Parallelentscheidung zu BSG B 12 KR 85/20 B v. 09.03.2021
Gründe
I
In dem der Nichtzulassungsbeschwerde zugrunde liegenden Rechtsstreit streiten die Beteiligten um nachgeforderte Sozialversicherungsbeiträge
für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 4. als Taxifahrer.
Die Kläger führten vom 15.9.1999 bis 15.7.2002 ein Taxiunternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts
(GbR). Der zu 4. beigeladene Vater des Klägers zu 2. (im Folgenden: Kläger) war während des gesamten Zeitraums als Fahrer
tätig. Die Beklagte forderte von den Klägern für diesen und vier weitere Fahrer Sozialversicherungsbeiträge und Säumniszuschläge
in Höhe von zuletzt insgesamt 53 573,95 Euro nach. Der Beigeladene zu 4. sei zu Unrecht nur als geringfügig Beschäftigter
zur Sozialversicherung gemeldet worden, er habe mehr als die angegebenen 420 DM monatlich verdient. Da die Höhe der Versicherungsbeiträge
anhand der nicht ordnungsgemäß geführten Lohnunterlagen nicht habe festgestellt werden können, sei diese geschätzt worden
(Betriebsprüfungsbescheide vom 19.1.2005 und 18.12.2007, Widerspruchsbescheid vom 29.10.2008).
Die Klage ist erfolglos geblieben (Urteil des SG Itzehoe vom 14.7.2016). Das LSG hat die Verfahren nach Fahrern getrennt und die Berufung zurückgewiesen. Die von der Beklagten vorgenommene Schätzung
sei nicht zu beanstanden, denn sie beruhe auf einer sachlichen und nachvollziehbaren Auswertung von Schichtplänen, Fahrerzetteln
und Funklisten. Allein die Schichtpläne reichten als Schätzgrundlage aus, an deren Richtigkeit beständen keine Zweifel. Ein
Sachverständigengutachten könne die Schätzgrundlagen der Beklagten nicht widerlegen (Urteil vom 15.6.2020).
Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.
II
Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in der angefochtenen Entscheidung des LSG ist als unzulässig zu verwerfen
(§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 SGG). Der Kläger hat entgegen §
160a Abs
2 Satz 3
SGG den allein geltend gemachten Zulassungsgrund des Verfahrensfehlers (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht hinreichend bezeichnet.
Wird die Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel iS von §
160 Abs
2 Nr
3 SGG vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung beruhen könne, müssen zur Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG) die tatsächlichen Umstände, welche den geltend gemachten Verfahrensverstoß begründen sollen, substantiiert und schlüssig
dargelegt und darüber hinaus muss aufgezeigt werden, inwiefern die angefochtene Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel beruhen
kann. Dabei ist zu beachten, dass ein Verfahrensmangel nicht auf die Verletzung der §§
109,
128 Abs
1 Satz 1
SGG gestützt werden kann (§
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 2
SGG) und dass die Rüge einer Verletzung der Sachaufklärungspflicht nach §
103 SGG nur statthaft ist, wenn sie sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt ist
(§
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 3
SGG).
Das Vorbringen des Klägers wird diesen Anforderungen nicht gerecht.
1. Soweit der Kläger rügt, er habe nicht prüfen können, ob die Beigeladenen - wie protokolliert - ordnungsgemäß geladen worden
seien, ist dies bereits im Hinblick auf das Akteneinsichtsrecht (§
120 SGG) nicht nachvollziehbar. Zudem wird nicht hinreichend deutlich, ob der Kläger mit der Rüge, es seien "lediglich vier Beigeladene"
protokolliert worden, seine eigenen oder die Rechte bestimmter Dritter rügen möchte.
2. Soweit - wie hier - ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) gerügt wird, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht
ohne Weiteres auffindbaren prozessordnungsgerechten und bis zuletzt aufrechterhaltenen Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt
ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund deren bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen
und zu weiterer Sachaufklärung hätten drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme
und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf der angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen
kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterlassenen Beweisaufnahme von seinem Rechtsstandpunkt
aus zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 13.4.2015 - B 12 KR 109/13 B - juris RdNr 11 mwN). Diesen Erfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.
a) Der Kläger sieht die Sachaufklärungspflicht (§
103 SGG) als verletzt an, weil das persönliche Erscheinen der Beigeladenen nicht angeordnet worden sei. Unabhängig davon, dass damit
schon kein Beweisantrag bezeichnet wird, fehlt es an Darlegungen dazu, inwieweit die angefochtene Entscheidung auf diesem
Mangel beruhen könnte. Der Kläger zeigt weder auf, welche entscheidungserheblichen Tatsachen dadurch nicht hinreichend aufgeklärt
werden konnten, noch welchen Beitrag die Beigeladenen im Falle ihres persönlichen Erscheinens jeweils dazu hätten leisten
können. Allein der Umstand, dass der Kläger die fehlende Anordnung des persönlichen Erscheinens der Beigeladenen bereits in
der mündlichen Verhandlung vor dem LSG gerügt hat, genügt insoweit nicht.
b) Soweit der Kläger die fehlende Anhörung des Beigeladenen zu 4. als Zeugen rügt, fehlt es wegen dessen Beteiligung am Verfahren
(§
69 Nr
3 SGG) an seiner Zeugnisfähigkeit (§
106 Abs
3 Nr
4 und 7, §
116,
118 Abs
1 SGG, §
373 ZPO, vgl Thomas/Putzo,
ZPO, 35. Aufl 2014, §
373 Vorbem RdNr
6). Sofern er damit dessen fehlende Anhörung gemäß §
106 Abs
3 Nr
7, §
116 ZPO rügt, trägt der Kläger nur vor, das LSG hätte den Beigeladenen zu 4. zum Sachverhalt befragen müssen und es habe die Angaben
im erstinstanzlichen Verfahren unrichtig gewürdigt. Es fehlt aber an der Darlegung eines den Anforderungen des §
160 Abs
2 Nr
3 Teilsatz 3
SGG genügenden und in der mündlichen Verhandlung aufrecht erhaltenen Beweisantrags. Auch dazu genügt die Rüge der fehlenden Anordnung
des persönlichen Erscheinens der Beigeladenen nicht.
Dass der Kläger mit den Schlussfolgerungen des LSG und der Würdigung des Sachverhalts (§
128 Abs
1 Satz 1
SGG) nicht einverstanden ist, stellt keinen Zulassungsgrund dar (vgl §
160 Abs
2 Satz 3 Teilsatz 2
SGG).
c) Zur Rüge der fehlenden Vernehmung weiterer in der Berufungsbegründung benannter Zeugen zeigt der Kläger schon nicht auf,
dass er entsprechende prozessordnungsgemäße Beweisanträge iS des §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §
373 ZPO auch in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich aufrechterhalten habe. Dies ist aber erforderlich, damit ein Beweisantrag
seiner Warnfunktion gerecht werden kann (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 13.10.2020 - B 12 KR 8/20 B - juris RdNr 23). Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung, er habe "wie bereits dargelegt" ausweislich des Protokolls der mündlichen
Verhandlung vor dem LSG ausdrücklich gerügt, dass die Nichtvernehmung der vom Kläger benannten Zeugen eine Verletzung seines
rechtlichen Gehörs darstelle, genügen nicht. Die vom Kläger allein wiedergegebene Protokollierung ("Außerdem wird gerügt, dass das persönliche Erscheinen der Beigeladenen durch den Senat nicht angeordnet worden ist.") enthält keinen bestimmten oder bestimmbaren Beweisantrag.
d) Unabhängig davon hat der Kläger aber auch nicht hinreichend dargelegt, weshalb das LSG einem Beweisantrag ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt sei. "Ohne hinreichende Begründung" ist nicht formell im Sinne einer ausführlichen Begründung, sondern
materiell im Sinne von "ohne hinreichenden Grund" zu verstehen (stRspr; vgl BSG Beschluss vom 15.7.2019 - B 12 KR 5/19 B - juris RdNr 13; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160 RdNr 18d mwN). Darzulegen ist insoweit, dass sich das LSG von seinem sachlich-rechtlichen Standpunkt aus hätte gedrängt fühlen müssen,
den beantragten Beweis zu erheben (vgl stRspr; zB BSG aaO, RdNr 13; Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 16f mwN). Daran fehlt es bezüglich des Antrags auf Vernehmung ua der Zeugin S zum Beweisthema, "dass die Schichtpläne und Funklisten
der Taxiunion im hier maßgeblichen Zeitraum völlig unvollständig, unsorgfältig und ggf. sogar im Nachhinein von einer Büromitarbeiterin
erstellt" worden seien. Der Kläger hätte sich damit auseinandersetzen müssen, dass das LSG in dem in Bezug genommenen Urteil
die Aufklärung der Unvollständigkeit und Unrichtigkeit der Funklisten als nicht entscheidungserheblich angesehen und den klägerischen
Vortrag insoweit als wahr unterstellt hat. Zu den Schichtplänen hat das LSG ua darauf abgestellt, dass diese nicht bei der
Taxiunion, sondern bei den Klägern selbst geführt worden seien. Die Beschwerdebegründung setzt sich damit nicht hinreichend
auseinander und zeigt nicht auf, inwiefern die Zeugenvernehmung aus Sicht des LSG dennoch geboten gewesen wäre und das Urteil
auch darauf hätte beruhen können.
Soweit der Kläger weiter geltend macht, dass einige der ausgewerteten Schichtzettel von ihm nicht korrigiert worden seien
und daher nicht hätten berücksichtigt werden dürfen, hat er sich auf keinen von ihm vor dem LSG gestellten und bis zuletzt
in der mündlichen Verhandlung aufrechterhaltenen Beweisantrag und Vortrag bezogen. Zudem ist auch nicht dargelegt, dass die
angefochtene Entscheidung auf einer unzureichenden Korrektur der Schichtpläne durch den Kläger beruhen könnte. Denn die Beschwerdebegründung
enthält keine Ausführungen dazu, ob und gegebenenfalls in welchem Ausmaß die Schätzung der Beklagten durch teilweise fehlende
Korrekturen der Schichtpläne fehlerhaft sein könnte.
e) Auch die Rüge der fehlenden Beiziehung der Akte des SG Itzehoe "zur Geschäftsnummer 27 KR 68/09" erfüllt die Darlegungsanforderungen
nicht. Allein der bloße Hinweis, in der genannten Akte befänden sich nachhaltige Angaben zur Führung der Schichtpläne und
Funklisten, genügt insoweit nicht. Der Kläger legt schon nicht dar, welche Angaben zur Führung der Schichtpläne und Funklisten
sich unter Beiziehung der genannten Akten ergeben hätten und welche Bedeutung die Beklagte dem bei ihrer Schätzung hätte einräumen
müssen.
f) Schließlich kann auch die Rüge mangelnder Sachaufklärung des LSG nach §
103 SGG wegen eines fehlenden Sachverständigengutachtens zu der Frage realistisch erzielbarer Umsätze einzelner Taxifahrer nicht
durchgreifen. Der Kläger legt nicht hinreichend dar, dass die angefochtene Entscheidung des LSG darauf beruhen könnte. Soweit
er den Umsatz einzelner Schichten beispielsweise des Herrn B für unrealistisch hält, fehlt es an einer substantiierten Auseinandersetzung
mit den vom LSG dargestellten rechtlichen Grundlagen und Berechnungen für die Schätzung. Es erschließt sich aus den Darlegungen
der Beschwerdebegründung nicht, inwiefern das Schätzergebnis deshalb im Ergebnis rechtswidrig sein könnte.
3. Sofern der Kläger mit den Ausführungen zur Verletzung der Sachaufklärungspflicht gleichzeitig die Verletzung rechtlichen
Gehörs rügt, wird das den Begründungsanforderungen ebenso wenig gerecht. Durch eine Gehörsrüge können die Beschränkungen des
§
160a Abs
2 Nr
3 SGG nicht unterlaufen werden (vgl BSG Beschluss vom 22.11.2018 - B 13 R 297/17 B - juris RdNr 12; BSG Beschluss vom 18.5.2016 - B 5 RS 10/16 B - juris RdNr 8).
4. Ebenso wenig hat der Kläger hinreichend verdeutlicht, welches Vorgehen des LSG nach seinem Dafürhalten den Grundsatz des
fairen Verfahrens verletzt haben soll. Allein die Erwähnung dieses Grundsatzes in seiner Beschwerdebegründung genügt jedenfalls
nicht, um den Anforderungen des §
160a Abs
2 Satz 3
SGG gerecht zu werden.
5. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab, weil sie nicht geeignet ist, zur Klärung der Voraussetzungen der Revisionszulassung
beizutragen (§
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
6. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 3
SGG iVm §
154 Abs
2 und
3 und §
162 Abs
3 VwGO.
7. Die Streitwertfestsetzung folgt aus §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm § 52 Abs 1 und Abs 3 Satz 1, § 47 Abs 1 Satz 1 und Abs 3 sowie § 63 Abs 2 Satz 1 GKG.