Anspruch auf Arbeitslosengeld II; Mehrbedarf für Alleinerziehende bei Haushaltsgemeinschaft mit Familienangehörigen; alleinige
Sorge für Pflege und Erziehung
Gründe:
I
Streitig sind höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für die Zeit von Mai 2007 bis März 2008.
Die 1971 geborene Klägerin ist erwerbsfähig, ledig und hat zwei Kinder. An der Pflege und Erziehung der 1991 geborenen Tochter
J und des 2003 geborenen Sohnes F sind deren Väter nicht in nennenswertem Umfang beteiligt. Die Klägerin wohnte im streitigen
Zeitraum mit ihrer Mutter (geb 1947), ihrem Vater (geb 1943), ihrer Schwester (geb 1969) und den beiden Kindern in einem in
ihrem Eigentum stehenden Einfamilienhaus. Im Erdgeschoss finden sich drei - im streitigen Zeitraum von den Eltern genutzte
- Räume (Wohnzimmer, Schlafzimmer, Badezimmer) sowie eine von allen Bewohnern genutzte Küche. Die Klägerin, ihre beiden Kinder
und die Schwester bewohnten im Obergeschoss jeweils einen Wohnraum. Außerdem gab es dort ein gemeinschaftlich genutztes weiteres
Bad.
Die Klägerin, ihre Kinder sowie die Eltern und die Schwester bezogen ab Januar 2005 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II. Der Beklagte nahm weder eine Bedarfs- noch eine Haushaltsgemeinschaft an und berücksichtigte bei der Klägerin einen Mehrbedarf
für Alleinerziehende. Für den streitigen Zeitraum vom 1.5.2007 bis 31.3.2008 bewilligte er SGB II-Leistungen in Höhe von monatlich 353,61 Euro (Regelleistung in Höhe von 318,23 Euro; Leistungen für Unterkunft und Heizung
in Höhe von 35,38 Euro) ohne Mehrbedarf für Alleinerziehende (Bescheid vom 20.4.2007 in der Fassung des Änderungsbescheids
vom 25.9.2007 sowie des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007).
Nach Anhörung der Klägerin sowie ihrer Eltern zum Umfang der Pflege und Erziehung der Kinder hat das SG den Beklagten unter Abänderung des Bescheids vom 20.4.2007 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007 verurteilt,
der Klägerin für den Zeitraum vom 1.5.2007 bis 31.5.2008 den Mehrbedarf für Alleinerziehende in Höhe von monatlich 124,20
Euro für die Monate Mai und Juni 2007 sowie in Höhe von monatlich 124,92 Euro für die Monate Juli 2007 bis März 2008, insgesamt
1372,68 Euro, zu gewähren (Urteil vom 17.6.2010).
Das LSG hat die Berufung des Beklagten nach erneuter Vernehmung der Eltern der Klägerin sowie ihrer Schwester als Zeugen mit
der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor des SGUrteils dahin geändert wird, dass der Beklagte unter Abänderung des Bescheids
vom 25.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007 dem Grunde nach verurteilt wird, der Klägerin für die
Zeit vom 1.5.2007 bis zum 31.3.2008 höhere, in die Trägerschaft der Bundesagentur für Arbeit fallende Grundsicherungsleistungen
unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs gemäß § 21 Abs 3 Nr 1 SGB II zu gewähren (Urteil vom 11.8.2011). Zur Begründung seiner Entscheidung hat es ausgeführt, die Klägerin habe im streitigen
Zeitraum die Voraussetzungen für die Bewilligung von SGB II-Leistungen nach § 7 Abs 1 S 1 SGB II erfüllt. Sie sei erwerbsfähig und hilfebedürftig; über anderweitiges anrechenbares Einkommen oder zu berücksichtigende Vermögenswerte
verfüge die Klägerin nicht. Sie habe mit ihren Eltern und ihrer Schwester nicht in einer Haushaltsgemeinschaft iS von § 9 Abs 5 SGB II gelebt. Ein "Wirtschaften aus einem Topf" habe nicht stattgefunden. Neben dem Regelleistungsbedarf sei ein Mehrbedarf für
Alleinerziehende zu berücksichtigen, weil die Klägerin im streitigen Zeitraum zumindest mit einem Kind unter sieben Jahren
zusammengelebt und allein für dessen Pflege und Erziehung gesorgt habe. Sie habe ihren Sohn (wie im Übrigen auch J) ohne wesentliche,
dem typischen Pflege- und Erziehungsbeitrag ihrer Väter entsprechende Beteiligung Dritter versorgt und erzogen. Der Auffassung
des Beklagten, dass (bereits) bei einem Ausgleich von Erschwernissen durch Dritte, die Alleinerziehende träfen, die Voraussetzungen
eines Mehrbedarfs nicht erfüllt seien, könne nicht gefolgt werden. Orientiere man sich allein an dem Zweck der Mehrbedarfsregelung
(weniger Zeit zum preisbewussten Einkauf, höhere Aufwendungen für Kontaktpflege zur Unterrichtung in Erziehungsfragen) wäre
der Bedarf im konkreten Fall zwar nicht zu erhöhen, weil es eine gelegentliche, zeitlich begrenzte Fürsorge für die Kinder
durch die Großeltern und die Tante gegeben habe und allein durch deren Anwesenheit Freiräume eröffnet gewesen seien, die es
der Klägerin erlaubt hätten, den beschriebenen Bedarfslagen ohne zusätzlichen finanziellen Aufwand gerecht zu werden. Jedoch
sei eine allein auf Sinn und Zweck des Mehrbedarfs gestützte Auslegung nicht tragfähig, weil die zum Vierten BSHG-Änderungsgesetz dargelegten, vom BSG aufgegriffenen Bedarfslagen regelhaft nicht bestünden. Es ließen sich aber nur in geringem Umfang Fallgruppen bezeichnen,
in denen die vom historischen Gesetzgeber genannten Bedarfslagen aufträten; in der überwiegenden Zahl der Fälle bzw den von
§ 21 Abs 3 SGB II erfassten Familien- und Alterskonstellationen sei dies nicht bzw nicht mehr der Fall. Preisvergleiche seien im Computerzeitalter
sekundenschnell per Mausklick möglich, Lebensmitteldiscounter heutzutage von fast jedem Haushalt gut erreichbar und auch die
"Befriedigung von Informations- und Kontaktbedürfnissen" bei der inzwischen nahezu flächendeckenden Verbreitung von Flatrates
für Telefon und Internetzugang regelmäßig nicht mehr mit Mehrkosten verbunden. Aus Kostengesichtspunkten mache die Zuerkennung
eines allgemeinen Mehrbedarfs für Alleinerziehende unter Berücksichtigung gegenwärtiger Lebensverhältnisse nur insofern Sinn,
als der alleinerziehende Elternteil eines Kleinkindes oder mehrerer Kleinkinder gelegentlich auf Babysitterdienste angewiesen
sei.
Mit seiner Revision rügt der Beklagte die Verletzung von § 21 Abs 3 Nr 1 SGB II aF. Die vom LSG bei der Auslegung des § 21 Abs 3 Nr 1 SGB II zugrunde gelegte Annahme einer wesentlichen Mitwirkung bzw Unterstützung in erheblichem Umfang bei der Erziehung bis hin
zum gleichwertigen Erziehungsanteil anderer Personen könnten unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm nicht gefordert
werden. Nur wenn die Familie derart zerrüttet sei, dass eine Inanspruchnahme der jeweils anderen Familienmitglieder schon
aus psychischen und emotionalen Gründen ausscheide, sei die Bedarfssituation anders zu beurteilen. Entgegen der Wertung der
Zeugenaussagen durch das SG und das LSG stehe nicht fest, dass die Großeltern der Klägerin und deren Schwester nicht an der Erziehung der Kinder in dem
hier fraglichen Zeitraum mitgewirkt hätten. Die Bekundungen der Klägerin und ihrer Mutter seien nicht glaubhaft und wirkten
verfahrensangepasst. Für ein enges Zusammenleben der Klägerin mit ihren Eltern und der Schwester sprächen bereits die Wohnverhältnisse.
Es müsse im Ergebnis und unter Würdigung der Zeugenaussagen und der Wohn- und Lebensverhältnisse der Klägerin davon ausgegangen
werden, dass sie sowohl von ihren Eltern als auch von ihrer Schwester bei der Pflege und Erziehung der Kinder mindestens in
dem Umfang unterstützt werde, wie eine tagsüber anwesende und die Hauptlast bei der Pflege und Erziehung tragende Mutter durch
den etwa aus Gründen der Berufstätigkeit tagsüber oder sogar wochenweise abwesenden (Ehe)Partner. Es liege eine Verletzung
des Gleichheitssatzes des Art
3 Abs
1 GG vor, weil eine Ungleichbehandlung zwischen Alleinstehenden mit Kindern einerseits und (verheirateten) Partnern mit Kindern
andererseits bestehe.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 11. August 2011 und das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom
17. Juni 2010 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Beklagte kommentiere das Urteil ohne Beweisangebote dafür, dass ihre Aussagen und die ihrer Eltern nicht den Tatsachen
entsprächen. Der Anspruch auf Mehrbedarf sei nachgewiesen.
II
Die zulässige Revision des Beklagten ist nicht begründet. Die Vorinstanzen sind zu Recht davon ausgegangen, dass der streitgegenständliche
Bescheid vom 25.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007 rechtswidrig ist, weil die Klägerin einen Anspruch
auf höhere Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende hat.
1. Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist nur (noch) der den ursprünglichen Bewilligungsbescheid vom 20.4.2007 in vollem
Umfang ersetzende Bescheid vom 25.9.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.9.2007 hinsichtlich der hier allein
streitigen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II. Diese können - insbesondere hinsichtlich des Mehrbedarfs - nicht in weitere unterschiedliche Streitgegenstände aufgespalten
werden (vgl zB BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 14; BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 10).
2. Gegen die bezeichneten Bescheide wendet sich die Klägerin zu Recht mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage
(§
54 Abs
1 S 1 iVm Abs
4, §
56 SGG). Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass ein Grundurteil zulässig ist. Mit ihrem Antrag im Berufungsverfahren hat
die Klägerin keinen konkreten Leistungsantrag (mehr) gestellt, sondern nur dem Grunde nach höhere Leistungen beantragt (§
130 SGG). Dass sie sich hierfür allein auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende bezieht, beinhaltet keinen konkret bezifferten Leistungsanspruch,
sondern enthält nur ein Begründungselement für das Begehren auf höhere Leistungen. Gegenstand des Verfahrens ist daher, ob
in dem hier streitigen Zeitraum insgesamt ein Anspruch auf höhere Leistungen bestand, wobei die Höhe der Leistungen zur Sicherung
des Lebensunterhalts unter jedem rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen ist (BSG SozR 4-4200 § 21 Nr 9 RdNr 11). Die weiteren Voraussetzungen für ein Grundurteil in einem Höhenstreit liegen vor, wenn eine so umfassende
Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs zugrunde liegt, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen
werden kann, weil die Beschränkung der Prüfung auf eine Rechtsfrage oder einzelne Rechtsfragen ansonsten einer unzulässigen
Elementenfeststellung gleichkäme (BSGE 94, 109 = SozR 4-4220 § 3 Nr 1, RdNr 12; BSG SozR 4-4300 § 132 Nr 3 RdNr 17). Dies ist hier der Fall. Insofern hat das LSG für den Senat bindend festgestellt (§
163 SGG), dass die Klägerin die Anspruchsvoraussetzungen des § 7 SGB II (Erwerbsfähigkeit, Hilfebedürftigkeit) in dem streitgegenständlichen Zeitraum erfüllt und - neben dem Kindergeld - weiteres
Einkommen und Vermögen nicht zu berücksichtigen ist, sodass die Anerkennung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende mit höheren
Leistungen verbunden ist.
3. Das LSG ist im Ergebnis zu Recht davon ausgegangen, dass die Klägerin im streitigen Zeitraum einen Anspruch auf höhere
Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unter Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Alleinerziehende hatte. Für Personen,
die mit einem oder mehreren Kindern zusammenleben und allein für deren Pflege und Erziehung sorgen, ist gemäß § 21 Abs 3 SGB II ein Mehrbedarf in Höhe von 36 vH der nach § 20 Abs 2 SGB II maßgebenden Regelleistung anzuerkennen, wenn sie mit einem Kind unter sieben Jahren oder mit zwei oder drei Kindern unter
sechzehn Jahren zusammenleben (Nr 1), oder in Höhe von 12 vH der nach § 20 Abs 2 SGB II maßgebenden Regelleistung für jedes Kind, wenn sich dadurch ein höherer Vomhundertsatz als nach der Nr 1 ergibt, höchstens
jedoch in Höhe von 60 vH der nach § 20 Abs 2 SGB II maßgebenden Regelleistung (Nr 2). Der Mehrbedarf für Alleinerziehende ist ein zusätzlich zur Regelleistung zu gewährender Bestandteil des Alg II.
Die Anspruchsvoraussetzung der "alleinigen Sorge für deren Pflege und Erziehung" iS des § 21 Abs 3 SGB II liegt nach der Rechtsprechung der beiden für die Grundsicherung für Arbeitsuchende zuständigen Senate des BSG vor, wenn der hilfebedürftige Elternteil während der Betreuungszeit von dem anderen Elternteil, Partner oder einer anderen
Person nicht in einem Umfang unterstützt wird, der es rechtfertigt, von einer nachhaltigen Entlastung auszugehen. Entscheidend
ist, ob eine andere Person in erheblichem Umfang bei der Pflege und Erziehung mitwirkt. Dabei ist allein auf die tatsächlichen
Verhältnisse abzustellen (BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 19; BSG Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 54/08 R - RdNr 15). Der Senat hat bei dieser Auslegung des Begriffs der "alleinigen Sorge für deren Pflege und Erziehung" und die
insofern zu stellenden Anforderungen auf die besondere Bedarfssituation der Alleinerziehenden Bezug genommen, die dadurch
geprägt ist, dass bei diesem Personenkreis - in gleicher Weise wie bei den weiteren von § 21 SGB II erfassten Hilfebedürftigen (werdende Mütter, erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte) - besondere Lebensumstände vorliegen,
bei denen typischerweise ein zusätzlicher Bedarf zu bejahen ist (BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 15). Solche besonderen Lebensumstände hat der Senat ausgehend von den Gesetzesmaterialien zur
Einführung und zum Zweck der entsprechenden Regelung im BSHG (vgl den Gesetzentwurf des Bundesrates vom 26.3.1985 [BT-Drucks 10/3079 S 5] "vor allem") exemplarisch darin gesehen, dass
Alleinerziehende wegen der Sorge für ihre Kinder typischerweise weniger Zeit hätten, preisbewusst einzukaufen sowie zugleich
höhere Aufwendungen zur Kontaktpflege und zur Unterrichtung in Erziehungsfragen tragen müssten bzw externen Rat in Betreuungs-,
Gesundheits- und Erziehungsfragen benötigten. Auch der Zweck des in § 21 Abs 3 SGB II geregelten Mehrbedarfs liege darin, den höheren Aufwand von Alleinerziehenden für die Versorgung und Pflege bzw Erziehung
der Kinder etwa wegen geringerer Beweglichkeit und zusätzlicher Aufwendungen für die Kontaktpflege oder Inanspruchnahme von
Dienstleistungen Dritter in pauschalierter Form auszugleichen (BSGE 102, 290 = SozR 4-4200 § 21 Nr 5, RdNr 1; Schleswig-Holsteinisches LSG Urteil vom 23.2.2011 - L 11 AS 40/09 - juris RdNr 26; LSG Niedersachsen-Bremen Beschluss vom 13.5.2008 - L 9 AS 119/08 ER - juris RdNr 17; Lang/Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 21 RdNr 26; kritisch Düring in Gagel, SGB II/SGB III, Stand 11/2010, § 21 RdNr 19 und Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, K § 21 RdNr 31 ff, Stand Mai 2011).
4. Soweit der Beklagte mit seiner Revision diese am Wortlaut, aber auch der Entstehungsgeschichte orientierte Auslegung des
Merkmals der "alleinigen Sorge für deren Pflege und Erziehung" rügt, sieht der Senat keine Veranlassung zur Korrektur seiner
Rechtsprechung. Entgegen der Ansicht des LSG sind die vom BSG formulierten Anforderungen an eine alleinige Sorge für Pflege und Erziehung iS des § 21 Abs 3 SGB II auch nicht unter teleologischen Gesichtspunkten grundsätzlich in Frage zu stellen.
Die Beantwortung der komplexen Fragestellung, ob wegen eines Wandels der tatsächlichen Lebensumstände die vom Gesetzgeber
bei Einfügung der Regelung in das BSHG typisierend und beispielhaft angenommenen Bedarfslagen bei Alleinerziehenden tatsächlich nicht (mehr) bzw nicht mehr in der
pauschalierend angenommenen Höhe existieren, obliegt dem Gesetzgeber. Wollte dieser den Mehrbedarf für Alleinerziehende anders
fassen, ist zu beachten, dass sich Pauschalen, die an die Stelle eines ganz oder teilweise zu berücksichtigenden konkreten
Aufwandes treten, nicht an einem hier vorliegenden atypischen Fall orientieren dürfen und "realitätsgerecht" so bemessen sein
müssen, dass die typisierenden Regelungen in möglichst allen Fällen den entsprechenden Bedarf abdecken (BVerfGE 112, 268, 281 zur Abzugsfähigkeit der Kinderbetreuungskosten alleinstehender Erwerbstätiger; BVerfGE 120, 125 ff, 166). Eine hohe "Treffergenauigkeit" ist gefordert, wenn es - wie hier - um pauschalierte Leistungen zur Sicherung des
Existenzminimums geht. Diese Leistungen müssen auf sorgfältigen Tatsachenermittlungen (zB auch durch Einholung des Rats von
Experten - BVerfGE 113, 167 ff, 241) und vertretbaren Einschätzungen beruhen. Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind verfassungsrechtlich
anzuerkennen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des
Grundgesetzes unvereinbar sind (BVerfGE 113, 167 ff, 215). Dass sich der Gesetzgeber - in gleicher Weise wie bei weiteren von § 21 SGB II aF erfassten Bedarfslagen (werdende Mütter, erwerbsfähige behinderte Leistungsberechtigte) - für eine pauschale Leistungserbringung
des Mehrbedarfs für Alleinerziehende in einer gesetzlich festgelegten Höhe entschieden hat, ist eine solche gesetzgeberische
Entscheidung. Soweit der Beklagte eine Verletzung des Gleichheitssatzes des Art
3 Abs
1 GG wegen Ungleichbehandlung von Alleinstehenden mit Kindern einerseits und (verheirateten) Partnern mit Kindern andererseits
rügt, hat das Berufungsgericht zutreffend darauf hingewiesen, dass der Gesetzgeber mit dem Merkmal der bzw des Alleinerziehenden
einen Sachgrund für die Leistungsdifferenzierung angeführt hat.
5. Entgegen der Auffassung des Beklagten kann der Anspruch der Klägerin auf den Mehrbedarf für Alleinerziehende auch nicht
mit der Begründung abgelehnt werden, diese hätte wegen der Wohnverhältnisse im Bedarfsfall auf die Unterstützung ihrer Eltern
oder ihrer Schwester zugreifen können. Nach seinem Sinn und Zweck geht § 21 Abs 3 SGB II typisierend von einem regelmäßigen Mehrbedarf bei Alleinerziehenden aus, weshalb - nach den tatsächlichen Verhältnissen -
nur eine regelmäßige und erhebliche Unterstützung bei der Pflege und Erziehung der Kinder durch weitere Personen einem Anspruch
auf Mehrbedarf für Alleinerziehende entgegenstehen kann (so auch Lang/Knickrehm in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 21 RdNr 29). Allein die (potentielle) Möglichkeit des Rückgriffs auf andere Personen oder Einrichtungen führt nicht zum Anspruchsausschluss.
Auch insofern liegt eine von SGB II-Trägern und der Rechtsprechung zugrunde zu legende gesetzgeberische Wertung vor, die Verneinung des Anspruchs auf den Mehrbedarf
für Alleinerziehende allein von der tatsächlichen und ergänzend kontinuierlichen Erziehung und Pflege durch weitere Personen
abhängig zu machen. Diese Auslegung findet ihre Rechtfertigung in der Bedeutung der persönlichen Sorge der Eltern und deren
Kompetenz zur Auswahl von Betreuungsalternativen für das Kindeswohl.
Soweit der Beklagte vorträgt, bezüglich des zeitlichen Umfangs dürften keine zu hohen Anforderungen an die Betreuungsleistungen
aufgestellt werden, weil ansonsten auch der Besuch eines Kindergartens bzw anderer Betreuungseinrichtungen zur Verneinung
eines Mehrbedarfs bzw die berufliche Abwesenheit eines vorhandenen Partners zu dessen Bejahung führe, ist der rechtliche Maßstab
für die Annahme eines Mehrbedarfs nach § 21 Abs 3 SGB II betroffen. Dieser bestimmt sich danach, ob nach den tatsächlichen Umständen eine wesentliche Mitwirkung des anderen Elternteils,
eines Partners oder einer anderen, regelmäßig im gleichen Haushalt lebenden Person in der verbleibenden Betreuungszeit vorliegt.
Insofern geht das SGB II davon aus, dass mit der Betreuung eines über drei Jahre alten Kindes in einer Tageseinrichtung oder in Tagespflege die Ausübung
einer Arbeit oder berufliche (Re-)Integrationsmaßnahmen zumutbar sind (§ 10 Abs 1 Nr 3 SGB II), sodass "zeitliche Freiräume" der oder des erziehenden SGB II-Leistungsempfängers nicht unterstellt werden können.
6. Ausgehend von den demnach hier anzuwendenden Grundsätzen der bisherigen BSG-Rechtsprechung liegen die Voraussetzungen für einen Anspruch auf einen Mehrbedarf für Alleinerziehende nach den Feststellungen
des LSG, an die der Senat gebunden ist (§
163 SGG), hier vor. Das Berufungsgericht hat festgestellt, die Eltern der Klägerin hätten im Wesentlichen übereinstimmend bekundet,
dass diese seinerzeit nahezu allein insbesondere für die Ernährung, die Bekleidung, die Erziehung und das seelische Wohl ihrer
Kinder zuständig gewesen und dabei von ihren Eltern oder ihrer Schwester nicht in erheblichem Maße unterstützt worden sei.
Die Klägerin sei frühmorgens aufgestanden, um F für den Kindergarten fertig zu machen, sie habe die Mahlzeiten für F und J
vorbereitet, F mittags vom Kindergarten abgeholt, sich ausschließlich um ihn gekümmert und ihn ggf zum Einkaufen sowie bei
Arzt- und Behördengängen mitgenommen. Übereinstimmend sei weiter bekundet worden, dass weder die Großeltern noch die Schwester
maßgeblich an der Erziehung der Kinder beteiligt gewesen seien und die Klägerin von ihnen auch keine diesbezüglichen Ratschläge
eingeholt habe. Die Verhältnisse seien stimmig und anschaulich beschrieben worden.
Der Beklagte ist dieser Beweiswürdigung des LSG nicht mit zulässigen und begründeten Verfahrensrügen entgegengetreten (§
164 SGG). Eine Verletzung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 S 1
SGG) ist nicht formgerecht gerügt, wenn die Revision lediglich ihre Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG setzt (BSG SozR 1500 § 164 Nr 31; BSG SozR 3-2500 § 109 Nr 9 S 61). Soweit es der Beklagte für "nicht glaubhaft" hält, dass keine Mitwirkung der Großeltern bei Krankheit bestehe,
nur sehr wenig über alltägliche Dinge gesprochen werde und der Vater der Klägerin sich auf handwerkliche Mithilfe beschränke,
stellt er seine Beweiswürdigung an die Stelle derjenigen des LSG und führt Umstände an, die selbst bei ihrem Vorliegen nicht
automatisch zu einer Verneinung des Anspruchs auf Mehrbedarf führen würden. Dies gilt auch für die Heranziehung der Wohnverhältnisse
der Klägerin. Das Zusammenleben mit weiteren Personen in einer Haushaltsgemeinschaft hat der Gesetzgeber des SGB II gerade nicht ausreichen lassen, um typisierend von dem Wegfall der besonderen Lebensumstände von Alleinerziehenden auszugehen.
Tatsachen, die einen Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze begründen könnten (vgl hierzu zB BSG Urteil vom 15.5.1985 - 7 RAr 40/84 - RdNr 18), sind nicht vorgetragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.