Beitritt als schwerbehinderter Mensch zur freiwilligen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung, Vorversicherungszeit
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten darüber, ob der schwerbehinderte Kläger aufgrund seines Beitritts als freiwilliges Mitglied der
beklagten Krankenkasse in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist.
Der im Juni 1954 geborene Kläger war in der gesetzlichen Krankenversicherung zuletzt vom Juni 1995 bis zum November 1996 bei
der AOK Mainz-Kastel wegen des Bezuges von Leistungen des Arbeitsamtes Mainz pflichtversichert. Aufgrund einer seelischen
Erkrankung war er seit 1996 geschäftsunfähig. Am 9.7.1999 wurde ein Betreuer bestellt, dessen Aufgabenkreis ua die gesamte
Sorge für die Gesundheit, die Vermögenssorge sowie die Geltendmachung und Verwaltung von Ansprüchen auf Altersversorgung,
Sozialhilfe und Unterhalt umfasst. Der Betreuer stellte einen Rentenantrag und erklärte vorsorglich mit an die beklagte Krankenkasse
gerichtetem Schreiben vom 7.2.2000 den Beitritt des Klägers zur freiwilligen Versicherung. Die AOK Hessen führte mit Bescheid
vom 1.3.2000 aus, als Rentner könne der Kläger wegen fehlender Vorversicherungszeiten nicht Pflichtmitglied in der gesetzlichen
Krankenversicherung sein. Mit Bescheid vom 5.4.2000 entschied das Versorgungsamt, dass der Grad der Behinderung 60 betrage.
Die LVA Oberbayern gewährte dem Kläger mit Bescheid vom Mai 2000 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit ab Juli 1999.
Die Beklagte stellte mit Bescheid vom 13.10.2000 fest, dass der Kläger nicht ihr freiwilliges Mitglied geworden sei. Den Widerspruch
wies sie mit Widerspruchsbescheid vom 13.12.2000 zurück. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe nicht die Möglichkeit
genutzt, sich nach dem Ende der Pflichtversicherung freiwillig weiter zu versichern.
Das Sozialgericht München (SG) hat mit Urteil vom 25.11.2004 die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide verurteilt, den Kläger ab 5.4.2000 als freiwilliges
Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung zu versichern. Er habe in der Zeit vom 9.2.1995 bis 8.2.2000 aufgrund seiner
Erkrankung keine Tätigkeiten in gewisser Regelmäßigkeit - auch nicht in einer Werkstatt oder in einem Heim für Behinderte
- verrichten und deshalb die erforderliche Vorversicherungszeit nicht erfüllen können. Von der Möglichkeit, nach dem Ende
der Pflichtmitgliedschaft gemäß §
9 Abs
1 Nr
1 SGB V der gesetzlichen Krankenversicherung als freiwilliges Mitglied beizutreten, habe er behinderungsbedingt nicht rechtzeitig
Gebrauch machen können.
Das Bayerische Landessozialgericht (LSG) hat mit Urteil vom 27.4.2006 das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ua ausgeführt, nicht die Behinderung des Klägers sondern der versäumte
Beitritt nach dem Ende der Pflichtversicherung sei kausal für die Nichterfüllung der Vorversicherungszeit gewesen. Die Frist
für den Beitritt nach §
9 Abs
1 Nr
1 SGB V habe wegen der bereits seit 1996 bestehenden Geschäftsunfähigkeit des Klägers erst mit der Bestellung eines Betreuers am
10.7.1999 begonnen und am 9.10.1999 geendet. Der mit Schreiben vom 7.2.2000 erklärte Beitritt sei verspätet erfolgt. Die Fristversäumnis
beruhe auf einem Verschulden des Betreuers. Allein die Unkenntnis über das Bestehen einer ablaufenden Frist und die Schwierigkeiten
bei der Betreuung eines nicht kooperativen Geschäftsunfähigen könnten Fristversäumnisse eines Berufsbetreuers nicht entschuldigen.
Mit der vom Senat zugelassenen Revision rügt der Kläger die Verletzung des §
9 Abs
1 Nr
4 SGB V. Ihm sei es aufgrund seiner Behinderung nicht möglich gewesen, die nach dieser Vorschrift erforderliche Vorversicherungszeit
zu erfüllen. Einer versicherungspflichtigen Tätigkeit habe er nicht nachgehen können. Die Beitrittsmöglichkeit nach dem Ende
der Pflichtversicherung gemäß §
9 Abs
1 Nr
1 SGB V hätten zunächst weder er noch sein Betreuer nutzen können. Seinem Betreuer sei nicht bekannt gewesen, ob, wann und wo er
versichert gewesen sei, ob und seit wann in der Vergangenheit Geschäftsunfähigkeit bestanden habe und ob deshalb Fristen gehemmt
gewesen seien. Er selbst habe aufgrund seiner Erkrankung an der Aufklärung nicht mitwirken können. Im Übrigen schlössen sich
die Beitrittsrechte nach §
9 Abs
1 Nr
1 und Nr
4 SGB V nicht aus und ständen gleichwertig nebeneinander.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 27.4.2006 aufzuheben und die Berufung der Beklagten
gegen das Urteil des Sozialgerichts München vom 25.11.2004 zurückzuweisen.
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Zu Recht hat das LSG das Urteil des SG aufgehoben und die Klage abgewiesen. Zutreffend hat die Beklagte mit den angefochtenen Bescheiden entschieden, dass der Kläger
nicht als ihr freiwilliges Mitglied in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert ist.
§
9 SGB V regelt, unter welchen Voraussetzungen ein Beitritt als freiwilliges Mitglied zur gesetzlichen Krankenversicherung zulässig
ist. Für den Kläger kam hier sowohl ein Beitritt nach §
9 Abs
1 Nr
1 SGB V (in der hier anzuwendenden, ab 1.1.1993 bis zum 31.12.1999 geltenden Fassung des Gesundheitsstrukturgesetzes vom 21.12.1992,
BGBl I 2266) als auch nach §
9 Abs
1 Nr
4 SGB V (in der bis zum 31.7.2001 geltenden Fassung des Art 1 des Gesundheits-Reformgesetzes vom 20.12.1988, BGBl I 2477) in Betracht. Die Voraussetzungen beider Vorschriften erfüllte
der Kläger nicht.
1. Nach §
9 Abs
1 Nr
1 SGB V, nunmehr §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB V, können der gesetzlichen Krankenversicherung Personen beitreten, die als Mitglieder aus der Versicherungspflicht ausgeschieden
sind und in den letzten fünf Jahren vor dem Ausscheiden mindestens vierundzwanzig Monate oder unmittelbar vor dem Ausscheiden
mindestens zwölf Monate versichert waren. Der Beitritt ist gemäß §
9 Abs
2 Nr
1 SGB V innerhalb von drei Monaten nach Beendigung der Mitgliedschaft anzuzeigen. Er ist schriftlich zu erklären, die freiwillige
Versicherung beginnt dann - ggf auch rückwirkend - mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht (§
188 Abs
2 und
3 SGB V). Zwar hatte der Kläger die erforderliche Vorversicherungszeit erfüllt, weil er vor seinem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung
während des Leistungsbezugs vom Juni 1995 bis November 1996 mehr als zwölf Monate pflichtversichert gewesen war, den Beitritt
hatten jedoch weder er noch sein Betreuer fristgemäß erklärt.
a) Die dreimonatige Frist zur Anzeige des Beitritts begann erst mit der Bestellung eines Betreuers am 9.7.1999. Davor lief
die Frist nicht, weil der Kläger selbst vor der Bestellung des Betreuers wegen der bei ihm seit 1996 bestehenden Geschäftsunfähigkeit
seit der Beendigung der vorangegangenen Versicherungspflicht gehindert war, seinen Beitritt zu erklären (vgl Urteil des BSG
vom 27.8.1998, B 10 KR 5/97 R, BSGE 82, 283, 288 = SozR 3-5420 § 24 Nr 1 S 7).
Mit dem Zeitpunkt der Bestellung des Betreuers begann aber die Beitrittsfrist, denn zu dessen Aufgabenkreis gehörte die Sorge
für die Gesundheit und die Vermögenssorge. Er hatte damit auch die Aufgabe, die Krankheitsvorsorge sicherzustellen, und die
Befugnis, einen Krankenversicherungsschutz zu begründen oder fortzusetzen (vgl Urteil des Senats vom 14.5.2002, B 12 KR 14/01 R, SozR 3-2500 § 9 Nr 4 S 13 f). Zum Zeitpunkt der entsprechenden Erklärung des Betreuers mit Schreiben vom 7.2.2000, das als
frühestmögliche Erklärung eines Beitritts in Betracht kommt, war die Frist des §
9 Abs
2 Nr
1 SGB V jedoch bereits verstrichen.
b) Dem Kläger war wegen der Versäumung dieser Frist keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 27 SGB X zu gewähren. Die Wiedereinsetzung nach § 27 SGB X ist bei der Versäumung der Frist für den Beitritt zur freiwilligen Versicherung grundsätzlich zulässig (vgl bereits zum bis
31.12.1988 geltenden Beitrittsrecht für Schwerbehinderte nach § 176c der
Reichsversicherungsordnung -
RVO - Urteil des Senats vom 25.10.1988, 12 RK 22/78, BSGE 64, 153, 155 ff = SozR 1300 §
27 Nr
4 S 5 ff; nunmehr für die Beitrittsrechte nach §
9 Abs
2 SGB V Urteil des Senats vom 14.5.2002, B 12 KR 14/01 R, SozR 3-2500 § 9 Nr 4 S 14). Sie setzt jedoch nach § 27 Abs 1 SGB X voraus, dass sowohl den Betreuten als auch den Betreuer kein Verschulden an der Fristversäumnis trifft (vgl Urteil des Senats
vom 14.5.2002, B 12 KR 14/01 R, SozR 3-2500 § 9 Nr 4 S 15). Das LSG hat ohne Rechtsfehler angenommen, dass der Betreuer nicht ohne Verschulden gehindert
war, die Frist für den Beitritt nach §
9 Abs
1 Nr
1 SGB V einzuhalten, weil allgemeine Schwierigkeiten bei der Betreuung eines nicht kooperativen Geschäftsunfähigen Fristversäumnisse
eines Berufsbetreuers grundsätzlich nicht entschuldigten. Der Betreuer, der - wie bereits ausgeführt - im Rahmen der ihm übertragenen
Aufgaben auch befugt war, den Beitritt zur freiwilligen Krankenversicherung zu erklären, hatte zur Wahrung der Beitrittsfrist
daher unverzüglich alles zu unternehmen, um eine mögliche Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung fortzuführen
oder zu begründen. Ob die Fristversäumnis entschuldigt ist, wenn der Betreuer trotz aller Anstrengungen nicht in der Lage
ist, vorsorglich fristgemäß einen Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung zu erklären, kann offen bleiben. Solche Umstände
sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Allein, dass innerhalb der Frist, wie die Revision geltend macht, keine Akten beigezogen
werden konnten, reicht nicht aus, um ein unverschuldetes Fristversäumnis anzunehmen. Daraus folgt nämlich noch nicht, dass
für den Betreuer nicht andere Aufklärungsmöglichkeiten bestanden, die eine fristgemäße Erklärung des vorsorglichen Beitritts
möglich gemacht hätten. Mit dem kurz nach Beginn der Betreuung gestellten Rentenantrag konnte sich der Betreuer nicht begnügen,
weil die Pflichtversicherung als Rentner bzw Rentenantragsteller an eine Vorversicherungszeit geknüpft war, die der Kläger
nicht erfüllte, wie die AOK Hessen mit Bescheid vom 1.3.2000 festgestellt hat. Es kann deshalb auch offen bleiben, ob der
Beitritt innerhalb von zwei Wochen nach dem Wegfall eines möglichen Hindernisses erklärt wurde.
2. Der Kläger hat auch kein Recht zum Beitritt nach §
9 Abs
1 Nr
4 SGB V, nunmehr §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
4 SGB V. Nach dieser Vorschrift können schwerbehinderte Menschen der freiwilligen Versicherung beitreten, wenn sie, ein Elternteil
oder ihr Ehegatte in den letzten fünf Jahren vor dem Beitritt mindestens drei Jahre versichert waren, es sei denn, sie konnten
wegen ihrer Behinderung diese Voraussetzung nicht erfüllen. Die Satzung der Krankenkasse kann das Beitrittsrecht von einer
Altersgrenze abhängig machen. Nach §
9 Abs
2 Nr
4 SGB V ist der Beitritt innerhalb von drei Monaten nach Feststellung der Behinderung der Krankenkasse anzuzeigen.
Zwar hat das Versorgungsamt die Schwerbehinderung des Klägers mit Bescheid vom 5.4.2000 festgestellt und der Kläger seinen
Beitritt erklärt, die für dieses Beitrittsrecht erforderliche Vorversicherungszeit war jedoch nicht erfüllt. Ihre Erfüllung
war auch nicht entbehrlich.
a) In den letzten fünf Jahren vor der Erklärung des Beitritts waren weder der Kläger noch seine Eltern mindestens drei Jahre
in der gesetzlichen Krankenversicherung versichert. Der Vater lebte nicht mehr, die Mutter war privat krankenversichert. Die
Pflichtversicherung des Klägers gemäß §
5 Abs
1 Nr
2 SGB V bestand nur während des Bezugs von Leistungen des Arbeitsamtes bis zum November 1996. Danach bestand keine Mitgliedschaft
in der gesetzlichen Krankenversicherung mehr. Wie dargelegt war der Kläger auch nicht durch einen wirksamen Beitritt nach
dem Ende der Pflichtversicherung gemäß §
9 Abs
1 Nr
1 SGB V rückwirkend freiwilliges Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung geworden.
b) Die Vorversicherungszeit war entgegen der Auffassung der Revision auch nicht entbehrlich iS von §
9 Abs
1 Nr
4 SGB V. Ihre Nichterfüllung beruhte nämlich nicht auf der Behinderung des Klägers. Die Vorinstanzen und die Beteiligten sind davon
ausgegangen, dass der Kläger spätestens nach dem Ende der letzten Pflichtversicherung nicht mehr in der Lage war, einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung nachzugehen oder eine Pflichtversicherung durch eine Tätigkeit in einer Werkstatt oder in einem Heim für behinderte
Menschen zu begründen. Wie oben ausgeführt, wäre es ihm trotz seiner Erkrankung jedoch möglich gewesen, nach Bestellung eines
Betreuers fristgerecht nach §
9 Abs
1 Nr
1 SGB V beizutreten, damit rückwirkend ab Beendigung der Pflichtversicherung im Jahre 1996 eine freiwillige Mitgliedschaft zu begründen
und die Vorversicherungszeit des §
9 Abs
1 Nr
4 SGB V zu erfüllen.
Der Senat hat es bereits in seinem Urteil vom 10.9.1987 (12 RK 28/86, SozR 2200 § 176c Nr 8) zum Beitrittsrecht nach § 176c
RVO nicht ausgeschlossen, dass die Möglichkeit einer freiwilligen Weiterversicherung innerhalb der Rahmenfrist einem Beitrittsrecht
als Schwerbehinderter entgegenstehen könnte, diese Frage jedoch offen gelassen. Für das Beitrittsrecht nach §
9 Abs
1 Nr
1 SGB V schließt ein während der Rahmenfrist möglicher unterlassener Beitritt zur gesetzlichen Krankenversicherung, der die Vorversicherungszeit
hätte erfüllen können, das Beitrittsrecht aus, weil die erforderliche Vorversicherungszeit dann nicht allein behinderungsbedingt
fehlt. Bereits nach dem Wortlaut der Vorschrift steht die Nichterfüllung der Vorversicherungszeit einem Beitritt als Schwerbehinderten
nur dann nicht entgegen, wenn sie allein behinderungsbedingt verfehlt wird. Weshalb dann eine ungeachtet der Behinderung mögliche
Erfüllung der Vorversicherungszeit gleichwohl unbeachtlich sein soll, ist nicht zu erkennen. Vielmehr schließt die ungenutzte
Möglichkeit, während der Rahmenfrist von fünf Jahren wirksam zur freiwilligen Versicherung beizutreten und die Vorversicherungszeit
damit zu erfüllen, auch nach dem der Entstehungsgeschichte zu entnehmenden Zweck der Regelung einen Beitritt aus.
Die Vorschrift des §
9 Abs
1 Nr
4 SGB V geht auf die Regelung des § 176c
RVO zurück. Mit dieser Vorschrift war ein Beitrittsrecht für Schwerbehinderte erstmals ab 1.7.1975 mit dem Gesetz über die Sozialversicherung
Behinderter in geschützten Einrichtungen vom 7.5.1975 (BGBl I 1061) geschaffen worden. Nach der damaligen Fassung des § 176c
RVO setzte der Beitritt nur das Vorliegen einer Schwerbehinderung und die Erklärung des Beitritts voraus, er war weder von Zeiten
einer Vorversicherung abhängig noch war er an eine Frist geknüpft. Die auch heute noch geltende Vorversicherungszeit und eine
Beitrittsfrist wurden mit dem Gesetz zur Ergänzung und Verbesserung der Wirksamkeit kostendämpfender Maßnahmen in der Krankenversicherung
vom 22.12.1981 (BGBl I 1578, Kostendämpfungs-Ergänzungsgesetz - KVEG -) ab 1.1.1982 eingeführt. Hierdurch sollte das Beitrittsrecht
beschränkt werden, um Missbrauch zu begegnen, nachdem in der Vergangenheit der Beitritt oft erst erfolgte, wenn Krankheitskosten
entstanden bzw zu erwarten waren (vgl BT-Drucks 9/845 S 12). Wie der Senat in seinem Urteil vom 19.2.1987 (12 RK 37/84, BSGE 61, 169, 171 = SozR 2200 § 176c Nr 7 S 13) ausgeführt hat, wurde dieses Ziel allerdings nicht oder wenigstens nicht in erster Linie
durch die erforderliche Vorversicherungszeit erreicht, sondern dadurch, dass der Beitritt an eine kurze Frist geknüpft wurde,
die mit der Feststellung der Behinderung begann. Damit war weitgehend ausgeschlossen, dass der Behinderte mit dem für ihn
mit Beitragspflichten verbundenen Beitritt wartete, bis voraussichtlich Krankheitskosten entstehen konnten. Der Kreis der
Schwerbehinderten mit Zugang zur Krankenversicherung wurde durch die Vorversicherungszeit begrenzt, um die Krankenkassen durch
die Verringerung der Zahl der Beitrittsberechtigten finanziell zu entlasten und damit entsprechend dem Ziel des KVEG die Leistungsfähigkeit
der Krankenkassen zu sichern (vgl BT-Drucks 9/845 S 11 f), zumal Behinderte ein besonders ungünstiges Risiko in der Krankenversicherung
darstellten. Aus sozialen Gründen blieb allerdings das Beitrittsrecht ohne Vorversicherungszeit denen erhalten, die aufgrund
ihrer Behinderung nicht in der Lage waren, Zeiten einer Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung zurückzulegen.
Ausnahmsweise konnte damit eine Versicherungsmöglichkeit ohne jegliche vorherige Zugehörigkeit zur gesetzlichen Krankenversicherung
bestehen. Dieser Regelungsgehalt wurde in das
SGB V übernommen und mit anderen Beitrittsrechten in §
9 Abs
1 SGB V zusammengefasst. Die Beitrittsfristen wurden einheitlich in §
9 Abs
2 SGB V geregelt (vgl RegEntwurf zum GRG, Begründung zu § 9).
Da der Beitritt nach §
9 Abs
1 Nr
4 SGB V ebenso wie alle anderen Beitrittsrechte grundsätzlich von einer vorherigen Versicherung in der gesetzlichen Krankenversicherung
abhängt, ist die Ausnahmeregelung, die den Beitritt ohne Vorversicherungszeit ermöglicht, eng auszulegen.
Entsprechend dem Zweck der Regelung, einen Beitritt erst bei Eintritt von Kostenrisiken zu verhindern, ist der Beitritt ohne
Erfüllung der Vorversicherungszeit daher nur möglich, wenn nur und ausschließlich behinderungsbedingt innerhalb der Rahmenfrist
keine anderen Versicherungsmöglichkeiten genutzt werden konnten. Ansonsten bestünde die Möglichkeit, bis zur Stellung eines
Schwerbehindertenantrags einen möglichen Beitritt etwa nach §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 SGB V nicht zu realisieren und erst später einer Krankenkasse nach §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
4 SGB V beizutreten. Ist die Vorversicherungszeit nicht mit Pflichtversicherungszeiten oder freiwilligen Mitgliedszeiten erfüllt
(vgl zu § 176c
RVO Urteil des Senats vom 10.9.1987, 12 RK 28/86, SozR 2200 § 176c Nr 8), hat sich die Prüfung deshalb darauf zu erstrecken, ob innerhalb der Rahmenfrist eine Pflichtversicherung oder freiwillige
Versicherung behinderungsbedingt nicht begründet werden konnte. Zutreffend ist, dass, wie die Revision ausführt, die Beitrittsrechte
des §
9 Abs
1 Satz 1 Nr
1 und Nr
4 SGB V jeweils eigenständige Rechte begründen und nicht in einem Rangverhältnis stehen. Ihre Voraussetzungen sind jeweils unterschiedlich.
Wenn eine Vorversicherungszeit Voraussetzung für ein Beitrittsrecht ist, kann diese zugunsten der Beitretenden auch durch
eine durch ein anderes Beitrittsrecht begründete freiwillige Versicherung erfüllt werden und damit auch für den anderen Versicherungstatbestand
Bedeutung entfalten. Dann ist es aber auch nicht ausgeschlossen, dass eine nicht genutzte freiwillige Versicherung Wirkungen
auch zu Lasten eines Beitretenden entfaltet.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.