Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Angemessenheitsprüfung anhand des Berliner Mietspiegels
2007; Angemessenheit der Aufwendungen für die Heizung
Gründe:
I
Umstritten ist die Höhe der dem Kläger vom beklagten Jobcenter zu zahlenden Leistungen für Unterkunft und Heizung nach dem
Zweiten Buch Sozialgesetzbuch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) für die Zeit von November 2006 bis April 2007.
Der im Jahr 1950 geborene, erwerbsfähige Kläger ist promovierter Politikwissenschaftler und konnte im streitgegenständlichen
Zeitraum seinen Lebensunterhalt nicht aus eigenen Kräften und Mitteln sichern. Er wohnt seit dem Jahr 1959 zunächst als Kind
in der Familie, inzwischen allein in einer "2 2/2-Zimmerwohnung" mit einer Wohnfläche von knapp 75 qm, für die er eine Bruttowarmmiete
von 515,87 Euro monatlich im strittigen Zeitraum zu zahlen hatte. Leistungen nach dem SGB II erhielt er ab dem 21.4.2005.
Mit Schreiben vom 26.4.2006 teilte der Beklagte dem Kläger mit, die Kosten der Unterkunft seien nicht angemessen. Er sei längstens
für sechs Monate bereit die tatsächlichen Kosten so lange zu übernehmen, wie es dem Kläger nicht möglich sei, durch einen
Wohnungswechsel, Untervermietung oder Erwirkung einer Mietminderung die Kosten der Unterkunft zu senken. Der Kläger wies auf
seine lange Wohndauer in der Wohnung hin. Er bewahre in ihr ein umfassendes Archiv insbesondere zu den Themen Sport, Ministerium
für Staatssicherheit und Fußball auf, in denen er als wissenschaftlicher Experte international anerkannt sei. Bei einem Umzug
in eine kleinere Wohnung müsse er sich von diesen Beständen trennen, womit ihm eine weitere wissenschaftliche Tätigkeit und
eine geplante Buchveröffentlichung verwehrt seien, hierauf würden aber seine Chancen auf dem Arbeitsmarkt beruhen. Für die
Zeit von November 2006 bis April 2007 bewilligte der Beklagte dem Kläger Leistungen für die Unterkunft und Heizung nur noch
in Höhe von 396 Euro monatlich und legte dabei den Grundwert für Einpersonenhaushalte von 360 Euro für die Bruttowarmmiete
nach den Ausführungsvorschriften zur Ermittlung angemessener Kosten der Wohnung gemäß § 22 SGB II der Senatsverwaltung für
Gesundheit, Soziales und Verbraucherschutz des Landes Berlin vom 7.6.2005 (ABl 3743), zuletzt geändert mit Verwaltungsvorschrift
vom 30.5.2006 (ABl 2062) [im Folgenden: AV-Wohnen] zuzüglich eines Zuschlags von 10 % wegen längerer Wohndauer zugrunde (Bescheid
vom 12.10.2006, Widerspruchsbescheid vom 23.2.2007).
Das Sozialgericht (SG) hat den Beklagten unter Änderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger Leistungen unter Zugrundelegung der
vollen Kosten der Unterkunft in Höhe von 515,87 Euro monatlich von November 2006 bis April 2007 zu bewilligen (Urteil vom
21.5.2007). Das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg (LSG) hat auf die Berufung des Beklagten das Urteil des SG geändert und den Beklagten verurteilt, dem Kläger Leistungen für Unterkunft und Heizung von November 2006 bis April 2007
in Höhe von 416,28 Euro monatlich zu gewähren und im Übrigen die Klage und die Berufung zurückgewiesen (Urteil vom 24.4.2009).
Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung nach § 22 Abs 1 SGB II
seien nicht anhand der AV-Wohnen zu bestimmen. Die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Angemessenheit" obliege vielmehr
den Gerichten und es sei eine Einzelfallprüfung vorzunehmen (Hinweis ua auf das Urteil des BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 10/06 R - BSGE 97, 231 = SozR 4-4200 § 22 Nr 2). Nach den Wohnungsbauförderungsbestimmungen des Landes Berlin erscheine eine Wohnung von bis zu
50 qm für eine Ein-Personen-Bedarfsgemeinschaft als angemessen. Als Wohnungsstandard sei von einem einfachen und im unteren
Segment liegenden Ausstattungsgrad der Wohnung auszugehen. Zur Bestimmung des nach der Produkttheorie angemessenen Quadratmeterpreises
sei vom qualifizierten Mietspiegel des Landes Berlin vom 11.7.2007 (ABl 1797) auszugehen, da ein besseres Erkenntnismittel
nicht zur Verfügung stehe und dessen Stichtag 1.10.2006 vor dem umstrittenen Bewilligungszeitraum liege. Bei Anwendung des
Mietspiegels sei der günstigste Spannenhöchstbetrag innerhalb der verschiedenen Baujahresklassen für Wohnungen mit Bad und
WC zugrunde zu legen. Ebenfalls mit einzubeziehen seien die kalten und warmen Betriebskosten. Hinsichtlich deren Ermittlung
seien - mangels "besserer Zahlen" - die Werte des Anhangs I zum Mietspiegel heranzuziehen und der 4/5 Spannenoberwert zugrunde
zu legen. Konkret seien nach dem Mietspiegel pro Quadratmeter ein Wert von 4,71 Euro (Baujahre 1965 bis 1972, einfache Wohnlage,
40 bis unter 60 qm) plus 2,59 Euro kalte Betriebskosten sowie 1,15 Euro Heizkosten (= 8,45 Euro x 50 qm =) und damit insgesamt
422,50 Euro anzusetzen. Davon seien noch 6,22 Euro für die Warmwasserbereitung abzuziehen (Hinweis auf BSG vom 27.2.2008 -
B 14/11b AS 15/07 R - BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5), sodass 416,28 Euro monatlich für Leistungen der Unterkunft und Heizung zu zahlen seien. Eine solche
Wohnung sei auch im bisherigen Umfeld des Klägers Berlin-Schöneberg anmietbar. Das Alter des Klägers und seine lange Wohndauer
seien - auch in Kombination - keine Kriterien, aus denen eine Unzumutbarkeit hergeleitet werden könne, für die gebotene Senkung
der Kosten der Unterkunft zu sorgen, ggf auch durch einen Umzug. Der Kläger könne sich schließlich nicht mit Erfolg darauf
berufen, in der Wohnung sein Archiv unterbringen zu müssen. Die Unterlagen könnten außerhalb der Wohnung, zB in einem Keller
oder bei einer öffentlichen oder privaten Stelle, aufbewahrt werden. Es sei nicht ersichtlich, dass die Umzugskosten außer
Verhältnis zu den ersparten Kosten der Unterkunft stehen könnten.
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 22 SGB II. Die Entscheidung des LSG werde der vom Bundessozialgericht
(BSG) geforderten Einzelfallentscheidung nicht gerecht. Seine enge Verbundenheit mit seiner Wohnung und dem sozialen Umfeld
werde nicht ausreichend gewürdigt. Aufgrund der Wohndauer von fast 50 Jahren sei er nicht weniger schutzwürdig, als ein Eigentümer
in einer selbst genutzten Wohneinheit. Es liege ein Verstoß gegen Art
1 Abs
1, Art
2 Abs
1, Art
3 Abs
1, Art
5 Abs
3 Grundgesetz (
GG) vor.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. April 2009 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 21. Mai 2007 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Er bezieht sich auf die AV-Wohnen. Im Übrigen lasse die Auslegung des unbestimmten Rechtsbegriffs "Angemessenheit" durch das
LSG keinen Fehler erkennen, auch wenn die Argumente des LSG nicht in jedem Punkt überzeugten.
II
Auf die Revision des Klägers ist das Urteil des LSG aufzuheben und der Rechtsstreit zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
an das LSG zurückzuverweisen. Die zulässige Revision des Klägers ist begründet, weil das LSG die abstrakt angemessenen Leistungen
für Unterkunft des Klägers und dessen angemessene Leistungen für Heizung nicht zutreffend ermittelt hat. Mangels ausreichender
Tatsachenfeststellungen kann der Senat nicht beurteilen, ob die Entscheidung des LSG aus anderen Gründen richtig ist, oder
in der Sache selbst entscheiden (§
170 Abs
1,
2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).
Streitgegenstand des Verfahrens sind allein Ansprüche des Klägers auf höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung für die
Zeit von November 2006 bis April 2007 und der diese Ansprüche regelnde Bescheid des beklagten Jobcenters vom 12.10.2006 in
der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.2.2007. An der Zulässigkeit derart beschränkter Rechtsmittel (vgl nur BSG vom
7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, RdNr 18) hat sich durch die Neufassung des § 19 Abs 1 SGB II durch das Gesetz zur Ermittlung von
Regelbedarfen und zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches Sozialgesetzbuch vom 24.3.2011 (BGBl I 453), das insofern zum
1.1.2011 in Kraft getreten ist, zumindest für laufende Verfahren über vorher abgeschlossene Bewilligungsabschnitte nichts
geändert.
Der Kläger lebt nach den bindenden Feststellungen des LSG (§
163 SGG) allein in seiner Wohnung und gehört dem Grunde nach zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem SGB II, weil er das
15. Lebensjahr vollendet und das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, erwerbsfähig und hilfebedürftig ist und seinen gewöhnlichen
Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland hat (§ 7 Abs 1 Satz 1 SGB II, das insofern von November 2006 bis zum Entscheidungszeitpunkt
nicht geändert wurde).
Rechtsgrundlage für die vorliegend der Höhe nach umstrittenen Leistungen für Unterkunft und Heizung sind §§ 19, 22 SGB II.
Danach werden im Rahmen des Arbeitslosengeldes II Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen
erbracht, soweit sie angemessen sind (§ 22 Abs 1 Satz 1 SGB II, das insofern von November 2006 bis zum Entscheidungszeitpunkt
nicht geändert wurde). Der Begriff der "Angemessenheit" unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der uneingeschränkten richterlichen
Kontrolle (stRspr vgl nur BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 [München], RdNr 12 mwN).
Zwischen der Leistung für die Unterkunft (dazu 1.) und der Leistung für die Heizung (dazu 2.) ist zu unterscheiden, wie schon
dem Wortlaut der Vorschrift mit der Verwendung des Plurals "Leistungen" sowie der Rechtsprechung des Senats (BSG vom 2.7.2009
- B 14 AS 36/08 R - BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23; zuletzt: BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 18) zu entnehmen ist. Welche Aufwendungen für die Unterkunft und welche für die
Heizung vorliegend tatsächlich angefallen sind, lässt sich den Feststellungen des LSG nicht entnehmen. Das LSG hat nur eine
Bruttowarmmiete von 515,87 Euro monatlich festgestellt, die das SG dem Kläger auch zugesprochen hat, die dann als angemessen von dem Beklagten zu zahlen sein könnte, wenn dieser Betrag unter
der Summe der angemessenen Leistungen für die Unterkunft und für die Heizung nach § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II liegen würde. Das
LSG hat jedoch nur einen Betrag von insgesamt 416,28 Euro monatlich als angemessen angesehen und die weitergehende Klage abgewiesen.
1. Zur Ermittlung der Leistung für die Unterkunft, auf die der dem Grunde nach Hilfebedürftige Anspruch hat, ist in mehreren
Schritten vorzugehen: Zunächst ist die angemessene Leistung für die Unterkunft unter Zugrundelegung der sog Produkttheorie
in einem mehrstufigen Verfahren abstrakt zu ermitteln (dazu a). Anschließend ist - falls insofern Einwände vorgebracht werden
- zu prüfen, ob in dem örtlichen Vergleichsraum eine Wohnung zu dieser abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft auch
tatsächlich angemietet werden kann (dazu b). Soweit die Aufwendungen des Hilfebedürftigen für die Unterkunft, also die von
ihm zu zahlende Nettokaltmiete plus kalte Betriebskosten, die abstrakt angemessene Leistung für die Unterkunft des Hilfebedürftigen
(entsprechend a) übersteigen, sind erstere nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II solange zu berücksichtigen, wie es ihm nicht möglich
oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in
der Regel längstens für sechs Monate (dazu c) (vgl zu diesen Voraussetzungen ua BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 19 ff; BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 [München], RdNr 12 ff; BSG vom 20.8.2009 - B 14 AS 65/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 26 [Zweibrücken]; BSG vom 22.9.2009 - B 4 AS 18/09 R - BSGE 104, 192 = SozR 4-4200 § 22 Nr 30; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 27 [Essen]: Mietspiegel als schlüssiges Konzept; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 50/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 29; zuletzt BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R, zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 20 ff).
a) Der vom LSG ermittelte Betrag für die abstrakt angemessene Leistung für die Unterkunft des Klägers hält der rechtlichen
Nachprüfung nicht stand, sodass er einer Entscheidung des Senats nicht zugrunde gelegt werden kann.
Die angemessene Leistung für die Unterkunft ist entsprechend der soeben aufgeführten Rechtsprechung unter Zugrundelegung der
sog Produkttheorie in einem mehrstufigen Verfahren zu ermitteln: (1) Zunächst ist die angemessene Wohnungsgröße zu bestimmen.
(2) Alsdann ist der maßgebliche örtliche Vergleichsraum festzulegen. (3) Im nächsten Schritt ist unter Berücksichtigung des
angemessenen einfachen Wohnungsstandards festzustellen, welche Nettokaltmiete pro Quadratmeter Wohnfläche für die angemessene
Wohnungsgröße auf dem Wohnungsmarkt des maßgeblichen Vergleichsraums zu zahlen ist, um die nach der Produkttheorie angemessene
Nettokaltmiete zu ermitteln. (4) Zu der Nettokaltmiete sind noch die kalten Betriebskosten hinzuzurechnen.
(1) Das LSG hat die für den Kläger als Alleinlebenden angemessene Wohnungsgröße mit maximal 50 qm in Berlin zutreffend bestimmt.
Zur Festlegung der angemessenen Wohnfläche ist auf die Wohnraumgrößen für Wohnberechtigte im sozialen Mietwohnungsbau abzustellen
(stRspr seit BSG vom 7.11.2006 - B 7b AS 18/06 R - BSGE 97, 254 = SozR 4-4200 § 22 Nr 3, RdNr 19; zuletzt BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen). Hinsichtlich der Überlassung von gefördertem Mietwohnungsbau verweisen § 27 Abs 4, § 10 des Gesetzes über die soziale Wohnraumförderung vom 13.9.2001 (BGBl I 2376: "Wohnungsförderungsgesetz" im Folgenden: WoFG) wegen der maßgeblichen Wohnungsgröße auf die "Bestimmungen" des jeweiligen Landes.
Das Land Berlin hat zu § 10 WoFG keine Ausführungsvorschriften erlassen. Zu § 27 WoFG liegen nur unveröffentlichte Arbeitshinweise der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung vom 15.12.2004 vor, die wegen der
maßgeblichen Wohnungsgröße an die zuvor ergangenen Bekanntmachungen anknüpfen. Danach darf entsprechend der Bekanntmachung
der Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen vom 20.10.1995 (ABl 4462) an Einzelpersonen Wohnraum bis zu 50 qm überlassen
werden. Auf diese Regelungen ist für die Bestimmung der Angemessenheitsgrenze nach § 22 Abs 1 SGB II zurückzugreifen (vgl
BSG vom 20.8.2009 - B 14 AS 65/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 26 [Zweibrücken] RdNr 14; zuletzt BSG vom 19.10.2010, aaO, speziell zu Berlin).
(2) Zutreffend hat das LSG, wenn auch nicht unter Verwendung dieses Begriffs, die Stadt Berlin als maßgeblichen örtlichen
Vergleichsraum zugrunde gelegt (vgl BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 24).
(3) Soweit das LSG einen Betrag von 4,71 Euro als angemessene Nettokaltmiete pro Quadratmeter zugrunde gelegt hat, kann dessen
Ermittlung aufgrund der Feststellungen des LSG nicht nachvollzogen werden.
(aa) Als Wohnungsstandard hat das LSG zu Recht einen einfachen, im unteren Segment liegenden Ausstattungsgrad der Wohnung
angenommen (vgl BSG vom 19.10.2010, aaO, RdNr 25).
(bb) Zur Bemessung der angemessenen Leistung für die Unterkunft kann entgegen der Ansicht des Beklagten nicht von den AV-Wohnen
ausgegangen werden, weil ihnen kein schlüssiges Konzept im Sinne der Rechtsprechung des BSG zugrunde liegt (vgl nur BSG vom
19.10.2010, aaO, RdNr 26 mwN).
(cc) In Ermangelung eines von dem Beklagten vorgelegten schlüssigen Konzepts hat das LSG zutreffend zur Bestimmung der angemessenen
Nettokaltmiete auf den Berliner Mietspiegel vom 11.7.2007 (ABl 1797) zurückgegriffen. Qualifizierte Mietspiegel iS des §
558d Bürgerliches Gesetzbuch (
BGB) wie der Berliner Mietspiegel können Grundlage zur Bestimmung der abstrakt angemessenen Miete sein (vgl bereits BSG vom 18.6.2008
- B 14/7b AS 44/06 R - RdNr 16; BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 [München], RdNr 25; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 27 [Essen]; zuletzt: BSG vom 19.10.2010, aaO, RdNr 27 mwN für Berlin).
Sollen aus einem qualifizierten Mietspiegel grundsicherungsrelevante Schlüsse abgeleitet werden, ist eine Beschränkung auf
bestimmte "Baujahresklassen" - so das LSG - bzw "Baualtersklassen" (im Mietrecht werden die Begriffe synonym verwandt) - so
der Senat im Urteil vom 19.10.2010 zum Berliner Mietspiegel - ohne weitere Begründung grundsätzlich nicht zulässig (vgl bereits
BSG vom 19.2.2009, aaO, RdNr 25; zuletzt: BSG vom 19.10.2010, aaO, RdNr 28 auch zum Folgenden). Denn aus einem Mietspiegel
allein lässt sich nicht ohne Weiteres ersehen, inwieweit Wohnungen einer bestimmten Baualtersklasse in einem Umfang zur Verfügung
stehen, der den Rückschluss zulässt, im Vergleichsraum sei eine angemessene Wohnung tatsächlich anmietbar. Dies ist nur möglich,
wenn aufgrund statistisch valider Unterlagen eine Aussage darüber möglich ist, dass die in Bezug genommene Baualtersklasse
in gewissem Umfang tatsächlich im Vergleichsraum vorhanden ist. Dies muss bei einem derart ausdifferenzierten Mietspiegel
wie dem Berliner nicht der Fall sein.
Dem hat das LSG vorliegend nicht Rechnung getragen, als es zur Bestimmung der angemessenen Kaltmiete pro Quadratmeter von
der Baualtersklasse mit dem niedrigsten Spannenoberwert für eine Wohnfläche von 40 qm bis unter 60 qm ausging und deren Spannenoberwert
von 4,71 Euro zugrunde legte. Gründe, warum es, abgesehen von der Überlegung die Baualtersklasse mit dem niedrigsten Spannenoberwert
zu nehmen, gerade von dieser Baualtersklasse ausgegangen ist, hat das LSG nicht angeführt.
Im wieder eröffneten Berufungsverfahren wird das LSG zunächst zu prüfen haben, ob die von ihm zugrunde gelegte Baualtersklasse
von 1965 bis 1972 mit einem einfachen Ausstattungsstandard und einer Wohnfläche von 40 qm bis unter 60 qm statistisch nachvollziehbar
über den örtlichen Vergleichsraum hinweg so häufig vorhanden ist, dass allein auf diese Baualtersklasse zurückgegriffen werden
kann. Sollte dies nicht der Fall sein, bietet es sich an, einen gewichteten arithmetischen Durchschnittswert nach Verteilung
der in der Grundgesamtheit abgebildeten Wohnungen dieser Größe und dieses Ausstattungsstandards in den jeweiligen Baualtersklassen
zu bilden (vgl dazu BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 32 mit weiterer Begründung).
Ergänzend ist auf Folgendes hinzuweisen:
(4) Neben der Nettokaltmiete sind auch die angemessenen (kalten) Betriebskosten iS des §
556 BGB abstrakt zu bestimmen und als Faktor in die Berechnung der abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft mit einzubeziehen.
Dazu kann auf Betriebskostenübersichten zurückgegriffen werden, möglichst allerdings auf örtliche wegen der regionalen Unterschiede
insbesondere bei Ver- und Entsorgungsdienstleistungen (vgl nur BSG vom 19.10.2010 - B 14 AS 50/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen, RdNr 33 f). Dem wird das Urteil des LSG nicht gerecht, weil es ohne weitergehende Begründung
die Werte des Anhangs I zum Berliner Mietspiegel 2007 herangezogen und den oberen Wert einer 4/5-Spanne zur Berechnung der
Kaltbetriebskosten zugrunde gelegt hat, was zu einem Betrag von 2,59 Euro pro Monat und Quadratmeter führt (siehe die Tabelle
auf Seite 18 des Berliner Mietspiegels 2007).
b) Zur Prüfung, ob in dem örtlichen Vergleichsraum eine Wohnung zu dieser abstrakt angemessenen Leistung für die Unterkunft
auch tatsächlich angemietet werden kann, ist darauf hinzuweisen, dass beim Vorliegen eines qualifizierten Mietspiegels mit
entsprechend wissenschaftlich gesicherten Feststellungen zum Wohnungsbestand davon ausgegangen werden kann, dass es eine Wohnung
zu dem nach dem Mietspiegel angemessenen Quadratmeterpreis gibt. Diese Tatsachenvermutung kann aber erschüttert werden (vgl
Parallelentscheidung vom heutigen 13.4.2011 - B 14 AS 106/10 R).
c) Gründe, warum der Kläger über den abgelaufenen Sechs-Monats-Zeitraum des § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II hinaus einen höheren
Anspruch auf Leistung für die Unterkunft als die nach den obigen Ausführungen abstrakt angemessenen Beträge haben sollte (oben
a), wenn eine solche Wohnung auch hätte angemietet werden können (oben b), sind nicht zu erkennen.
Soweit die Aufwendungen des Hilfebedürftigen für die Unterkunft (Nettokaltmiete plus Betriebskosten) die abstrakt angemessene
Leistung für die Unterkunft übersteigen, sind die Aufwendungen nach § 22 Abs 1 Satz 3 SGB II solange zu berücksichtigen, wie
es ihm nicht möglich oder nicht zumutbar ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen
zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate.
Der Ablauf der Sechs-Monats-Frist ergibt sich aus dem Leistungsbezug des Klägers seit 21.4.2005 und dem vorliegenden strittigen
Zeitraum ab November 2006. Durch das Schreiben des Beklagten vom 26.4.2006 wurde der Kläger auch darauf hingewiesen, dass
seine Kosten der Unterkunft nicht angemessen seien.
Gründe, warum dem Kläger eine Kostensenkung durch Umzug, Untervermietung oder auf andere Weise nicht möglich oder nicht zumutbar
ist, hat das LSG nicht festgestellt. Es hat vielmehr ausgeführt, das Alter des Klägers und seine lange Wohndauer seien - auch
in Kombination - keine Gründe, die gegen einen Umzug sprechen würden. Hinsichtlich des vom Kläger angeführten Gesichtspunkts
"soziales Umfeld" ist zu bedenken, dass jeder Umzug in gewissem Maße mit einer Veränderung des sozialen Umfelds einhergeht
und dies eine normale Folge ist, die sich aus der gesetzlichen Regelung ergibt (vgl schon BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 [München], RdNr 32 ff; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 27 [Essen], RdNr 33 ff).
Einem Umzug entgegenstehende Gründe, wie eine Behinderung oder die Ausübung des Umgangsrechts mit einem Kind (vgl § 22b Abs
3 Satz 2 SGB II idF des Regelbedarfs-Ermittlungsgesetzes, BGBl I 2011, 453; ähnlich schon BSG vom 19.2.2009 - B 4 AS 30/08 R - BSGE 102, 263 = SozR 4-4200 § 22 Nr 19 [München], RdNr 33 ff; BSG vom 17.12.2009 - B 4 AS 27/09 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 27 [Essen], RdNr 33), hat das LSG beim Kläger nicht festgestellt, der Kläger hat insofern keine Aufklärungsrügen
erhoben.
Das Gleiche gilt für die wissenschaftlichen Forschungen des Klägers und sein Archiv sowie dem in der Revisionsbegründung angeführten
Art
5 Abs
3 GG. Das BSG hat bereits entschieden, dass § 22 SGB II keine Rechtsgrundlage zur Übernahme von Kosten für beruflich genutzte Räume ist (BSG vom 23.11.2006 - B 11b AS 3/05 R - SozR 4-4200 § 16 Nr 1 RdNr 15). Zudem ist nicht zu erkennen, wieso die Wissenschaftsfreiheit des Klägers durch die Höhe
der Leistungen für seine Unterkunft beeinträchtigt werden soll, zumal er insofern nichts Konkretes vorgetragen hat und als
erwachsener Hilfebedürftiger dem allgemeinen Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen muss (vgl nur § 9 Abs 1 Nr 1, § 10 SGB II).
Ebenso fehlt es an Feststellungen des LSG zum Fehlen anderweitiger Unterbringungsmöglichkeiten für das Archiv und seitens
des Klägers wurden insofern keine Rügen erhoben. Auch aus den weiteren vom Kläger in der Revisionsbegründung angeführten Art
1 Abs
1, Art
2 Abs
1, Art
3 Abs
1 GG kann nichts hergeleitet werden, zumal es an näheren Ausführungen seitens des Klägers mangelt und es ein gewichtiger Unterschied
ist, ob jemand zur Miete wohnt oder in einer in seinem Eigentum stehenden Wohnung.
2. Auch der vom LSG ermittelte Betrag für die Leistung für die Heizung hält einer rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Als Leistung für die Heizung hat das LSG einen Betrag von (1,15 Euro/qm x 50 qm =) 57,50 Euro pro Monat als angemessen angesehen.
Den Ausgangswert von 1,15 Euro pro Quadratmeter hat es dem Anhang I des Berliner Mietspiegels entnommen. Zu den vom Kläger
an den Vermieter bzw Versorger tatsächlich gezahlten Leistungen bzw Vorauszahlungen hat das LSG keine Feststellung getroffen.
Dem kann nicht gefolgt werden. Die Prüfung der Angemessenheit der Leistung für die Heizung hat nicht nur getrennt von der
Leistung für die Unterkunft zu erfolgen, sondern nach eigenen Regeln. Die Angemessenheit der Aufwendungen für die Heizung
ist - mangels für den Einzelfall aussagekräftiger anderer Werte - solange zu bejahen, wie diese Aufwendungen unter dem Grenzbetrag
eines bundesweiten oder kommunalen Heizspiegels liegen (vgl BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 36/08 R - BSGE 104, 41 = SozR 4-4200 § 22 Nr 23; BSG vom 2.7.2009 - B 14 AS 33/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 25; BSG vom 20.8.2009 - B 14 AS 65/08 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 26 [Zweibrücken] RdNr 23 ff). Daher müssen zunächst die Aufwendungen des Klägers für die Heizung
ermittelt werden und diese dann anhand eines kommunal oder bundesweiten Heizspiegels überprüft werden.
Erfolgt die Warmwasserbereitung über die Heizung ist der Anteil, der für die Warmwasserbereitung im Rahmen der Haushaltsenergie
in der Regelleistung enthalten ist, von den Aufwendungen für die Heizung abzuziehen (vgl nur BSG vom 27.2.2008 - B 14/11b
AS 15/07 R - BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5). Wird aber ein Heizspiegel oder wie vorliegend der Anhang I zum Mietspiegel zugrunde gelegt, der
zwischen Leistungen für die Heizung mit und ohne Warmwasserbereitung differenziert, so kann nicht der Durchschnittsbetrag
der Leistung für Heizung ohne Warmwasser berücksichtigt werden (hier 1,15 Euro pro Quadratmeter) und anschließend noch die
Pauschale für die Warmwasserbereitung abgezogen werden.
Das LSG wird im wiedereröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Revisionsverfahrens zu entscheiden haben.