Entschädigungsleistungen nach dem OEG
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Der Kläger begehrt im Wege des Zugunstenverfahrens Entschädigungsleistungen nach dem
Opferentschädigungsgesetz (
OEG) für körperliche und seelische Misshandlungen und sexuellen Missbrauch während seiner Zeit als Fürsorgezögling in verschiedenen
Heimen.
Der 1946 geborene Kläger war in seiner Jugend ua im Alter von 13 bis 18 Jahren (zwischen 1959 und 1964) in verschiedenen Kinder-
und Jugendheimen untergebracht. Er macht geltend, in dieser Zeit vielfach körperlich und seelisch misshandelt sowie sexuell
missbraucht worden zu sein.
Einen im Jahr 2005 gestellten Entschädigungsantrag lehnte der Beklagte ab (Bescheid vom 16.6.2006; Widerspruchsbescheid vom 10.8.2006). Das Klageverfahren blieb erfolglos. In seinem Urteil schloss sich das SG dem gehörten psychiatrischen Sachverständigen an. Dieser hatte die Heimaufenthalte des Klägers nicht als wesentliche Ursache
für dessen seelische Störungen angesehen (Urteil vom 25.4.2007).
Im November 2012 beantragte der Kläger erneut Opferrente nach dem
OEG. Zur Begründung legte er ein neuropsychologisches Privatgutachen des Prof. Dr. M. vom 27.10.2012 vor, das einen Kausalzusammenhang
zwischen den Heimaufenthalten und den Leiden des Klägers bejahte. Der Beklagte lehnte die beantragte Entschädigung wiederum
ab (Bescheid vom 20.12.2012; Widerspruchsbescheid vom 5.4.2013).
Das SG hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen. Keine der beim Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen lasse sich mit hinreichender
Wahrscheinlichkeit auf die vom ihm vorgetragenen körperlichen und sexuellen Gewalterfahrungen während seiner Heimaufenthalte
zurückführen. Nach den Ausführungen des im Verfahren von Amts wegen gehörten Sachverständigen Prof. Dr. T. hätten die vom
Kläger vorgetragenen Gewalterfahrungen während seiner Heimaufenthalte ab April 1959 nicht die entscheidende Traumatisierung
dargestellt. Weitaus schwerer wögen die extreme frühkindliche Vernachlässigung sowie die schwere Gewalt durch den Partner
der Mutter in den Jahren vor dem Heimaufenthalt (Urteil vom 27.10.2015).
Im Berufungsverfahren hat der zuständige Berichterstatter des LSG mit Einwilligung der Beteiligten die Berufung anstelle des
Senats zurückgewiesen (Urteil vom 14.11.2016).
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers hat der Senat das Urteil aufgehoben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung
an das LSG zurückverwiesen. Das Urteil sei gemäß §
136 Abs
1 Nr
6 SGG nicht mit ausreichenden Entscheidungsgründen versehen; es teile weder das Ergebnis der in der Berufungsinstanz durchgeführten
Beweisaufnahme noch die anschließende Beweiswürdigung nachvollziehbar mit.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 10.1.2020 hat das LSG erneut durch den Berichterstatter anstelle des Senats die Berufung
nach mündlicher Verhandlung als unbegründet zurückgewiesen. Selbst wenn man die Gesamtheit aller körperlichen Züchtigungen
und Misshandlungen als Taten im Sinne des §
1 OEG werten würde, stehe aufgrund der überzeugenden Ausführungen der ärztlichen Sachverständigen Dr. G. und Prof. Dr. T. fest,
dass die heute feststellbaren Erkrankungen des Klägers auf anderen Ursachen beruhten.
Der Kläger hat am 13.5.2020 einen Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) gestellt, den er in der Sache nicht näher begründet
hat.
II
Der PKH-Antrag des Klägers ist unbegründet. PKH ist nur zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende
Aussicht auf Erfolg bietet (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
114 Abs
1 Satz 1
ZPO). Daran fehlt es hier. Es ist nicht zu erkennen, dass ein zugelassener Prozessbevollmächtigter (§
73 Abs
4 SGG) in der Lage wäre, die von dem Kläger angestrebte Nichtzulassungsbeschwerde erfolgreich zu begründen.
Hinreichende Erfolgsaussicht hätte die Nichtzulassungsbeschwerde nur, wenn einer der in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe mit Erfolg geltend gemacht werden könnte. Die Revision darf danach zugelassen
werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG), das Urteil von einer Entscheidung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abweicht und auf dieser Abweichung beruht (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen kann (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Nach Durchsicht der Akten fehlen - auch unter Würdigung des Vorbringens des Klägers - Anhaltspunkte dafür, dass er einen
der in §
160 Abs
2 Nr
1 bis
3 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe darlegen könnte. Die Sache bietet keine Hinweise für eine über den Einzelfall
des Klägers hinausgehende, entscheidungserhebliche Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 SGG). Auch ist nicht ersichtlich, dass das LSG entscheidungstragend von der Rechtsprechung des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG abgewichen sein könnte (Zulassungsgrund gemäß §
160 Abs
2 Nr
2 SGG).
Selbst wenn das LSG dabei im Einzelfall die gesetzlichen Vorgaben unzutreffend angewendet hätte, könnte dies nicht mit Erfolg
als Revisionszulassungsgrund gerügt werden; die inhaltliche Richtigkeit der Entscheidung des LSG im Einzelfall ist nicht Gegenstand
der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl hierzu Senatsbeschluss vom 21.12.2017 - B 9 V 46/17 B - juris RdNr 8).
Schließlich fehlt ein ausreichender Anhalt dafür, dass der Kläger einen die Revisionszulassung rechtfertigenden Verfahrensfehler
des LSG bezeichnen könnte (Zulassungsgrund des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG). Nach §
160 Abs
2 Nr
3 SGG ist die Revision zuzulassen, wenn ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen
kann; der Verfahrensmangel kann nicht auf eine Verletzung von §
109 SGG und §
128 Abs
1 Satz 1
SGG (Grundsatz der freien richterlichen Beweiswürdigung) und auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungsgrundsatz) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist. Solche für eine Nichtzulassungsbeschwerde relevanten Verfahrensmängel hat der Kläger nicht benannt;
sie sind auch nach Durchsicht der Akten nicht ersichtlich.
Das LSG durfte zumindest schon deshalb erneut durch den Berichterstatter anstelle des Senats entscheiden, weil die Beteiligten
ihre nach §
155 Abs
3 und Abs
4 SGG erforderliche Zustimmung im wieder eröffneten Berufungsverfahren ausdrücklich wiederholt haben. Dahinstehen kann daher, ob
eine Aufhebung und Zurückverweisung wegen eines Verfahrensfehlers, wie im vorliegenden Fall, überhaupt die Wirksamkeit der
zuvor erteilten Zustimmung berühren kann.
Ebenso wenig ersichtlich ist ein Beweisantrag des Klägers, den dieser an das LSG bis zum Ende der mündlichen Verhandlung gerichtet
haben könnte. Zwar hat der Kläger im Laufe des wiedereröffneten Berufungsverfahrens verschiedene Zeugen für die von ihm behaupteten
Misshandlungen in seiner Kindheit und Jugend benannt. Jedenfalls in der maßgeblichen mündlichen Berufungsverhandlung hat sein
Prozessvertreter aber ausweislich des Protokolls keinen Beweisantrag gestellt oder aufrechterhalten (vgl zu dieser Voraussetzung Senatsbeschluss vom 22.1.2020 - B 9 SB 46/19 B - juris RdNr 9 mwN), sondern nur einen Sachantrag gestellt.
Das LSG hat sein erneutes Urteil mit Gründen versehen; insbesondere hat es die vorliegenden medizinischen Beweise und den
Vortrag des Klägers ausführlich gewürdigt (vgl §
136 Abs
1 Nr
6 SGG). Sollte der Kläger es in diesem Zusammenhang für fehlerhaft halten, dass das LSG die von ihm erlittenen Misshandlungen und
Gewalterfahrungen während seiner Heimaufenthalte weiterhin nicht als ursächlich für seine heutigen Erkrankungen ansieht, würde
er sich gegen die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts wenden; diese entzieht §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG indes vollständig der Beurteilung durch das Revisionsgericht. Kraft der darin enthaltenen ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung
kann die Beweiswürdigung des Berufungsgerichts mit der Nichtzulassungsbeschwerde weder unmittelbar noch mittelbar angegriffen
werden (Senatsbeschluss vom 8.5.2017 - B 9 V 78/16 B - juris RdNr 15 mwN).
Kein Verfahrensfehler ersichtlich ist schließlich im Zusammenhang mit der Ablehnung von PKH durch das LSG, obwohl diese erst
mehr als zwei Monate nach dem Urteilsspruch in der Hauptsache erfolgt ist. Zwar verpflichtet der Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit
für bemittelte und unbemittelte Kläger aus Art
3 Abs
1 iVm Art
20 Abs
3 GG die Gerichte in der Regel, über Anträge auf Prozesskostenhilfe zügig zu entscheiden, sobald Entscheidungsreife vorliegt (vgl LSG Berlin- Brandenburg Beschluss vom 20.8.2019 - L 9 KR 279/19 B PKH - juris RdNr 8). Andernfalls kann PKH rückwirkend ab dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife gewährt werden, falls der Antragsteller mit seinem
Antrag alles für die Bewilligung der PKH Erforderliche getan hat (vgl BVerwG Beschluss vom 3.3.1998 - 1 PKH 3/98 - juris RdNr 2). Erledigt sich das Verfahren, bevor das Gericht über den PKH-Antrag entschieden hat, bleibt maßgeblicher Zeitpunkt für die
Prüfung der Erfolgsaussicht der Zeitpunkt der Bewilligungsreife (BVerfG <Kammer> Beschluss vom 16.4.2019 - 1 BvR 2111/17 - juris RdNr
25). Es kann Art
3 Abs
1 in Verbindung mit Art
20 Abs
3 GG verletzen, wenn ein Gericht PKH wegen fehlender Erfolgsaussichten erst ablehnt, nachdem und weil es inzwischen die Hauptsache
zu Lasten des Klägers entschieden hat (BVerfG Stattgebender Kammerbeschluss vom 26.6.2003 - 1 BvR 1152/02 - juris RdNr 11). Die rechtswidrige Vorenthaltung ordnungsgemäß beantragter PKH kann zudem den Anspruch auf rechtliches Gehör aus §
62 SGG, Art
103 GG verletzen, wenn sie eine sachgerechte Prozessführung und insbesondere die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verhindert
(BSG Beschluss vom 4.12.2007 - B 2 U 165/06 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 9 - juris RdNr 10 mwN).
Trotz dieser verfassungsrechtlichen Vorgaben ist hier aber kein Verfahrensfehler ersichtlich. Denn der Kläger hat die erforderlichen
Antragsformulare erst im Termin zur mündlichen Verhandlung überreicht (vgl §
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
117 Abs
2 und
4 ZPO iVm der PKH-Formularverordnung vom 6.1.2014, BGBl I 34). Aus Sicht des LSG für die PKH-Prüfung weitere erforderliche Angaben ist er auch danach schuldig geblieben. Deshalb ist die
späte PKH-Entscheidung des LSG erst zwei Monate nach Urteilsspruch hinnehmbar. Der Zeitpunkt der Entscheidung über den unvollständigen
PKH-Antrag verletzt jedenfalls weder das Recht des Klägers auf prozessuale Gleichbehandlung aus Art
3 Abs
1 iVm Art
20 Abs
3 GG noch seinen Anspruch auf rechtliches Gehör aus §
62 SGG, Art
103 GG, zumal er an der mündlichen Berufungsverhandlung teilgenommen hat und dort anwaltlich vertreten war (vgl BSG Beschluss vom 4.12.2007 - B 2 U 165/06 B - SozR 4-1500 § 62 Nr 9 - juris RdNr 10 mwN).
Da dem Kläger insgesamt keine PKH zusteht, kann er auch nicht die Beiordnung eines Rechtsanwalts beanspruchen (§
73a Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
121 Abs
1 ZPO).