Erstattung der Kosten für die Teilnahme an ärztlich verordnetem Funktionstraining aus der gesetzlichen Krankenversicherung
Gründe:
I. Die Beteiligten streiten über die Erstattung der Kosten für die Teilnahme an ärztlich verordnetem Funktionstraining.
Die 1935 geborene, bei der beklagten Ersatzkasse versicherte Klägerin leidet an rheumatoider Arthritis mit schmerzhaft eingeschränkter
Beweglichkeit beider Schultern sowie der Fingergelenke mit Schwellneigung und zunehmender Bewegungseinschränkung. Wegen dieser
Erkrankungen nahm sie seit 1994 regelmäßig am Funktionstraining der Deutschen Rheuma-Liga teil, für das ihr die Beklagte Kostenzusagen
erteilt hatte, zuletzt bis 31.3.2005.
Die Klägerin beantragte, die Kostenübernahme zu verlängern, und berief sich auf die Verordnung von Funktionstraining durch
die Allgemeinmedizinerin Dr. D. vom 28.1.2005 (Wassergymnastik für weitere zwölf Monate zweimal wöchentlich). Die Beklagte
lehnte dies ab: Nach Nr 4.4.4 der "Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining" vom 1.10.2003
(im Folgenden: Rahmenvereinbarung 2003) betrage der Leistungsumfang grundsätzlich maximal 24 Monate; darauf seien die von
April bis Dezember 2003 gewährten Leistungen anzurechnen (Nr 20.4 Rahmenvereinbarung 2003), sodass die Kostenübernahme am
31.3.2005 geendet habe; eine längere Leistungsdauer sei nach Nr 4.4.1 aaO nur möglich, wenn die Motivation zur langfristigen
Durchführung des Übungsprogramms in Eigenverantwortung krankheits- oder behinderungsbedingt nicht oder noch nicht gegeben
sei und ein in besonderer Weise qualifizierter Arzt dies bestätigt habe; daran fehle es bei der Klägerin (Bescheid vom 13.5.2005;
Widerspruchsbescheid vom 29.7.2005). Die Klägerin nahm vom 1.4.2005 bis 31.3.2006 am Funktionstraining in Rheumatherapiegruppen
als Selbstzahlerin teil und wandte dafür 260 Euro auf.
Das gegen die Entscheidung der Beklagten angerufene Sozialgericht (SG) hat die Klage abgewiesen (Urteil vom 14.12.2006). Das Landessozialgericht (LSG) hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen:
Ein Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 SGB V, §
15 Abs
1 Satz 4
SGB IX greife nicht ein, weil die Beklagte die begehrte Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt habe. Anspruch auf Funktionstraining
nach §
43 Abs
1 SGB V iVm §
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX bestehe generell nur zeitlich befristet entsprechend der Rahmenvereinbarung 2003. Es bestehe kein Anhalt für Gründe, um bei
der Klägerin ausnahmsweise davon abzuweichen; für die Zeit vom 1.4.2005 bis 31.3.2006 fehle vielmehr eine qualifizierte ärztliche
Bescheinigung, die der Rahmenvereinbarung 2003 genüge (Urteil vom 6.9.2007).
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von §
43 Abs
1 SGB V iVm §
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX.
SGB V und
SGB IX berechtigten die Rehabilitationsträger nicht dazu, den Anspruch auf Funktionstraining einschränkend zu regeln. Die Rahmenvereinbarung
2003 dürfe als bloße "Empfehlung" iS von §
13 SGB IX nur der Koordination und Kooperation der Rehabilitationsträger dienen.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz vom 6. September 2007 und das Urteil des Sozialgerichts Koblenz vom 14.
Dezember 2006 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 13. Mai 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 29. Juli 2005 zu verurteilen, ihr 260 Euro zu zahlen, hilfsweise, das Urteil des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz
vom 6. September 2007 aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an dieses Gericht zurückzuverweisen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
II. Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LSG begründet (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG).
Das angefochtene LSG-Urteil ist aufzuheben, weil die beklagte Ersatzkasse und die Vorinstanzen einen Anspruch der Klägerin
auf Erstattung von 260 Euro für die Teilnahme am Funktionstraining vom 1.4.2005 bis 31.3.2006 zu Unrecht aus allgemeinen Rechtsgründen
verneint haben. Ob und in welchem Umfang die Klägerin einen Kostenerstattungsanspruch hat, lässt sich ohne weitere, vom LSG
nachzuholende Feststellungen nicht beurteilen.
Die Klägerin kann von der Beklagten Kostenerstattung ausschließlich gemäß §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V verlangen, wenn dessen noch festzustellende Voraussetzungen erfüllt sind (dazu 1.).
Weil das LSG die geltend gemachte Erstattung nicht mit der Begründung verneinen durfte, der Anspruch auf Funktionstraining
sei wegen seiner generellen Befristung am 31.3.2005 erschöpft gewesen (dazu 2.), muss das LSG - mangels getroffener Feststellungen
- noch die Voraussetzungen dafür ermitteln, dass die Klägerin Funktionstraining vom 1.4.2005 bis 31.3.2006 beanspruchen konnte
(dazu 3.).
1. §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V bestimmt: "Konnte die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen oder hat sie eine Leistung zu
Unrecht abgelehnt und sind dadurch Versicherten für die selbst beschaffte Leistung Kosten entstanden, sind diese von der Krankenkasse
in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war." Allein diese Rechtsgrundlage kommt hier in Betracht.
Zwar sieht §
13 Abs
3 Satz 2
SGB V vor, dass die Kosten für selbst beschaffte Leistungen zur medizinischen Rehabilitation nach dem
SGB IX nach §
15 SGB IX erstattet werden. Der Klägerin geht es aber nicht um solche Leistungen. Vielmehr handelt es sich beim Funktionstraining um
"ergänzende Leistungen" iS von §
11 Abs
2 Satz 1 letzter Fall
SGB V, §
43 Abs
1 SGB V, §
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX.
Ob die Voraussetzungen des §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V für die Erstattung von 260 Euro für das von der Klägerin für die gesamte Zeit vom 1.4.2005 bis 31.3.2006 in Anspruch genommene
Funktionstraining erfüllt sind, bedarf weiterer Ermittlungen.
a) Es fehlt an hinreichenden Feststellungen zu den Voraussetzungen des §
13 Abs
3 Satz 1 Fall 1
SGB V. Die Anwendung dieser Regelung kommt hier in Betracht, denn die Klägerin hat das Funktionstraining ab 1.4.2005 in Anspruch
genommen und auf der Grundlage der bisherigen Feststellungen des LSG möglicherweise teilweise die Kosten hierfür schon getragen,
bevor die Beklagte die Leistung abgelehnt hat (Bescheid vom 13.5.2005). Konnte die Klägerin das Funktionstraining ab 1.4.2005
bis 31.3.2006 als Naturalleistung beanspruchen (dazu 3.), hat die Beklagte der Klägerin diese Kosten insgesamt zu erstatten,
soweit die Inanspruchnahme des Funktionstrainings vor der Entscheidung der Beklagten unaufschiebbar war. Dazu fehlen Feststellungen
des Berufungsgerichts. Sie sind nicht etwa entbehrlich, weil ohne Weiteres vom Fortbestehen eines entsprechenden durchgehenden
Bedarfs der Klägerin an Funktionstraining ausgegangen werden könnte; denn es ist denkbar, dass das Training zB auch wegen
Urlaubs oder Krankheit vorübergehend ausgesetzt werden muss, ohne dass Unaufschiebbarkeit besteht. In diesem Zusammenhang
kann auch von Belang sein, dass dann, wenn eine Behandlung ohne Einschaltung der Krankenkasse begonnen wurde, eine Erstattung
auch für die nachfolgenden Leistungen ausscheidet, wenn sich die Ablehnung (bei Vorliegen einer nicht teilbaren Behandlungseinheit)
auf den weiteren Behandlungsverlauf nicht mehr auswirken kann (vgl BSG SozR 3-2500 § 28 Nr 6 S 35 f).
b) Das LSG hat - von seinem Rechtsstandpunkt aus konsequent - auch nicht (alternativ) festgestellt, dass die Klägerin bezogen
auf den gesamten betroffenen Zeitraum iS von §
13 Abs
3 Satz 1 Fall 2
SGB V durch eine rechtswidrige Leistungsablehnung der Beklagten dazu veranlasst wurde, sich die Leistung selbst zu beschaffen und
Kosten für die begehrte Leistung selbst aufzubringen.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats muss zwischen der rechtswidrigen Ablehnung durch den Leistungsträger und der
Kostenlast des Versicherten ein Ursachenzusammenhang bestehen. An einem solchen Zusammenhang fehlt es nicht nur, wenn die
Krankenkasse vor Inanspruchnahme der Behandlung mit dem Leistungsbegehren überhaupt nicht befasst wurde, sondern auch dann,
wenn dies zwar der Fall war, der Versicherte die Entscheidung der Krankenkasse aber nicht zunächst abgewartet hat, obwohl
ihm dies möglich und zumutbar gewesen wäre. Das Abwarten einer abschlägigen Verwaltungsentscheidung der Krankenkasse ist selbst
dann nicht entbehrlich, wenn die Ablehnung des Leistungsbegehrens - etwa auf Grund von Erfahrungen aus anderen Fällen - von
vornherein feststeht (stRspr, vgl zB BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 15 S 75 mwN; BSG SozR 3-2500 § 13 Nr 22 S 105 f; BSGE 96, 161 = SozR 4-2500 § 13 Nr 8, jeweils RdNr 23); dies gilt auch, wenn es - wie hier - um Leistungen geht, die kraft Gesetzes oder
durch untergesetzliche Regelwerke (vermeintlich) ausgeschlossen sind (vgl BSG SozR 4-2500 § 13 Nr 12 RdNr 10 ff, für einen
gesetzlichen Leistungsausschluss). Auch zur Kausalität zwischen Leistungsablehnung und Kostenbelastung muss das LSG - wenn
es nicht schon zum Vorliegen unaufschiebbarer Maßnahmen gelangt - die erforderlichen Feststellungen nachholen. Die Bejahung
der Kausalität kommt hier in Betracht, weil sich die Klägerin in ihrem an die Beklagte gerichteten Antragsschreiben vom 14.4.2005
bereits auf eine - allerdings nicht in den Akten befindliche und vom LSG nicht festgestellte - "schriftliche Ablehnung vom
04.03.2005" bezieht.
c) Zutreffend ist das LSG davon ausgegangen, dass ein Kostenerstattungsanspruch nach §
13 Abs
3 Satz 1
SGB V nur so weit reicht wie ein entsprechender Naturalleistungsanspruch. Die selbst beschaffte Leistung muss zu den Leistungen
gehören, welche die Krankenkassen als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (stRspr, zuletzt zB BSG, Urteil vom 22.4.2008
- B 1 KR 22/07 R, RdNr 13, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen, mwN). Es fehlt an hinreichenden Feststellungen, um zu entscheiden, ob
die Klägerin Anspruch auf das begehrte Funktionstraining vom 1.4.2005 bis 31.3.2006 gehabt hat.
2. Anders als das LSG entschieden hat, beträgt der höchstzulässige Leistungsumfang des Funktionstrainings bei Krankheiten,
wie sie bei der Klägerin bestehen, nicht grundsätzlich 24 Monate. Aus den für die Beurteilung dieser Frage heranzuziehenden
maßgeblichen Rechtsgrundlagen lässt sich eine derartige Beschränkung des Leistungsanspruchs für Versicherte der gesetzlichen
Krankenversicherung (GKV) nicht gesetzeskonform herleiten. Vielmehr ergibt sich derzeit eine Einschränkung der Anspruchshöchstdauer
nur dadurch, dass die Leistungen individuell im Einzelfall geeignet, notwendig und wirtschaftlich sein müssen (vgl §
11 Abs
2 Satz 1
SGB V, §
43 Abs
1 SGB V iVm §
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX, §
12 Abs
1 SGB V).
a) Versicherte der GKV - wie die Klägerin - haben gemäß §
11 Abs
2 Satz 1
SGB V "Anspruch auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sowie auf unterhaltssichernde und andere ergänzende Leistungen,
die notwendig sind, um eine Behinderung ... abzuwenden, zu beseitigen, zu mindern oder auszugleichen, ihre Verschlimmerung
zu verhüten oder ihre Folgen zu mindern." Diese Leistungen werden unter Beachtung des
SGB IX erbracht, soweit im
SGB V nichts anderes bestimmt ist (§
11 Abs
2 Satz 3
SGB V; zur Reichweite vgl BSG, Urteil vom 26.6.2007 - B 1 KR 36/06 R, RdNr 18 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
§
43 Abs
1 Nr
1 SGB V regelt, dass die Krankenkasse neben den Leistungen, die nach §
44 Abs
1 Nr
2 bis 6
SGB IX sowie nach §§
53 und
54 SGB IX als ergänzende Leistungen zu erbringen sind, weitere Leistungen zur Rehabilitation ganz oder teilweise erbringen oder fördern
kann, wenn sie zuletzt Krankenbehandlung gewährt hat oder leistet. §
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX sieht als ergänzende Leistung ua zur medizinischen Rehabilitation, welche die in §
6 Abs
1 Nr
1 bis 5
SGB IX genannten Rehabilitationsträger (ua die Beklagte, §
6 Abs
1 Nr
1 SGB IX) zu erbringen haben, "ärztlich verordnetes Funktionstraining in Gruppen unter fachkundiger Anleitung und Überwachung" vor.
Aus dem Wortlaut des §
43 Abs
1 SGB V ("zu erbringen ... sind") folgt, dass ein Rechtsanspruch auf die ergänzende Leistung Funktionstraining besteht, wenn die
in der Regelung genannten Voraussetzungen vorliegen. Die Verweisung des §
43 Abs
1 SGB V auf die darin angesprochenen Regelungen des
SGB IX über die Erbringung ergänzender Leistungen zur Rehabilitation bewirkt, dass diese Regelungen im Bereich der GKV Anwendung
finden, weil das
SGB V für das in §
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX geregelte Funktionstraining nichts Abweichendes iS von §
11 Abs
2 Satz 3
SGB V und §
7 SGB IX bestimmt (vgl entsprechend BSG, Urteil vom 26.6.2007 - B 1 KR 36/06 R, RdNr 18 mwN, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen; Urteil vom 22.4.2008 - B 1 KR 22/07 R, RdNr 30, zur Veröffentlichung in SozR vorgesehen).
Eine Begrenzung der Anspruchshöchstdauer für das Funktionstraining auf zwölf bzw 24 Monate sehen das
SGB V und das
SGB IX selbst nicht ausdrücklich vor. Allerdings enthält die "Rahmenvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining"
vom 1.10.2003 ("Rahmenvereinbarung 2003") derartige allgemeine Befristungen. Sie wurde im Wesentlichen zwischen Leistungsträgern
aus dem Bereich der Rehabilitation einerseits und verschiedenen Behinderten(sport)verbänden andererseits geschlossen. Die
Rahmenvereinbarung 2003 ist im Falle der Klägerin noch anwendbar, nicht aber die zum 1.1.2007 geänderte Neufassung, die sich
nur auf ärztliche Verordnungen vom 1.1.2007 an bezieht (Nr 20.3 Rahmenvereinbarung 2007).
Unter Nr 4 Rahmenvereinbarung 2003 werden "Leistungsumfang, Dauer und Leistungsausschlüsse" angesprochen: Die Erforderlichkeit
für Funktionstraining im Sinne der Vereinbarung ist danach grundsätzlich so lange gegeben, wie der behinderte oder von Behinderung
bedrohte Mensch während der Übungsveranstaltungen auf die fachkundige Leitung des/der Übungsleiter/-in/Therapeuten/-in angewiesen
ist, um die in Nr 2.3 und 3.3 genannten Ziele zu erreichen (Nr 4.1 Rahmenvereinbarung 2003). In der GKV wird Funktionstraining
zur Erreichung dieser Ziele längstens für die in Nr 4.4.2 bis 4.4.4 genannten Zeiträume erbracht (Nr 4.4 Rahmenvereinbarung
2003). Unter Nr 4.4.4 Rahmenvereinbarung 2003 heißt es dazu: "In der GKV beträgt der Leistungsumfang des Funktionstrainings
zwölf Monate. Bei schwerer Beeinträchtigung der Beweglichkeit/Mobilität durch chronisch bzw chronisch progredient verlaufende
entzündlich rheumatische Erkrankungen (rheumatoide Arthritis, Morbus Bechterew, Psoriasis-Arthritis), schwere Polyarthrosen,
Kollagenosen, Fibromyalgie-Syndrome und Osteoporose beträgt der Leistungsumfang 24 Monate." Eine längere Leistungsdauer ist
nur vorgesehen, wenn die Motivation zur Durchführung des Übungsprogramms in Eigenverantwortung krankheits- oder behinderungsbedingt
nicht oder noch nicht gegeben ist (Nr 4.4.1 Rahmenvereinbarung 2003).
b) Entgegen der Ansicht des LSG lässt sich eine generelle, allgemeine Befristung des Funktionstrainings nicht aus dem Gesetz
ableiten (dazu aa bis cc). Soweit die Rahmenvereinbarung 2003 die Leistung auf zwölf, ausnahmsweise 24 Monate begrenzt und
nur in engen Grenzen darüber hinaus anerkennt, ist die Vereinbarung in Bezug auf Rechte der Anspruchsberechtigten der GKV
nach §
43 SGB V nichtig (dazu dd).
aa) Dem LSG kann nicht darin gefolgt werden, dass das Funktionstraining schon "begrifflich" nach der Konzeption des Gesetzes
nur ein mit zeitlicher Begrenzung zu gewährendes Übungsprogramm sei und bereits daher einer Höchstförderungsdauer unterliege.
Denn weder definieren
SGB V und
SGB IX den Begriff des Funktionstrainings in diesem Sinne selbst, noch kann sonst angenommen werden, dass ihm ein bestimmter einheitlicher
Bedeutungsgehalt im Sinne einer immanenten zeitlichen Begrenzung innewohnt, die zwangsläufig zu einer nach Monaten oder Jahren
zu bemessenden Höchstdauer führt.
Das Funktionstraining wurde durch Art 1 Nr 21 des Gesetzes zur Reform der GKV ab dem Jahr 2000 vom 22.12.1999 (BGBl I 2626)
mit Wirkung vom 1.1.2000 in §
43 Nr 1 Halbsatz 2
SGB V explizit als Leistung der GKV benannt ("Die Krankenkasse kann als ergänzende Leistungen ... den Rehabilitationssport fördern,
der Versicherten ärztlich verordnet und in Gruppen unter ärztlicher Betreuung ausgeübt wird; das gilt auch für das Funktionstraining").
Seit Schaffung des
SGB IX wird es mit Wirkung vom 1.7.2001 - wiederum ohne eine Legaldefinition - systematisch in der Weise erfasst, dass §
43 Abs
1 SGB V auf §
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX verweist.
bb) Es bedarf keiner Entscheidung, ob §
43 Abs
1 SGB V iVm §
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX an die seit 1.1.1994 geltende "Gesamtvereinbarung über den Rehabilitationssport und das Funktionstraining" (BKK 1993, 681;
im Folgenden: Gesamtvereinbarung 1993) anknüpfen wollte, wie das LSG meint. Jedenfalls gibt auch die Gesamtvereinbarung 1993
für eine grundsätzlich befristete Leistungsdauer des Funktionstrainings nichts her.
Funktionstraining wirkt nach § 3 Abs 1 Gesamtvereinbarung 1993 besonders mit den Mitteln der Krankengymnastik und der Ergotherapie
gezielt auf spezielle körperliche Strukturen (Muskeln, Gelenke usw) des Behinderten ein, ist immer organorientiert und dient
dem Erhalt von Funktionen, der Beseitigung oder Verbesserung von Störungen der Funktionen sowie dem Hinauszögern von Funktionsverlusten
einzelner Organsysteme/Körperteile. Das Funktionstraining umfasst danach bewegungstherapeutische Übungen, die als Gruppenbehandlung
unter fachkundiger Anleitung und Überwachung vor allem durch Krankengymnastinnen/Krankengymnasten im Rahmen regelmäßig abgehaltener
Übungsveranstaltungen durchgeführt werden. Im Zusammenhang mit der Umschreibung weiterer Ziele dieser Maßnahmen (ähnlich Nr
3 ff Rahmenvereinbarung 2003) heißt es dann, Funktionstraining sei "auch Hilfe zur Selbsthilfe, insbesondere um die eigene
Verantwortlichkeit des/der Behinderten für seine/ihre Gesundheit und seine/ihre Motivation zum angemessenen täglichen Bewegungstraining
zu stärken und ihn/sie zur Selbstübung zu befähigen." Dies spricht indessen nicht für eine generelle, allgemeine Befristung,
sondern lässt ebenso individuelle Begrenzungen je nach Notwendigkeit im Einzelfall zu. Nichts anderes gilt für den "Bericht
der Bundesregierung über die Lage behinderter Menschen und die Entwicklung ihrer Teilhabe" vom 16.12.2004, soweit er betont,
Funktionstraining solle (wie Rehabilitationssport) in erster Linie "Hilfe zur Selbsthilfe" bieten und seien "nicht als Dauerleistung
angelegt" (BT-Drucks 15/4575 S 59 unter 3.27).
Dass die Gesamtvereinbarung 1993 Funktionstraining individuell begrenzen wollte, verdeutlicht deren § 3 Abs 2: "Die Notwendigkeit
für die Durchführung von Funktionstraining liegt so lange vor, wie der/die Behinderte während des Funktionstrainings der Anleitung
durch den Therapeuten bedarf, also noch nicht über Fertigkeiten in den Bewegungsabläufen verfügt, die ihn/sie in die Lage
versetzen, das Funktionstraining selbstständig durchzuführen. Diese Selbstständigkeit kann bei bestimmten chronischen Krankheiten
dauerhaft fehlen." Ähnliches ergab sich aus den Regelungen über die ärztliche Bescheinigung zur Notwendigkeit von Funktionstraining.
Die einzelne Bescheinigung galt zwar längstens für sechs Monate, maßgeblich für eine angemessene Förderungsdauer sollten jedoch
die Verhältnisse des Einzelfalls sein; die Notwendigkeit von Funktionstraining konnte auch wiederholt bescheinigt werden,
sofern dies zur Erreichung oder Sicherung des Rehabilitationszieles erforderlich war (§ 13 Abs 3 Gesamtvereinbarung 1993).
cc) Entgegen der Ansicht des LSG lassen sich die Grenzen der Leistungsdauer für Heilmittel, zu denen auch krankengymnastische
Maßnahmen gehören (vgl §
32 Abs
2 Satz 2
SGB V), nicht auf das Funktionstraining übertragen. Die Leistungsgrenzen für Heilmittel ergeben sich daraus, dass die Mittel nur
bis zum Erreichen der festgelegten Gesamtverordnungsmenge des Regelfalls verordnet werden dürfen (vgl II. Nr 11.2.2 Richtlinien
des Gemeinsamen Bundesausschusses [GBA] über die Verordnung von Heilmitteln in der vertragsärztlichen Versorgung vom 1.12.2003/16.3.2004,
BAnz 2004 Nr 106a).
Obwohl Funktionstraining der Sache nach partiell in ähnlicher Weise wirken mag wie Krankengymnastik, nimmt das Gesetz für
sie eine grundsätzlich andere rechtliche Zuordnung vor. Heilmittel unterliegen nämlich nicht denselben oder sonst deckungsgleichen
Regelungen wie ergänzende Leistungen zur Rehabilitation. Bereits §
11 SGB V differenziert bei den Leistungsarten der GKV zwischen "Leistungen zur Behandlung einer Krankheit" (Abs 1 Nr 4) einerseits
und ua "ergänzenden Leistungen" (Abs 2) andererseits. Diese Unterschiede setzen sich in anderen Regelungszusammenhängen fort.
Der Gesetzgeber des
SGB V unterscheidet stets bewusst zwischen "Heilmitteln" (vgl zB §
27 Abs 1 Satz 2 Nr 3, §
32, §
34, §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6, §
138 SGB V) und "ergänzenden Leistungen" (zB §
27 Abs
1 Satz 2 Nr
6, §
43, §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
8 und Abs
5 SGB V). Rückschlüsse von dem einen auf den anderen Regelungskomplex sind nicht zulässig. Dementsprechend sind die Regelungsbefugnisse
auch des GBA für einerseits Heilmittel und andererseits ergänzende Leistungen unterschiedlich ausgestaltet (vgl § 92 Abs 1
Satz 2 Nr
6, Abs
2, Abs
3a und Abs
6, §
138 SGB V zum einen und §
91 Abs
1 Satz 1, Abs
1 Satz 2 Nr
8 und Abs
5 SGB V zum anderen).
dd) Soweit die Rahmenvereinbarung 2003 den Leistungsanspruch krankenversicherter behinderter Menschen gegen ihre Krankenkasse
auf Funktionstraining auf grundsätzlich zwölf, ausnahmsweise 24 Monate begrenzt, ist sie hinsichtlich der Leistungen des §
43 SGB V nichtig.
Es fehlt an einer gesetzlichen Grundlage dafür, dass die Rahmenvereinbarung 2003 Leistungen nach §
43 SGB V begrenzt.
Nach §
31 SGB I dürfen Rechte und Pflichten in den Sozialleistungsbereichen des SGB nur begründet, festgestellt, geändert oder aufgehoben
werden, soweit ein Gesetz es vorschreibt oder zulässt. Spezielle, iS von §
37 Satz 1
SGB I davon abweichende Regelungen enthalten das
SGB V oder
SGB IX nicht. Im Wortlaut des Gesetzes hat keinen Niederschlag gefunden, dass die nähere Ausgestaltung des Funktionstrainings durch
die Rahmenvereinbarung 2003 verbindlich sein sollte. Der Gesetzgeber hat - wie dargelegt - das Funktionstraining als GKVLeistung
weder selbst allgemein befristet (vgl dagegen zB §
34 Abs
1 SGB V) noch hat er diese Aufgabe gezielt dem Verordnungsgeber übertragen wie etwa in §
34 Abs
2 bis
4, §
35a SGB V.
Andere untergesetzliche Normgeber (vgl zB §
36, §
139 SGB V) als den GBA hat er nicht zur Leistungsbegrenzung berufen. Inwieweit der GBA hierzu nach §
92 Abs
1 Satz 1
SGB V ermächtigt ist, bedarf vorliegend keiner Entscheidung. Denn der GBA hat bisher Richtlinien nur nach §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
8 SGB V erlassen. Die auf §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
8 SGB V beruhenden Richtlinien des GBA über Leistungen zur medizinischen Rehabilitation vom 16.3.2004 (BAnz S 6769) enthalten gerade
keine expliziten Höchstgrenzen für die Gewährung von Funktionstraining an Versicherte der GKV.
Den Partnern der Rahmenvereinbarung 2003 hat der Gesetzgeber keine Regelungsbefugnis dazu eingeräumt, den Leistungsanspruch
auf Funktionstraining grundsätzlich zu befristen (zutreffend: LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10.5.2007 - L 5 KR 189/06). Es fehlt dem
SGB V und dem
SGB IX seit dem 1.7.2001 an einer solchen Rechtsgrundlage. §§
13 Abs
1 und
2 sowie §
20 SGB IX sehen lediglich vor, dass die Rehabilitationsträger (§
6 Abs
1 Nr
1 bis 5
SGB IX) verpflichtet sind, zur Sicherung ihrer Zusammenarbeit (§
12 Abs
1 SGB IX) und darüber hinaus zu bestimmten, im einzelnen in §
13 Abs
2 Nr
1 bis 9
SGB IX und §
20 SGB IX (Qualitätssicherung) genannten Punkten gemeinsame Empfehlungen zu vereinbaren. Zwar handelt es sich bei der Rahmenvereinbarung
2003 (schon mangels Beteiligung der Bundesagentur für Arbeit) nicht unmittelbar um eine derartige gemeinsame Empfehlung. Sie
nimmt aber von der Funktion her diese Rolle wahr; denn zu einer gemeinsamen Empfehlung über Rehabilitationssport und Funktionstraining
kam es gerade nicht, weil sie wegen der schon zur Thematik vorhandenen Rahmenvereinbarung 2003, die in ausreichendem Maße
die praxisorientierte Durchführung realisiere, insoweit entbehrlich schien (so zum Ganzen: Löschau in Großmann ua, GK-
SGB IX, Stand April 2007, §
13 RdNr 43, 48). Mit den auf §
13 SGB IX beruhenden Gemeinsamen Empfehlungen soll indessen - ebenso wie dies für sie ersetzende vergleichbare Regelwerke wie die Rahmenvereinbarung
2003 gelten muss - nicht die Zielrichtung verfolgt werden, Leistungsansprüche der GKV-Versicherten zu konkretisieren, vielmehr
geht es darum, die Koordination und Kooperation der Rehabilitationsträger als eines der Hauptanliegen des
SGB IX durch wirksame Instrumente sicherzustellen. Es sollen nicht Voraussetzungen und Inhalte von Leistungen neu bestimmt, sondern
im Rahmen des geltenden Rechts eine einheitliche und eine koordinierte Leistungserbringung bewirkt werden (so: Gesetzentwurf
der Fraktionen der SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN zum Entwurf des
SGB IX, BTDrucks 14/5074 S 101 zu §
13). Ausdrücklich heißt es dort: "Die Empfehlungen richten sich ... nur an die an ihnen beteiligten Rehabilitationsträger und
lassen die Rechtsansprüche leistungsberechtigter Bürgerinnen und Bürger unberührt" (Gesetzentwurf, ebenda, S 101 f).
3. Obwohl ein Naturalleistungsanspruch der Klägerin nach alledem nicht mit der vom LSG gegebenen Begründung verneint werden
darf, könnte der Revision - unbeschadet der unter 1. angesprochenen, ohnehin noch aufzuklärenden Problematik des §
13 Abs
3 SGB V - gleichwohl nicht im Sinne einer Verurteilung der Beklagten zur Leistungsgewährung stattgegeben werden; denn das Vorliegen
der medizinischen Anspruchsvoraussetzungen ist in ihrem Fall noch nicht geklärt.
a) Das Funktionstraining muss zumindest Maßnahmen der Krankenbehandlung einschließlich medizinischer Rehabilitation ergänzt
haben. Denn ergänzende Leistungen zur Rehabilitation sind von den Krankenkassen akzessorisch zu einer zuvor oder gleichzeitig
von ihnen zu gewährenden Hauptleistung zu erbringen (vgl auch BSG, Urteil vom 22.4.2008 - B 1 KR 22/07 R, RdNr 31 mwN). Schon §
43 SGB V idF des Gesetzes zur Reform der GKV ab dem Jahr 2000 vom 22.12.1999 (BGBl I 2626) ließ hierfür - entsprechend §
43 Abs
1 aE
SGB V nF - "Krankenbehandlung" genügen. Nichts anderes gilt für die nach §
43 Abs
1 SGB V nF zu erbringenden Pflichtleistungen nach §
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX. Das folgt aus dem Regelungszusammenhang des letzten Halbsatzes des §
43 Abs
1 SGB V mit den dort eingangs benannten Leistungen des
SGB IX und dem Regelungszweck, an die frühere Rechtslage anzuknüpfen (vgl BT-Drucks 14/5800 S 28). Dass es sich bei der "Krankenbehandlung"
um eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation gehandelt hat, kann danach nicht verlangt werden. Feststellungen dazu, dass
das Funktionstraining Maßnahmen der Krankenbehandlung ergänzt hat, fehlen.
b) Das Funktionstraining muss auch notwendig gewesen sein (§
11 Abs
2 Satz 1
SGB V, §
43 Abs
1 SGB V iVm §
44 Abs
1 Nr
4 SGB IX, §
12 Abs
1 SGB V). Auch insoweit kann die Rahmenvereinbarung 2003 das Gesetz zwar nicht konkretisieren. Auf der Grundlage des LSGUrteils steht
aber nicht fest, dass die Klägerin aufgrund ihrer gesundheitlichen Einschränkungen einer ergänzenden Leistung zur Rehabilitation
in Form des über den 31.3.2005 hinaus bis 31.3.2006 fortgesetzten Funktionstrainings bedurfte. Das Funktionstraining war nur
"notwendig", wenn bei der Klägerin eine Behinderung vorlag, die nur durch die weitere Teilnahme am Funktionstraining zu beseitigen,
zu mindern, auszugleichen oder deren Verschlimmerung zu verhüten oder deren Folgen nur hierdurch zu mildern waren.
Zwar ist die behandelnde Ärztin Dr. D. in ihrer Verordnung vom 28.1.2005 vom Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen ausgegangen.
Einer solchen Bescheinigung kommt aber lediglich die Bedeutung einer ärztlich-gutachtlichen Stellungnahme zu. Krankenkasse
und Gericht sind an deren Inhalt nicht gebunden (vgl BSG SozR 4-2500 §
44 Nr
7 RdNr
20 mwN - Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung). Krankenkassen können sie nach §
275 Abs
1 SGB V vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung überprüfen lassen. So kommt in Betracht, dass die Klägerin (inzwischen)
in der Lage gewesen ist, das in Form von Wassergymnastik begehrte Funktionstraining eigenständig durchzuführen und deshalb
einer gruppenweise durchgeführten Maßnahme nicht bedurfte. Hierauf hat sich die Beklagte berufen. Im Rahmen der vom LSG nachzuholenden
Feststellungen zur Notwendigkeit bedarf es dagegen keiner besonderen Beweismittel, wie sie Nr 4.4.1 Rahmenvereinbarung 2003
fordert (= Bescheinigung der Notwendigkeit nur durch Ärzte aus dem neurologischen, psychiatrischen oder psychotherapeutischen
Fachgebiet, Ärzte mit der Gebietsbezeichnung Physikalische oder Rehabilitative Medizin und Ärzte mit Zusatzausbildung in psychosomatischer
Grundversorgung).
Denn die Vereinbarung ist auch insoweit mangels hinreichender Rechtsgrundlage und Regelungsbefugnisse nichtig.
4. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem LSG vorbehalten.