Anspruch auf Grundsicherung für Arbeitsuchende; Leistungen für Unterkunft und Heizung; Übernahme einer Betriebs- und Heizkostennachforderung
Gründe:
I
Streitig sind Leistungen für Unterkunft und Heizung, insbesondere die Übernahme einer Betriebs- und Heizkostennachforderung,
für das Kalenderjahr 2006.
Der 1965 geborene Kläger zu 1 und die 1970 geborene Klägerin zu 2 sind erwerbsfähig und Eltern der 1990, 1991, 1995, 1996,
1999, 2002 sowie am 22.11.2006 geborenen Kläger zu 3 bis 9. Zusammen bewohnen sie eine 114 m² große 5-Zimmer-Wohnung. Für
diese Wohnung hatten die Kläger zu 1 und 2, die gemeinsam Vertragspartner des 2003 geschlossenen Wohnungsmietvertrags sind,
im Jahre 2006 547,20 Euro Kaltmiete und 228 Euro Vorauszahlung auf die Betriebs- und Heizkosten monatlich an ihren Vermieter
zu zahlen (§ 4 des Mietvertrags). In der Betriebs- und Heizkostenvorauszahlung waren Kosten für die Warmwasserbereitung enthalten.
Ab 1.1.2007 erhöhten sich die Betriebs- und Heizkostenvorauszahlungen auf monatlich 285 Euro. Den Leistungen der Grundsicherung
für Arbeitsuchende nach dem SGB II beziehenden Klägern bewilligte die Beklagte im gesamten Jahr 2006 SGB II-Leistungen unter
Anerkennung der tatsächlichen Kosten für die Kaltmiete (547,20 Euro) und der monatlichen Betriebs- und Heizkostenvorauszahlung
in Höhe von 228 Euro (Bescheide vom 15.12.2005, 8.6.2006 und 22.12.2006). Mit weiterem Bescheid vom 22.12.2006 bewilligte
die Beklagte den Klägern auf ihren Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 19.12.2006 für den Bewilligungszeitraum
vom 1.12.2006 bis 31.5.2007 Kosten für Unterkunft und Heizung unter Anerkennung von Mietkosten in Höhe von 547,20 Euro mtl
und Betriebs- und Heizkosten in Höhe von 228 Euro mtl. Nach Vorlage einer Bescheinigung zu geänderten Heiz- und Betriebskostenvorauszahlungen
(ab Januar 2007 in Höhe von 285 Euro) wurden für die Zeit vom 1.1.2007 bis 31.5.2007 SGB II-Leistungen unter Berücksichtigung
der Kosten für die Miete und die geänderten Nebenkosten in Höhe von insgesamt 835,14 Euro bewilligt (Bescheid vom 10.1.2007).
Der Vermieter der Kläger übersandte diesen mit Schreiben vom 21.3.2007 die Heiz- und Betriebskostenabrechnung für das Kalenderjahr
2006, nach der im Jahre 2006 insgesamt 897,77 Euro an Heizkosten und 3251,26 Euro an Hausnebenkosten entstanden waren. Nach
Abzug der im Jahre 2006 geleisteten Vorauszahlungen von insgesamt 2736 Euro (12 Monate x 228 Euro) ergab sich eine Nachzahlungsforderung
in Höhe von 1413 Euro. Der Vermieter gab den Klägern auf, den Betrag bis zum 30.4.2007 auf sein Konto zu überweisen.
Die Beklagte lehnte die Übernahme der erst am 4.6.2007 bei ihr eingereichten Heiz- und Betriebskostennachforderung ab (Bescheid
vom 14.6.2007; Widerspruchsbescheid vom 9.10.2007). Zur Begründung führte sie aus, eine Übernahme der Nachforderung als Zuschuss
nach § 22 Abs 1 SGB II sei nicht möglich, weil es sich nicht um laufende Unterkunftskosten handele. Dies sei nur dann der
Fall, wenn die Übernahme der Nebenkostenabrechnung vor Ablauf der eingeräumten Frist zur Begleichung der Rechnung beantragt
werde. Eine darlehensweise Übernahme der Nachforderung als Mietschulden komme gleichfalls nicht in Betracht, weil die rückständige
Nachforderung keine Kündigung rechtfertige und somit keine Wohnungslosigkeit einzutreten drohe.
Das SG Köln hat die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 14.6.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9.10.2007
verurteilt, den Klägern auf die Nebenkostenabrechnung vom 21.3.2007 Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 1336
Euro zu gewähren, diesen Betrag an den Vermieter der Kläger auszuzahlen und hat die Klage im Übrigen abgewiesen (Urteil vom
11.4.2008). Das LSG Nordrhein-Westfalen hat das Urteil des SG geändert und die Beklagte verurteilt, den Klägern "auf die Heiz- und Nebenkostenabrechnung vom 21.3.2007 Leistungen für Unterkunft
und Heizung in Höhe von 976 Euro zu gewähren und diesen Betrag an den Vermieter der Kläger auszuzahlen"; die weitergehende
Berufung hat es zurückgewiesen (Urteil vom 22.1.2009). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, Betriebs-
und Heizkostennachforderungen führten zu einem gegenwärtigen Bedarf, der durch einmalige Leistung nach § 22 Abs 1 SGB II unter
der Voraussetzung zu befriedigen sei, dass zur Zeit der Entstehung, Fälligkeit und Geltendmachung der Nachforderung ein Hilfebedarf
nach dem SGB II bestehe. Sie verwandelten sich nicht gemäß § 22 Abs 5 SGB II in Mietschulden, wenn der Hilfebedürftige mit
der Erfüllung der Nachforderung in Verzug sei, weil sich das SGB II erkennbar von der Konzeption eines einmonatigen "Bedarfszeitraums"
verabschiedet habe. Die Aufwendungen der Kläger seien in dem tenorierten Umfang hinsichtlich der für das Kalenderjahr 2006
nachgeforderten Betriebs- und Heizkosten auch angemessen iS des § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II. Hinsichtlich der Betriebskosten
folge dies daraus, dass diese Kosten, die hier für das Kalenderjahr 2006 im Streit stünden und mit der Nachforderung vom Vermieter
der Kläger geltend gemacht worden seien, mietvertraglich wirksam vereinbart seien und sämtlich der Betriebskostenverordnung
vom 25.11.2003 (BGBl I 2346 f) unterfielen. Unabhängig hiervon bestünden keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die Nebenkosten
der Kläger die "marktüblichen Nebenkosten" vergleichbarer Wohnungen überschritten. Auch hinsichtlich der Angemessenheit der
Heizkosten bestehe keine Pflicht zu einer weitergehenden Sachaufklärung, zumal die Beklagte diese ebenso wenig wie die Angemessenheit
der Betriebskosten in Frage stelle. Allerdings könnten die geforderten Heizkosten nicht in voller Höhe übernommen werden,
weil hierin enthaltene Kosten der Warmwasserbereitung als Kosten der Haushaltsenergie iS von § 20 Abs 1 SGB II aus der pauschal
gewährten Regelleistung zu decken seien. Entgegen der Ansicht des SG sei bei der Ermittlung des Absetzbetrags nicht die Heizkostenabrechnung des Vermieters und sein Abrechnungsmodus zu Grunde
zu legen. Vielmehr sei - entsprechend der Rechtsprechung des BSG (Hinweis auf Urteil vom 27.2.2008 - B 14/11b AS 15/07 R - BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5) und der unterschiedlichen Höhe der Regelleistung der Kläger für das Jahr 2006 ein Gesamtbetrag in
Höhe von 436,69 Euro abzusetzen. Für die Kläger zu 1 bis 8 errechne sich für das Kalenderjahr 2006 der Betrag von 432,96 Euro
(42 Monate x 36,08 Euro); zusätzlich sei für den am 22.11.2006 geborenen Kläger zu 9 der Monat Dezember 2006 mit einem "Warmwasserabzug"
von 3,73 Euro zu berücksichtigen. Dieser Betrag sei von der Gesamtnachzahlung in Höhe von 1413,03 Euro abzusetzen, sodass
sich ein abgerundeter Nachforderungsbetrag in Höhe von 976 Euro ergebe.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte eine Verletzung des § 22 Abs 1 und 5 SGB II. Die von den Vorinstanzen vertretene Auffassung,
dass Mietschulden nur dasjenige sei, was aus der Zeit vor Leistungsbeginn schon Schulden seien oder was der Leistungsempfänger
trotz ordnungsgemäßer Zahlung des Leistungsträgers nicht an den Vermieter weitergeleitet habe, finde keine Begründung im Gesetz.
Vielmehr umfasse der Begriff der Mietschulden alles, was zur Zahlung fällig, seitens des Mieters aber dennoch nicht geleistet
worden sei. Die Anknüpfung an die Fälligkeit der Forderung sei der geeignete Maßstab für eine Unterscheidung zwischen aktuellem
Bedarf und Schulden.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Sozialgerichts Köln vom 11.4.2008 und des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 22.1.2009 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen,
die Revision der Beklagten zurückzuweisen.
Sie halten die Entscheidung des LSG für zutreffend und vertreten die Ansicht, dass es sich bereits nach einer umgangssprachlichen
Auslegung bei der Nachforderung aus der Heiz- und Betriebskostenabrechnung nicht um Schulden handele.
II
Die zulässige Revision der Beklagten ist nicht begründet (§
170 Abs
1 Satz 1
SGG). Das LSG ist zu Recht davon ausgegangen, dass den Klägern wegen der Heiz- und Nebenkostenabrechnung des Vermieters vom 21.3.2007
höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung zustehen. In der Nachforderung der Heiz- und Betriebskosten durch den Vermieter
für das Kalenderjahr 2006 liegt eine wesentliche Änderung gegenüber den Verhältnissen, die bei Erlass der laufenden SGB II-Leistungen
für den Zeitraum vom 1.12.2006 bis 31.5.2007 bewilligenden Bescheids vom 10.1.2007 hinsichtlich der Kosten für Unterkunft
und Heizung vorlagen. Eines gesonderten Antrags der Kläger auf Übernahme dieser Kosten bedurfte es nicht. Die wesentliche
Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen ist auch iS von § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse zugunsten der Kläger zu berücksichtigen, weil das SGB II keine gesonderten,
§ 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X vorgehenden Regelungen zum Zeitpunkt der Berücksichtigung geänderter Verhältnisse enthält. Der aktuelle tatsächliche Bedarf
der Kläger an Kosten der Unterkunft und Heizung hat sich auch nicht durch Zeitablauf in Schulden iS des § 22 Abs 5 SGB II
verwandelt.
1. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist zunächst der Bescheid vom 14.6.2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
9.10.2007, mit dem die Beklagte die Übernahme der im März/April 2007 zu leistenden Heiz- und Betriebskostennachzahlung abgelehnt
hat. Gegen diese Bescheide wenden sich die Kläger mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§
54 Abs
1 und 4
SGG iVm §
56 SGG). Die Rechtmäßigkeit dieser Ablehnungsbescheide misst sich an §
40 Abs
1 Satz 2 Nr
1 SGB II iVm §
330 Abs
3 Satz 1
SGB III und § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, weil die Beklagte den Klägern mit dem vorangegangenen Bewilligungsbescheid vom 10.1.2007 Kosten für Unterkunft und Heizung
für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.5.2007 bewilligt hatte und das Nachforderungsverlangen des Vermieters zeitlich in diesen
Bewilligungsabschnitt fällt. Mit ihrem Antrag vor dem LSG auf Übernahme der Nachzahlungsforderungen des Vermieters aus der
Nebenkostenabrechnung vom 21.3.2007 haben die Kläger den Streitstoff dabei inhaltlich ausdrücklich auf höhere Kosten für Unterkunft
und Heizung beschränkt (zur Zulässigkeit einer derartigen Beschränkung: BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R, BSGE 97, 217 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 18; zur rechtlich nicht möglichen weiteren Aufspaltung des Streitgegenstands, etwa
in Unterkunfts- und Heizkosten: BSG, aaO, RdNr 18, 22). Der Höhe nach ist die Überprüfung im Revisionsverfahren auf weitere
Kosten für Unterkunft und Heizung in Höhe von 976 Euro begrenzt, weil nur die Beklagte Revision eingelegt hat. Auch die Auszahlung
des Nachforderungsbetrags an den Vermieter ist daher nicht im Streit.
2. a) Ob den Klägern ein Anspruch auf die Heizkostennachforderung zusteht, beurteilt sich nach § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt, hier also der Bescheid vom 10.1.2007, mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den
tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt.
Der Verwaltungsakt soll gemäß § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen
erfolgt. Dabei sind bei der Frage, ob bzw inwieweit eine Änderung der tatsächlichen Verhältnisse - bezogen auf die hier streitigen
Kosten der Unterkunft und Heizung - dazu führt, dass der Bewilligungsbescheid vom 10.1.2007 abzuändern ist, grundsätzlich
alle Anspruchsvoraussetzungen dem Grunde und der Höhe nach zu prüfen (vgl BSG, Urteil vom 20.10.2005 - B 7a AL 50/05 R, BSGE
95, 191 = SozR 4-4300 § 37b Nr 2 jeweils RdNr 13; BSG, Urteil vom 18.8.2005 - B 7a AL 4/05 R, SozR 4-1500 § 95 Nr 1 RdNr 6; BSG,
Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 23). Es ergeben sich hier allerdings keine Anhaltspunkte dafür, dass die mit Bescheid
vom 10.1.2007 für den Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.5.2007 bewilligten Kosten für Unterkunft und Heizung unzutreffend festgesetzt
sein könnten. Die Kläger erfüllten in dem vom diesem Bescheid umfassten Zeitraum vom 1.1.2007 bis 31.5.2007 die Voraussetzungen
des § 7 Abs 1 Satz 1 iVm §§ 19 Satz 1, 22 SGB II.
b) Eine Änderung gegenüber den tatsächlichen Verhältnissen, die bei Erlass des Bescheides vom 10.1.2007 vorlagen, ist hier
mit der Nachforderung der Heiz- und Betriebskosten eingetreten. Der Anspruch der Kläger auf höhere Kosten der Unterkunft und
Heizung folgt aus § 22 Abs 1 SGB II. Zwar handelt es sich bei der Übernahme einer Heiz- und Betriebskostennachzahlung anders
als im Regelfall des § 22 Abs 1 SGB II nicht um eine laufende, sondern um eine einmalige Leistung. § 22 Abs 1 SGB II erfasst
jedoch nicht nur laufende, sondern auch einmalige Kosten für Unterkunft und Heizung (BSG, Beschluss vom 16.5.2007 - B 7b AS 40/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr 4 RdNr 9; BSG, Urteil vom 19.9.2008 - B 14 AS 54/07 R - RdNr 19, FEVS 60, 490, 494; BSG, Urteil vom 16.12.2008 - B 4 AS 49/07 R - BSGE 102, 194 ff = SozR 4-4200 § 22 Nr 16, jeweils RdNr 26). Soweit einzelne Nebenkosten - wie hier bei der Nachforderung - in einer Summe
fällig werden, sind sie als tatsächlicher, aktueller Bedarf im Zeitpunkt ihrer Fälligkeit zu berücksichtigen, nicht aber auf
längere Zeiträume zu verteilen (BSG, Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 58/06 R - SozR 4-4200 § 9 Nr 5 RdNr 36). Nachforderungen, die nach regelmäßiger Übernahme der Heizkostenvorauszahlungen bzw -abschläge
der jeweiligen Monate entstehen, gehören als einmalig geschuldete Zahlungen zum aktuellen Bedarf im Fälligkeitsmonat (BSG,
Urteil vom 2.7.2009 - B 14 AS 36/08 R - BSGE 104, 41 RdNr 16, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; BSG, Urteil vom 16.5.2007 - B 7b AS 40/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 4 RdNr 16; vgl bereits BVerwG, Urteil vom 4.2.1988 - 5 C 89/85 - BVerwGE 79, 46, 51).
c) Dem Anspruch der Kläger auf höhere Kosten für Unterkunft und Heizung und damit der Annahme einer wesentlichen Änderung
der tatsächlichen Verhältnisse steht auch nicht entgegen, dass die Kläger vor Entstehung der Heiz- und Betriebskostennachforderung
für das Kalenderjahr 2006 bzw deren Begleichung nach Zugang des Schreibens vom 21.3.2007 keinen gesonderten Antrag auf Deckung
dieses Bedarfs gestellt haben. Zwar werden Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende nur auf Antrag und nicht für Zeiten
vor der Antragstellung erbracht (§ 37 Abs 1 und 2 Satz 1 SGB II; BT-Drucks 15/1516 S 62; BSG, Urteil vom 30.7.2008 - B 14 AS 26/07 R - SozR 4-4200 § 11 Nr 17 RdNr 23; BSG, Urteil vom 7.5.2009 - B 14 AS 13/08 R, RdNr 13, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Im Sinne des Meistbegünstigungsgrundsatzes ist aber davon auszugehen,
dass ein bereits gestellter Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts diejenigen Leistungen beinhaltet, die
nach Lage des Falls ernsthaft in Betracht kommen (Link in Eicher/Spellbrink, SGB II, 2. Aufl 2008, § 37 RdNr 21; BSG, Urteil
vom 2.7.2009 - B 14 AS 75/08 R - RdNr 11 zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen; zum Klageantrag: BSG, Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1, jeweils RdNr 11) und dem Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts eine "Türöffner-Funktion"
für diese Leistungen zukommt (vgl zur Funktion des Antrags bei der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung auch BSG,
Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 13/08 R - RdNr 15, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; zur "Türöffner-Funktion"
der Arbeitslosmeldung im
SGB III: BSG, Urteil vom 7.10.2004 - B 11 AL 23/04 R - BSGE 93, 209 = SozR 4-4300 § 122 Nr 2 jeweils RdNr 13). Der Antrag der Kläger auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom 19.12.2006
umfasste auch die angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung. Eine sachliche und zeitliche Konkretisierung der von der
Antragstellung umfassten Bedarfe kann auch zu einem späteren Zeitpunkt, insbesondere dann vorgenommen werden, wenn sich weitere
Bedarfe erst während des laufenden Leistungsbezugs ergeben, also die Forderung - wie hier - erst nach Antragstellung fällig
wird. Mit der Vorlage der Heiz- und Betriebskostennachforderung bei der Beklagten haben die Kläger die Höhe ihres Bedarfs
insofern lediglich weiter konkretisiert, jedoch keine weitere, vom Antrag nicht erfasste Leistung beantragt.
d) Die durch die Heiz- und Betriebskostennachforderung für das Jahr 2006 eingetretene Änderung der tatsächlichen Verhältnisse
"zugunsten des Betroffenen" iS von § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X war auch wesentlich iS des § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, dh rechtserheblich, weil die tatsächlichen Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in neuer Höhe zu bemessen waren, der
Bewilligungsbescheid vom 10.1.2007 also unter den nunmehr objektiv vorliegenden Verhältnissen so nicht mehr hätte erlassen
werden dürfen (vgl BSG, Urteil vom 9.6.1988 - 4/1 RA 57/87 - SozR 2200 § 1255a Nr 19 S 56). Die Nachforderung des Vermieters der Kläger führt dazu, dass diesen in dem vom Bewilligungsbescheid
vom 10.1.2007 umfassten Zeitraum höhere Kosten für Unterkunft und Heizung mit dem vom LSG angenommenen Gesamtbetrag in Höhe
von 976 Euro zustehen. Leistungen für die Heizung werden gemäß § 22 Abs 1 Satz 1 SGB II in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen
übernommen, soweit sie nicht einen Grenzwert überschreiten, der unangemessenes Heizen indiziert (vgl hierzu BSG, Urteil vom
2.7.2009 - B 14 AS 36/08 R - BSGE 104, 41 RdNr 23, auch zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen). Wie das LSG zutreffend ausgeführt hat, gehen die Beteiligten übereinstimmend
von der Angemessenheit der für das Jahr 2006 nachgeforderten Betriebs- und Heizkosten aus. Es ergeben sich auf der Grundlage
der Feststellungen des LSG für den Senat auch keine Anhaltspunkte für zu hohe Betriebs- oder Heizkosten. Das LSG ist schließlich
auch zutreffend davon ausgegangen, dass die tatsächlich angefallenen Heizkosten um die Kosten der Warmwasserbereitung zu bereinigen
sind, wobei die in Ansehung der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1998 rechnerisch für die Warmwasserbereitung aus den
Regelleistungen ermittelbaren Anteile zu berücksichtigen waren (vgl dazu BSG, Urteil vom 27.2.2008 - B 14/11b AS 15/07 R - BSGE 100, 94 = SozR 4-4200 § 22 Nr 5; BSG, Urteil vom 22.9.2009 - B 4 AS 8/09 R - RdNr 28 ff, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
3. Der Bewilligungsbescheid vom 10.1.2007 war auch vom Zeitpunkt dieser Änderung der Verhältnisse iS des § 48 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB X aufzuheben, weil das SGB II - anders als zB das SGB XII für die Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung (vgl § 44 Abs 1 SGB XII) und das
SGB VI für Änderungen bei der Höhe der Rente (§
100 Abs
1 SGB VI; vgl zB BSG, Urteil vom 22.4.2008 - B 5a R 72/07 R - RdNr 17) - keine gesonderten, § 48 Abs 1 Satz 2 SGB X vorgehenden Regelungen zum Zeitpunkt der Berücksichtigung geänderter Verhältnisse enthält. Insofern steht die verspätete
Information der Beklagten über die Nachforderung der Heiz- und Betriebskosten durch die Kläger dem Ausgleich der Nachforderung
an Betriebs- und Heizkosten nicht entgegen.
4. Allein der Umstand, dass die Kläger die Nachforderung offenbar nicht innerhalb der vom Vermieter gesetzten Frist, also
mit Ablauf des Fälligkeitsmonats (April 2007), beglichen haben, führt nicht dazu, dass es sich - allein durch Zeitablauf -
bei den nachgeforderten Heiz- und Betriebskosten nicht mehr um einen aktuellen Bedarf, sondern (nur noch) um nach § 22 Abs
5 Satz 1 SGB II durch Darlehen auszugleichende Schulden handelt (so auch Berlit in Münder, SGB II, 3. Aufl 2009, § 22 RdNr
19; Krauß in Hauck/Noftz, SGB II, § 22 RdNr 36, Stand 9/2009 mit Beschränkung auf den laufenden Bewilligungsabschnitt). Die
Nachforderung der Heiz- und Betriebskosten für das Kalenderjahr 2006 erfolgte zu einem Zeitpunkt, in dem die Kläger während
des Bewilligungsabschnitts vom 1.12.2006 bis 31.5.2007 im durchgehenden SGB II-Bezug waren, ihre Hilfebedürftigkeit also bereits
eingetreten war. Ob Schulden iS des § 22 Abs 5 Satz 1 SGB II oder tatsächliche Aufwendungen für Unterkunft und Heizung iS
des § 22 Abs 1 SGB II vorliegen, ist - unabhängig von deren zivilrechtlicher Einordnung - ausgehend von dem Zweck der Leistungen
nach dem SGB II zu beurteilen, einen tatsächlich eingetretenen und bisher noch nicht von dem SGB II-Träger gedeckten Bedarf
aufzufangen. Bezieht sich die Nachforderung an Heiz- und Betriebskosten auf einen während der Hilfebedürftigkeit des SGB II-Leistungsberechtigten
eingetretenen und bisher noch nicht gedeckten Bedarf, handelt es sich jedenfalls um vom SGB II-Träger zu übernehmende tatsächliche
Aufwendungen nach § 22 Abs 1 SGB II. Dabei besteht bei den Kosten für Heizung der Bedarf darin, dass der Grundsicherungsträger
dem Leistungsberechtigten die Geldmittel zur Verfügung stellt, die dieser benötigt, um die Lieferung der Wärme durch den Vermieter
bzw das Energieversorgungsunternehmen zahlen zu können (BSG, Urteil vom 16.5.2007 - B 7b AS 40/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 4 RdNr 9; vgl auch bereits BVerwG, Urteil vom 4.2.1988 - 5 C 89/85 - BVerwGE 79, 46, 50). Hat der Grundsicherungsträger dem Leistungsberechtigten bereits die monatlich an den Vermieter oder das Energieversorgungsunternehmen
zu zahlenden Abschlagsbeträge zur Verfügung gestellt, den aktuellen Bedarf in der Vergangenheit also bereits gedeckt, und
beruht die Nachforderung auf der Nichtzahlung der als Vorauszahlung vom Vermieter geforderten Abschläge für Heiz- und Betriebskosten,
handelt es sich dagegen um Schulden (Schmidt in Oestreicher, SGB II/SGB XII, § 22 SGB II RdNr 59, Stand Februar 2008).
Nach diesen Grundsätzen liegen hier tatsächliche Aufwendungen nach § 22 Abs 1 SGB II vor, weil die Kläger im hier maßgeblichen
Zeitraum des gesamten Kalenderjahres 2006 ihre mietvertraglichen Verbindlichkeiten in Gestalt der vereinbarten Vorauszahlung
von monatlich 228 Euro vollständig erfüllt haben und zum Zeitpunkt der Nachforderung von Heiz- und Betriebskosten hilfebedürftig
waren.
5. Demnach war die Entscheidung des LSG auch zu bestätigen, soweit es wegen der wesentlichen Änderung in den tatsächlichen
Verhältnissen hinsichtlich der als Dauerleistung mit Bescheid vom 10.1.2007 bewilligten Kosten der Unterkunft und Heizung
bei zeitgleich fortbestehender Hilfebedürftigkeit den Nachzahlungsbetrag in Höhe von 976 Euro zugesprochen hat (§ 48 Abs 4 iVm § 44 Abs 4 SGB X).
6. Lediglich im Sinne einer Klarstellung hat der Senat den Tenor des LSG-Urteils unter Einbeziehung des Bescheides vom 10.1.2007
teilweise neu gefasst. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.