Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Rentenrechtliche Feststellung von Zeiten als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz
Fiktiver bundesrechtlicher Anspruch auf Erteilung einer Zusage
Gründe:
I
Der 1952 geborene Kläger, der am 24.6.1988 von der ehemaligen DDR in das Bundesgebiet übersiedelte, begehrt die Feststellung
der Zeit vom 16.8.1975 bis zum 24.6.1988 als Zeit der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz
(AVItech) und der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsverdienste. Mit Beschluss vom 15.1.2019 hat das LSG seine Berufung gegen
das klageabweisende Urteil des SG Koblenz vom 7.3.2017 zurückgewiesen. Dem Kläger sei keine fiktive Versorgungsanwartschaft
zuzuerkennen, weil er das Beitrittsgebiet vor dem maßgeblichen Stichtag, dem 30.6.1990, verlassen habe.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt, mit der er eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG geltend macht.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat keinen Erfolg. Die Beschwerdebegründung genügt den Darlegungsanforderungen des
§
160a Abs
2 Satz 3
SGG nicht. Die Beschwerde ist daher gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 iVm §
169 SGG zu verwerfen.
Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus
aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig
ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen
der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung
erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte)
Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN). Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung des Klägers nicht gerecht.
Der Kläger misst der Frage grundsätzliche Bedeutung bei,
"ob die mit der Regelung des § 1 Abs 1 S 2 AAÜG in Verbindung mit der Rechtsprechung des BSG zur sog. fiktiven Einbeziehung geschaffene Rechtslage die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zum Zusatzversorgungssystem
der Technischen Intelligenz auch solcher nach 1936 geborener Versicherter gebietet, welche von der DDR ausgebürgert wurden
und welche die persönlichen, sachlichen und betrieblichen Voraussetzungen für die Einbeziehung bis zur Ausbürgerung und Ausreise
erfüllten, aber nicht mehr am 30.6.1990."
Damit formuliert der Kläger hinreichend deutlich eine abstrakt-generelle Rechtsfrage. Aus seiner Sicht ist ungeklärt, ob nicht
für die Personen, die vor dem Stichtag 30.6.1990 aus der ehemaligen DDR ausgebürgert wurden, von dem Erfordernis einer Beschäftigung
in einem VEB zum Stichtag als Voraussetzung für den von der Rechtsprechung entwickelten Anspruch auf fiktive Einbeziehung
in ein Zusatzversorgungssystem (vgl BSG vom 9.4.2002 - B 4 RA 3/02 R - SozR 3-8570 § 1 Nr 7 RdNr 32) abzusehen ist.
Die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage hat der Kläger indes nicht hinreichend dargelegt. Es fehlt insoweit an einer substantiierten
Auseinandersetzung mit der einschlägigen Rechtsprechung des BSG sowie des BVerfG. Der Kläger gibt diese Rechtsprechung zwar ausführlich wörtlich wieder, es mangelt aber an einer ausreichenden
Darlegung der Bedeutung der in Bezug genommenen Entscheidungen für die Beantwortung der Rechtsfrage.
Nach ständiger Rechtsprechung des BSG (vgl ua BSG Urteil vom 8.6.2004 - B 4 RA 56/03 R - juris RdNr 16, 17; Senatsurteil vom 20.3.2013 - B 5 RS 3/12 R - juris RdNr 19) hängt der fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer Zusage im Bereich der AVItech nach § 1
der VO-AVItech vom 17.8.1950 (GBl S 844) und § 1 Abs 1 Satz 1 und Abs 2 der Zweiten Durchführungsbestimmung (2. DB) zur VO-AVItech
vom 24.5.1951 (GBl S 487) von drei Voraussetzungen ab, die kumulativ am Stichtag 30.6.1990 vorliegen müssen. Erforderlich
ist (1) die Berechtigung, eine bestimmte Berufsbezeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung), (2) die Ausübung einer entsprechenden
Tätigkeit (sachliche Voraussetzung) und die Ausübung dieser Tätigkeit in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich
der Industrie oder des Bauwesens (§ 1 Abs 1 der 2. DB) oder in einem durch § 1 Abs 2 der 2. DB gleichgestellten Betrieb (betriebliche
Voraussetzung).
Eine (fiktive) Versorgungsanwartschaft bei am 30.6.1990 Nichteinbezogenen besteht danach auch dann, wenn jemand auf Grund
der am 30.6.1990 gegebenen Sachlage einen "Anspruch auf Versorgungszusage" nach den bundesrechtlichen leistungsrechtlichen
Regelungen der Versorgungssysteme gehabt hätte, wenn dieser also am 30.6.1990 kraft Gesetzes Leistungen aus dem Versorgungssystem
hätte beanspruchen können, dh obligatorisch im Sinne einer "gebundenen Verwaltung" und ohne Entscheidung des Versorgungsträgers
in den Kreis der Versorgungsberechtigten hätte einbezogen werden müssen (vgl BSG Urteil vom 8.6.2004 - B 4 RA 56/03 R - juris RdNr 20 mwN). Fehlt es an einer der Voraussetzungen, kommt auch eine fiktive Einbeziehung nicht in Betracht. Nach
der Rechtsprechung des BSG ist es dabei unerheblich, aus welchen Gründen vor dem 30.6.1990 eine der drei Voraussetzungen entfallen ist (vgl BSG Urteil vom 8.6.2004 - B 4 RA 56/03 R - juris RdNr 21: Arbeitslosigkeit; BSG Urteil vom 10.2.2005 - B 4 RA 48/04 R - juris RdNr 29: Ausscheiden aus dem Erwerbsleben wegen Invalidität; BSG Urteil vom 29.7.2004 - B 4 RA 4/04 R - SozR 4-8570 § 1 Nr 4 RdNr 21: Auflösung des Arbeitsverhältnisses zum 31.5.1990; BSG Urteil vom 29.7.2004 - B 4 RA 12/04 R -: Löschung des VEB zum 13.6.1990).
Das BVerfG hat diese Rechtsprechung des BSG gebilligt. Danach ist der Stichtag des 30.6.1990 verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Er knüpft an das In-Kraft-Treten
des Rentenangleichungsgesetzes (RAnglG) am 1.7.1990 an, dessen von Art 20 des Staatsvertrages vorgegebenes Ziel es war, die
Herstellung eines einheitlichen Rentenrechts für beide deutsche Staaten möglichst schnell zu verwirklichen (BVerfG SozR 4-8560
§ 22 Nr 1 RdNr 40) und das in § 22 Abs 1 ein Neueinbeziehungsverbot enthielt. Das BSG war nach der Rechtsprechung des BVerfG durch den Gleichbehandlungsgrundsatz nicht gehalten, die Sonderregelung des § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG auf alle diejenigen zur Anwendung zu bringen, die zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30.6.1990 die Voraussetzungen für einen
fiktiven Anspruch im Sinne der dargestellten höchstrichterlichen Rechtsprechung erfüllten. Dies gilt unbeschadet dessen, dass
die Anwendung des Stichtags 30.6.1990 mit erheblichen Härten verbunden ist (BVerfG aaO RdNr 41). Auf die Umstände, von denen
das Bestehen eines fiktiven Anspruchs am 30.6.1990 abhing, hatten die Betroffenen zwar häufig keinen Einfluss. Bei keinem
dieser Umstände handelte es sich jedoch um der Staatsgewalt der Bundesrepublik Deutschland zurechenbare Rechtsakte oder Vorgänge,
sondern um autonome Entscheidungen der Deutschen Demokratischen Republik, deren versorgungsrechtliche Nachteile die Bundesrepublik
Deutschland nicht auszugleichen hat (BVerfG aaO RdNr 42 mwN).
Warum angesichts dieser Rechtsprechung die Rechtsfrage noch nicht geklärt sein soll, begründet der Kläger nicht ausreichend.
Er macht geltend, Art
3 Abs
1 GG sei hier deshalb verletzt, weil das Nichterfüllen des Stichtagserfordernisses bei den von der DDR Ausgebürgerten auf Gründen
beruhe, die nach der Rechtsprechung des BSG bundesrechtlich nicht anerkannt werden dürften. Gerade im Hinblick auf solche Gründe habe das BSG aber die Figur der fiktiven Einbeziehung entwickelt. Ohne dies näher auszuführen, bezieht sich der Kläger damit auf die Begründung
der Rechtsprechung zur fiktiven Einbeziehung, dass nämlich eine verfassungskonforme Auslegung erforderlich sei, um eine nicht
zu rechtfertigende Ungleichbehandlung innerhalb der Vergleichsgruppe der am 30.6.1990 Nichteinbezogenen zu vermeiden. Nichteinbezogene,
die früher einmal einbezogen gewesen seien, aber nach den Regeln der Versorgungssysteme ausgeschieden seien, seien anders
behandelt worden als am 30.6.1990 Nichteinbezogene, die nach den Regelungen der Versorgungssysteme zwar alle Voraussetzungen
für die Einbeziehung an diesem Stichtag erfüllt hatten, aber im Regelfall aus Gründen, die bundesrechtlich nicht anerkannt
werden dürften (Art
3 Abs
3 GG), nicht einbezogen gewesen seien (BSG Urteil vom 8.6.2004 - B 4 RA 56/03 R - juris RdNr 20). Das BSG hat für die Nichteinbezogenen, die nicht von der Fiktion des Fortbestehens der Anwartschaft nach § 1 Abs 1 Satz 2 AAÜG erfassten werden, aber lediglich die Rechtsfolge der Einbeziehung in das Versorgungssystem fingiert und hierfür zwingend
das Vorliegen der genannten Voraussetzungen am Stichtag gefordert. Ein Absehen von der Stichtagsregelung war für den Personenkreis,
der zu irgendeinem Zeitpunkt vor dem 30.6.1990 die von der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen erfüllte, wie oben
dargelegt, verfassungsrechtlich nicht geboten. Hierauf geht der Kläger nicht näher ein. Er präzisiert auch nicht, welche "nicht
anerkennungswürdigen Gründe" einer Einbeziehung der zuvor Ausgebürgerten zum Stichtag entgegenstanden. Dass sie zu diesem
Zeitpunkt nicht mehr dem Regime der Altersversorgung der DDR unterlagen, beruhte - jedenfalls für den Personenkreis, dem der
Kläger angehörte - darauf, dass es ihnen nach einer entsprechenden Antragstellung schließlich möglich war, aus der DDR auszureisen
und in die Bundesrepublik überzusiedeln. Daher konnte eine willkürliche politische Entscheidung nicht mehr ursächlich für
die Vorenthaltung einer Versorgungsanwartschaft zum Stichtag sein. Selbst wenn aber eine Ausbürgerung aus rein politischen
Motiven durch die ehemalige DDR erfolgte, handelt es sich nicht um Rechtsakte, zu deren Ausgleich die Bundesrepublik Deutschland
verpflichtet wäre (vgl BVerfG SozR 4-8560 § 22 Nr 1 RdNr 42).
Soweit der Kläger meint, es dürfe aus verfassungsrechtlichen Gründen in den Fällen der Ausbürgerung nicht von einer "Neueinbeziehung"
iS des § 22 Abs 1 RAnglG ausgegangen werden, setzt er sich nicht damit auseinander, dass nach der Rechtsprechung als Neueinbeziehung
jede nach dem Stichtag erstmals begründete Anwartschaft anzusehen ist. Im Kern wendet der Kläger sich mit diesem Vortrag wieder
gegen die Stichtagsregelung, ohne insofern eine erneute Klärungsbedürftigkeit hinreichend zu begründen. Er setzt lediglich
seine Auslegung des § 22 Abs 1 RAnglG derjenigen des BSG und des BVerfG entgegen, ohne dies anhand der Rechtsprechung zu Art
3 Abs
1 GG und den seinem Vortrag zugrunde liegenden Sachverhalten näher zu erläutern (zu den Anforderungen an die Begründung bei behaupteter
Verletzung einer Verfassungsnorm vgl BSG Beschluss vom 8.5.2019 - B 5 R 138/18 B - juris RdNr 8). Sein Hinweis, dass sowohl bei dem von der erweiternden Auslegung erfassten Personenkreis als auch bei
den Ausgebürgerten der maßgebliche Sachverhalt vor dem Stichtag liege, geht bereits insofern inhaltlich fehl, als für die
fiktive Einbeziehung die oben genannten Voraussetzungen zum Stichtag vorliegen müssen.
Der Vortrag des Klägers, nach der Rechtsprechung gebiete Art
3 Abs
1 GG nicht, von den Regelungen der Versorgungssysteme sowie den historischen Fakten abzusehen und sie rückwirkend zu Lasten der
heutigen Beitrags- und Steuerzahler auszugleichen, es habe aber erst die erweiternde Auslegung des AAÜG zu einem starken Anstieg der "Zusatzversorgungsfälle" geführt, enthält lediglich ein rechtspolitisches Argument und ist nicht
geeignet, zur näheren Begründung der Klärungsbedürftigkeit beizutragen.
Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG). Der Senat lässt insbesondere offen, ob die Beschwerdebegründung hinreichende Ausführungen zur Klärungsfähigkeit insbesondere
zu den geltend gemachten Besonderheiten in Fällen der Ausbürgerung enthält.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 Abs
1 SGG.