Bemessung des Elterngeldes bei nachträglich abgerechnetem Erwerbseinkommen
Gründe:
I
Streitig ist die Höhe des Elterngeldes der Klägerin.
Die Klägerin war seit 2001 als Physiotherapeutin in einer Praxis beschäftigt. Ihr Arbeitsvertrag sah kein festes Monatsgehalt,
sondern ein leistungsbezogenes Arbeitsentgelt in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes der Vergütung vor, die ihr Arbeitgeber
mit den jeweiligen Leistungsträgern abgerechnet hatte. Im Falle der Arbeitsunfähigkeit bestimmte sich das Gehalt nach dem
Durchschnittsverdienst der letzten drei voll abgerechneten Monate.
Ab Juli 2006 zahlte der Arbeitgeber das Arbeitsentgelt (einschließlich Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall) nicht in der
vereinbarten Höhe. Vom 26.10.2006 bis 21.1.2007 war die Klägerin wegen schwangerschaftsbedingter Gesundheitsstörungen arbeitsunfähig.
Sie bezog vom 7.12.2006 bis 21.1.2007 Krankengeld. Am 22.1.2007 gebar sie ihren Sohn J.. Vom 22.1. bis 28.5.2007 bezog sie
Mutterschaftsgeld in Höhe von kalendertäglich 13 Euro zuzüglich eines Zuschusses des Arbeitgebers.
Am 17.4.2007 beantragte die Klägerin Elterngeld für den 1. bis 12. Lebensmonat von J.. Sie legte Verdienstbescheinigungen
ihres Arbeitgebers für die Monate Dezember 2005 bis November 2006 vor. Auf dieser Grundlage, die ein durchschnittliches Monatsnettoentgelt
von 1350,44 Euro ergab, bewilligte das Versorgungsamt Aachen Elterngeld für den beantragten Zeitraum in Höhe von monatlich
904,79 Euro, wobei für die Zeit bis zum 28.5.2007 das Mutterschaftsgeld nebst Zuschuss angerechnet wurde (Bescheid vom 15.5.2007).
Mit ihrem Widerspruch machte die Klägerin geltend, für die Zeit von Juli bis November 2006 sei weiteres Arbeitsentgelt zu
berücksichtigen, das sie gegenwärtig beim Arbeitsgericht einklage. Die Bezirksregierung Münster wies diesen Widerspruch unter
Bezugnahme auf die vorliegenden Gehaltsabrechnungen des Arbeitgebers zurück (Widerspruchsbescheid vom 18.9.2007).
Während des anschließenden Klageverfahrens vor dem Sozialgericht Aachen (SG) endete der arbeitsgerichtliche Rechtsstreit der Klägerin durch einen Vergleich. Darin verpflichtete sich der Arbeitgeber
zu einer Nachzahlung von Arbeitsentgelt für das Jahr 2006 in Höhe von 4766 Euro brutto. Dieser Betrag wurde von dem Arbeitgeber
mit Gehaltsbescheinigungen vom 20.2.2008 für die Monate Juli bis November 2006 abgerechnet. Das SG hat der danach auf Gewährung weiteren Elterngeldes in Höhe von 1634,29 Euro gerichteten Klage stattgegeben (Urteil vom 16.12.2008).
Dabei hat es das von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) in anderen Sozialleistungsbereichen entwickelte modifizierte
Zuflussprinzip zu Grunde gelegt, wonach zunächst vorenthaltenes Arbeitsentgelt zu berücksichtigen ist, das vom Arbeitgeber
nachträglich für den Bemessungszeitraum gezahlt worden ist.
Auf die Berufung des inzwischen beklagten Kreises Aachen hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen (LSG) die erstinstanzliche
Entscheidung aufgehoben und die Klage abgewiesen (Urteil vom 26.8.2009). Es hat seine Entscheidung im Wesentlichen auf folgende
Erwägungen gestützt: Das bei der Berechnung des Elterngeldes zu berücksichtigende Einkommen werde nur dann im Bemessungszeitraum
erzielt, wenn es in dieser Zeit auch tatsächlich zugeflossen sei. Daher scheide eine Berücksichtigung des nachträglich für
Juli bis November 2006 abgerechneten und erst im Jahre 2008 ausgezahlten Erwerbseinkommens aus. Während der Wortlaut des Gesetzes
eine Interpretation in beide Richtungen zulasse, gäben sowohl die Entstehungsgeschichte als auch systematische Erwägungen
den Ausschlag für dieses Auslegungsergebnis.
Gegen diese Entscheidung hat die Klägerin beim BSG Revision eingelegt. Ihre Klage hat sie auf Zahlung eines weiteren Betrages
von 1348,05 Euro beschränkt. Sie rügt eine Verletzung des § 2 Abs 1 Satz 1 Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz (BEEG) und
hält mit ausführlicher Begründung die Rechtsauffassung des SG für zutreffend. Die Argumente des LSG verfingen dagegen nicht.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des Landessozialgerichts Nordhrein-Westfalen vom 26. August 2009 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen
das Urteil des Sozialgerichts Aachen vom 16. Dezember 2008 zurückzuweisen, soweit ihr weiteres Elterngeld in Höhe von 1348,05
Euro zugesprochen ist.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Er ist zusammenfassend der Ansicht, dass eine Berücksichtigung der Gehaltsnachzahlung sowohl an dem Umstand scheitere, dass
diese nach Ablauf des Bemessungszeitraumes abgerechnet worden sei, als auch an ihrer Qualifizierung als sonstiger Bezug iS
des § 2 Abs 7 Satz 2 BEEG.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (§
124 Abs
2 SGG).
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und begründet. Die von der Klägerin auf Hinweis des Senats auf die Zahlung eines weiteren
Betrages von 1348,05 Euro beschränkte Klage (Anfechtungs- und Leistungsklage gemäß §
54 Abs
4 SGG) ist zulässig und begründet. Ihr ist - wie das SG im Grunde zutreffend entschieden hat - in diesem Umfang stattzugeben.
Im Laufe des Gerichtsverfahrens sind auf der Beklagtenseite kraft Gesetzes zwei Beteiligtenwechsel erfolgt (vgl dazu BSG SozR
4-1500 § 57 Nr 2 RdNr 4; BSGE 99, 9 = SozR 4-3250 § 69 Nr 6, RdNr 13 f). Zunächst ist zum 1.1.2008 der Kreis Aachen an die Stelle des Landes Nordrhein-Westfalen
getreten, weil ihm von diesem Zeitpunkt an die bis dahin von den Versorgungsämtern wahrgenommenen Aufgaben nach dem BEEG übertragen
worden sind (§ 5 Abs 1 Gesetz zur Eingliederung der Versorgungsämter in die allgemeine Verwaltung des Landes NRW = Art 1 Zweites
Gesetz zur Straffung der Behördenstruktur in NRW vom 30.10.2007, GVBl NRW 482; vgl dazu BSG SozR 4-7837 § 2 Nr 3 RdNr 13 ff).
Durch § 1 Abs 1 Städteregion Aachen Gesetz vom 26.2.2008 (GVBl NRW 162) ist der Kreis Aachen mit Ablauf des 20.10.2009 aufgelöst
worden. Rechtsnachfolgerin ist die Städteregion Aachen (§ 2 Abs 1 Städteregion Aachen Gesetz).
Die Klage richtet sich jetzt zutreffend gegen den Städteregionsrat der Städteregion Aachen (§
3 Abs 2 Städteregion Aachen Gesetz), denn dieser ist als Behörde nach §
70 Nr
3 SGG iVm §
3 Gesetz zur Ausführung des
SGG im Lande NRW (AG-
SGG NRW) fähig, am sozialgerichtlichen Verfahren beteiligt zu sein (vgl dazu auch BSG SozR 4-1500 § 51 Nr 4 RdNr 31). Er kann
deshalb selbst verklagt werden. Ob die Auffassung des 8. Senats des BSG (s Urteil vom 29.9.2009 - B 8 SO 19/08 R - RdNr 14,
zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen) zutrifft, dass eine Klage in diesem Fall zwingend gegen die Behörde und nicht gegen
den Rechtsträger zu richten ist, braucht hier nicht entschieden zu werden (zur Gegenansicht vgl BSG Urteil vom 23.4.2009 -
B 9 SB 3/08 R - RdNr 21; s auch Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer,
SGG, 9. Aufl 2008, §
70 RdNr 4). Denn die Klägerin hat auf Anregung des Senatsvorsitzenden ihre Klage im Revisionsverfahren - klarstellend - gegen
den Städteregionsrat gerichtet.
Der Beklagte ist zur Führung des vorliegenden Prozesses befugt. Auch im sozialgerichtlichen Verfahren ist zwischen der Beteiligtenfähigkeit
und der Prozessführungsbefugnis zu unterscheiden. Die Prozessführungsbefugnis ist das Recht, einen Prozess als richtige Partei
im eigenen Namen zu führen (vgl Vollkommer in Zöller,
ZPO, 28. Aufl 2010, vor §
50 RdNr 18), also als richtiger Kläger zu klagen (aktive Prozessführungsbefugnis vgl Kopp/Schenke,
VwGO, 16. Aufl 2009, vor §
40 RdNr 23) oder als richtiger Beklagter verklagt zu werden (passive Prozessführungsbefugnis vgl Kopp/Schenke, aaO, § 78 RdNr
1). Die Prozessführungsbefugnis ist entgegen einer in der Literatur jüngst geäußerten Auffassung (Strassfeld, SGb 2010, 520) unproblematisch, wenn die nach §
70 Nr 3
SGG beteiligtenfähige Behörde eines Rechtsträgers an dessen Stelle verklagt wird und sich gegen Ansprüche der Klägerseite verteidigt.
Denn es entspricht der Funktion einer durch organisationsrechtliche Rechtssätze gebildeten Behörde, im Rahmen ihrer Zuständigkeit
für den Staat oder einen anderen Träger der öffentlichen Verwaltung dessen Aufgaben nach außen selbstständig wahrzunehmen
(vgl § 1 Abs 2 SGB X; hierzu Roos in von Wulffen, SGB X, 7. Aufl 2010, § 1 RdNr 9; hierzu auch § 1 Abs 4 VwVfG; Schmitz in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 7. Aufl 2008 § 1 RdNr 241 mwN). Sie wird demnach - soweit sie beteiligtenfähig ist - auch in einem Rechtsstreit im eigenen Namen für den Träger der
öffentlichen Verwaltung tätig.
Der Anspruch der Klägerin auf Elterngeld für ihren am 22.1.2007 geborenen Sohn ergibt sich zunächst dem Grunde nach aus §
1 BEEG idF vom 5.12.2006 (BGBl I 2748; die Änderung des Abs 7 durch das Gesetz vom 19.8.2007, BGBl I 1970, ist hier unbeachtlich).
Danach hat Anspruch auf Elterngeld, wer
1. seinen Wohnsitz oder seinen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland hat,
2. mit seinem Kind in einem Haushalt lebt,
3. dieses Kind selbst betreut und erzieht und
4. keine oder keine volle Erwerbstätigkeit ausübt.
Zu diesen Tatbestandsmerkmalen haben die Vorinstanzen keine Feststellungen getroffen. Da der Beklagte das Vorliegen dieser
Voraussetzungen bei Erteilung seines Bescheides vom 15.5.2007 angenommen hat und sich aus den vom LSG in Bezug genommenen
Verwaltungsakten keine Anhaltspunkte für irgendwelche Zweifel daran ergeben, legt der Senat einen entsprechenden Sachverhalt
seiner Entscheidung zugrunde. Danach hat die Klägerin dem Grunde nach Anspruch auf Elterngeld, zumal auch ein ordnungsgemäßer
Antrag (vgl § 7 BEEG) vorliegt.
Die Höhe des Elterngeldes richtet sich nach § 2 BEEG (ebenfalls idF vom 5.12.2006). Abs 1 Satz 1 dieser Vorschrift sieht vor,
dass Elterngeld in Höhe von 67 % des in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt des Kindes durchschnittlich "erzielten"
monatlichen Einkommens aus Erwerbstätigkeit bis zu einem Höchstbetrag von 1800 Euro monatlich für volle Monate gezahlt wird,
in denen die berechtigte Person kein Einkommen aus Erwerbstätigkeit erzielt.
Der danach maßgebende Bemessungszeitraum von zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt (am 22.1.2007) erstreckt sich
hier zunächst von Januar bis Dezember 2006. Da die Klägerin ab 7.12.2006 wegen einer schwangerschaftsbedingten Erkrankung
Krankengeld bezogen, also kein Arbeitsentgelt erhalten hat, ist der Monat Dezember gemäß § 2 Abs 7 Satz 7 iVm Satz 6 BEEG
bei der Bestimmung des Bemessungszeitraumes unberücksichtigt zu lassen. Dieser Zeitraum verschiebt sich dementsprechend um
einen Monat in die Vergangenheit, umfasst also die Zeit von Dezember 2005 bis November 2006.
Bei der Bemessung des Elterngeldes ist als Einkommen aus Erwerbstätigkeit die Summe der positiven Einkünfte aus Land- und
Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb, selbstständiger Arbeit und nichtselbstständiger Arbeit iS von §
2 Abs
1 Satz 1 Nr
1 bis 4 Einkommenssteuergesetz (
EStG) nach Maßgabe des §
2 Abs
7 bis
9 BEEG zu berücksichtigen (§
2 Abs 1 Satz 2 BEEG). Da bei der Klägerin nur Arbeitsentgelt in Betracht kommt, ist hier § 2 Abs 7 BEEG maßgebend. Nach Satz
1 dieser Vorschrift ist als Einkommen aus nichtselbstständiger Arbeit der um die auf dieses Einkommen entfallenden Steuern
und die aufgrund dieser Erwerbstätigkeit geleisteten Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung in Höhe des gesetzlichen Anteils
der beschäftigten Person einschließlich der Beiträge zur Arbeitsförderung verminderte Überschuss der Einnahmen in Geld oder
Geldeswert über die mit 1/12 des Pauschbetrags nach §
9a Abs
1 Satz 1 Nr
1 Buchst a
EStG anzusetzenden Werbungskosten zu berücksichtigen.
Dazu bestimmt § 2 Abs 7 Satz 4 BEEG, dass Grundlage der Einkommensermittlung die entsprechenden monatlichen Lohn- und Gehaltsbescheinigungen
des Arbeitgebers sind. Diese Regelung soll lediglich der Erleichterung der Sachverhaltsaufklärung dienen, sie begründet jedoch
keine rechtliche Bindung an die Feststellungen des Arbeitgebers (vgl BSG Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 3/09 R - RdNr 27, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR 4-7837 § 2 Nr 4 vorgesehen).
Der Art nach gehört zum Einkommen aus Erwerbstätigkeit iS des § 2 Abs 7 Satz 1 BEEG sicher das der Klägerin laufend gezahlte
Arbeitsentgelt. Auch eine Gehaltsnachzahlung ist insoweit als solche nicht ausgeschlossen. Insbesondere handelt es sich dabei
nicht um einen sonstigen Bezug iS von §
38a Abs
1 Satz 3
EStG. In dieser Vorschrift werden sonstige Bezüge als Arbeitslohn definiert, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird.
Insoweit wird bei dem Begriff des laufenden Arbeitslohnes ein rein zeitliches Verständnis zu Grunde gelegt (vgl dazu BSG aaO
RdNr 30 f). Eine Gehaltsnachzahlung, die - wie hier - Arbeitsentgelt für zurückliegende Monate enthält, weist insoweit eine
Besonderheit auf, als sie laufenden Arbeitslohn (monatliches Gehalt) betrifft, aber in einem Betrag gezahlt wird. Sie wird
von R 115 Abs 2 Nr 8 Satz 2 Lohnsteuer-Richtlinien 2007 (LStH 2007) (nur) dann als sonstiger Bezug bezeichnet, wenn Arbeitslohn für die Lohnabrechnungszeiträume des abgelaufenen
Kalenderjahres später als drei Wochen nach Ablauf des Jahres zufließt (vgl dazu auch Ziff 2.7.1 Richtlinien des Bundesministeriums
für Familie, Senioren, Frauen und Jugend zum BEEG). Diese am Jahresprinzip des §
2 Abs
2 EStG orientierte lohnsteuerrechtliche Ableitung ist - wie das BSG bereits entschieden hat (aaO RdNr
37) - nicht im Rahmen des § 2 Abs 7 Satz 2 BEEG zu übernehmen. Dementsprechend ist auch die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH), wonach Lohnnachzahlungen, die ein Arbeitnehmer für frühere Jahre erhält, als sonstiger Bezug im Jahr der Nachzahlung
zu erfassen sind (vgl BFH Beschluss vom 29.5.1998, BFH/NV 1998, 1477), hier nicht einschlägig.
Nach § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG ist bei der Bemessung des Elterngeldes (nur) das in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der
Geburt des Kindes durchschnittlich "erzielte" monatliche Einkommen zu berücksichtigen. Dazu gehört zunächst das für die Monate
Dezember 2005 bis November 2006 gezahlte laufende Arbeitsentgelt der Klägerin. Dabei ist unerheblich, dass dieses nach der
Vergütung berechnet wurde, die der Arbeitgeber der Klägerin von den jeweiligen Leistungsträgern erhielt. Die Höhe des monatlichen
Arbeitsentgeltes der Klägerin beruhte damit allerdings praktisch (auch) auf einer Arbeitsleistung der Klägerin, die einige
Zeit zuvor erbracht worden war (vgl dazu allgemein auch BSG Urteil vom 3.12.2009 - B 10 EG 3/09 R - aaO RdNr 34). Dieser Umstand ändert nichts daran, dass das Arbeitsentgelt in dem Monat erzielt worden ist, für den es gezahlt
wurde. Denn es handelt sich dabei lediglich um eine arbeitsvertraglich geregelte Berechnungsweise des für den betreffenden
Monat geschuldeten Arbeitsentgelts. Dieses wurde für die in dem jeweiligen Monat geleisteten Arbeitsstunden gezahlt, nur die
Höhe des Entgeltes richtete sich nach der für zuvor erbrachte Leistungen abgerechneten Vergütung der Leistungsträger.
Entgegen der Auffassung des LSG stimmt der erkennende Senat mit dem SG darin überein, dass auch die Gehaltsnachzahlung in Höhe von 4766 Euro, die die Klägerin im Jahre 2008 für die Zeit von Juli
bis November 2006 erhalten hat, als iS des § 2 Abs 1 und 7 BEEG erzieltes Einkommen zu berücksichtigen ist.
Vorab ist der gesetzlichen Regelung zu entnehmen, dass nur tatsächlich zugeflossenes Einkommen berücksichtigungsfähig ist.
Bloße Entgeltansprüche reichen also nicht. Dies folgt bereits aus §
2 Abs
1 Satz 2 BEEG, wonach auf bestimmte Einkünfte iS des
EStG abgestellt wird. Davon sind auch beide Vorinstanzen ausgegangen. Während das SG das vom BSG in anderen Sozialleistungsbereichen entwickelte modifizierte Zuflussprinzip (vgl dazu BSGE 76, 162, 167 = SozR 3-4100 § 112 Nr 22 - dort als kombinierte Anspruchs- und Zuflusstheorie bezeichnet; BSGE 78, 109 = SozR 3-1300 § 48 Nr 48; BSG SozR 4-2500 § 47 Nr 2) angewendet hat (ebenso im Ergebnis Hessisches LSG Urteil vom 3.3.2010
- L 6 EG 16/09 - Revision anhängig unter B 10 EG 5/10 R; vgl auch Dau SGb 2009, 261, 264; Oyda, NZS 2010, 194, 196 f), hält das LSG ein enges (strenges) Zuflussprinzip für angebracht (vgl dazu Dau, juris-PR SozR 10/2010 Anm 4; Röhl,
NJW 2010, 1418, 1422).
Nach Auffassung des erkennenden Senats ist für die Bemessung des Elterngeldes nicht nur das dem Berechtigten im Bemessungszeitraum
tatsächlich zugeflossene, sondern auch das darin erarbeitete und erst nach dessen Ablauf infolge nachträglicher Vertragserfüllung
gezahlte Arbeitsentgelt zugrunde zu legen. Für die Anwendung dieses modifizierten Zuflussprinzips sind folgende Erwägungen
maßgebend:
Nach § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG ist der Bemessung des Elterngeldes das in den zwölf Kalendermonaten vor dem Monat der Geburt durchschnittlich
erzielte monatliche Einkommen aus Erwerbstätigkeit zugrunde zu legen. Zwar mag dieser Wortlaut für sich genommen sowohl das
enge wie das modifizierte Zuflussprinzip zulassen. Der Begriff des Erzielens ist vom BSG jedoch im Zusammenhang mit der Bemessung
anderer Sozialleistungen dahin ausgelegt worden, dass er sowohl das zugeflossene als auch das erarbeitete - erst später oder
verspätet zugeflossene - Arbeitsentgelt erfasst (vgl BSG Urteil vom 28.6.1995, BSGE 76, 162, 164 f = SozR 3-4100 § 112 Nr 22 S 91). Abzugrenzen ist davon allerdings der Fall der rückwirkenden Lohnerhöhung (vgl dazu
BSGE 76, 156 = SozR 3-4100 § 249e Nr 7). Wenn der Gesetzgeber des BEEG im Jahre 2006 denselben Begriff verwendet, so liegt es aus der
Sicht des Rechtsanwenders nahe, ihn in dem von der höchstrichterlichen Rechtsprechung vorgeprägten Sinne zu verstehen. Dies
gilt um so mehr, als das BEEG zum Zuflussprinzip keine ausdrückliche Bestimmung enthält. Es wird zwar auf einige Vorschriften
des
EStG (zB §
2 Abs
1, §
9 Abs
1, §
3a Abs
1 Satz 3), jedoch nicht auf §
11 EStG verwiesen, der das steuerrechtliche Zuflussprinzip regelt. Darüber hinaus ergeben sich auch bei Heranziehung der Gesetzesmaterialien
zum BEEG, nach Auswertung der Systematik des Gesetzes und aus anderen Gesichtspunkten keine hinreichenden Anhaltspunkte für
die Annahme, dass der Gesetzgeber des BEEG den Begriff des erzielten monatlichen Einkommens im Sinne des engen Zuflussprinzips
hat verwenden wollen.
Die Gesetzesmaterialien weisen nicht eindeutig in diese Richtung. Allerdings merkt das LSG zutreffend an, dass in der Begründung
zum ursprünglichen Gesetzentwurf ausgeführt wird, es solle das Einkommen berücksichtigt werden, das der anspruchsberechtigten
Person zuletzt tatsächlich monatlich zur Verfügung gestanden habe und das nun wegen der Unterbrechung oder Einschränkung der
Erwerbstätigkeit nicht mehr zur Verfügung stehe (BT-Drucks 16/1889 S 21). Abgesehen davon, dass sich diese Aussage auch nur
auf das in § 2 Abs 2 Satz 1 BEEG vorgesehene "Nettoprinzip" beziehen könnte, ist zu berücksichtigen, dass die ursprüngliche
Fassung des Entwurfs noch an den Einkommensbegriff des SGB II anknüpfte, der von einem engen Zuflussprinzip ausgeht (vgl §
2 Abs 2 Satz 1 Arbeitslosengeld II/Sozialgeld-Verordnung). Da sich die später Gesetz gewordene Fassung des § 2 BEEG an dem
steuerrechtlichen Einkommensbegriff orientiert, kann dieser Begründungstext nicht ohne Weiteres zur Ermittlung der gesetzgeberischen
Absichten herangezogen werden. Hinzu kommt, dass die Begründung zur Neufassung des Entwurfs die betreffende Formulierung nicht
wieder aufgegriffen hat. Vielmehr wird betont, dass durch die entfallende Bezugnahme auf das SGB II nunmehr im Gesetzentwurf
selbst eine wesentlich umfassendere Regelung der Einkommensermittlung erfolgen müsse (vgl BT-Drucks 16/2785 S 37).
In ihrer Erläuterung zur Bezugnahme auf §
38a Abs
1 Satz 3
EStG gehen die Beschlussempfehlung und der Bericht des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend darauf ein, dass durch
den Ausschluss einmaliger Einnahmen Zufallsergebnisse vermieden werden sollen. Weiter vertritt der Ausschuss die Ansicht,
dass dies der Regelung beim Mutterschaftsgeld entspreche (BT-Drucks 16/2785 S 37). Soweit damit allgemein ein Gleichklang
zwischen der Ermittlung des berücksichtigungsfähigen Einkommens beim Elterngeld und der beim Mutterschaftsgeld angestrebt
war, spräche dies für eine Einbeziehung nachträglicher Gehaltszahlungen (vgl dazu Buchner/Becker,
Mutterschutzgesetz und BEEG, 8. Aufl 2008, §
11 MuSchG RdNr 93).
Die Systematik des BEEG legt ebenfalls nicht den Schluss nahe, es müsse im Rahmen des § 2 Abs 1 Satz 1 BEEG ein enges Zuflussprinzip
gelten.
Soweit § 2 Abs 7 Satz 4 BEEG eine Verwendung der Gehaltsbescheinigungen des Arbeitgebers vorsieht, ist damit eine Berücksichtigung
von geänderten Bescheinigungen, die auf Grund einer Gehaltsnachzahlung erstellt worden sind, nicht ausgeschlossen. In § 2
Abs 8 und 9 BEEG hat der Gesetzgeber für Einkommen aus Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb und selbstständiger Arbeit
eigenständige Regelungen geschaffen, die den Besonderheiten dieser Einkommensarten Rechnung tragen. Sie lassen daher keine
Rückschlüsse auf die Auslegung des § 2 Abs 7 BEEG zu.
Auch das Fehlen einer ausdrücklichen Bestimmung zum modifizierten Zuflussprinzip ist kein hinreichendes Argument gegen dessen
Anwendung im Bereich des BEEG. Zwar hat der Gesetzgeber in §
131 Abs
1 Satz 2
SGB III eine ausdrückliche Regelung getroffen. Diese geht jedoch insoweit über das von der Rechtsprechung entwickelte modifizierte
Zuflussprinzip (späterer Zufluss des im Bemessungszeitraum erarbeiteten Arbeitsentgelts) hinaus, als sie nicht nur später
zugeflossenes, sondern auch Arbeitsentgelt einbezieht, das nur wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers nicht zugeflossen
ist. Im Übrigen ist auch im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung der in §
47 Abs
1 Satz 1
SGB V allein verwendete Begriff des erzielten regelmäßigen Arbeitsentgelts von der Rechtsprechung iS des modifizierten Zuflussprinzips
verstanden worden (vgl BSG Urteil vom 16.2.2005 - B 1 KR 19/03 R - SozR 4-2500 § 47 Nr 2), ohne dass der Gesetzgeber danach Veranlassung zu einer besonderen Regelung gesehen hat. Schließlich
erlaubt der Umstand, dass der Ausfall von Arbeitsentgelt im Bemessungszeitraum (zB wegen Krankheit, Arbeitslosigkeit oder
Insolvenz des Arbeitgebers) im Rahmen des § 2 BEEG seinem Wortlaut nach grundsätzlich nicht berücksichtigt wird (zu den Ausnahmen
vgl § 2 Abs 7 Satz 5 und 6 BEEG idF vom 5.12.2006), nicht die Schlussfolgerung, dass zur nachträglichen Vertragserfüllung
nachgezahltes Gehalt ebenfalls außer Betracht zu bleiben habe. Dabei wird nämlich der entscheidende Unterschied zwischen beiden
Fallgestaltungen, dass hier das zunächst zurückgehaltene Arbeitsentgelt tatsächlich noch gezahlt wird, übersehen.
Nach Auffassung des erkennenden Senats bestätigt der Sinn und Zweck des Elterngeldes die Anwendung des nach dem Wortlaut des
Gesetzes geltenden modifizierten Zuflussprinzips.
Ziel des Elterngeldes ist es vor allem, Familien bei der Sicherung ihrer Lebensgrundlage zu unterstützen, wenn sich Eltern
vorrangig um die Betreuung ihrer Kinder kümmern (vgl BT-Drucks 16/1889 S 22, 15; BT-Drucks 16/2454 S 2; BT-Drucks 16/2785
S 2). Jeder betreuende Elternteil, der seine Erwerbstätigkeit unterbricht oder reduziert, soll einen an seinem individuellen
Einkommen orientierten Ausgleich für die finanziellen Einschränkungen im ersten Lebensjahr des Kindes erhalten (vgl BT-Drucks
16/1889 S 2, 15; BT-Drucks 16/2454 S 2). Durch die Betreuung des Kindes sollen die Eltern keine allzu großen Einkommenseinbußen
befürchten müssen (vgl Bericht der Bundesregierung vom 30.10.2008 über die Auswirkungen des BEEG, BT-Drucks 16/10770 S 5 f).
Dabei geht es erkennbar um die Sicherung eines wirtschaftlichen Dauerzustandes, möglichst unabhängig von staatlichen Fürsorgeleistungen
(vgl BT-Drucks 16/1889 S 15; BT-Drucks 16/2785 S 2).
Dieser Zielsetzung entspricht eine modifizierte Anwendung des Zuflussprinzips besser als eine enge. Die generelle Berücksichtigung
der Nachzahlung des im Bemessungszeitraum vorenthaltenen Arbeitsentgelts vermeidet Zufallsergebnisse, die sonst dadurch entstehen
können, dass derartige Zahlungen nur dann Berücksichtigung finden, wenn sie noch im Bemessungszeitraum erfolgen. Es erscheint
auch nicht angebracht, die Einkommensbemessung von rechtswidrigen Verhaltensweisen des Arbeitgebers abhängig zu machen. Dies
gilt insbesondere bei über einen längeren Zeitraum (hier maximal 14 Monate) gewährten Leistungen. Hinzu kommt, dass der Elterngeldberechtigte
bei Anwendung des engen Zuflussprinzips durch das Versäumnis seines Arbeitgebers doppelt beeinträchtigt würde: Zum einen ist
sein Bemessungseinkommen niedriger und zum anderen verringert die Nachzahlung während der Elternzeit ggf seinen Anspruch auf
Elterngeld (vgl § 2 Abs 1 und 3 BEEG; zur Bedeutung derartiger Auswirkungen für die Befürwortung des modifizierten Zuflussprinzips
s auch BSGE 76, 162, 168 f = SozR 3-4100 § 112 Nr 22 S 95 f). Einer zeitnahen Bewilligung des Elterngeldes steht das modifizierte Zuflussprinzip
nicht im Wege, da in solchen Fällen eine vorläufige Zahlung möglich ist (vgl § 8 Abs 3 BEEG).
Da der Senat bereits mit herkömmlichen Auslegungsmitteln dazu gelangt, das modifizierte Zuflussprinzip auch im Bereich des
BEEG anzuwenden, bedarf es keiner Erwägungen dazu, ob dieses Ergebnis auch verfassungsrechtlich geboten ist. Auch wenn der
Gesetzgeber sonstige Bezüge iS des §
38a Abs
1 Satz 3
EStG (also im Wesentlichen sog Einmalzahlungen) außer Betracht lassen konnte (vgl dazu allgemein BVerfG [Kammer] SozR 4-4300 §
434c Nr 6), folgt daraus nicht zwingend, dass dies auch für Gehaltsnachzahlungen der hier streitigen Art gilt. Jedenfalls
ist nicht ersichtlich, dass die vom Senat vertretene Rechtsauslegung mit dem
GG unvereinbar sein könnte.
Unter Berücksichtigung der Gehaltsnachzahlung in Höhe von 4766 Euro erhöht sich das Bemessungseinkommen der Klägerin von 1350,44
Euro auf 1609,24 Euro. Wie die Vorinstanzen zutreffend festgestellt haben, ergab sich aus den ursprünglich vorgelegten Gehaltsbescheinigungen
für die Zeit von Dezember 2005 bis November 2006 ein Nettoeinkommen von insgesamt 16 205,25 Euro. Aus den vom LSG in Bezug
genommenen nachträglichen Gehaltsbescheinigungen vom 20.2.2008 in Verbindung mit dem ebenfalls bei den Akten befindlichen
Ausdruck der elektronischen Lohnsteuerbescheinigung vom 20.2.2008 für 2007 ist zu entnehmen, dass von dem Nachzahlungsbetrag
folgende Abzüge vorgenommen worden sind:
Nachzahlungsbetrag
|
4766,00 Euro
|
KV-Beitrag
|
- 328,84 Euro
|
PV-Beitrag
|
- 52,43 Euro
|
RV-Beitrag
|
- 464,67 Euro
|
AV-Beitrag
|
- 154,88 Euro
|
Lohnsteuer
|
- 576,00 Euro
|
Soli-Zuschlag
|
- 31,68 Euro
|
Kirchensteuer
|
- 51,84 Euro
|
Nettobetrag
|
3105,66 Euro.
|
Dadurch erhöht sich das bislang berücksichtigte Nettoeinkommen auf 19 310,91 Euro. 67 % eines Zwölftels dieses Betrages (=
1078,19 Euro) entsprechen dem monatlichen Elterngeldanspruch. Da das bis zum 28.5.2007 gezahlte und gemäß § 3 Abs 1 Satz 1
und 3 BEEG anrechenbare Mutterschaftsgeld (nebst Zuschuss des Arbeitgebers) diesen Betrag überstieg, hat die Klägerin ab 29.5.2007
Anspruch auf folgende Beträge:
5. Lebensmonat des Kindes
|
834,73 Euro
|
6. bis 12. Lebensmonat des Kindes
|
7547,33 Euro
|
Gesamtanspruch
|
8382,06 Euro.
|
Da die Klägerin auf der Grundlage des Bescheides vom 15.5.2007 bereits 7034,01 Euro erhalten hat, beläuft sich ihr Restanspruch
auf 1348,05 Euro.
Auf Grund einer irrtümlichen Nichtberücksichtigung des Steuerabzuges hat das SG der Klägerin weiteres Elterngeld in Höhe von 1634,29 Euro zugesprochen, obwohl die Klage nur in Höhe von 1348,05 Euro begründet
ist. Dem hat die Klägerin durch eine entsprechende Beschränkung ihrer Klage im Revisionsverfahren Rechnung getragen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG. Sie berücksichtigt, dass die ursprünglich erhobene Klage in Höhe von etwa 1/6 keinen Erfolg hat.