Recht zum Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung, Zulässigkeit der Überprüfung des rechtmäßigen Bezugs von Arbeitslosengeld
II für die Erfüllung der erforderlichen Vorversicherungszeit durch die Krankenkasse
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob die 1948 geborene Klägerin ab dem 1.7.2006 freiwilliges Mitglied der beklagten Krankenkasse
geworden ist.
Die aus Kroatien stammende Klägerin reiste 1996 nach dem Tod ihrer Mutter in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seither lebt
sie hier im Haushalt ihrer Schwester, ohne gleichzeitig anspruchsberechtigt nach dem
Asylbewerberleistungsgesetz (AsylblG) zu sein. Die Klägerin leidet an einem angeborenen Hirnschaden und ist ständig auf die Hilfe Dritter angewiesen.
Nachdem eine familiäre Versorgung der Klägerin in Kroatien mit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr gewährleistet war und ihre
Schwester bereits längere Zeit in Deutschland lebte, war die Einreise der Klägerin aus humanitären Gründen im Wege der Familienzusammenführung
erlaubt worden. Gleichzeitig war der Klägerin dabei aufenthaltsrechtlich eine selbstständige Erwerbstätigkeit oder eine vergleichbare
unselbstständige Erwerbstätigkeit von Anfang an nicht gestattet worden. Bei jährlicher Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis
wurde der Unterhalt der Klägerin zunächst allein durch ihre Schwester und deren Ehemann sichergestellt, wobei die Klägerin
auf der Grundlage eines Beschlusses des zuständigen Amtsgerichts in Deutschland von ihrer Schwester gesetzlich betreut wird.
Die Klägerin bezog bis zum 31.12.2004 vom Sozialamt der Stadt Kassel, der Beigeladenen zu 1), Leistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG). Anschließend bewilligte ihr die beigeladene Arbeitsförderung Kassel-Stadt GmbH (AFK - Beigeladene zu 2) ua mit Bescheiden
vom 8.6.2005 und zuletzt vom 30.11.2005 für die Zeit vom 1.1.2005 bis 30.6.2006 ALG II, obwohl die Klägerin angegeben hatte, arbeitsunfähig zu sein und auch einer dreistündigen Erwerbstätigkeit nicht nachgehen
zu können. In dieser Zeit war sie pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Mit weiterem Bescheid vom 8.6.2006 wurde die
Bewilligung von ALG II mit Bescheid vom 30.11.2005 für die Zukunft ab dem 1.7.2006 aufgehoben. Seit dem 1.7.2006 bezieht die Klägerin von der
Beigeladenen zu 1) laufend Grundsicherungsleistungen nach dem SGB XII. Nachdem die Beigeladene zu 1) auf ihr entsprechendes
Ersuchen nach § 45 SGB XII eine Mitteilung der Deutschen Rentenversicherung Hessen vom 12.5.2006 erhalten hatte, der zu Folge
die Klägerin seit Geburt unabhängig von der Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert iS des §
43 SGB VI ist, bewilligte sie außerdem Leistungen nach dem SGB XII rückwirkend ab 1.3.2006. Für den Zeitraum vom 1.3. bis 30.6.2006
wurden der Beigeladenen zu 2) die der Klägerin bereits nach dem SGB II bis 30.6.2006 bewilligten Leistungen erstattet.
Am 3.7.2006 erklärte die Klägerin ihren Beitritt zur Beklagten im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung. Mit Bescheid
der Beklagten vom 4.10.2006 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8.12.2006 wurde die Durchführung der freiwilligen
Krankenversicherung mit der Begründung abgelehnt, dass die Klägerin die hierfür erforderliche Vorversicherungszeit nicht erfülle,
da sie ALG II wegen fehlender Erwerbsfähigkeit zu Unrecht bezogen habe.
Die Klägerin hat Klage erhoben. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage mit Urteil vom 19.12.2007 in vollem Umfang abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes ausgeführt:
Die angefochtenen Bescheide seien sachlich nicht zu beanstanden. Die Klägerin erfülle die erforderlichen Vorversicherungszeiten
nicht und sei deswegen nicht freiwilliges Mitglied der Beklagten in der GKV geworden. Dies ergebe sich daraus, dass die Klägerin
während des Bezuges von ALG II durchgehend voll erwerbsgemindert und gerade nicht iS von § 8 Abs 1 SGB II erwerbsfähig gewesen sei. Die Leistung sei daher mit der Folge zu Unrecht bezogen worden, dass ein Beitrittsrecht
in der GKV mangels Vorversicherungszeit nicht gegeben sei. Allein diese materielle Betrachtungsweise und ein eigenes Prüfungsrecht
der Kassen entspreche dem Gesetz.
Die Klägerin wendet sich hiergegen mit der vorliegenden Revision. Im Gegensatz zur Auffassung des SG komme es allein auf die formelle Rechtmäßigkeit des ALG II-Leistungsbezuges an. Dass sie wohl zu keinem Zeitpunkt erwerbsfähig gewesen sei, sei daher rechtlich ohne Belang. Das
Vorgehen der beteiligten Träger könne ihr jedenfalls nicht angelastet werden, sodass auch ihr Beitritt als freiwilliges Mitglied
in der Krankenversicherung nicht hätte abgelehnt werden dürfen. Es könne nämlich in einem gegliederten Sozialversicherungssystem
die Statusentscheidung oder Leistungsentscheidung eines Sozialleistungsträgers nicht dadurch berührt werden, dass ein anderer
Sozialleistungsträger später diese Entscheidung materiell anders bewerte. Die Konflikte, die sich aus divergierenden Einschätzungen
von Sozialleistungsträgern ergeben, seien zwischen diesen und nicht auf dem Rücken des Versicherten auszutragen. Eine Bindung
der Beklagten an die Entscheidung des Trägers nach SGB II sei notwendig, um zu vermeiden, dass über längere Zeit der Krankenversicherungsschutz
ungeklärt bleibe.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 19. Dezember 2007 und den Bescheid der Beklagten vom 4. Oktober 2006 in der Gestalt
des Widerspruchsbescheides vom 8. Dezember 2006 aufzuheben und festzustellen, dass die Klägerin seit 1. Juli 2006 freiwilliges
Mitglied bei der Beklagten in der gesetzlichen Krankenversicherung ist.
Die Beklagte stellt den Antrag,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Das Gesetz sei bewusst zum Schutz der Krankenkassen vor den Wirkungen rechtswidriger
Entscheidungen über ALG II um die Formulierung ergänzt worden, dass die Vorversicherungszeit für die freiwillige Versicherung nicht erreicht werde,
wenn das ALG II zu Unrecht bezogen worden sei. Läge es für die Frage der Vorversicherungszeit in den Händen der für die Leistungsbewilligung
für das ALG II zuständigen Behörde, ob diese ihren ursprünglichen Bescheid aufhebe oder nicht, würde die gesetzgeberische Absicht, eine
Risikoverteilung zwischen der Belastung der Solidargemeinschaft und der finanziellen Belastung der Sozialhilfeträger vorzunehmen,
ins Leere gehen. Das geltende Recht müsse daher in der Weise ausgelegt werden, dass den Krankenversicherungsträgern ein Prüfrecht
zustehe und bei Fehlen der Voraussetzungen für das ALG II die Vorversicherungszeit und damit die Beitrittsberechtigung auch dann ablehnen dürften, wenn der Bewilligungsbescheid
für das ALG II formell nicht aufgehoben worden sei.
Die Beigeladenen zu 1) und 2) stellen keinen eigenen Antrag. Sie schließen sich inhaltlich der Revisionsbegründung an.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin ist begründet. Die angegriffenen Bescheide sind rechtswidrig und verletzen die Klägerin in ihren
Rechten. Zu Unrecht hat daher das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin ist ab dem 1.7.2006 freiwilliges Mitglied der Beklagten geworden.
Gemäß §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB V in der hier einschlägigen Fassung des Fünften Gesetzes zur Änderung des
SGB III und anderer Gesetze vom 22.12.2005 (BGBl I 3676) können der Versicherung beitreten Personen, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht
ausgeschieden sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens vierundzwanzig Monate oder unmittelbar vor
dem Ausscheiden ununterbrochen mindestens zwölf Monate versichert waren (Halbsatz 1). Nach Halbsatz 2 der Norm werden Zeiten
der Mitgliedschaft nach §
189 SGB V und Zeiten, in denen eine Versicherung allein deshalb bestanden hat, weil ALG II zu Unrecht bezogen wurde, nicht berücksichtigt. Nach §
188 Abs
2 Satz 1
SGB V beginnt die Mitgliedschaft der in §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB V genannten Versicherungsberechtigten mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht. Der Beitritt ist schriftlich
zu erklären (§
188 Abs
3 SGB V) und den Krankenkassen innerhalb von drei Monaten anzuzeigen (§
9 Abs
2 Nr
1 SGB V).
Die Klägerin hat durch ihre form- und fristgerechte Erklärung vom 3.7.2006 zum 1.7.2006 wirksam eine freiwillige Mitgliedschaft
bei der Beklagten begründet. Sie hat in der Zeit vom 1.1.2005 bis 30.6.2006 ALG II bezogen und war deshalb nach §
5 Abs
1 Nr
2a SGB V pflichtversichertes Mitglied der Beklagten. Sie ist der Beklagten innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Pflichtmitgliedschaft
mit Ablauf des 30.6.2006 (§
190 Abs
12 SGB V) beigetreten. Die Beklagte kann sich nicht mit Erfolg darauf berufen, die notwendige Vorversicherungszeit nach §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB V sei nicht erfüllt, weil die Klägerin ALG II in der Zeit ab dem 1.1.2005 ganz oder teilweise zu Unrecht bezogen habe iS von §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 Halbsatz 2
SGB V. Vorliegend hat die beigeladene Arbeitsförderung Kassel Stadt GmbH (Beigeladene zu 2), eine Arbeitsgemeinschaft, der Klägerin
zuletzt mit Bescheid vom 30.11.2005 in Wahrnehmungszuständigkeit ua für die Agentur für Arbeit als Leistungsträger (§ 6 Abs
1 Satz 1 Nr 1 SGB II gemäß § 44b Abs 3 SGB II in der Fassung durch Art 1 Nr 21 Buchst b des Kommunalen Optionsgesetzes vom
30.7.2004, BGBl I 2014) für die Zeit vom 1.1.2005 bis 30.6.2006 ALG II bewilligt. Weil die zugrunde liegenden Bewilligungen mit Bescheid vom 8.6.2006 nur zukunftsgerichtet für die Zeit ab 1.7.2006
aufgehoben wurden, für Zeiten vorher indes bestehen blieben, bestimmen die ergangenen Bewilligungsverwaltungsakte der Beigeladenen
zu 2) damit weiterhin die unmittelbaren leistungsrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen der Klägerin und der Beigeladenen
zu 2) nach dem SGB II (§
77 SGG) und begründen die Rechtmäßigkeit des Leistungsbezugs. Ob ggf ein Erstattungsanspruch zwischen den Trägern Einfluss auf den
Bezug von ALG II auch im Zusammenhang des §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB V haben könnte, bedarf vorliegend keiner Erörterung. Eine Grundlage für die Zahlungen der Beigeladenen zu 1) an die Beigeladene
zu 2) für die Zeit vom 1.3.2006 bis 30.6.2006 ist schon im Blick auf das gesetzliche Rangverhältnis (§
5 Abs
2 Satz 1 SGB II, §
2 Abs
1 SGB XI) nicht erkennbar. Zur Versicherungspflicht aufgrund des Bezugs von Alg nach dem
SGB III hat der Senat außerdem bereits entschieden, dass schon die Zuerkennung von Rechten und Ansprüchen auf eine Sozialleistung
genügt, um für den entsprechenden Zeitraum einen Krankenversicherungsschutz begründenden "Bezug" dieser Leistung anzunehmen.
Mit dem Erlass des Bewilligungsbescheides steht dann für den gesamten Bewilligungszeitraum gleichzeitig fest, dass auch die
Krankenversicherung der Arbeitslosen besteht (BSG vom 22.5.2003, B 12 KR 20/02 R, USK 2003-9 mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 23.11.1983, 8 RK 35/82, SozR 4100 § 159 Nr 5) . Für den Bezug von ALG II gilt nichts anderes. Die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit und die gewählte Krankenkasse haben daher im Rechtsstreit
über die Beitrittsberechtigung die Tatsache hinzunehmen, dass ein Verwaltungsakt über die Bewilligung von ALG II erlassen wurde, seinen Inhalt als gegeben zugrunde zu legen und in diesem Sinne den Verwaltungsakt zu beachten, selbst
wenn er rechtswidrig sein sollte, es sei denn er ist nichtig (vgl zum allgemein anerkannten Inhalt der sog Tatbestandswirkung
exemplarisch etwa BGH vom 4.2.2004, XII ZR 301/01, BGHZ 158, 19 und vom 14.6.2007, I ZR 125/04, WRP 2007, 1359 = NVwZ-RR 2008, 154) . Dem entspricht, dass die Rechtsprechung ein Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage des potenziell nach dem SGB II Leistungsberechtigten
auf Feststellung der Zuständigkeit des hierfür zuständigen Trägers gerade auch im Blick auf den sich aus dem Leistungsbezug
mittelbar ergebenden Versicherungsschutz ua nach §
5 Abs
1 Nr
2a SGB V annimmt (vgl BSG vom 6.9.2007, B 14/7b AS 16/07 R, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen) . Die Bewilligungsverwaltungsakte der Beigeladenen zu 2) sind nicht
nichtig. Allein der Umstand, dass die Klägerin bereits bei der Stellung des Antrags auf Alg II darauf hinwies, ihrer Ansicht
nach sei sie nicht in der Lage, eine dreistündige Erwerbstätigkeit auszuüben, begründet nicht einen offensichtlichen schwerwiegenden
Fehler der Bewilligungsverwaltungsakte. Die Beigeladene zu 2) hatte auf den Antrag ua die Leistungsfähigkeit der Klägerin
selbst zu beurteilen. Aus der Sicht des Betroffenen musste ein die Leistung bewilligenden Verwaltungsakt dann den Eindruck
erwecken, er sei nach Prüfung dieser Leistungsvoraussetzung ergangen. Der Umstand, dass die Beigeladene zu 2) eine solche
Prüfung möglicherweise überhaupt nicht vorgenommen hatte, war jedenfalls für Außenstehende nicht offensichtlich. "Zu Unrecht"
iS von §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 Halbsatz 2
SGB V, der seine hier maßgebliche Fassung mit Wirkung zum 31.12.2005 durch Art 2a des Fünften Gesetzes zur Änderung des Dritten
Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22.12.2005 (BGBl I 3676) erhalten hat, könnte ALG II unter diesen Umständen grundsätzlich nur bezogen sein, wenn und soweit die ursprünglich ergangenen Bewilligungsverwaltungsakte
durch die hierfür zuständige Stelle zurückgenommen, widerrufen oder aufgehoben worden sind. In derartigen Fällen bleibt es
zwar für die Vergangenheit dennoch bei der ursprünglich durch den Bezug von ALG II begründeten Versicherungspflicht (§
5 Nr
2a SGB V), doch folgt dann aus §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 Halbsatz 2
SGB V, dass sich allein aus dem ungerechtfertigten Bezug kein Recht auf eine freiwillige Fortsetzung der früheren bestandsgeschützten
Mitgliedschaft besteht. Dafür, dass auch ein Leistungsbezug auf der Grundlage eines bestandskräftigen Verwaltungsakts des
zuständigen Trägers ausnahmsweise dennoch aus sonstigen Gründen des materiellen Rechts "zu Unrecht" iS des §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 Halbsatz 2
SGB V erfolgt sein könnte, wobei dies die Beklagte in eigener Kompetenz zu prüfen hätte, fehlt es demgegenüber an Anhaltspunkten
jedenfalls für die hier zugrunde zu legende Rechtslage vor Änderung des § 44a SGB II mit Wirkung vom 1.8.2006.
Entgegen der Rechtsansicht der Krankenversicherungsträger ist insofern eine Unterscheidung nach "formellen", dem Verwaltungsverfahrensrecht
entstammenden, und sonstigen, im einschlägigen Leistungsrecht des SGB II wurzelnden, "materiellen" Rechtsgründen für die Beurteilung
der Rechtmäßigkeit des Leistungsbezugs nicht veranlasst. Da aus der Sicht der Gerichtsbarkeit alle Regelungen, aus denen sich
Inhalt, Zustandekommen und Wirkungen von Entscheidungen der Verwaltung ergeben, dem sog materiellen Recht zugehören, hat die
Beklagte bei ihrer (deklaratorischen) Entscheidung über die Wirksamkeit eines freiwilligen Beitritts auch eine bestandskräftige
Bewilligung von ALG II zu beachten. Soweit darauf hingewiesen wird, auch andere Rechtsvorschriften des SGB stellten darauf ab, ob Leistungen
"zu Unrecht" erbracht oder nicht erbracht worden seien, setzen diese Vorschriften gerade voraus, dass die Leistung ohne Verwaltungsakt
erbracht wurde (§ 56 Abs 2 SGB X), regeln die Voraussetzungen der Rücknahme einer Leistungsablehnung (§ 44 Abs 1 SGB X) oder betreffen die Leistungsgewährung nach Erledigung des Verwaltungsaktes (§
118 Abs
4 SGB VI) . Ebenso kann Abweichendes auch dem verwaltungsverfahrensrechtlichen Untersuchungsgrundsatz (§ 20 Abs 1 Satz 1 SGB X) nicht entnommen werden, der den Trägern der zweiten Gewalt zwar aufgibt, "den Sachverhalt von Amts wegen" zu ermitteln,
damit aber nicht etwa selbst bereits die rechtlich relevanten Umstände festlegt, die Gegenstand einer derartigen Amtspflicht
sind.
Die Gesetzesentwicklung zeigt schließlich, dass ein eigenständiges Überprüfungsrecht der Krankenkassen hinsichtlich der Rechtmäßigkeit
von Leistungsbewilligung bzw -gewährung nicht beabsichtigt gewesen ist. Bis zum 31.7.2006 hatten die Krankenkassen selbst
im Verfahren zur Bewilligung von ALG II keinerlei Rechte als Beteiligte. Eine solche Beteiligung sah insbesondere § 44a SGB II in der hier maßgeblichen Fassung des Kommunalen Optionsgesetzes vom 30.7.2004 (BGBl I 2014; § 44a SGB II aF) nicht
vor. Nach dieser Fassung der Vorschrift stellt die Agentur für Arbeit fest, ob der Arbeitsuchende erwerbsunfähig und hilfebedürftig
ist (Satz 1) . Teilt der kommunale Träger oder ein anderer Leistungsträger, der bei voller Erwerbsminderung zuständig wäre,
die Auffassung der Agentur für Arbeit nicht, entscheidet die Einigungsstelle (Satz 2) . Bis zur Entscheidung der Einigungsstelle
erbringen die Agentur für Arbeit und der kommunale Träger Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Satz 3) . Träger
der gesetzlichen Krankenversicherung wie die Beklagte sind hiervon nicht erfasst. Vielmehr wäre ein Abstimmungsverfahren mit
dem Ziel einer Klärung durch die Einigungsstelle allenfalls zwischen der Beigeladenen zu 2) und den in § 44a Satz 2 SGB II
abschließend aufgeführten sonstigen Beteiligten durchzuführen gewesen. Zudem war in Fällen wie den vorliegenden bereits der
Anwendungsbereich des § 44a SGB II aF nicht eröffnet. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Beigeladene zu 2) - anders
als hier - Erwerbsunfähigkeit angenommen hätte und damit an ihrer Stelle bereits damals insbesondere die Beigeladene zu 1)
als leistungspflichtig in Betracht gekommen wäre. Selbst dann hätte im Übrigen die Beigeladene zu 2) unabhängig von der ordnungsgemäßen
Einleitung des verwaltungsinternen Einigungsstellenverfahrens grundsätzlich einstweilen endgültig (vgl zur ab dem 1.10.2005
eröffneten Möglichkeit vorläufiger Entscheidungen § 40 Abs 1 Nr 1a SGB II idF von Art 1 Nr 5 des Freibetragsneuregelungsgesetzes vom 14.8.2005, BGBl I 2407) ALG II zu erbringen gehabt. Da insofern Erwerbsfähigkeit zum Schutz des Hilfebedürftigen allein auf fiktiver Grundlage zu unterstellen
gewesen wäre, wäre hier eine Überprüfung nach dem Maßstab des § 8 SGB II weder anfänglich noch nachträglich in Betracht gekommen
(vgl zu alledem BSG vom 7.11.2006, B 7b AS 10/06 R, SozR 4-4200 § 22 Nr 2) . Dem gegenüber hat es bei der Annahme von Erwerbsfähigkeit durch den für die Bewilligung von ALG II zuständigen Träger sein Bewenden gleichermaßen gegenüber dem Leistungsempfänger, der nicht in Gefahr gerät, im Zuständigkeitsstreit
der Verwaltungsträger "zwischen zwei Stühlen zu sitzen," wie gegenüber den im Fall vollständiger Erwerbsminderung zuständigen
Trägern, die bei dieser Sachlage nicht in Gefahr geraten, selbst leistungspflichtig zu werden.
Erst durch § 44a SGB II in der ab dem 1.8.2006 geltenden Neufassung der Vorschrift durch das Gesetz zur Fortentwicklung der
Grundsicherung für Arbeitsuchende vom 20.7.2006 (BGBl I 1706) ist nunmehr sichergestellt, dass das Vorliegen von Erwerbs(un)fähigkeit
jeweils positiv wie negativ Gegenstand der Verfahren vor der Einigungsstelle sein kann und sich die aktuell als zuständig
in Betracht kommende Krankenkasse an diesem Verfahren beteiligen kann. Diese Beteiligung kann sich gleichzeitig zu Gunsten
des Systems der gesetzlichen Krankenversicherung auswirken, indem dieses auch davor bewahrt bleibt, erkennbar "schlechte Risiken"
später im Rahmen der freiwilligen Krankenversicherung übernehmen zu müssen. Dazu, ob und wie sich das ab dem 1.8.2006 geltende
Recht insbesondere im Blick auf den möglichen Erstattungsanspruch der Agentur für Arbeit/der ARGE "entsprechend § 103 SGB X" iVm der Erfüllungsfiktion des § 107 SGB X auf die Anrechenbarkeit von Vorversicherungszeiten im Rahmen des §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 Halbsatz 2
SGB V auswirkt, braucht indes vorliegend nicht eingegangen zu werden.
Für die hier maßgebende Rechtslage bedurfte es jedoch gerade im Hinblick auf die ab 1.8.2006 geltende Fassung von § 44a SGB
II der Begründung, warum der von jeder ursprünglichen Beteiligung ausgeschlossenen Beklagten hinsichtlich der Rechtmäßigkeit
einer bestandskräftigen Bewilligung von ALG II dennoch nachträglich eine umfassende eigene Prüfungsbefugnis zustehen sollte, wenn es um die Wirksamkeit des freiwilligen
Beitritts geht. An derartigen Gründen fehlt es. Insbesondere mangelt es an ausreichenden Anhaltspunkten für eine spezialgesetzliche
Begrenzung der Tatbestandswirkung. Der Wortlaut des §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 Halbsatz 2
SGB V ("zu Unrecht") steht der Anwendbarkeit der Ausschlussklausel - wie dargelegt - in allen Fällen der materiellen Rechtmäßigkeit
entgegen. Auch die Erläuterungen der Entwurfsverfasser (vgl BT-Drucks 16/245 S 9) lassen nicht erkennen, dass im Zusammenhang
der Einfügung der Worte "und Zeiten, in denen eine Versicherung allein deshalb bestanden hat, weil Arbeitslosengeld II zu
Unrecht bezogen wurde" die Möglichkeit einer materiellen Rechtmäßigkeit aus Gründen der Tatbestandswirkung bzw der Bestandskraft
überhaupt bedacht worden wäre und Eingang in das Gesetzgebungsverfahren gefunden haben könnte. Auch der dortige Hinweis, dass
nicht die unzutreffende Annahme von Erwerbsfähigkeit das Recht zur freiwilligen Versicherung eröffnen solle, lässt sich damit
in Einklang bringen, dass es gerade hieran fehlt, wenn der Bezug von ALG II seine Grundlage unabhängig von den gesetzlichen Voraussetzungen in einem Verwaltungsakt findet. Dass es entsprechender
Überlegungen bedurft hätte, ergibt sich indes aus der Rechtsprechung. So hat etwa das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) zum
sog Pensionisten-Privileg entschieden, dass unabhängig von der Rechtmäßigkeit dieses Vorgangs im Übrigen allein die Erteilung
des Rentenbescheides an den im Versorgungsausgleich Ausgleichsberechtigten die Kürzung der Versorgung des Ausgleichsverpflichteten
rechtfertigt und die Tatbestandswirkung des Verwaltungsakts von diesem hinzunehmen ist. Die durch Sachgründe gerechtfertigte
Zuerkennung der Tatbestandswirkung verletze auch die Rechtsschutzgarantie des Art
19 Abs
4 GG nicht (vgl BVerfG vom 9.1.1991, 1 BvR 207/87, BVerfGE 83, 182 = SozR 3-1100 Art 19 Nr 2; vgl ebenso zur Tatbestandswirkung eines Investitionsvorrangbescheides BVerfG vom 7.12.1999, 1 BvR 1281/95, WM 2000, 246) . Unter Berufung hierauf hat der erkennende Senat etwa in seinem Urteil vom 6.2.1992 (12 RK 15/90, BSGE 70, 99, 102 ff = SozR 3-1500 § 54 Nr 15) dem Träger der Kriegsopferversorgung mangels eigener Betroffenheit ein Anfechtungsrecht
gegen den Feststellungsbescheid verweigert, mit dem eine Krankenkasse die Mitgliedschaft eines schwerbeschädigten Rentners
in der Krankenversicherung der Rentner verneint hatte. Vielmehr sei hier die Tatbestandswirkung des Statusbescheides der Krankenkasse
hinzunehmen. Soll daher ein nicht anfechtungsberechtigter Dritt-Betroffener dennoch ausnahmsweise ganz oder teilweise von
der Tatbestandswirkung eines Verwaltungsaktes des zuständigen Trägers befreit werden, muss dies im Gesetz nachvollziehbar
seinen Ausdruck finden.
Gegen das von der Beklagten für richtig gehaltene Verständnis des Begriffs "zu Unrecht bezogen" in §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB V spricht schließlich, dass damit eine Begrenzung der Überprüfung auf Fälle der Leistungsgewährung bei unzutreffender Annahme
der Erwerbsfähigkeit nicht vereinbar wäre. Jede Krankenkasse, die für die freiwillige Versicherung gewählt wird, hätte vielmehr
ein unbeschränktes Überprüfungsrecht hinsichtlich der Rechtmäßigkeit der Leistungsbewilligung. Es könnten und müssten also
von der Antragstellung bis zur Beurteilung der Bedürftigkeit alle für die Leistung von ALG II relevanten Tatsachen von den Krankenkassen selbstständig neu geprüft werden. Dass dies mit der Änderung von §
9 Abs
1 Nr
1 SGB V gewollt sein könnte, wird aber ernstlich nicht einmal von der Beklagten oder - soweit erkennbar - anderen Krankenkassen geltend
gemacht.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.