Kostenerstattung der gesetzlichen Krankenversicherung für eine Kryokonservierung
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über einen Anspruch auf Erstattung entstandener Kosten der Kryokonservierung und Lagerung von Samenzellen
des Klägers sowie auf künftige Übernahme der Lagerung als Naturalleistung.
Beim 1968 geborenen, bei der beklagten Ersatzkasse versicherten Kläger wurde im März 2008 ein Rektumkarzinom diagnostiziert,
das mit einer kombinierten Chemo- und Bestrahlungstherapie behandelt werden sollte. Der Kläger ließ auf ärztlichen Rat wegen
befürchteter Zeugungsunfähigkeit am 17.4.2008 Samenzellen kryokonservieren. Hierfür und für sechs Monate Einlagerung musste
er dem Kryozentrum M. 565,56 Euro zahlen. Sein Erstattungsantrag - frühestens vom 18.4.2008 - blieb bei der Beklagten ohne
Erfolg (Bescheid vom 19.5.2008; Widerspruchsbescheid vom 10.7.2008). Im sich anschließenden Klageverfahren hat der Kläger
weitere 121,69 Euro für die Lagerung der Samenzellen in der folgenden Zeit vom 17.10.2008 bis zum 17.4.2009 geltend gemacht.
Mit seinem Begehren, von der Beklagten 687,25 Euro sowie künftig die Lagerung der Samenzellen als Naturalleistung zu erhalten,
hat der Kläger beim SG (Gerichtsbescheid vom 9.1.2009) und im Berufungsverfahren beim LSG keinen Erfolg gehabt. Das LSG hat ua ausgeführt, §
27a SGB V scheide als Rechtsgrundlage eines Anspruchs aus, da eine Kryokonservierung einschließlich Lagerung nicht zu den Maßnahmen
gehöre, die einem einzelnen Zeugungsakt entsprächen und unmittelbar der Befruchtung dienten. Auf solche Leistungen sei aber
die Rechtsfolge des §
27a SGB V beschränkt. Kryokonservierung und Lagerung von Samenzellen seien keine Maßnahme der Krankenbehandlung iS von §
27 Abs
1 SGB V. Ein Anspruch auf Gleichbehandlung mit dem beamtenrechtlichen Beihilferecht bestehe nicht (Urteil vom 6.8.2009).
Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V, §
27 Abs
1 und §
27a Abs
1 SGB V. Bereits der therapiebedingt drohende Eintritt der Zeugungsunfähigkeit sei eine Krankheit. Die Kryokonservierung und Einlagerung
der Samenzellen dienten der Erhaltung bzw Wiederherstellung seiner Zeugungsfähigkeit im Rahmen einer künstlichen Befruchtung.
Deshalb seien die in der Vergangenheit entstandenen Kosten zu erstatten und künftig die Lagerung von der Beklagten zu übernehmen.
Er (der Kläger) sei nach dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art
3 Abs
1 GG mit weiblichen Erkrankten gleich zu behandeln, bei denen die Fähigkeit zur Empfängnis auf natürlichem Wege durch Kryokonservierung
und anschließende Reimplantation von Eierstockgewebe erhalten bleiben könne. Entgegen der Auffassung des LSG setze der Erstattungsanspruch
nach §
13 Abs
3 SGB V nicht voraus, dass die Kostenbelastung kausal auf der rechtswidrigen Leistungsablehnung beruhe. Ihm (dem Kläger) sei die
Notwendigkeit einer rechtzeitigen Antragstellung nicht bekannt gewesen.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. August 2009, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Koblenz vom
9. Januar 2009 und den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2008 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Juli 2008
aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm 687,25 Euro zu zahlen sowie ihm künftig die Lagerung seiner Samenzellen als
Naturalleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zutreffend entschieden, dass der Kläger von der
beklagten Ersatzkasse weder die Erstattung von 687,25 Euro noch die Übernahme der künftigen Lagerung seiner Samenzellen beanspruchen
kann. Denn der das
SGB V ordnet die Kryokonservierung und Lagerung seiner Samenzellen der Eigenverantwortung der Versicherten zu (§
2 Abs
1 Satz 1
SGB V).
1. Sowohl ein Anspruch gegen die Beklagte auf künftige Fortführung der Kryokonservierung und Lagerung der Samenzellen als
auch auf Erstattung für die hierfür vom Kläger selbst in der Vergangenheit aufgewandten Kosten nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V setzt voraus, dass der Kläger Anspruch auf eine solche Naturalleistung hat (vgl zur Abhängigkeit dieses Kostenerstattungsanspruchs
vom Naturalleistungsanspruch zB BSG Urteil vom 17.2.2010 - B 1 KR 10/09 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 27 Nr 18 vorgesehen, RdNr 11 mwN; stRspr). Der Kostenerstattungsanspruch reicht nämlich
nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbst beschaffte Behandlung zu
den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr;
vgl zB BSGE 79, 125, 126 f = SozR 3-2500 § 13 Nr 11 S 51 f mwN; BSGE 97, 190 = SozR 4-2500 § 27 Nr 12, RdNr 11 mwN LITT; zuletzt zB BSG SozR 4-2500 § 27 Nr 16 RdNr 8 mwN; vgl zum Ganzen: E. Hauck in
H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung Bd 1, 19. Aufl, 74. Lfg, Stand: 1.4.2010, §
13 SGB V RdNr 233 ff). An einem Anspruch des Klägers auf die begehrte Naturalleistung fehlt es. Der Kläger kann den geltend gemachten
Anspruch weder auf §
27a SGB V (dazu 2.) noch auf §
27 SGB V stützen (dazu 3.).
2. Ein Anspruch aus §
27a SGB V erfasst nur Maßnahmen der künstlichen Befruchtung, die dem einzelnen natürlichen Zeugungsakt entsprechen und unmittelbar
der Befruchtung dienen, nicht aber eine Kryokonservierung und Lagerung von Samenzellen (stRspr; vgl zB BSGE 86, 174 = SozR 3-2500 § 27a Nr 1; BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 3; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 8 f; BSG Urteil vom 17.2.2010 - B 1 KR 10/09 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 27 Nr 18 vorgesehen, RdNr 15, mwN).
3. Der Kläger kann sich auch nicht mit Erfolg auf §
27 Abs
1 SGB V stützen. Nach §
27 Abs
1 Satz 1
SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre
Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern; nach Satz 4 dieser Vorschrift gehören zur Krankenbehandlung
auch Leistungen zur Herstellung der Zeugungs- oder Empfängnisfähigkeit, wenn diese Fähigkeit nicht vorhanden war oder durch
Krankheit oder wegen einer durch Krankheit erforderlichen Sterilisation verloren gegangen war. Die Krankenbehandlung nach
§
27 Abs
1 Satz 4
SGB V zielt darauf ab, die Fähigkeit ganz oder teilweise wiederherzustellen, auf natürlichem Wege eine Schwangerschaft herbeizuführen.
Maßnahmen, die sich als Teil einer künstlichen Befruchtung erweisen, regelt das Gesetz demgegenüber allein im Rahmen des §
27a SGB V (vgl auch Brandts in: Kasseler Kommentar, Sozialversicherungsrecht, Stand: April 2010, §
27a SGB V RdNr 7 f; E. Hauck, SGb 2009, 321, 322).
Auch die Rechtsentwicklung gibt keinen Anlass, vom dargelegten Regelungssystem zu Gunsten des Klägers abzuweichen. Bereits
zum Rechtszustand unter Geltung der
RVO hat die Rechtsprechung des BSG das Einfrieren und Lagern von Samen eines Mannes auf unbestimmte Zeit nicht als Leistung der
Krankenpflege iS des § 182
RVO angesehen, da es im Wesentlichen nicht um eine ärztliche Leistung geht, und die Leistung auch nicht als Heil- oder Hilfsmittel
anzusehen ist. Zugleich hat sie dies auch für den Rechtszustand nach dem
SGB V entschieden (vgl insgesamt BSG SozR 3-2200 § 182 Nr 3 [3. Senat]). Das BSG hat zur Kryokonservierung vorsorglich gewonnener imprägnierter Eizellen im Vorkernstadium zur Durchführung
späterer Versuche einer extrakorporalen Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) im Anschluss hieran entschieden, dass diese Maßnahme
nicht Gegenstand des Anspruchs auf Krankenbehandlung und keine von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu leistende
medizinische Maßnahme zur Herbeiführung einer Schwangerschaft nach §
27a SGB V ist, ferner, dass diese Auslegung nicht gegen höherrangiges Recht verstößt (BSGE 86, 174 = SozR 3-2500 § 27a Nr 1 [8. Senat]).
Der erkennende Senat ist - hieran anknüpfend - davon ausgegangen, dass das Einfrieren und Lagern männlichen Samens auf unbestimmte
Zeit ebenso wie die Kryokonservierung und Lagerung vorsorglich gewonnener Eizellen für die Wiederholung eines Versuchs der
Befruchtung keine Leistung der GKV ist (vgl BSG Beschluss vom 9.12.2004 - B 1 KR 95/03 B - juris; BSG SozR 4-2500 § 27a Nr 1 RdNr 15; zustimmend zitiert in BSG Urteil vom 17.2.2010 - B 1 KR 10/09 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-2500 § 27 Nr 18 vorgesehen, RdNr 15, mwN). Der Gesetzgeber hat diese ständige Rechtsprechung
des BSG nicht etwa mit dem Ziel korrigiert, die Kryokonservierung und Lagerung von Samen oder Eizellen in den Leistungskatalog
der GKV einzubeziehen, sondern er hat sogar den Leistungsrahmen des §
27a SGB V eingeschränkt (vgl dazu zB BSG SozR 4-2500 §
27a Nr 5, nachfolgend BVerfG NJW 2009, 1733).
Einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art
3 Abs
1 GG im Hinblick auf den vom Senat für möglich gehaltenen Anspruch auf Kryokonservierung von Eierstockgewebe (vgl BSG Urteil vom
17.2.2010, aaO) kann der Kläger nicht mit Erfolg geltend machen. Der allgemeine Gleichheitssatz gebietet, alle Menschen vor
dem Gesetz gleich zu behandeln. Damit ist dem Gesetzgeber allerdings nicht jede Differenzierung verwehrt. Er verletzt das
Grundrecht nur, wenn er eine Gruppe von Normadressaten anders als eine andere behandelt, obwohl zwischen beiden Gruppen keine
Unterschiede von solcher Art und von solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen (stRspr, vgl
zB BVerfGE 112, 50, 67 = SozR 4-3800 § 1 Nr 7 RdNr 55 mwN; BVerfGE 117, 316 = SozR 4-2500 § 27a Nr 3). Daran fehlt es. Die Entnahme und Kryokonservierung von Eierstockgewebe zur späteren Reimplantation
gehört als im Wesentlichen ärztliche Behandlung (vgl BSG Urteil vom 17.2.2010, aaO; unzutreffend Schiffner, SGb 2010, 548 f) zur Krankenbehandlung, wenn sie die natürliche Empfängnisfähigkeit wiederherstellen soll. Die Kryokonservierung von Samen
oder Eizellen ermöglicht dagegen eine künftige künstliche Befruchtung.
Ohne Erfolg beruft sich der Kläger auch auf eine Art
3 Abs
1 GG verletzende Ungleichbehandlung, gestützt auf einen Vergleich der Versicherten der GKV und der beihilfeberechtigten Beamten.
Ganz unabhängig von der Frage, inwieweit überhaupt ein Anspruch auf Kryokonservierung und Lagerung von Samen im Rahmen des
beamtenrechtlichen Beihilferechts besteht, berücksichtigt der Kläger nicht, dass es sich bei dem beamtenrechtlichen Schutz
einerseits und dem Schutz durch die GKV andererseits um unterschiedliche Systeme handelt, die nach unterschiedlichen Prinzipien
strukturiert sind und deshalb zu unterschiedlichen Ergebnissen gelangen können, ohne dass damit ein Gleichheitsverstoß verknüpft
ist. Die GKV beruht auf dem Grundkonzept, dass die Versicherten bei Eintritt von Krankheit unabhängig von der Höhe ihrer Beiträge
eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung erhalten (vgl zB BVerfGE 115, 25, 26 f = SozR 4-2500 § 27 Nr 5 RdNr 2). Damit steht die GKV im Gegensatz zu der privaten Eigenvorsorge des Beamten und der
ergänzenden, nachrangigen Unterstützung durch dessen Dienstherrn. Die beamtenrechtliche Krankenfürsorge ist am Regeltyp des
Dienstes im Beamtenverhältnis als Lebensberuf orientiert, der gerade im Hinblick auf den beamtenrechtlichen Schutz von der
Versicherungspflicht in der GKV ausgenommen ist (vgl §
6 Abs
1 Nr
2 SGB V). Leistungen im Rahmen der Beihilfe richten sich nach den dort geltenden Alimentations- und Fürsorgepflichten. Die Krankheitsvorsorge
aufgrund von Beihilfe und Privatversicherung unterscheidet sich damit von der GKV sowohl im Hinblick auf die verfassungsrechtliche
Verankerung, die Finanzierung, die Leistungsvoraussetzungen und das Leistungsspektrum als auch auf die Leistungsformen (vgl
BVerwGE 125, 21, 32). Unter Berücksichtigung dieser wesentlichen Strukturunterschiede kann eine abweichende Ausgestaltung des Beihilferechts
gegenüber dem
SGB V keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz begründen. Es liegt nämlich im Ermessen des Gesetzgebers, sich für verschiedene
Leistungssysteme zu entscheiden, in denen sich der Gleichheitssatz den Eigenarten der Systeme entsprechend unterschiedlich
auswirkt (vgl bereits BSGE 38, 149 = SozR 2200 § 1267 Nr 3; BSGE 41, 157 = SozR 5420 § 2 Nr 2; BSGE 47, 259 = SozR 3100 § 40a Nr 6; zuletzt: BSG Beschluss vom 16.2.2009 - B 1 KR 87/08 B - juris).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.