Anspruch auf Arbeitslosengeld; Wirksamkeit der Arbeitslosmeldung bei mehr als sechswöchiger Unterbrechung
Gründe:
I
Die klagende Krankenkasse begehrt von der beklagten Bundesagentur für Arbeit die Erstattung von 92,90 Euro, die sie einer
Versicherten als Krankengeld (Krg) in der Zeit vom 12. bis 21.4.2007 gezahlt hat.
Die Beklagte bewilligte der Versicherten ab 1.12.2005 Arbeitslosengeld (Alg) für 720 Tage iHv täglich 9,29 Euro. Vom 11. bis
21.3.2007 wurde die Versicherte stationär behandelt; anschließend absolvierte sie zu Lasten des Rentenversicherungsträgers
eine stationäre Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation, aus der sie arbeitsunfähig entlassen wurde. Die Arbeitsunfähigkeit
(AU) bestand bis zum 30.4.2007 fort. Der Rentenversicherungsträger bewilligte der Versicherten für die Zeit vom 21.3. bis
11.4.2007 Übergangsgeld (Übg). Ab 12.4.2007 zahlte ihr die Klägerin wieder Krg.
Nachdem sich die Versicherte am 1.8.2007 mit Wirkung zum 4.8.2007 erneut arbeitslos gemeldet und die Bewilligung von Alg beantragt
hatte, bewilligte die Beklagte ihr antragsgemäß Alg für die Restanspruchsdauer. Für das in der Zeit vom 12. bis 21.4.2007
(Ablauf des Sechs-WochenZeitraums für die Leistungsfortzahlung bei AU, § 126 Abs 1 S 1 Sozialgesetzbuch Drittes Buch in der
bis zum 31.3.2012 geltenden Fassung [SGB III aF]) gezahlte Krg iHv insgesamt 92,90 Euro meldete die Klägerin bei der Beklagten
einen Erstattungsanspruch an, den diese ablehnte.
Die daraufhin erhobene Leistungsklage hat das Sozialgericht München (SG) mit Urteil vom 13.4.2012 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Erstattungsanspruch scheitere daran,
dass die Klägerin der Versicherten im streitigen Zeitraum rechtmäßig Krg gewährt habe. Der Anspruch auf Krg sei nicht wegen
der Gewährung von Alg entfallen; denn die Beklagte habe die ursprüngliche Alg-Bewilligung für die Zeit ab 21.3.2007 aufgehoben
und - auf erneuten Antrag der Versicherten - erst wieder ab 4.8.2007 bewilligt. Einen Antrag auf Bewilligung von Alg ab 12.4.2007
habe die Versicherte nicht gestellt. Die Entscheidung eines Leistungsberechtigten, nach Aufhebung der Bewilligung von Alg
das Krg und nicht das Alg zu beanspruchen, sei zu respektieren.
Mit der vom SG zugelassenen Sprungrevision rügt die Klägerin die Verletzung von §
126 Abs
1 S 1 und §
323 Abs
1 S 2
SGB III aF. Sie macht geltend, nach §
126 Abs
1 S 1
SGB III aF habe die Versicherte Anspruch auf Fortzahlung des Alg für die Dauer von bis zu sechs Wochen, also auch im streitigen Zeitraum.
Deswegen ruhe der Anspruch auf Krg (§ 49 Abs 1 Nr 3a Sozialgesetzbuch Fünftes Buch). Ein Anspruch auf Alg scheitere nicht
an einer fehlenden Antragstellung, weil nach der Bewilligung von Alg und einer zwischenzeitlichen Aufhebung der Leistungsbewilligung
kein erneuter Antrag erforderlich sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts München vom 13. April 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr 92,90 Euro zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Sprungrevision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Sprungrevision der Klägerin ist unbegründet (§
170 Abs
1 S 1
Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der 92,90 Euro, die sie der Versicherten als Krg
in der Zeit vom 12. bis 21.4.2007 gezahlt hat; das klageabweisende Urteil des SG ist rechtmäßig.
1. Rechtsgrundlage für den Erstattungsanspruch ist § 105 Abs 1 S 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X).
Nach § 105 SGB X ist der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger erstattungspflichtig, wenn ein unzuständiger Leistungsträger Sozialleistungen
erbracht hat, ohne dass die Voraussetzungen des § 102 Abs 1 SGB X vorliegen, soweit der zuständige oder zuständig gewesene Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von
der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. "Zuständig" iS dieser Vorschrift ist der Leistungsträger,
der im Hinblick auf den erhobenen Sozialleistungsanspruch nach materiellem Recht richtigerweise anzugehen, dh sachlich befugt
(passiv legitimiert) ist (BSG SozR 1300 § 105 Nr 5 S 13 mwN; BSGE 65, 31, 33 = SozR 1300 § 111 Nr 6 S 19; BSG SozR 3-2200 § 539 Nr 43 S 176; BSGE 84, 61, 62 = SozR 3-1300 § 105 Nr 5 S 14). Die Frage der Zuständigkeit ist somit aus Sicht des Anspruch stellenden Leistungsträgers
nach dem insoweit geltenden materiellen Recht zu beurteilen. Aus Sicht der Klägerin ist die Beklagte materiell-rechtlich leistungsverpflichtet
und sie selbst unzuständig.
Ein vorrangiger Ausgleichsanspruch nach § 102 Abs 1 SGB X besteht nicht. Diese Anspruchsgrundlage betrifft die Erstattungspflicht des zur Leistung verpflichteten Leistungsträgers,
wenn der andere Leistungsträger aufgrund gesetzlicher Vorschriften vorläufig Sozialleistungen erbracht hat. Eine vorläufige
Leistungserbringung durch die Klägerin liegt aber nicht vor. Denn sie hat der Versicherten Krg als die ihr - vermeintlich
- zustehende Sozialleistung erbracht, nachdem die Beklagte zuvor die Bewilligung von Alg aufgehoben hatte und die Versicherte
aus der stationären Maßnahme zur medizinischen Rehabilitation arbeitsunfähig entlassen worden war.
Da § 105 SGB X anzuwenden ist, scheidet auch § 103 Abs 1 SGB X - anders als dies das SG gesehen hat - als Anspruchsgrundlage aus. Es geht im vorliegenden Fall nicht darum, ob ein Anspruch auf eine Sozialleistung
nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist. Selbst wenn man indes - aus Sicht der Klägerin - annähme, dass mit der erneuten
Beantragung von Alg durch die Versicherte im August 2007 deren Anspruch auf Krg im streitigen Zeitraum nachträglich entfallen
wäre, würde die Anwendung von § 103 SGB X zu keinem anderen Ergebnis führen.
2. Der - von der Klägerin behauptete - materiell-rechtliche Anspruch der Versicherten auf Alg im streitigen Zeitraum besteht
nicht. Deshalb kommt auch keine Leistungsfortzahlung nach §
126 Abs
1 S 1
SGB III aF in Betracht.
a) Nach §
126 Abs
1 S 1
SGB III aF verliert ein Arbeitsloser, der während des Bezugs von Alg infolge Krankheit arbeitsunfähig wird, ohne dass ihn ein Verschulden
trifft, oder er während des Bezugs von Alg auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt wird, seinen Anspruch auf Alg für
die Zeit der AU oder der stationären Behandlung bis zur Dauer von sechs Wochen nicht (Leistungsfortzahlung). Der Versicherten
stand zwar ab 1.12.2005 Alg für eine Anspruchsdauer von 720 Tagen zu und die Zeit ihres stationären Krankenhausaufenthalts
vom 11. bis 21.3.2007 unterbrach die Alg-Gewährung nicht. Während der sich hieran anschließenden stationären Maßnahme zur
medizinischen Rehabilitation bezog die Versicherte Übg von der Deutschen Rentenversicherung (DRV), die zum Ruhen des Alg-Anspruchs
führte (§
142 Abs
1 Nr
2 SGB III aF). Die Beklagte hob im Hinblick hierauf die Leistungsbewilligung vollständig und nicht nur für die Zeit des Bezugs von
Übg durch die DRV auf. Da die Versicherte diese Entscheidung nicht anfocht, wurde die Leistungsaufhebung bestandskräftig.
Zwar wurde die Versicherte aus der Rehabilitationsmaßnahme arbeitsunfähig entlassen. Auch war ihr Anspruch auf Alg im streitigen
Zeitraum vom 12. bis 21.4.2007 noch nicht erschöpft. Es fehlt aber im streitigen Zeitraum an einem für die Erbringung der
Leistung durch die Beklagte erforderlichen Antrag der Versicherten auf Bewilligung von Alg.
b) Leistungen der Arbeitsförderung werden nur auf Antrag erbracht (§
323 Abs
1 S 1
SGB III aF). Zwar gilt Alg mit der persönlichen Arbeitslosmeldung als beantragt, wenn der Arbeitslose keine andere Erklärung abgibt
(§
323 Abs
1 S 2
SGB III aF). Denn die persönliche Arbeitslosmeldung (vgl §
122 Abs
1 SGB III aF) führt nach dieser Sonderregelung zu der Fiktion der Beantragung von Alg. Die Versicherte hatte sich jedoch lediglich
Ende 2005 arbeitslos gemeldet und einen solchen Antrag nach vollständiger Aufhebung der Bewilligung durch die Beklagte mit
Bescheid vom 2.4.2007 wegen des Ruhens von Alg bei gleichzeitigem Bezug von Übg nicht erneuert. Für die hier streitige Zeit
besteht danach kein Anspruch der Versicherten auf Alg.
c) Von einer Fortwirkung der früheren Arbeitslosmeldung kann unter den gegebenen Umständen nicht ausgegangen werden. Nach
§
122 Abs
2 Nr
1 SGB III aF erlischt die Wirkung der Arbeitslosmeldung - und damit auch der Beantragung von Alg - zwar (erst) bei einer mehr als sechswöchigen
Unterbrechung der Arbeitslosigkeit. Meldet sich der Arbeitslose in dieser Frist erneut arbeitslos, bedarf es nicht eines erneuten
Alg-Antrags. Mit der Aufrechterhaltung der materiellen Wirkung der Arbeitslosmeldung wollte der Gesetzgeber insoweit eine
Abkehr von der früheren, auf den jeweils eingetretenen Versicherungsfall abstellenden Praxis einleiten (BSG Urteil vom 7.10.2004 - B 11 AL 23/04 R - BSGE 93, 209 = SozR 4-4300 § 122 Nr 2 mit Hinweis auf BT-Drucks 13/4941 S 176; BSGE 95, 1 = SozR 4-4300 §
147 Nr 4; Spellbrink in Eicher/Schlegel,
SGB III, §
122 RdNr 42, Stand Einzelkommentierung August 2004).
Erlischt die Wirkung der Arbeitslosmeldung bei mehr als sechswöchiger Unterbrechung der Arbeitslosigkeit, entfällt wegen Nichterfüllung
dieser Anspruchsvoraussetzung (Arbeitslosmeldung) auch der Anspruch auf Alg (vgl Leitherer in Eicher/Schlegel,
SGB III, §
323 RdNr 36, Stand Einzelkommentierung Juli 2010). Nur wenn die vorherige Arbeitslosmeldung wirksam bleibt, muss auch die für
den Leistungsbezug erforderliche Anspruchsvoraussetzung der Antragstellung nicht erneut erfüllt werden.
Zwar hat der erkennende Senat bei kurzfristig verspätet erfolgter Kontaktaufnahme zur Arbeitsverwaltung nach Maßnahmeende
- ausnahmsweise - eine "unschädliche Unterbrechung" der Arbeitslosigkeit angenommen (vgl Urteil vom 7.10.2004 - B 11 AL 23/04 R - BSGE 93, 209 = SozR 4-4300 § 122 Nr 2). Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor. Die Versicherte hat die Leistungsaufhebung vielmehr
akzeptiert und bewusst (nur) die Inanspruchnahme der anderen Sozialleistung (Krg) verfolgt. §
122 Abs
2 Nr
1 SGB III aF schließt jedoch einen "anderen Grund" für eine Unwirksamkeit der Arbeitslosmeldung nicht aus (vgl BSG SozR 3-4300 § 122 Nr 1). Ein solcher liegt hier bereits in der Nichtanfechtung der (vollständigen) Leistungsaufhebung durch die Beklagte am
2.4.2007. Bis zur erneuten Arbeitslosmeldung ließ die Versicherte eine Frist von 17 Wochen verstreichen; ein Bezug zur Arbeitslosmeldung
zum 1.12.2005 bestand daher nicht mehr.
Die Versicherte hat sich auch bewusst für das Ausschöpfen ihres Krg-Anspruchs entschieden und damit zugleich zu erkennen gegeben,
dass sie dem Arbeitsmarkt derzeit nicht zur Verfügung stehe (zur Gestaltungsmöglichkeit des Versicherten vgl Behrend in Eicher/Schlegel,
SGB III nF, §
145 RdNr 73 ff, 83, Stand Einzelkommentierung Juli 2013). Damit war ihr Status als Arbeitslose durch die Rehabilitationsmaßnahme
nicht nur für eine bestimmbare Zeit "voraussichtlich" unterbrochen (vgl zu diesem Begriff BSGE 93, 209 = SozR 4-4300 § 122 Nr 2, RdNr 11); die Versicherte hat die Beendigung ihres Status als Arbeitslose durch Aufhebung der Alg-Bewilligung
bewusst hingenommen. Sie hat damit eine Entscheidung zu Gunsten des Bezugs von Krg getroffen, der die Gesetzeslage nicht entgegensteht
und auch von der beklagten Krankenkasse "zu respektieren" ist. Eine Gewährung von Alg gegen den Willen des Arbeitslosen ist
dem Arbeitsförderungsrecht fremd (vgl auch §
118 Abs
2 SGB III aF).
Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm § 63 Abs 2 S 1, § 52 Abs 3 und § 47 Abs 1 und 2 Gerichtskostengesetz.