Anspruch auf Insolvenzgeld, Eintritt eines neuen Insolvenzereignisses bei andauernder Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers
Gründe:
I. Der Kläger begehrt die Zahlung von Insolvenzgeld (Insg) für die Zeit vom 2. Februar bis 1. Mai 2005.
Der Kläger war in einem Architekturbüro (im Folgenden: Arbeitgeber) als Arbeitnehmer beschäftigt. Mit Beschluss des Amtsgerichts
(AG) Aachen vom 1. August 2002 wurde über das Vermögen des Arbeitgebers das Insolvenzverfahren eröffnet (Aktenzeichen 19 IN 760/02). Die Beklagte bewilligte und zahlte dem Kläger Insg wegen offener Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die Zeit vom 1. Mai bis
31. Juli 2002.
Im Insolvenzverfahren kam es zur Aufstellung eines Insolvenzplans nach §§
217 ff
Insolvenzordnung (
InsO). Der Insolvenzplan vom 3. Juni 2003 sah die Verpflichtung des Arbeitgebers vor, aus zukünftigen Erträgen insgesamt 144.000
EUR, zahlbar ab 1. September 2003 in monatlichen Raten von je 2.000 EUR, zur Verteilung an die Gläubiger zur Verfügung zu
stellen. Mit der Planüberwachung über den Zeitraum von sechs Jahren wurde der damalige Insolvenzverwalter beauftragt. Nach
Eintritt der Rechtskraft der gerichtlichen Bestätigung des Insolvenzplans hob das AG mit Beschluss vom 16. Juli 2003 das Verfahren
gemäß §
258 Abs
1 InsO auf. Da der Arbeitgeber jedoch in der Folgezeit seine Verpflichtungen aus dem Insolvenzplan nicht vollständig erfüllte und
seit Februar 2005 keine Ratenzahlungen mehr leistete, eröffnete das AG mit Beschluss vom 2. Mai 2005 erneut das Insolvenzverfahren
über das Vermögen des Arbeitgebers (Aktenzeichen 91 IN 26/05). Unter Hinweis auf diesen Beschluss beantragte der Kläger bei der Beklagten die Bewilligung von Insg wegen offener Entgeltansprüche
für die Zeit vom 2. Februar 2005 bis 1. Mai 2005. Die Beklagte lehnte eine Bewilligung mit der Begründung ab, ein neues Insolvenzereignis
sei nicht eingetreten (Bescheid vom 24. Mai 2005). Der Widerspruch des Klägers blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 7.
Oktober 2005).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 25. Januar 2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
In den Entscheidungsgründen hat das LSG im Wesentlichen ausgeführt: Das SG habe zutreffend entschieden, dass die Sperrwirkung der Insolvenzeröffnung vom 1. August 2002 dem Insg-Anspruch entgegenstehe.
Es entspreche der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG), dass ein neues Insolvenzereignis nicht eintrete, solange
die auf einem bestimmten Insolvenzereignis beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauere. Die Zahlungsunfähigkeit
ende nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelne Zahlungsverpflichtungen wieder erfülle. Allein wegen Durchführung eines
Insolvenzplanverfahrens sei nicht von einer Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit des Schuldners auszugehen. Die Wirkungen
des Insolvenzplanes seien nicht endgültig. Auch könne nicht daraus, dass der Insolvenzplan etwa eineinhalb Jahre eingehalten
worden sei, der Schluss gezogen werden, der Arbeitgeber sei wieder uneingeschränkt in der Lage gewesen, seine fälligen Geldschulden
im Allgemeinen zu erfüllen. Hiergegen spreche bereits die erhebliche Belastung durch Ansprüche der Beklagten aus übergegangenen
Entgeltansprüchen in einer Höhe von 168.947,80 EUR, wovon während des Insolvenzplanverfahrens lediglich 21.827,53 EUR getilgt
worden seien. Zahlungsfähigkeit könne im Insolvenzplanverfahren vor der Planerfüllung nur in seltenen Ausnahmefällen eintreten,
etwa dann, wenn kurz vor dem Ende der Laufzeit des Planes sich die wirtschaftliche Situation des Arbeitgebers so verbessert
habe, dass dieser die dem Insolvenzplan zu Grunde liegenden Masseverbindlichkeiten auch sofort erfüllen könne; eine solche
Konstellation liege nicht vor. Es bestehe auch kein Anspruch nach §
183 Abs
2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III), und zwar unabhängig davon, ob der Kläger möglicherweise darauf vertraut habe, ein neues Insolvenzereignis sei eingetreten.
Soweit für die Weiterarbeit des Klägers eine falsche Information der Beklagten maßgebend gewesen sein sollte, könne ein Schaden
über einen Amtshaftungsanspruch ausgleichbar sein, was aber nicht Gegenstand dieses Rechtsstreits sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision macht der Kläger geltend, das angefochtene Urteil sei mit der bisherigen Rechtsprechung
des BSG nicht in Einklang zu bringen. Die vom LSG zitierte Rechtsprechung des BSG betreffe einen Fall, in dem es um einen
Zeitraum von gerade neun Monaten gegangen sei; im vorliegenden Fall seien dagegen Gehälter für gut 24 Monate anstandslos und
ohne Zahlungsverzug gezahlt worden und die Angestellten hätten sogar eine Gehaltserhöhung bekommen. Bei einem derartigen Zeitraum
müsse aus der Sicht eines juristischen Laien und Arbeitnehmers sehr wohl von der vollständigen Wiederherstellung der Zahlungsfähigkeit
ausgegangen werden. Es sei hinsichtlich der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden,
auf den auch das BSG abgestellt habe. Die Arbeitnehmer hätten auch im Hinblick auf einen dem Arbeitgeber erteilten Großauftrag,
der noch über die Eröffnung des zweiten Insolvenzverfahrens hinaus gelaufen sei, und wegen eines weiteren Auftrags davon ausgehen
können, dass die zu erzielenden Architektenhonorare zur Deckung der Arbeitslöhne ausreichen würden. Im Zuge des zweiten Insolvenzverfahrens
habe der seinerzeitige Insolvenzverwalter allen Arbeitnehmern auch gesagt, man solle ruhig weitermachen, ein Anspruch auf
Insg bestehe. Wie hoch das Potential des Arbeitgebers zur Abdeckung der noch offenen Forderungen gewesen sei, habe das LSG
nicht aufgeklärt. Dies sei aber zur Beantwortung der Frage, ob der Arbeitgeber seine vollständige Zahlungsfähigkeit erlangt
habe, geboten.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des LSG vom 6. September 2006 und das Urteil des SG vom 25. Januar 2006 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 24. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids
vom 7. Oktober 2005 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 2. Februar bis 1. Mai 2005 Insg nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen
zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das LSG hat zu Recht entschieden, dass der Kläger keinen Anspruch auf Zahlung
von Insg für die Zeit vom 2. Februar bis 1. Mai 2005 hat.
Anspruch auf Insg hat nach §
183 Abs
1 Satz 1
SGB III ein Arbeitnehmer, der bei Eintritt eines Insolvenzereignisses für die vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses
noch Ansprüche auf Arbeitsentgelt hat. Insolvenzereignis ist nach §
183 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB III auch die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arbeitgebers. Aus Anlass der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
durch Beschluss des AG vom 1. August 2002 hatte der Kläger Insg bereits erhalten. Aus der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
durch das AG am 2. Mai 2005 kann der Kläger keinen erneuten Anspruch auf Insg herleiten, da die Sperrwirkung der Insolvenzeröffnung
durch Beschluss des AG vom 1. August 2002 einem solchen Anspruch entgegensteht.
Ein neues Insolvenzereignis tritt nach der Rechtsprechung des BSG sowohl zum Konkursausfallgeld (Kaug) als auch zum Insg nicht
ein und kann folglich auch Ansprüche auf Kaug bzw Insg nicht auslösen, solange die auf einem bestimmten Insolvenzereignis
beruhende Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers andauert (vgl BSG SozR 4100 § 141b Nr 6, Nr 43; SozR 3-4100 § 141e Nr 3; BSGE
90, 157, 158 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3 mwN). Von andauernder Zahlungsunfähigkeit ist so lange auszugehen, wie der Gemeinschuldner
wegen eines nicht nur vorübergehenden Mangels an Zahlungsmitteln nicht in der Lage ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen
zu erfüllen. Die Zahlungsunfähigkeit endet nicht schon dann, wenn der Schuldner einzelne Zahlungsverpflichtungen wieder erfüllt
(BSGE aaO).
Unter Beachtung dieser in der Rechtsprechung des BSG entwickelten Grundsätze ist die Auffassung des LSG, die auf dem Insolvenzereignis
vom August 2002 beruhende Zahlungsunfähigkeit habe in der Folgezeit fortbestanden, nicht zu beanstanden. Denn den tatsächlichen
Feststellungen des LSG ist zu entnehmen, dass der bei der Verfahrenseröffnung unstreitig insolvente Arbeitgeber des Klägers
zwar später zeitweise Löhne an Arbeitnehmer und auch Raten zur Verteilung an Gläubiger gezahlt hat, er jedoch zu keinem Zeitpunkt
in der Lage gewesen ist, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen zu erfüllen. Die Unfähigkeit des Arbeitgebers zur Begleichung
seiner Verpflichtungen im Allgemeinen wird durch die Aufstellung des Insolvenzplans mit gerichtlicher Bestätigung und Anordnung
der Planüberwachung sowie die nachfolgende Nichterfüllung des Plans mit anschließender erneuter Eröffnung des Insolvenzverfahrens
belegt.
Dass sich allein aus der Bestätigung des Insolvenzplans und der Aufhebung des Insolvenzverfahrens durch das Insolvenzgericht
noch nicht die Beseitigung des zunächst eingetretenen Insolvenzfalls mit der Folge der Möglichkeit des Entstehens neuer Ansprüche
gegen die Insg-Versicherung ergibt, hat der Senat bereits entschieden (BSGE 90, 157, 158 ff = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). Der Senat hat näher ausgeführt, dass die materiell-rechtlichen Wirkungen des Insolvenzplanes
nur die am Insolvenzplanverfahren Beteiligten (Schuldner, Insolvenzgläubiger, Absonderungsberechtigte) betreffen und dass
auch die Beteiligung des Insolvenzgerichts am Insolvenzplanverfahren keinen Vertrauenstatbestand hinsichtlich der Wiedererlangung
der Zahlungsfähigkeit schaffen kann (BSGE aaO S 159 f mit Hinweisen ua auf §§
231,
254,
255 InsO). Hieran ist festzuhalten.
Zwar hat der Senat in der vorbezeichneten Entscheidung im Hinblick darauf, dass im damals zu beurteilenden Fall der Schuldner
bereits beim ersten Fälligkeitstermin zur Begleichung der nach dem Plan geschuldeten Forderung außer Stande war, offen gelassen,
ob nach Einleitung eines Insolvenzplanverfahrens ein Entfallen der Sperrwirkung des früheren Insolvenzereignisses unter besonderen
Umständen auch bereits vor der Planerfüllung in Betracht kommen kann (BSGE aaO S 162). Diese Rechtsprechung entwickelt der
Senat in dem Sinne weiter, dass von einer Fortdauer der aus Anlass des früheren Insolvenzereignisses eingetretenen Zahlungsunfähigkeit
jedenfalls dann auszugehen ist, wenn die im Insolvenzplan vorgesehene Überwachung der Planerfüllung andauert (vgl bereits
Voelzke in Hauck/Noftz,
SGB III, Stand 2006, §
183 RdNr 50a). Denn bei vorgesehener und andauernder Planüberwachung wird trotz Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§
258 InsO) der weiter gegebene Zusammenhang mit dem einmal eröffneten Insolvenzverfahren dadurch dokumentiert, dass Aufgaben und Befugnisse
des Insolvenzverwalters und gegebenenfalls des Gläubigerausschusses sowie die Aufsicht des Insolvenzgerichts insoweit fortbestehen
(§§
260,
261,
262 InsO; zu den Aufgaben und Befugnissen des Insolvenzverwalters vgl Andres in Andres/Leithaus,
InsO, 2006, §
61 RdNr 3 ff). In einer solchen Situation kommt unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung des BSG die Wiedererlangung
der Fähigkeit des Schuldners, seine fälligen Geldschulden im Allgemeinen erfüllen zu können, nicht in Betracht.
Demgegenüber kann die Revision nicht mit ihrem Vorbringen durchdringen, durch die Abwicklung von Aufträgen und die Zahlung
von Löhnen an weiter beschäftigte Arbeitnehmer sei für diese hinsichtlich der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit ein Vertrauenstatbestand
geschaffen worden. Denn der Umstand, dass ein insolventer Arbeitgeber seinen Betrieb zeitweise weiter führt und insoweit auch
Arbeitsentgelt an Arbeitnehmer zahlt, ist für die Frage, ob Zahlungsfähigkeit im Allgemeinen wieder angenommen werden und
deshalb ein neuer Versicherungsfall eintreten kann, grundsätzlich unerheblich (vgl zum Kaug BSG SozR 4100 § 141b Nr 43 S 164
f; SozR 4100 § 141b Nr 46 S 170). Die von der Revision genannten Ausführungen des Senats zur Frage, inwieweit für betroffene
Arbeitnehmer ein Vertrauenstatbestand geschaffen worden sein könnte, bringen nur zum Ausdruck, dass die Beteiligung des Insolvenzgerichts
am Zustandekommen eines Insolvenzplans kein Vertrauen hinsichtlich der Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit der Arbeitgeber
begründet (BSGE 90, 157, 160 = SozR 3-4300 § 183 Nr 3). Für die Beurteilung der Zahlungsfähigkeit kann es im Übrigen nur auf tatsächlich gegebene
und insoweit eindeutig überprüfbare Umstände ankommen; ein von der Revision gefordertes Abstellen auf ein "Potential" des
derzeit zahlungsunfähigen Arbeitgebers, also auf möglicherweise in Zukunft zu erwartende Einnahmen, muss deshalb in aller
Regel ausscheiden.
Das LSG hat auch zu Recht entschieden, dass sich ein Anspruch des Klägers auf Zahlung von (weiterem) Insg auch nicht etwa
aus §
183 Abs
2 SGB III ergibt. Nach dieser Vorschrift kann ein Arbeitnehmer, der in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses weitergearbeitet oder
die Arbeit aufgenommen hat, Insg auch für die dem Tag der Kenntnisnahme vorausgehenden drei Monate des Arbeitsverhältnisses
erhalten. Ein solcher Anspruch kommt unter den tatsächlich gegebenen Umständen (maßgebliches Insolvenzereignis bereits 2002,
für das der Kläger Insg schon erhalten hat) nicht in Betracht. Aus §
183 Abs
2 SGB III kann kein erneuter Anspruch auf Insg mit Rücksicht auf das Vertrauen auf eine in Wahrheit nicht bestehende Insg-Absicherung
hergeleitet werden. Denn §
183 Abs
2 SGB III soll Vertrauen nur mit Rücksicht auf die Weiterarbeit oder Arbeitsaufnahme in Unkenntnis eines Insolvenzereignisses gewährleisten.
Ein für den Kläger günstigeres Ergebnis lässt sich schließlich nicht aus einer etwaigen - vom LSG im Übrigen nicht festgestellten
- falschen Information durch die Beklagte oder die Verletzung einer Beratungspflicht herleiten. Für die Anwendung des sozialrechtlichen
Herstellungsanspruchs bleibt insoweit kein Raum, weil ein eingetretener Nachteil des Klägers nicht durch eine zulässige Amtshandlung
beseitigt werden kann (vgl etwa BSGE 76, 84, 91 = SozR 3-8825 § 2 Nr 3; BSGE 92, 241, 244 = SozR 4-2600 § 58 Nr 3 mwN).