines Kraftfahrzeugs gemäß § 3 Abs 7 Alg II-V bei überwiegend privater Nutzung von der Absetzung als betriebliche Ausgabe bei Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit auszunehmen
(BSG vom 1.12.2016 - B 14 AS 34/15 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 79 RdNr 16 ff). Inwieweit diese Frage erneut klärungsbedürftig geworden ist, zeigt die Beschwerde nicht auf. Dass sie die Entscheidung als
nicht nachvollziehbar erachtet, reicht dafür nicht aus (vgl zu den Darlegungsanforderungen insoweit nur Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/ Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 14g mwN).
2. Im Hinblick auf die Divergenzrüge ist die Beschwerde ebenfalls unzulässig.
a) Zur formgerechten Bezeichnung einer Abweichung hat die Beschwerdebegründung einen Widerspruch im Grundsätzlichen oder ein
Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze in der Entscheidung des LSG einerseits und in einer Entscheidung des
BSG, des GmSOGB oder des BVerfG andererseits aufzuzeigen und die in Bezug genommene Entscheidung so zu kennzeichnen, dass sie
ohne Weiteres aufzufinden ist (BSG vom 29.9.1975 - 8 BU 64/75 - SozR 1500 § 160a Nr 14; BSG vom 29.3.2007 - B 9a VJ 5/06 B - SozR 4-1500 § 160 Nr 13). Dabei muss die Beschwerdebegründung deutlich machen, dass in der angefochtenen Entscheidung eine sie tragende Rechtsansicht
entwickelt und nicht etwa nur ungenaue oder unzutreffende Rechtsausführungen oder ein Rechtsirrtum im Einzelfall die Entscheidung
bestimmen (vgl BSG vom 29.11.1989 - 7 BAr 130/88 - SozR 1500 § 160a Nr 67). Ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die obergerichtliche Rechtsprechung im Revisionsverfahren
seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (BSG vom 12.7.1985 - 7 BAr 114/84 - SozR 1500 § 160a Nr 54).
b) Diesen Anforderungen wird das Beschwerdevorbringen nicht gerecht. Soweit es der Aussage des BSG "Der Verordnungsgeber wollte die Anwendung einkommensteuerrechtlichen Besonderheiten im Sozialrecht gerade ausschließen"
(Verweis auf BSG vom 17.2.2016 - B 4 AS 17/15 R - BSGE 120, 242 = SozR 4-4200 § 11 Nr 75, RdNr 24) die Formulierung "Der betriebliche Anteil der Ausgaben darf prozentual geschätzt werden (vgl. zur Zulässigkeit einer Schätzung
BSG, Urteil vom 05.06.2014 - B 4 AS 31/13 R)." des LSG gegenüberstellt, ist damit schon keine Abweichung bezeichnet und jedenfalls nicht aufgezeigt, dass das LSG dem
BSG im Grundsätzlichen widersprochen hätte, zumal sich das LSG ausdrücklich auf Rechtsprechung des BSG bezieht; die Behauptung der Beschwerde, dass dies in "Wirklichkeit ein Falschzitat" sei, ändert daran nichts.
3. Die Verfahrensrügen sind jedenfalls unbegründet.
Soweit die Beschwerde die Garantie des gesetzlichen Richters und in Zusammenhang damit den Anspruch auf rechtliches Gehör,
den Grundsatz des Fair Trial und das Gebot effektiven Rechtsschutzes als verletzt ansieht, weil das LSG der nachträglichen
Ablehnung des erstinstanzlichen Richters nicht Rechnung getragen habe, ist damit ein Verfahrensfehler nicht schlüssig bezeichnet.
Dabei kann dahinstehen, ob das LSG von einer Zurückverweisung in die 1. Instanz im Hinblick auf die beschränkten Zurückverweisungsgründe
nach §
159 Abs
1 Nr
2 SGG auch bei einem wesentlichen Verfahrensmangel absehen kann, solange - was hier naheliegen könnte - eine umfangreiche und aufwändige
Beweisaufnahme nicht notwendig ist (vgl nur BSG vom 18.10.1995 - 6 RKa 31/94 - SozR 3-2500 § 87 Nr 8 S 27) oder ob ausnahmsweise etwas anderes gelten kann, wenn die Voraussetzungen gegeben sind, unter denen nach der Rechtsprechung
des BSG ausnahmsweise eine Zurückverweisung in die Berufungsinstanz in Betracht kommt und die Zurückverweisung im Berufungsverfahren
ausdrücklich beantragt (vgl nur BSG vom 9.9.1998 - B 6 KA 34/98 B - RdNr 6) worden war (vgl hierzu letztens BVerfG <Kammer> vom 21.11.2018 - 1 BvR 436/17 - NJW 2019, 505 RdNr 15).
Denn ungeachtet der Frage, ob die Mitteilung des Kammervorsitzenden an die Rechtsanwaltskammer, der Kläger prozessiere "in
einer Vielzahl von Fällen" in eigener Sache gegen den Beklagten, geeignet war, Misstrauen gegen seine Unparteilichkeit zu
rechtfertigen (§
60 Abs
1 SGG iVm §
42 Abs
2 ZPO), war er mangels Ablehnung bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nicht deswegen von der Ausübung des Amtes als
Richter ausgeschlossen. Letzter Zeitpunkt für die Geltendmachung von Ablehnungsgründen ist nach gefestigter Rechtsprechung
des BVerfG und der Obersten Bundesgerichte der vollständige Abschluss der Instanz, weil die getroffene Entscheidung von dem
Gericht, dem die im Anschluss abgelehnten Richter angehören, nicht mehr geändert werden kann (vgl nur BGH vom 11.7.2007 - IV ZB 38/06 - NJW-RR 2007, 1653 RdNr 5 mwN; darauf Bezug nehmend nur BVerfG vom 28.4.2011 - 1 BvR 2411/10 - NJW 2011, 2191, 2192; ebenso etwa BSG vom 2.8.2001 - B 7 AL 28/01 B; BAG vom 18.3.1964 - 4 AZR 63/63; BFH vom 17.5.1995 - X R 55/94 - BFHE 177, 344; BGH vom 17.5.2018 - I ZR 195/15 - NJW-RR 2018, 1461 RdNr 4; BVerwG vom 29.6.2016 - 2 B 18.15 - Buchholz 310 §
132 Abs
2 Ziff 3
VwGO Nr
77 RdNr
38). Das anders zu sehen gibt die Beschwerde keinen Anlass. Mindestens deshalb war das LSG auf die erst im Berufungsverfahren
erklärte Ablehnung des Kammervorsitzenden an einer Sachentscheidung über die Berufung des Klägers nicht gehindert. Dass ein
Mangel an Unvoreingenommenheit des Kammervorsitzenden - lag er vor - durch das Berufungsverfahren nicht geheilt worden sein
könnte (vgl BVerwG vom 20.5.2015 - 2 B 4.15 - NVwZ 2015, 1299 RdNr 8 f: Kein Absehen von mündlicher Verhandlung in der Berufungsinstanz bei erstinstanzlicher mündlicher Verhandlung vor
befangenem Richter), zeigt die Beschwerde nicht auf.
Soweit sie beanstandet, das LSG sei unter Verstoß gegen den Anspruch auf rechtliches Gehör und das Grundrecht auf informationelle
Selbstbestimmung der Wertung des Beklagten gefolgt, dass der berufliche Telefonanschluss hälftig privat genutzt werde, weil
Kosten eines privaten Telefonanschlusses nicht belegt seien, zeigt sie jedenfalls nicht auf, inwieweit der Kläger - bezogen
auf die nach dem Beschwerdevorbringen schon im Verwaltungsverfahren getroffene Schätzung keine Gelegenheit hatte - wie sie
geltend macht - seine Aufwendungen für einen weiteren Telefonanschluss im Berufungsverfahren zu belegen. Jedenfalls unbegründet
ist die Gehörsrüge schließlich, soweit sie geltend macht, das LSG habe sich nicht damit auseinandergesetzt, dass der Nutzen
der geltend gemachten Kosten seines Stellplatzes nach seinem Vortrag "unabhängig von einem tatsächlichen Einsatz des KFZ"
sei, weil - wie das LSG im Einzelnen dargelegt hat nur Kosten eines tatsächlich betrieblich (überwiegend) genutzten Kraftfahrzeugs
als betriebliche Ausgabe berücksichtigungsfähig sind und nach seiner Feststellung eine solche Nutzung für den Streitzeitraum
nicht belegt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung der §§
183,
193 SGG.