Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung
Umfang des Gehörsanspruchs
Verhandlung und Entscheidung bei Ausbleiben eines Beteiligten
Gründe:
Mit Urteil vom 16.4.2018 hat das LSG Rheinland-Pfalz einen Anspruch der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung
bereits ab dem 1.1.2014 verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat die Klägerin Beschwerde beim BSG eingelegt. Sie beruft sich auf Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens hat die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
von Rechtsanwalt F., D. beantragt.
1. Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.
Die Revision ist nur zuzulassen, wenn
- die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG),
- das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (aaO Nr 2) oder
- ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (aaO Nr 3).
Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des §
160a Abs
2 S 3
SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 S 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
a) Die Klägerin rügt zunächst, dass das LSG seinen eigenen Beweisbeschluss vom 7.4.2017 nicht ausgeführt habe, obwohl dieser
Beschluss nicht aufgehoben worden sei. Das Berufungsgericht sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass sie, die Klägerin,
sich geweigert habe, sich von dem Sachverständigen Dr. B. untersuchen und begutachten zu lassen. Hätte die angeordnete Beweisaufnahme
stattgefunden, wären die Zweifel des LSG, dass bei ihr die medizinischen Voraussetzungen einer rentenrelevanten Erwerbsminderung
bereits im Januar 2014 vorgelegen haben, beseitigt worden.
Nach dem Verständnis des Senats rügt die Klägerin mit diesem Vorbringen eine Verletzung der tatrichterlichen Sachaufklärungspflicht
iS des §
103 SGG.
Auf eine Verletzung dieser Vorschrift kann die Nichtzulassungsbeschwerde jedoch nur gestützt werden, wenn der Beschwerdeführer
einen entsprechenden Beweisantrag gestellt hat, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist. Die Klägerin hat
jedoch nicht vorgetragen, einen Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens gestellt zu haben.
b) Die Klägerin rügt des Weiteren eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (§
62 SGG, Art
103 Abs
1 GG).
Hierzu trägt sie vor: Die Praxis Dr. B. habe mit Schreiben vom 2.1.2018, das "iA R." unterschrieben sei, dem LSG mitgeteilt,
dass sich die Klägerin geweigert habe, mitzuteilen, ob sie sich am 22.2.2018 in der Praxis einfinden werde. Aufgrund dieses
Schreibens habe das LSG dem Sachverständigen Dr. B. mit Schreiben vom 19.1.2018 mitgeteilt, dass dieser am Begutachtungstermin
22.2.2018 nicht festhalten müsse; er werde gebeten, die Akten zurückzusenden. Ebenfalls mit Schreiben vom 19.1.2018 sei der
Klägerin eine Kopie des Schreibens vom 2.1.2018 übermittelt und ihr damit Gelegenheit gegeben worden, Stellung zu nehmen.
Da das LSG dem Gutachter Dr. B. aber bereits mitgeteilt habe, dass dieser am Begutachtungstermin nicht festhalten müsse und
er die Akten zurücksenden möge, sei insoweit jede Stellungnahme der Klägerin zu spät gekommen. Vielmehr habe das Berufungsgericht
insoweit "vollendete Tatsachen" geschaffen. Wäre ihr, der Klägerin, rechtzeitig rechtliches Gehör gewährt worden, hätte sie
- wie mit ihren Schriftsätzen vom 25.1.2018 und 2.3.2018 geschehen - Stellung genommen und klargestellt, dass sie sich keiner
Begutachtung entziehe, sondern sich vielmehr begutachten lassen wolle. In diesem Fall hätte die Begutachtung stattgefunden
und wäre zu dem Ergebnis gekommen, dass sie die medizinischen Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung
bereits im Januar 2014 erfüllt habe.
Mit diesem Vorbringen ist eine Gehörsverletzung nicht schlüssig aufgezeigt.
Mit der Gehörsrüge macht die Klägerin letztlich ebenfalls eine Verletzung des §
103 SGG geltend. Eine solche Rüge ist aber nur dann zulässig, wenn eine Sachaufklärungsrüge ordnungsgemäß dargetan worden ist. Ansonsten
würden die Vorgaben des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG umgangen. Einen Verstoß gegen §
103 SGG hat die Klägerin aus dem oben genannten Grund jedoch nicht ausreichend dargetan.
Abgesehen davon hat sie auch nicht schlüssig aufgezeigt, dass die Entscheidung auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler
beruhen kann.
Die Beschwerdebegründung weist selbst darauf hin, dass die Klägerin mit Schriftsätzen vom 25.1.2018 und 2.3.2018 klargestellt
habe, dass sie sich keiner Begutachtung entziehe. Warum es zu diesen Zeitpunkten nicht mehr möglich gewesen sein sollte, dem
Sachverständigen Dr. B. die Akten erneut zu übersenden und ihn zu bitten, einen neuen Untersuchungstermin anzuberaumen, legt
die Klägerin nicht dar.
c) Die Klägerin rügt ferner eine Verletzung des §
73 Abs
6 S 1 und 4 (gemeint wohl 5)
SGG unter verschiedenen Gesichtspunkten.
aa) Hierzu trägt sie einerseits vor, die Beklagte sei im Termin vom 16.4.2018 nicht wirksam vertreten gewesen. Frau H., die
den Termin für die Beklagte wahrgenommen habe, sei weder deren gesetzliche Vertreterin noch Vorstand, sondern bei der Beklagten
beschäftigt. Für sie habe entgegen dem Sitzungsprotokoll weder eine Termins- noch eine Prozessvollmacht vorgelegen. Frau H.
habe lediglich eine einfache Kopie eines mit "Terminsvollmacht" überschriebenen Schriftstücks vorgelegt. Schriftlich iS von
§
73 Abs
6 S 1
SGG bedeute aber, dass die Vollmachtsurkunde im Original vorgelegt werden müsse. Nach §
73 Abs
6 S 5
SGG hätte das Berufungsgericht den Mangel der Vollmacht von Amts wegen berücksichtigen müssen. Ohne wirksame Terminsvertretung
habe die Beklagte in dem Verhandlungstermin am 16.4.2018 nicht wirksam Anträge stellen und insbesondere keine Zurückweisung
der Berufung beantragen können. Hätte das LSG dies beachtet, hätte es die Berufung (soweit noch rechtshängig) nicht mit Urteil
vom 16.4.2018 zurückweisen können und dürfen.
Der Senat lässt dahinstehen, ob die Klägerin mit diesem Vorbringen einen Verfahrensfehler aufgezeigt hat.
Sie hat zumindest nicht schlüssig dargetan, dass die Entscheidung darauf beruhen kann.
Gemäß §
123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Zwar gebietet
das den Beteiligten zustehende Recht auf rechtliches Gehör, dass das Gericht ihnen Gelegenheit geben muss, sich zur Darstellung
des Sachverhalts zu äußern, zu Rechtsfragen Stellung zu nehmen sowie Anträge zu stellen oder zu ergänzen (vgl B. Schmidt in
Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
112 RdNr 7). Macht ein Beteiligter von diesem Recht keinen Gebrauch, muss das Gericht aber trotzdem über den erhobenen Anspruch
entscheiden (§
123 SGG), wobei es nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung entscheidet (§
128 Abs
1 S 1
SGG). Insbesondere kann das Gericht auch im Fall des Ausbleibens eines Beteiligten ohne diesen verhandeln und entscheiden (§
110 Abs
1 S 2
SGG iVm B. Schmidt, aaO, §
110 RdNr
11).
Warum das LSG angesichts dieser prozessualen Rechtslage nur bei wirksamer Antragstellung der Beklagten die Berufung hätte
zurückweisen dürfen, legt die Beschwerdebegründung nicht dar.
bb) Die Klägerin macht ferner geltend, die Beklagte habe sich im gesamten Berufungsverfahren nicht durch ihre gesetzlichen
Vertreter vertreten lassen und entgegen der Vorgabe von §
73 Abs
6 S 1
SGG für keinen ihrer Beschäftigten eine schriftliche Vollmacht zur Gerichtsakte gereicht. Sie sei daher im Berufungsverfahren
nicht wirksam vertreten, mithin nicht handlungsfähig gewesen, sodass sie noch nicht einmal in rechtlich beachtlicher Weise
auf die Berufung hätte erwidern können. Den Mangel der Vollmacht hätte das Berufungsgericht gemäß § 73 Abs 6 S 5 SSG von Amts
wegen beachten müssen. Auf diesem Verfahrensmangel könne das Urteil des LSG auch beruhen. Hätte das Berufungsgericht den Mangel
der Prozessvollmacht beachtet, hätte es alle Einwendungen der Beklagten gegen das Berufungsvorbringen als unbeachtlich zurückweisen
müssen und der Berufung im vollen Umfang stattgeben können.
Mit diesem Vorbringen ist ebenfalls keine Kausalität zwischen dem geltend gemachten Verfahrensmangel und der angefochtenen
Entscheidung schlüssig aufgezeigt.
Das sozialgerichtliche Verfahren wird vom Untersuchungsgrundsatz, dem Amtsermittlungsprinzip, beherrscht, wonach das Gericht
den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen hat, ohne an das Vorbringen der Beteiligten gebunden zu sein (§
103 SGG; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, vor §
60 RdNr 4). Ausgehend von diesem Prozessgrundsatz fehlt es an einer schlüssigen Darlegung, warum das LSG ohne Berücksichtigung
der Einwendungen der Beklagten der Berufung der Klägerin hätte stattgeben können.
2. Da die beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, kann der Klägerin für das Beschwerdeverfahren
vor dem BSG Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt F., D. nicht gewährt werden (vgl §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
114 Abs
1 S 1, §
121 Abs
1 ZPO).
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 und 4
SGG.