Rente wegen voller Erwerbsminderung
Grundsatzrüge
Begriff der Arbeitslosigkeit
Noch nicht festgestellte Tatsache
1. Für die Auslegung des Begriffs der Arbeitslosigkeit in §
58 Abs.
1 S. 1 Nr.
3 SGB VI ist grundsätzlich auf das Recht der Arbeitslosenversicherung zurückzugreifen, wobei auf das Recht abzustellen ist, das während
der Zeit der behaupteten Arbeitslosigkeit galt.
2. Nach § 101 Abs. 1 S. 1 AFG ist arbeitslos "ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht oder nur eine kurzzeitige
Beschäftigung ausübt".
3. Das (voraussichtlich) Vorübergehende des beschäftigungslosen Zustands zeigt sich grundsätzlich darin, dass der Arbeitnehmer
noch der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht.
4. Die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung kann nicht zugelassen werden, wenn das Berufungsgericht eine Tatsache, die
für die Entscheidung der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage erheblich sein würde, noch nicht festgestellt
hat und damit nur die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht und weiterer Sachverhaltsaufklärung
entscheidungserheblich werden kann.
Gründe:
Mit Urteil vom 21.5.2015 hat das LSG Berlin-Brandenburg einen Anspruch des im November 1964 geborenen Klägers auf Gewährung
von Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab 1.2.2007 und auf Dauer sowie unter Festsetzung eines höheren Rentenwerts
wegen Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten für die Zeit der Arbeitslosigkeit vom 1.1.1990 bis 28.3.1990 sowie der schulischen
Ausbildung ab dem 16. Lebensjahr, ggf nach Zahlung freiwilliger Beiträge und unter Berücksichtigung weiterer Arbeitsausfalltage
verneint.
Für die Durchführung des Beschwerdeverfahrens gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Prozesskostenhilfe
(PKH) unter Beiordnung eines Rechtsanwalts beantragt.
Die Bewilligung von PKH unter Beiordnung eines Rechtsanwalts ist abzulehnen.
Nach §
73a Abs
1 S 1
Sozialgerichtsgesetz (
SGG) iVm §
114 Abs
1 S 1
Zivilprozessordnung (
ZPO) kann einem Beteiligten für das Verfahren vor dem BSG nur dann PKH bewilligt werden, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. Dies ist
hier nicht der Fall.
Gemäß §
160 Abs
2 SGG ist die Revision nur zuzulassen, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (Nr 1), das Urteil des LSG von einer Entscheidung
des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes (GmSOGB) oder des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) abweicht
und auf dieser Abweichung beruht (Nr 2) oder wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen kann (Nr 3).
Es ist nicht erkennbar, dass eine Zulassung der Revision gegen das vom Kläger angegriffene Urteil auf §
160 Abs
2 Nr
1 SGG gestützt werden könnte. Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine
Rechtsfrage aufwirft, die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat. Die Frage muss außerdem klärungsfähig,
dh entscheidungserheblich und klärungsbedürftig sein. Letzteres ist grundsätzlich nicht der Fall, wenn die Antwort darauf
von vornherein praktisch außer Zweifel steht, weil sie sich aus dem Gesetz ergibt oder die Frage bereits höchstrichterlich
entschieden ist (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70). Rechtsfragen, die in diesem Sinn grundsätzliche Bedeutung haben könnten, sind nicht ersichtlich.
Es ist bereits dem Gesetz (vgl § 102 Abs 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI]) zu entnehmen, unter welchen Voraussetzungen
Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit befristet oder unbefristet geleistet werden. Ebenso ergibt sich aus dem Gesetz
(vgl §
101 Abs
1 SGB VI), dass befristete Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht ab Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit - hier
Februar 2007 -, sondern erst ab Beginn des siebten Kalendermonats nach dem Eintritt der Minderung der Erwerbsfähigkeit geleistet
werden.
§
252a Abs
1 S 1 Nr
3 SGB VI bestimmt, dass Anrechnungszeiten im Beitrittsgebiet auch Zeiten nach dem 8.5.1945 sind, in denen Versicherte vor dem 1.3.1990
arbeitslos waren. §
252a SGB VI ergänzt §
58 SGB VI (vgl §
228 SGB VI und BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 4 RA 40/05 R - Juris RdNr 22), dessen Voraussetzungen für die Anerkennung einer Anrechnungszeit mithin ebenfalls vorliegen müssen.
Für die Auslegung des Begriffs der Arbeitslosigkeit in §
58 Abs
1 S 1 Nr
3 SGB VI ist grundsätzlich auf das Recht der Arbeitslosenversicherung zurückzugreifen, wobei auf das Recht abzustellen ist, das während
der Zeit der behaupteten Arbeitslosigkeit galt (vgl BSG SozR 4-2600 § 237 Nr 10 RdNr 14). Dementsprechend ist hier auf die Definition der Arbeitslosigkeit in § 101 Abs 1 S 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) in der bis zum 28.7.1995 geltenden Fassung und § 103 Abs 1 S 1 AFG in der vom 1.1.1989 bis 31.12.1991 geltenden Fassung abzustellen. Nach § 101 Abs 1 S 1 AFG in der genannten Fassung ist arbeitslos "ein Arbeitnehmer, der vorübergehend nicht in einem Beschäftigungsverhältnis steht
oder nur eine kurzzeitige Beschäftigung ausübt". Das (voraussichtlich) Vorübergehende des beschäftigungslosen Zustands zeigt
sich grundsätzlich darin, dass der Arbeitnehmer noch der Arbeitsvermittlung zur Verfügung steht (BSGE 78, 1, 3 = SozR 3-2600 § 58 Nr 5 S 17). Nach § 103 Abs 1 S 1 AFG in der hier maßgeblichen Fassung steht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung, wer eine zumutbare, nach § 168 die Beitragspflicht
begründende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts ausüben kann und darf (Nr 1), bereit
ist, jede zumutbare Beschäftigung anzunehmen, die er ausüben kann und darf (Nr 2 Buchst a), sowie an zumutbaren Maßnahmen
zur beruflichen Ausbildung, Fortbildung und Umschulung, zur Verbesserung der Vermittlungsaussichten sowie zur beruflichen
Rehabilitation teilzunehmen (Nr 2 Buchst b), und das Arbeitsamt täglich aufsuchen kann und für das Arbeitsamt erreichbar ist
(Nr 3). Ob diese Definition der Arbeitslosigkeit hinsichtlich der Anforderungen in § 103 Abs 1 S 1 Nr 3 AFG für das Beitrittsgebiet zu modifizieren ist, weil dort im hier maßgeblichen Zeitraum nach den Feststellungen des LSG Arbeitsämter
nicht existierten, und sich aus einer ggf erforderlichen Modifizierung eine grundsätzliche Rechtsfrage ergeben könnte, kann
indes dahinstehen. Selbst wenn dies der Fall wäre, ergäbe sich insoweit kein Zulassungsgrund iS von §
160 Abs
2 Nr
1 SGG.
Ob eine Rechtsfrage im angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig ist, kann generell nur auf der Grundlage bereits getroffener
Feststellungen beantwortet werden. Dagegen kann die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht zugelassen werden, wenn
das Berufungsgericht eine Tatsache, die für die Entscheidung der mit der Nichtzulassungsbeschwerde angesprochenen Rechtsfrage
erheblich sein würde, noch nicht festgestellt hat und damit nur die Möglichkeit besteht, dass sie nach Zurückverweisung der
Sache an das Berufungsgericht und weiterer Sachverhaltsaufklärung entscheidungserheblich werden kann (BSG vom 10.11.2008 - B 12 R 14/08 B - Juris mwN). Die hier möglicherweise bestehende Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung stellt sich nur dann tragend,
wenn das Berufungsgericht alle erforderlichen tatsächlichen Umstände festgestellt hat, um das Vorliegen sämtlicher Voraussetzungen
von Arbeitslosigkeit bejahen zu können. Dies ist hier nicht der Fall.
Das LSG hat nicht festgestellt, ob der Kläger Anfang 1990 in der Lage war, eine Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen
des allgemeinen Arbeitsmarkts auszuüben und ob er hierzu bereit war.
Auch hinsichtlich der begehrten Festsetzung eines höheren Rentenwerts unter Anerkennung rentenrechtlicher Zeiten bei Nachzahlung
von freiwilligen Beiträgen für den Zeitraum 1.1.1990 bis 28.3.1990 sowie für Zeiten einer schulischen Ausbildung nach dem
vollendeten 16. Lebensjahr und bei Berücksichtigung weiterer Arbeitsausfalltage sind angesichts der gesetzlichen Regelungen
des §
7 Abs
1 S 1, §
55 Abs
1 S 1 und §
197 Abs
2 SGB VI bzw des §
207 Abs
1 und
2 bzw des §
252a Abs
2 SGB VI (vgl auch BSG Urteil vom 18.5.2006 - B 4 RA 40/05 R - Juris) keine Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung erkennbar.
Der Zulassungsgrund der Divergenz (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) könnte ebenfalls nicht mit Erfolg geltend gemacht werden. Divergenz (Abweichung) bedeutet Widerspruch im Rechtssatz oder
- anders ausgedrückt - das Nichtübereinstimmen tragender abstrakter Rechtssätze, die den miteinander zu vergleichenden Entscheidungen
zugrunde gelegt worden sind. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung
von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat (BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Davon kann vorliegend nicht ausgegangen werden.
Ob Verfahrensmängel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG in Gestalt der Entscheidung des LSG über möglicherweise vollständig durch Nachfolgebescheide ersetzte Bescheide sowie der
Entscheidung des Gerichts über den im Berufungsverfahren ergangenen Bescheid vom 21.7.2014 auf Berufung und nicht auf Klage
(vgl BSG SozR 4-5050 § 22 Nr 10 RdNr 15 mwN) vorliegen, bedarf keiner Entscheidung. Diese könnten jedenfalls nicht zur Bejahung der Erfolgsaussichten
im Rahmen des §
73a Abs
1 S 1
SGG iVm §
114 Abs
1 S 1
ZPO führen.
Die hinreichende Erfolgsaussicht ist bei der Bewilligung von PKH für die Nichtzulassungsbeschwerde nicht allein danach zu
beurteilen, ob die Beschwerde Aussicht auf Erfolg hat. Vielmehr ist PKH auch dann zu versagen, wenn der Antragsteller letztlich
nicht erreichen kann, was er mit dem Prozess erreichen will. Die PKH hat nicht den Zweck, Bedürftigen die Durchführung solcher
Verfahren zu ermöglichen, welche im Ergebnis nicht zu ihrem Vorteil ausgehen können und die daher ein vernünftiger Rechtsuchender
nicht auf eigene Kosten führen würde (vgl BSG SozR 4-1500 § 73a Nr 2 RdNr 3).
Selbst wenn das LSG Verfahrensfehler im oben angesprochenen Sinn begangen hätte, würde dies nicht dazu führen, dass der Kläger
eine höhere Rente wegen voller Erwerbsminderung bereits ab 1.2.2007 auf Dauer erhält.
Sonstige Verfahrensmängel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG sind nicht ersichtlich.