Entschädigung wegen überlanger Dauer eines Gerichtsverfahrens
Grundsatzrüge
Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage
Darlegung der Entscheidungserheblichkeit
1. Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie gerade für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist; dies setzt
voraus, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt
und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen.
2. Kann mangels entsprechenden Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass der geltend gemachte Anspruch unabhängig vom Ergebnis
der angestrebten rechtlichen Klärung womöglich am Fehlen einer weiteren, bisher unbeachtet gebliebenen Anspruchsvoraussetzung
scheitern müsste, fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und damit der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen
Rechtsfrage.
3. Ein Beschwerdeführer hat daher den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des
angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darzulegen, der die Entscheidung der als grundsätzlich bezeichneten
Rechtsfrage notwendig macht.
Gründe:
I
Das LSG Niedersachsen-Bremen hat mit Urteil vom 27.4.2017 einen Anspruch der Kläger auf Zahlung einer Entschädigung in Höhe
von jeweils 900 Euro wegen überlanger Dauer des vor dem SG Oldenburg zum Az S 43 AS 821/12 geführten Ausgangsverfahrens verneint. Die Entschädigungsklage wegen der überlangen Dauer sei unbegründet, weil den im laufenden
Bezug von Leistungen nach dem SGB II stehenden Klägern bereits die Aktivlegitimation fehle. Zwar sei das Ausgangsverfahren hinsichtlich der Übernahme von Kreditzinsen
als Aufwendungen für die Unterkunft vier Monate überlang gewesen. Die Kläger seien aber nicht mehr selbst Inhaber eines etwaigen,
auf §
198 Abs
1 iVm Abs
2 S 1 und 3
GVG beruhenden Entschädigungsanspruchs gewesen, weil dieser nach § 33 Abs 1 S 1 SGB II auf den SGB II-Träger übergegangen sei. Denn dieser habe den Klägern im Entschädigungszeitraum laufende unterhaltssichernde Leistungen in
erheblichem Umfange gewährt und bei der begehrten Entschädigung handele es sich um Einkommen iS von § 11 Abs 1 SGB II. Damit hätte der SGB II-Träger im Falle einer rechtzeitigen Entschädigungszahlung des Beklagten unterhaltssichernde Leistungen nach dem SGB II nicht erbringen müssen. Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil haben die Kläger beim BSG Beschwerde eingelegt, die sie mit dem Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) begründen.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger ist unzulässig. Ihre Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen (§
160a Abs
2 S 3
SGG). Keiner der in §
160 Abs
2 SGG abschließend aufgeführten Zulassungsgründe ist ordnungsgemäß dargetan worden.
Grundsätzliche Bedeutung iS des §
160 Abs
2 Nr
1 SGG hat eine Rechtssache nur dann, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die - über den Einzelfall hinaus - aus Gründen der Rechtseinheit
oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Ein Beschwerdeführer muss
daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und des Schrifttums
angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit
oder Rechtsfortbildung erforderlich ist, und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um seiner
Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre
(abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung
der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
Die Kläger halten die Fragen für Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung, "ob der Entschädigungsanspruch nach §
198 GVG Einkommen im Sinne des § 11 SGB II darstellt" und "ob der Anspruch nach §
198 GVG im Falle des Bezuges von Leistungen nach dem SGB II nach Maßgabe des § 33 SGB II auf den Träger der Grundsicherung für Arbeitsuchende übergeht."
Zwar handelt es sich bei diesen aufgeworfenen Fragen um Rechtsfragen, die auf die Auslegung von gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen
abzielen. Allerdings haben die Kläger bereits die Klärungsfähigkeit und Entscheidungserheblichkeit ihrer Fragen nicht dargetan.
Klärungsfähig ist eine Rechtsfrage nur dann, wenn sie gerade für den zu entscheidenden Fall rechtserheblich ist. Dies setzt
voraus, dass es für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits auf die Beantwortung der aufgeworfenen Rechtsfrage ankommt
und die Entscheidung bei Zugrundelegung der Rechtsauffassung des Beschwerdeführers in seinem Sinne hätte ausfallen müssen.
Kann mangels entsprechenden Vortrags nicht ausgeschlossen werden, dass der geltend gemachte Anspruch unabhängig vom Ergebnis
der angestrebten rechtlichen Klärung womöglich am Fehlen einer weiteren, bisher unbeachtet gebliebenen Anspruchsvoraussetzung
scheitern müsste, fehlt es an der Darlegung der Entscheidungserheblichkeit und damit der Klärungsfähigkeit der aufgeworfenen
Rechtsfrage (BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 5 RdNr 3 mwN). Ein Beschwerdeführer hat daher den nach seiner Auffassung vom Revisionsgericht einzuschlagenden Weg der
Nachprüfung des angefochtenen Urteils und dabei insbesondere den Schritt darzulegen, der die Entscheidung der als grundsätzlich
bezeichneten Rechtsfrage notwendig macht (BSG SozR 1500 § 160a Nr 31). Hierzu enthält die Beschwerdebegründung keine ausreichenden Ausführungen. Die Kläger legen weder den zugrunde liegenden
Sachverhalt noch den vom Revisionsgerichts einzuschlagenden Weg der Nachprüfung des angefochtenen Urteils dar. Hiermit einhergehend
fehlt es auch an der Darlegung der Klärungsbedürftigkeit. Hierzu hätte es der Darstellung bedurft, inwiefern die angedeutete
Frage höchstrichterlich noch nicht entschieden ist (BSG SozR 1500 § 160 Nr 51 und § 160a Nr 13 und 65) und sich für eine Antwort auf die Frage nicht bereits ausreichende Anhaltspunkte in bereits vorliegenden Entscheidungen
ergeben (BSG SozR 3-1500 § 146 Nr 2 und §
160 Nr 8). Insofern hätten sich die Kläger insbesondere auch mit der Vorschrift des §
198 GVG sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung des BSG auseinandersetzen müssen (vgl insbesondere BSG Urteil vom 12.2.2015 - B 10 ÜG 1/13 R - BSGE 118, 91 = SozR 4-1720 § 198 Nr 7, RdNr 35 ff). Gleiches gilt auch für die Vorschriften der §§ 11 und 33 SGB II entsprechend den umfangreichen Ausführungen des LSG in dessen angefochtener Entscheidung (vgl S 7 bis 13 des Urteils). Soweit
die Beschwerdebegründung sich die Auffassung des Berufungsurteils zu eigen macht, möglicherweise sei der Gesetzgeber gefordert,
richtet sich dieses Anliegen ohnehin nicht an die höchstrichterliche Rechtsprechung.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat daher ab (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
Die Beschwerde ist somit ohne Hinzuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2, §
169 SGG).
Die Streitwertentscheidung folgt aus §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm § 52 Abs 3 GKG, weil die Kläger in der genannten Höhe durch das LSG-Urteil beschwert sind.