Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren; Bezeichnung des Verfahrensmangels der Verletzung
des Anspruchs auf rechtliches Gehör
Gründe:
I
Der Kläger begehrt Überbrückungsgeld (Übbg) nach §
57 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (
SGB III) in der im Jahre 2003 geltenden Fassung im Zusammenhang mit der Aufnahme einer selbständigen Tätigkeit als Rechtsanwalt.
Der Kläger, der bis 3. Januar 2003 Arbeitslosengeld (Alg) bezogen hatte, beantragte am 9. Januar 2003 bei der Beklagten die
Gewährung von Übbg. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit der Begründung ab, der Kläger habe den Antrag nicht vor Eintritt
des leistungsbegründenden Ereignisses gestellt (Bescheid vom 25. November 2003, Widerspruchsbescheid vom 9. Februar 2004).
Das Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 21. Juni 2007). Der Kläger hat fristgerecht Berufung eingelegt und zu ihrer Begründung
Schriftsätze beim Landessozialgericht (LSG) eingereicht. Zu dem vom LSG auf 5. Mai 2009, 11.30 Uhr, bestimmten Termin zur
mündlichen Verhandlung ist der Kläger nicht erschienen. Das LSG hat nach Durchführung der mündlichen Verhandlung die Berufung
des Klägers durch Urteil vom 5. Mai 2009 zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen hat das LSG ua ausgeführt, es sei nach
dem ihm vorliegenden Akteninhalt davon ausgegangen, dass der Kläger ordnungsgemäß geladen sei und deshalb in Abwesenheit des
Klägers entschieden werden könne. Die Berufung sei zulässig, aber nicht begründet. Die angefochtenen Bescheide seien nicht
rechtswidrig. Die für die Bewilligung von Übbg erforderliche Voraussetzung des §
57 Abs
2 Nr
1 SGB III, dass die Aufnahme der selbständigen Tätigkeit mit einer Entgeltersatzleistung nach dem
SGB III in engem zeitlichen Zusammenhang stehe, sei nicht erfüllt. Der Kläger habe die tatsächliche Ausübung einer Tätigkeit als
Rechtsanwalt in engem zeitlichem Zusammenhang mit dem Alg-Bezug nicht nachgewiesen.
Mit der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß §
62 Sozialgerichtsgesetz (
SGG), Art
103 Abs
1 Grundgesetz (
GG). Er habe eine Ladung zum Termin am 5. Mai 2009, 14.45 Uhr, erhalten. Bei seinem Eintreffen vor dem Sitzungssaal des LSG
gegen 14.15 Uhr habe er der ausgehängten Rolle für seine Sache eine Zeitangabe von 11.30 Uhr entnommen. Der Vorsitzende habe
ihm auch bestätigt, dass seine Sache bereits um 11.30 Uhr aufgerufen und dann nach Abwarten von einigen Minuten verhandelt
und entschieden worden sei. Der Sitzungsvertreter der Beklagten habe bestätigt, dass auch er eine Ladung auf 14.45 Uhr erhalten
habe. Bei dieser Sachlage habe eine Entscheidung zu seinem Nachteil nicht ergehen dürfen. Die fehlende Ladung stelle den "Extremfall
des Versagens rechtlichen Gehörs" dar. Obwohl es nicht einmal darauf ankomme, ob das Urteil auf diesem Verfahrensverstoß beruhen
könne, sei dies bei dem die Berufung zurückweisenden Urteil des LSG der Fall.
II
Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet.
Die Beschwerdebegründung genügt den Anforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG. Sie bezeichnet substantiiert und schlüssig die Tatsachen, aus denen sich der Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen
Gehörs iS des §
62 SGG bzw des Art
103 Abs
1 GG ergibt. Die Beschwerdebegründung enthält auch hinreichende Ausführungen dazu, dass die angefochtene Entscheidung auf dem
Mangel beruhen kann.
Der gerügte Verfahrensmangel einer Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt tatsächlich vor und die angefochtene Entscheidung
kann auf ihm beruhen.
Aus den beigezogenen Akten des LSG lässt sich die Richtigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers nachvollziehen. Demnach
enthalten die an die Beteiligten versandten Ladungsschreiben einen Terminsbeginn um 14.45 Uhr, während die Einträge im Programm
und der Datenbank die korrekte Uhrzeit 11.30 Uhr ausweisen (Vermerke des LSG vom 7. Mai 2009). Mit der Durchführung der mündlichen
Verhandlung vor dem in der Ladung angegebenen Zeitpunkt in Abwesenheit des Klägers und der getroffenen Entscheidung der Zurückweisung
der Berufung ist der Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Denn dieser Grundsatz macht es erforderlich, den
an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligten Gelegenheit zu geben, sich zu dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Sachverhalt
vor Erlass der Entscheidung zu äußern. Dies wird insbesondere in der mündlichen Verhandlung, die Kernstück des gerichtlichen
Verfahrens ist, verwirklicht (§
124 Abs
1 SGG, zum Grundsatz der Mündlichkeit vgl bereits BSGE 1, 277, 278 und 17, 44, 46; BSG SozR 3-1500 § 160 Nr 33 mwN). Unter den gegebenen Umständen ist der Kläger an einer Teilnahme an
der mündlichen Verhandlung gehindert worden.
Die angefochtene Entscheidung kann auf dem festgestellten Verfahrensmangel beruhen. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
(BSG) ist wegen des besonderen Rechtswertes der mündlichen Verhandlung im Allgemeinen davon auszugehen, dass eine Verletzung
des rechtlichen Gehörs, die einen Verfahrensbeteiligten daran hindert, an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen, die daraufhin
ergangene Entscheidung beeinflusst (vgl ua BSGE 53, 83 = SozR 1500 § 124 Nr 7; BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1; SozR 4-1750 § 227 Nr 1). Unabhängig davon ist nicht auszuschließen, dass
die Entscheidung des LSG anders ausgefallen wäre, wenn der Kläger Gelegenheit gehabt hätte, sich in der mündlichen Verhandlung
zu den rechtlichen und tatsächlichen Aspekten des streitigen Anspruchs auf Übbg zu äußern.
Nach §
160a Abs
5 SGG kann das BSG in dem Beschluss über die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur erneuten
Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverweisen, wenn die Voraussetzungen des §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliegen. Letzteres ist - wie ausgeführt - der Fall. Der Senat macht von dieser Möglichkeit Gebrauch.
Die Entscheidung über die Kosten unter Einbeziehung der Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der abschließenden Entscheidung
des LSG vorbehalten. Für eine vom Kläger gewünschte gesonderte Entscheidung des BSG über die Kosten des Beschwerdeverfahrens
gibt es keine Rechtsgrundlage.