Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II
Berücksichtigung von Einkommen beim Zusammentreffen von Erwerbseinkommen aus selbstständiger Tätigkeit mit Taschengeld aus
dem Bundesfreiwilligendienst
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten um die Höhe von Leistungen nach dem SGB II für die Zeiten vom 1.11. bis 31.12.2012 sowie vom 1.2. bis 30.4.2013, insbesondere um die Höhe der Anrechnung des Taschengelds
nach dem Bundesfreiwilligendienstgesetz (BFDG) als Einkommen.
Der alleinstehende Kläger bewohnt ein 26,73 qm großes Zimmer in einer Wohngemeinschaft in Erfurt. Hierfür entstanden ihm im
Zeitraum vom 1.11. bis 31.12.2012 Kosten in Höhe von monatlich 220,22 Euro sowie vom 1.2. bis 30.4.2013 in Höhe von 246,61
Euro. Der Kläger übte eine selbstständige Tätigkeit geringen Umfangs aus, aus der er vom 1.11.2012 bis 30.4.2013 Einnahmen
in Höhe von 420 Euro erzielte, denen Ausgaben von 101,52 Euro gegenüberstanden. Er leistete daneben vom 1.1.2012 bis 30.6.2013
Freiwilligendienst nach dem BFDG (BFD) und erhielt hierfür ein monatliches Taschengeld von 225 Euro. Am 24.10.2012 floss ihm eine Steuerrückerstattung von
669,40 Euro zu.
Mit Bescheid vom 5.11.2012 bewilligte der Beklagte dem Kläger vorläufig vom 1.11. bis 31.12.2012 jeweils 257,65 Euro monatlich
sowie ab 1.1.2013 vorläufig jeweils 509,04 Euro monatlich als Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem SGB II. Mit Änderungsbescheid vom 24.11.2012 gewährte der Beklagte dem Kläger vom 1.1. bis 28.2.2013 vorläufig monatlich 517,04
Euro und ab 1.3.2013 vorläufig 517,05 Euro monatlich. Wegen der Berücksichtigung des Taschengelds aus dem BFD und ohne Vorläufigkeitsvorbehalt
senkte der Beklagte die Bewilligung für Februar 2013 auf 292,04 Euro sowie für März und April 2013 auf 292,05 Euro monatlich
ab (Änderungsbescheid vom 10.1.2013). Durch Bescheid vom 8.8.2013 erklärte er nach Überprüfung des Einkommens aus selbstständiger
Tätigkeit die Festsetzung der Leistungen in den Bescheiden vom 5.11.2012 und 10.1.2013 für endgültig.
Der Kläger hatte bereits gegen den Bescheid vom 5.11.2012 Widerspruch eingelegt, weil der Freibetrag für das Taschengeld aus
dem BFD nicht in Ansatz gebracht worden sei. Der Beklagte wies den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 10.1.2013).
Der Freibetrag von 175 bzw 200 Euro von dem Taschengeld des Freiwilligendienstes komme nicht in Betracht.
Der Kläger hat dagegen beim SG Gotha Klage erhoben. Er hat diese aber für den Monat Januar 2013, für den keine Berücksichtigung
von Taschengeld als Einkommen erfolgt ist, zurückgenommen. Das SG hat den Beklagten unter Änderung der angefochtenen Bescheide verurteilt, dem Kläger für die Zeit vom 1.11. bis 31.12.2012
und vom 1.2. bis 30.4.2013 weitere 600 Euro zu zahlen; im Übrigen hat es die Klage abgewiesen (Urteil des SG vom 26.11.2014). Vom Einkommen des Klägers seien nach § 1 Abs 7 S 1 Alg II-V im November und Dezember 2012 je 175 Euro und ab Februar 2013 von je 200 Euro monatlich in Abzug zu bringen. Dem stehe §
1 Abs 7 S 4 Alg II-V nicht entgegen.
Der Beklagte hat gegen dieses Urteil Berufung zum Thüringer LSG eingelegt. Der Gesetzgeber sei davon ausgegangen, dass ein
Freibetrag nur entweder vom Einkommen aus Erwerbstätigkeit oder von dem Taschengeld zu berücksichtigen sei. Über diese Folge
des Zusammentreffens von Erwerbseinkommen und Taschengeld des BFD würden die Betroffenen belehrt. Das LSG hat den Tenor des
SG dahingehend konkretisiert, dass für November/Dezember 2012 jeweils weitere 105 Euro sowie vom 1.2. bis 30.4.2013 monatlich
jeweils weitere 130 Euro zu zahlen seien. Zwar seien die Freibeträge von 100 Euro nach § 11b Abs 2 S 1 SGB II und von 175 Euro bzw 200 Euro nach § 11b Abs 2 S 1 SGB II iVm § 1 Abs 7 S 1 Alg II-V nicht zu kumulieren. Allerdings sei der erhöhte Freibetrag nach § 1 Abs 7 S 1 Alg II-V als Freibetragsobergrenze zu begreifen und deshalb vom Taschengeld aus dem BFD ein Betrag von monatlich insgesamt 175 Euro
bzw 200 Euro abzusetzen. Das Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit (53,08 Euro) sei um den Grundbetrag zu bereinigen und
bleibe anrechnungsfrei. Deshalb sei von dem Taschengeld noch der Differenzbetrag zwischen dem freigestellten Einkommen aus
selbstständiger Tätigkeit und der Freibetragsobergrenze von 175 Euro bzw 200 Euro in Abzug zu bringen.
Der Beklagte hat die vom LSG zugelassene Revision eingelegt. Bei der Leistungsberechnung sei von dem Einkommen des Klägers
aus selbstständiger Tätigkeit eine Absetzung vorgenommen worden. Anrechenbares Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit gebe
es nicht. Das aus dem Freiwilligendienst erzielte Taschengeld sei nach § 1 Abs 7 S 4 Alg II-V nicht weiter zu bereinigen. Dies entspreche dem Wortlaut der Regelung, die der Verordnungsgeber in seinen Folgen im Hinblick
auf § 11b SGB II sehr wohl bedacht habe. Eine einschränkende Auslegung der Vorschrift sei nicht angezeigt.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Thüringer Landessozialgerichts vom 23. September 2015 und das Urteil des Sozialgerichts Gotha vom 26. November
2014 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Die Revision des Beklagten sei unzulässig, da die Begründung nicht den "engen Vorgaben" an eine Revisionsbegründung genüge.
Im Übrigen sei sie auch unbegründet, weil die Anwendung des § 1 Abs 7 S 4 Alg II-V zu einer verfassungsrechtlichen Ungleichbehandlung führe.
II
1. Die Revision des Beklagten ist zulässig. Gemäß §
164 Abs
2 S 1
SGG ist die Revision fristgerecht zu begründen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten und die verletzte Rechtsnorm
bezeichnen (§
164 Abs
2 S 3
SGG). Diese Anforderungen sind dahingehend präzisiert worden, dass das Revisionsvorbringen eine Prüfung und Durcharbeitung des
Prozessstoffs durch den Prozessbevollmächtigten erkennen lassen muss. Die Begründung darf nicht nur die eigene Meinung des
Revisionsführers wiedergeben, sondern muss sich zumindest kurz mit den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils des
LSG auseinandersetzen (vgl nur BSG vom 18.6.2002 - B 2 U 34/01 R - SozR 3-1500 § 164 Nr 12 S 22; BSG vom 16.10.2007 - B 8/9b SO 16/06 R - SozR 4-1500 § 164 Nr 3 RdNr 9 f; vgl auch BVerfG vom 7.7.1980 - 2 BvR 310/80 - SozR 1500 § 164 Nr 17 S 29).
Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung des Beklagten - entgegen der Auffassung des Klägers - gerecht. Der Beklagte
hat sich mit der Rechtsauffassung des LSG auseinandergesetzt. Er gibt insbesondere den Maßstab wieder, von dem ausgehend das
LSG die Berechnung der Leistung - auch hinsichtlich von Freibeträgen - vorgenommen hat. Obwohl er auch ausführlich seine eigene
Auffassung darlegt, widerspricht er der Auslegung und Anwendung des § 11b SGB II sowie des § 1 Abs 7 S 1 und 4 Alg II-V durch das LSG.
2. Die Revision des Beklagten ist teilweise begründet. Die Urteile des LSG und des SG sind abzuändern, denn der Kläger hat für die Zeiten vom 1.11. bis 31.12.2012 und vom 1.2. bis 30.4.2013 nur Anspruch auf
Zahlung weiterer 450 Euro als Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II anstatt der vom LSG zugesprochenen 600 Euro.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 8.8.2013, mit dem der Beklagte die früheren Leistungsbewilligungen in Bezug
genommen und die Leistungshöhe für den streitigen Zeitraum endgültig festgesetzt hat. Damit haben sich die Bescheide vom 5.11.2012,
24.11.2012 und 10.1.2013 erledigt (§ 39 Abs 2 SGB X; vgl auch BSG vom 10.5.2011 - B 4 AS 139/10 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 38 RdNr 13). Die vorläufigen Festsetzungen der Leistungshöhe in den Bescheiden vom 5.11.2012 und
24.11.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.1.2013 sind deshalb nicht mehr Gegenstand des Revisionsverfahrens.
Dabei kann der Senat offenlassen, ob der Bescheid vom 8.8.2013 den Änderungsbescheid vom 10.1.2013 noch abändern konnte. Daran
bestehen Zweifel, weil dieser Bescheid keinen Hinweis auf die Vorläufigkeit der getroffenen Regelungen enthielt. Jedenfalls
ist aber die mit Bescheid vom 8.8.2013 nach neuer Sachprüfung getroffene Zweitentscheidung wie eine Ersetzung iS des §
96 Abs
1 SGG zu behandeln (vgl BSG vom 16.6.2015 - B 4 AS 37/14 R - SozR 4-4200 § 27 Nr 2 RdNr 13 mwN). Mit der Regelung ist der Beklagte auch nicht zu Lasten des Klägers von früheren endgültigen
Bewilligungen abgewichen.
Der Kläger wird durch die Festsetzung der Leistungsbeträge in dem Bescheid vom 8.8.2013 insoweit in seinen Rechten verletzt,
als er Anspruch auf Berücksichtigung eines (weiteren) Freibetrags von 75 Euro bzw 100 Euro pro Monat als Absetzbetrag von
dem Taschengeld aus dem BFD hat. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt ihn nicht in seinen Rechten.
Der Kläger erfüllt die Voraussetzungen des § 7 Abs 1 S 1 SGB II. Er ist leistungsberechtigt, denn er ist 1979 geboren, erwerbsfähig und hat seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland.
Mangels ausreichenden Einkommens und Vermögens ist er im streitigen Zeitraum auch hilfebedürftig iS des § 9 Abs 1 SGB II gewesen. Ein Ausschlusstatbestand iS des § 7 Abs 1 S 2, Abs 4, 4a oder 5 SGB II liegt nicht vor. Die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts sind ihm in Höhe seiner Bedarfe nach § 19 Abs 1 und 2 SGB II zu erbringen, soweit sie nicht durch sein zu berücksichtigendes Einkommen gedeckt sind (§ 19 Abs 3 S 1 SGB II).
Der Gesamtbedarf des Klägers hat in den Monaten November und Dezember 2012 bei jeweils 594,22 Euro sowie in den Monaten Februar
bis April 2013 bei jeweils 628,61 Euro gelegen. Er setzt sich zusammen aus dem Regelbedarf (§ 20 Abs 2 S 1 SGB II) in Höhe von 374 Euro monatlich für 2012 sowie von 382 Euro monatlich ab Januar 2013. Daneben besteht ein Bedarf an Kosten
für Unterkunft und Heizung, der bis 31.12.2012 monatlich 220,22 Euro und ab 1.1.2013 monatlich 246,61 Euro betragen hat (§
22 Abs 1 S 1 SGB II).
Der Gesamtbedarf des Klägers ist teilweise durch dessen Einnahmen gedeckt. Zunächst ist ihm im Oktober 2012 eine Steuerrückerstattung
von 669,40 Euro zugeflossen, die als einmalige Einnahme ab dem Folgemonat des Zuflusses, also ab November 2012, für sechs
Monate in Höhe von jeweils 111,57 Euro monatlich anzurechnen ist (§ 11 Abs 3 S 2 und 3 SGB II).
Daneben sind weitere Einnahmen in Geld oder Geldeswert abzüglich der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge mit Ausnahme der in § 11a SGB II genannten Einnahmen zu berücksichtigen (§ 11 Abs 1 S 1 SGB II).
a) Das vom Kläger erzielte Einkommen aus selbstständiger Tätigkeit ist nicht anzurechnen, da es unter dem Grundfreibetrag
von 100 Euro monatlich liegt.
Bei der Ermittlung des Einkommens aus selbstständiger Tätigkeit ist von den Betriebseinnahmen auszugehen. Betriebseinnahmen
sind alle aus selbstständiger Arbeit erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum (§ 41 Abs 1 S 4 SGB II) tatsächlich zufließen (§ 3 Abs 1 S 1 und 2 Alg II-V). Zur Berechnung des Einkommens sind von den Betriebseinnahmen die im deckungsgleichen Zeitraum tatsächlich aufgewendeten
notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge abzuziehen (§ 3 Abs 2 Alg II-V). Von den Einnahmen aus (selbstständiger) Erwerbstätigkeit ist mindestens der Grundfreibetrag von 100 Euro monatlich abzusetzen
(§ 11b Abs 2 S 1 SGB II).
Auf den Fall des Klägers angewendet bedeutet dies, dass er im Bewilligungszeitraum von sechs Monaten Einnahmen aus selbstständiger
Tätigkeit in Höhe von 420 Euro erzielte, denen Ausgaben von 101,52 Euro gegenüberstanden (53,08 Euro monatlich). Dieses Einkommen
ist aber nicht zur Bedarfsdeckung einzusetzen, weil es den Grundfreibetrag von 100 Euro monatlich nicht erreicht.
b) Das Taschengeld des Klägers aus dem BFD ist als Einkommen zu berücksichtigen, denn es handelt es sich um eine Einnahme
in Geld oder Geldeswert. Das Taschengeld bleibt nicht nach Maßgabe von § 11a Abs 1, 2, 4 oder 5 SGB II unberücksichtigt. Ebenso wenig ist es eine nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften zu erbringende Leistung, die einem bestimmten
Verwendungszweck dient (§ 11a Abs 3 SGB II). Schon die Bezeichnung als "Taschengeld" des Dienstleistenden spricht für eine offene Zweckverwendung. Ein besonderer Verwendungszweck
für diese Einkommensart lässt sich weder dem BFDG noch einer anderen gesetzlichen Regelung entnehmen (Söhngen in jurisPK-SGB II, 4. Aufl 2015, § 11a RdNr 33 f, RdNr 41; so auch die Vorinstanz; vgl auch SG Osnabrück vom 1.6.2016 - S 22 AS 284/13).
Auch der Verordnungsgeber geht in § 1 Abs 7 Alg II-V davon aus, dass es sich bei dem Taschengeld nach dem BFDG um anrechenbares Einkommen handelt (vgl jetzt auch Art 1 Nr 8 Buchst a) Doppelbuchst bb) des Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - BT-Drucks 18/8041, S 32 "weiterhin anzurechnen"; zur Verletztenrente: BVerfG [Kammer]
16.3.2011 - 1 BvR 591/08, 1 BvR 593/08 - NZS 2011, 895).
c) Von den Einnahmen in Höhe von 225 Euro monatlich ist im Jahr 2012 ein (weiterer) Freibetrag von 75 Euro monatlich sowie
im Jahr 2013 ein solcher von 100 Euro monatlich abzusetzen.
Absetzungen von Freibeträgen für die Ausübung einer Erwerbstätigkeit sind allerdings ausgeschlossen, denn es handelt sich
bei dem BFD nicht um eine Erwerbstätigkeit. Nach seiner Zweckrichtung ist der BFD einem Ehrenamt jedenfalls ähnlich. Es handelt
sich um eine freiwillige Betätigung von Personen für das Allgemeinwohl, insbesondere im sozialen, ökologischen und kulturellen
Bereich, sowie in den Bereichen des Sports, der Integration und des Zivil- und Katastrophenschutzes (§ 1 BFDG). Dagegen handelt es sich nicht um eine Beschäftigung (§
7 Abs
1 SGB IV), insbesondere auch nicht in einem Arbeitsverhältnis (so zutreffend auch die Vorinstanz).
Gemäß § 1 Abs 7 S 1 Alg II-V (für 2012 anzuwenden in der ab 1.1.2012 geltenden Fassung der Sechsten Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom 19.12.2011, BGBl I 2833; ab 1.1.2013 anzuwenden in der Fassung des Art 10 des Ehrenamtsstärkungsgesetzes vom 21.3.2013,
BGBl I 556) sind deshalb bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die an einem BFD teilnehmen, anstelle der für beschäftigte
Leistungsberechtigte geltenden Beträge (§ 11b Abs 1 S 1 Nr 3 bis 5 SGB II) vom Taschengeld des BFD (§ 2 Nr 4 BFDG) ein spezifischer Freibetrag in Höhe von 175 Euro monatlich für 2012 und von 200 Euro monatlich für 2013 abzusetzen. Übersteigt
die Summe der Beträge, die der Dienstleistende gemäß § 11b Abs 1 S 1 Nr 3 bis 5 SGB II von anderen Einnahmen in Abzug bringen kann, den Betrag von 115 Euro monatlich (für November, Dezember 2012) oder von 140
Euro monatlich (ab Januar 2013), gilt S 1 der Vorschrift nicht. In diesen Fällen bleiben vom Taschengeld (nur) zusätzlich
60 Euro monatlich unberücksichtigt (§ 1 Abs 7 S 2 bis 3 Alg II-V). Die S 1 bis 3 gelten allerdings nicht für erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die erwerbstätig sind oder aus einer Tätigkeit
Bezüge oder Einnahmen erhalten, die nach §
3 Nr
12,
26, 26a oder 26b
EStG steuerfrei sind (§ 1 Abs 7 S 4 Alg II-V in der ab 1.1.2012 geltenden Fassung der Sechsten Verordnung zur Änderung der Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung vom 19.12.2011; BGBl I 2833).
Die Voraussetzungen des § 1 Abs 7 S 4 Alt 2 Alg II-V liegen nicht vor, denn der Kläger hatte im streitigen Zeitraum keine nach Maßgabe des §
3 Nr 12,
26, 26a oder 26b
EStG steuerfreien Einnahmen. Zwar ist das Taschengeld aus dem BFD ebenfalls steuerfrei, die Steuerfreiheit beruht aber nicht auf
einer der ausdrücklich genannten Bestimmungen, sondern auf §
3 Nr 5 Buchst f
EStG.
Demgegenüber liegt ein Fall des § 1 Abs 7 S 4 Alt 1 Alg II-V vor, denn der erwerbsfähige und leistungsberechtigte Kläger hat eine (selbstständige) Erwerbstätigkeit ausgeübt. Nach der
Rechtsfolgenanordnung des § 1 Abs 7 S 4 Alg II-V würden für ihn als erwerbstätigen Leistungsberechtigten deshalb die Regelungen der S 1 bis 3 nicht gelten. Anders ausgedrückt
würde die Regelung für erwerbstätige Leistungsberechtigte bedeuten, dass die in den S 1 bis 3 genannten spezifischen Absetzungen
vom Taschengeld gerade nicht vorzunehmen sind. Dies hätte zur Folge, dass das Taschengeld voll als Einkommen zu berücksichtigen
wäre.
Obwohl eine solche Auslegung nach dem Wortlaut der Vorschrift denkbar erscheint, ist bei Auslegung der Vorschrift nach ihrem
Sinn und Zweck sowie aufgrund systematischer Erwägungen eine teleologische Reduktion des § 1 Abs 7 S 4 Alg II-V geboten.
§ 1 Abs 7 S 4 Alg II-V ist eine Harmonisierungsregelung, mit der bezweckt wird, sicherzustellen, dass beim Zusammentreffen von BFD und Erwerbstätigkeit
"jeweils nur die Freibeträge nach § 11b Abs 2 und 3 SGB II" zur Anwendung kommen (vgl mit Hinweis auf die Begründung des Referentenentwurfs Hengelhaupt in Hauck/Noftz, SGB II, K § 13 RdNr 158 mwN, Stand Juni 2015). § 1 Abs 7 S 1 Alg II-V geht typisierend davon aus, dass dem Dienstleistenden während des Freiwilligendienstes im Wesentlichen das Taschengeld als
Einkommen zur Verfügung steht. Die S 2 und 3 der Vorschrift betreffen demgegenüber die Fälle, in denen Leistungsberechtigte
im BFD weiteres Einkommen haben und von diesen bereits Absetzungen (§ 11b Abs 2 und 3 SGB II) von mehr als 140 Euro vornehmen konnten. Liegen diese Voraussetzungen vor, sind auch Absetzungen vom Taschengeld vorzunehmen,
die aber geringer ausfallen (60 Euro monatlich). S 4 schließlich regelt die Fallgruppe, dass der Freiwilligendienst mit einer
(selbstständigen) Erwerbstätigkeit zusammentrifft. In diesen Fällen sollen die S 1 bis 3 nicht gelten, sondern es soll bei
der Anwendung der §§ 11a und 11b SGB II iVm § 3 Alg II-V bleiben.
Die Regelung des S 4 verfolgt den Zweck, dass erwerbstätige Leistungsberechtigte nicht die Freibeträge nach §§ 11a und 11b
SGB II mit den spezifischen Absetzungen von Taschengeld aus dem BFD nach § 1 Abs 7 S 1 bis 3 Alg II-V kumulieren können. Der Verordnungsgeber hat dabei typisierend angenommen, es sei für erwerbstätige Leistungsberechtigte vorteilhaft,
die Freibeträge nach § 11b Abs 2 und 3 SGB II zu nutzen. Mit dieser Typisierung hat er allerdings solche Fallgestaltungen nicht bedacht, in denen erwerbstätige Leistungsberechtigte
ein so geringes Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielen, dass sie nicht einmal den Grundfreibetrag ausschöpfen können. Liegen
diese Voraussetzungen - wie hier - vor, hätte die Regelung zur Folge, dass erwerbstätige Leistungsberechtigte mit geringen
Einkünften weniger vom Einkommen absetzen können als diejenigen Leistungsberechtigte, die (nur) Freiwilligendienst leisten
und daneben nicht erwerbstätig sind.
Um die erwerbstätigen Leistungsberechtigten nicht gleichheitswidrig zu benachteiligen, ist es deshalb geboten, die Regelungen
der S 1 und 4 des § 1 Abs 7 Alg II-V so in Konkordanz zu bringen, dass diese beim Zusammentreffen eines geringen Einkommens aus Erwerbstätigkeit (bis zu 100 Euro)
ergänzend zu dem Grundfreibetrag von 100 Euro, einen (weiteren) Freibetrag auf das Taschengeld des BFD erhalten, sodass sie
insgesamt Freibeträge von bis zu 175 Euro bzw 200 Euro nutzen können (§ 1 Abs 7 S 1 Alg II-V).
Die gefundene Auslegung berücksichtigt durch den Verbrauch des Grundfreibetrags in Fällen mit geringem Einkommen aus Erwerbstätigkeit
weiter, dass die Freibeträge nach den S 1 bis 3 des § 1 Abs 7 Alg II-V nicht mit denen nach § 11b Abs 2 und 3 SGB II kumuliert werden dürfen. Deshalb ist es sachgerecht, in Fällen, in denen ein geringes Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit
erzielt wird, von den Freibeträgen des S 1 (175 Euro bzw 200 Euro) den schon bei der Ermittlung des zu berücksichtigenden
Erwerbseinkommens in Abzug gebrachten Grundfreibetrag abzuziehen, sodass (nur) weitere 75 Euro bzw 100 Euro monatlich als
Freibetrag vom Taschengeld verbleiben (vgl jetzt auch Art 1 Nr 10 Buchst b) Doppelbuchst dd) des Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch - Rechtsvereinfachung - BT-Drucks 18/8041, S 8, 36).
Dies entspricht auch der Wertung in der Entscheidung des 14. Senats des BSG (vom 28.10.2014 - B 14 AS 61/13 R - SozR 4-4200 § 11b Nr 6 RdNr 15 f), der entschieden hat, dass § 11b Abs 2 S 3 SGB II idF bis 31.12.2012 einen Mindestfreibetrag im Sinne einer Obergrenze für den Fall bestimmt, dass Einkommen aus Erwerbstätigkeit
und aus privilegierter ehrenamtlicher Tätigkeit zusammentrifft. Eine Kumulation beider Freibeträge ist dort ebenfalls abgelehnt
worden.
Die Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 1 Abs 7 S 4 Alg II-V führt zu einer Angleichung der Freibetragsgrenzen der Personen, die nur Freiwilligendienst leisten, mit denjenigen, die neben
dem Freiwilligendienst noch geringe Einkünfte aus Erwerbstätigkeit haben. Sie entspricht damit der Intention des § 2 Abs 3, § 11b Abs 2 und 3 SGB II, denn danach sollen die Leistungsberechtigten sich bietende Arbeitsgelegenheiten nutzen. Wenn sie diese nutzen, sollen sie
leistungsrechtlich nicht schlechter stehen als ohne die entsprechende Betätigung. Auf diese Weise wird ein Anreiz zur Teilnahme
am BFD durch Leistungsempfänger gesetzt, die gesellschaftlich gewünscht ist. Zugleich sollen damit einhergehende, mögliche
Verbesserungen der Eingliederungschancen auf dem Arbeitsmarkt anerkannt werden.
Allerdings kann aufgrund der Vorgaben des Gesetz- und Verordnungsgebers eine vollständige Angleichung nicht erreicht werden.
Denn in Konstellationen wie der vorliegenden kann der Anteil des Grundfreibetrags, der durch Einnahmen aus Erwerbstätigkeit
nicht verbraucht wird (hier zB die Differenz zwischen 53,08 Euro und 100 Euro), nicht auf andere Einkommensarten übertragen
werden. Entsprechendes hat der Senat bereits für das Zusammentreffen von Erwerbseinkommen und Kindergeld entschieden (BSG vom 5.6.2014 - B 4 AS 49/13 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 66 = NZS 2014, 791). Ist der Grundfreibetrag bei der Berechnung des Erwerbseinkommens in Abzug gebracht, aber nicht voll ausgeschöpft worden,
ist eine Verteilung des verbleibenden Rests der Pauschale auf eine andere Einkommensart (dort: Kindergeld) nicht zulässig
(BSG, aaO, RdNr 22 f). Dieser Grundsatz steht auch einer Übertragung eines restlichen Grundfreibetrags auf das Taschengeld nach
dem BFDG, das kein Erwerbseinkommen ist, entgegen.
d) Der Kläger hat in dem streitbefangenen Zeitraum Anspruch auf Zahlung weiterer 450 Euro als Leistungen zur Sicherung des
Lebensunterhalts nach dem SGB II.
Von dem zu berücksichtigenden Taschengeld in Höhe von 225 Euro pro Monat sind bei einer Freibetragsgrenze von 175 Euro im
Jahr 2012 weitere 75 Euro für zwei Monate von der Anrechnung als Einkommen freizustellen; der weitergehende Freibetrag des
§ 1 Abs 7 S 1 Alg II-V ist durch die Berücksichtigung des Grundfreibetrags verbraucht. Für die streitigen drei Monate des Jahrs 2013 sind von den
225 Euro Taschengeld monatlich weitere 100 Euro von der Anrechnung freizustellen. Auch hier ist der Absetzbetrag von 200 Euro
monatlich ist in Höhe von 100 Euro monatlich durch den Grundfreibetrag verbraucht, sodass ergänzend nur noch weitere 100 Euro
abzusetzen sind. Im Ergebnis hat der Kläger Anspruch auf Zahlung von weiteren Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
nach dem SGB II in Höhe von 450 Euro.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §§
193,
183 SGG.