Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im sozialgerichtlichen Verfahren
Gründe:
I. Streitig ist die Weitergewährung einer Verletztenrente. Der 1937 geborene Kläger erlitt als selbstständiger, bei der Beklagten
freiwillig versicherter Bauunternehmer am 2. Januar 1997 einen Arbeitsunfall. Aufgrund des Ergebnisses ihrer medizinischen
Ermittlungen gewährte die Beklagte dem Kläger Verletztenrente nach einer Minderung der Erwerbsfähigkeit um 20 vH für die Zeit
vom 2. Januar 1997 bis zum 31. Oktober 1998 (Bescheid vom 28. Juni 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.
Januar 2000). Das Sozialgericht hat die Klage des Klägers, mit der er eine Weitergewährung der Rente über den 31. Oktober
1998 hinaus begehrte, abgewiesen (Urteil vom 6. Mai 2004).
Hiergegen hat der Kläger Berufung bei dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen eingelegt. Der Berichterstatter des
mit der Sache befassten Senats des LSG hat im Rahmen des Berufungsverfahrens einen auf den 21. Dezember 2004 anberaumten Erörterungstermin
wegen Verhinderung des Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgrund Jahresurlaubs aufgehoben und einen neuen Erörterungstermin
auf den 27. Januar 2005 anberaumt. Dieser Termin ist wegen einer Verhinderung des Prozessbevollmächtigten des Klägers wegen
eines "ärztlichen Eingriffs", dem sich der Bevollmächtigte unterziehen musste, aufgehoben worden, desgleichen ein für den
22. März 2005 angesetzter Termin nunmehr zur mündlichen Verhandlung, nachdem der Kläger, der zunächst wegen Verhinderung seines
Prozessbevollmächtigten durch die geplante Teilnahme an einer Veranstaltung der IHK eine - vom Vorsitzenden abgelehnte - Terminsverlegung
beantragt hatte, den Vorsitzenden abgelehnt hatte. Ein später auf den 31. Mai 2005 anberaumter Termin zur mündlichen Verhandlung
ist wegen erneuter Verhinderung des Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgrund dessen Verpflichtung zur Rechtsberatungsbereitschaft
bei einer Justizvollzugsanstalt in B. abgesetzt worden.
Nachdem aufgrund der nunmehr ergangenen Beweisanordnung des Berichterstatters vom 2. Januar 2006 ein Sachverständigengutachten
des Orthopäden Dr. V. eingeholt und den Beteiligten mit Verfügung vom 12. September 2006 zur Kenntnis gebracht worden war,
hat der Senatsvorsitzende einen Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 28. November 2006 anberaumt, der dem Prozessbevollmächtigten
des Klägers am 16. Oktober 2006 durch Zustellung bekannt gegeben worden ist. Am 18. Oktober 2006 hat der Kläger durch seinen
Prozessbevollmächtigten beantragt, den Termin wegen dessen Abwesenheit aufgrund einer in der 48. Kalenderwoche geplanten Südostasienreise
zu verlegen. Mehrere Anträge des Klägers auf Aufhebung dieses Termins aus demselben Grunde sind vom Senatsvorsitzenden abgelehnt
worden; die Ablehnung des letzten Antrags vom 24. November 2006, der am selben Tage bei dem LSG eingegangen und dem Senat
am 27. November 2006 vorgelegt worden war, wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers nicht mehr vor dem Verhandlungstermin
zugestellt.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 28. November 2006 sind weder der Kläger noch sein Prozessbevollmächtigter erschienen;
das LSG hat daraufhin die Berufung des Klägers aufgrund (einseitiger) mündlicher Verhandlung zurückgewiesen. In den Entscheidungsgründen
seines Urteils hat es ua ausgeführt, es habe trotz der fehlenden Vertretung des Klägers verhandeln und entscheiden dürfen,
weil dieser auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sei und keine erheblichen Gründe iS der §§ 202 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG], 227 der
Zivilprozessordnung (
ZPO) für eine Vertagung vorgelegen hätten. Da die Ladung dem Prozessbevollmächtigten, der zuvor bereits mit zwei Anträgen auf
Terminsverlegung erfolgreich gewesen sei, frühzeitig bekannt gewesen sei, habe er genügend Zeit gehabt, sich medizinisch für
eine Stellungnahme beraten zu lassen und für eine Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt zu sorgen; eine solche Vertretung
wäre dem Kläger auch zumutbar gewesen. Dem habe auch der Schwierigkeitsgrad der Sache nicht entgegengestanden. In Ansehung
des Gebotes, entscheidungsreife Verfahren auch zu Ende zu bringen, habe kein Grund bestanden, den Termin nicht durchzuführen.
Für die - vom Kläger schriftsätzlich beantragte - Einholung eines weiteren Gutachtens habe kein Grund bestanden, weil das
Gutachten des Dr. V., auf welches der Senat seine Überzeugung stütze, nachvollziehbar sei und der Kläger einen Widerspruch
darin nicht nachvollziehbar benannt habe.
Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde macht der Kläger geltend, das LSG habe sein rechtliches Gehör aus zwei Gründen verletzt:
Sein Prozessbevollmächtigter sei wegen einer Südostasienreise verhindert gewesen, den Termin zur mündlichen Verhandlung am
28. November 2006 wahrzunehmen. Obwohl deshalb ein erheblicher Grund für eine Terminsverlegung bestanden habe und die Verhinderung
auch bereits früh mitgeteilt worden sei, habe das Gericht seinem entsprechenden Antrag nicht stattgegeben. Dass sein Prozessbevollmächtigter
keinen Terminvertreter beauftragt habe, sei gerechtfertigt, zumal ein solcher Vertreter die vorhandenen zahlreichen fachärztlichen
Gutachten bzw Stellungnahmen nebst diversen Krankenhausberichten naturgemäß nicht hätte überblicken können. Auf diesem Verfahrensmangel
beruhe das angefochtene Urteil auch, denn er hätte in der mündlichen Verhandlung die Widersprüche der Stellungnahme des Dr.
V. noch näher dargelegt; es hätte dann die Möglichkeit bestanden, dass das LSG zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis
gekommen wäre. Außerdem habe das Gericht dem Antrag seines Prozessbevollmächtigten auf Akteneinsicht nicht stattgegeben. Weiter
habe es seine Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) verletzt, indem es seinem Beweisantrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zu "Widersprüchen" im Gutachten des
Dr. V. nicht gefolgt sei.
II. Die Beschwerde des Klägers ist zulässig und begründet. Das angefochtene Urteil des LSG vom 28. November 2006 ist unter
Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs ergangen. Dieser vom Kläger auch schlüssig gerügte Verfahrensmangel führt gemäß
§
160a Abs
5 iVm §
160 Abs
2 Nr
3 SGG zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das LSG.
Das angefochtene Urteil kann auf dem vom Kläger in erster Linie geltend gemachten Verfahrensmangel, der Verletzung rechtlichen
Gehörs, beruhen. Das LSG hat das Grundrecht des Klägers auf rechtliches Gehör (Art 103 Abs 1 des Grundgesetzes, §§
62,
124 Abs 1
SGG) dadurch verletzt, dass es ein Urteil aufgrund mündlicher Verhandlung verkündet hat, obwohl der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten
einen begründeten Antrag auf Verlegung des Termins zur mündlichen Verhandlung (§
202 SGG iVm §
227 ZPO) gestellt hatte. Wird einem Beteiligten das rechtliche Gehör dadurch versagt, dass es ihm nicht ermöglicht wird, an der mündlichen
Verhandlung teilzunehmen, so ist davon auszugehen, dass dies für eine aufgrund dieser Verhandlung ergangene Entscheidung ursächlich
geworden ist; insoweit erübrigen sich zur Kennzeichnung des Verfahrensmangels Ausführungen darüber, dass das Urteil auf der
Verletzung des rechtlichen Gehörs beruhen kann (vgl BSG SozR 3-1750 § 227 Nr 1 mwN). Gründe, welche die Ursächlichkeit des
gerügten Verfahrensmangels der Verletzung des rechtlichen Gehörs für das angefochtene Urteil ausschließen könnten, sind nicht
ersichtlich.
Der Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs liegt auch vor. Mit mehreren Schriftsätzen, erstmals mit dem kurz
nach der Zustellung der Terminsladung abgefassten Schriftsatz vom 18. Oktober 2006, hatte der Kläger durch seinen Prozessbevollmächtigten
um Verlegung des auf den 28. November 2006 anberaumten Verhandlungstermins unter Hinweis auf dessen in der 48. Kalenderwoche
geplante Südostasienreise gebeten. Mit diesem Antrag hat der Kläger einen erheblichen Grund iS des §
227 ZPO geltend gemacht. Bei Entscheidung aufgrund mündlicher Verhandlung muss den Beteiligten unabhängig davon, ob sie die Möglichkeit
zur schriftlichen Äußerung und Vorbereitung des Verfahrens genutzt haben oder nicht, Gelegenheit gegeben werden, sich zur
Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung selbst zu äußern. Das Vorliegen eines erheblichen Grundes für die Terminsverlegung
begründet die Pflicht des Gerichts zur Terminsverlegung; ein Ermessensspielraum besteht nicht (vgl BSG, Beschluss vom 30.
Oktober 2001 - B 4 RA 49/01 R - mwN). Das Recht auf rechtliches Gehör ist daher auch dann verletzt, wenn das Vorliegen eines erheblichen Grundes zu Unrecht
verneint wird.
So liegt es hier. Die unverschuldete Verhinderung eines Prozessbevollmächtigten an der Wahrnehmung eines Termins ist regelmäßig
ein Grund für eine Verlegung. Eine Abwesenheit aufgrund einer offenbar zuvor geplanten Fernreise stellt einen solchen Grund
dar. Das LSG hat bei der Ablehnung der Verlegung des Termins die Bedeutung und Tragweite der aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleitenden
Rechtsschutzgarantie (vgl dazu BVerfG Beschluss vom 30. Juni 2005 - 1 BvR 1873/04 -) eines Beteiligten im Verhältnis zum Interesse der anderen Beteiligten und der Rechtspflege an einer zügigen Entscheidung
nicht angemessen berücksichtigt. Denn Umstände, die auf eine missbräuchliche Verwendung des Rechts auf Beantragung einer Terminsverlegung
zur Verzögerung des Verfahrens hinweisen könnten, sind nicht ersichtlich, auch bedingt der Gesichtspunkt der Verfahrensbeschleunigung
angesichts der erst kurz vor Terminsanberaumung aus Sicht des LSG abgeschlossenen Beweiserhebung hier nicht zwingend die Durchführung
des anberaumten Termins unter Einschränkung der Rechtsschutzgarantie des Klägers; eine angesichts der nur kurzzeitigen Verhinderung
des Prozessbevollmächtigten vorgenommene Terminsverlegung um etwa eine Woche wäre mit dem Zügigkeitsgebot durchaus noch vereinbar
gewesen.
Mit der Erwähnung des "zweimaligen Erfolges" des Prozessbevollmächtigten des Klägers bei Verlegungsanträgen im angefochtenen
Urteil könnte angedeutet sein, dass hier Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Verhalten seitens des Prozessbevollmächtigten
vorlägen.
Dem liegt die zutreffende Überlegung zugrunde, dass das Interesse der Allgemeinheit und der übrigen Prozessbeteiligten an
einer Verfahrensbeschleunigung und zügigen Erledigung des entscheidungsreifen Rechtsstreits gegenüber dem Interesse des Klägers
an einem möglichst umfassenden Rechtsschutz zunehmend an Bedeutung gewinnt, wenn Verhandlungstermine bei unveränderter prozessualer
Situation bereits mehrfach auf Antrag des Klägers verlegt werden mussten. Dem Prozessbevollmächtigten kann es dann zumutbar
sein, zur Erlangung des rechtlichen Gehörs Terminskollisionen unter Zurückstellung anderweitiger Interessen aufzulösen oder
geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um für eine Vertretung im Termin zu sorgen. Im vorliegenden Verfahren bestand dafür jedoch
keine Grundlage, nachdem das LSG erst unmittelbar vor der Anberaumung des Termins die Beweiserhebung abgeschlossen hatte und
eine bis dahin eingetretene Verzögerung jedenfalls nicht dem Kläger anzulasten war. Das gilt umso mehr, als nicht ersichtlich
ist, welche Vorteile dem Kläger eine Prozessverschleppung hätte bieten können.
Der Kläger war nicht gehalten, einen anderen Prozessbevollmächtigten zu bestellen oder zumindest einen Terminvertreter zu
beauftragen, um sich durch Wahrnehmung des Verhandlungstermins rechtliches Gehör zu verschaffen, da ihm nicht ohne schwerwiegende
Gründe vorgeschrieben werden kann, sich durch einen anderen als den Rechtsanwalt seines Vertrauens vertreten zu lassen; dies
muss jedenfalls dann gelten, wenn der Kläger durch objektive Anhaltspunkte gestützt annimmt, die Kompliziertheit der Sach-
und Rechtslage lasse eine Vertretung durch einen anderen Rechtsanwalt weniger erfolgversprechend erscheinen. Ob der Kläger
bzw sein Prozessbevollmächtigter - wie das LSG meint - genügend Zeit hatte, sich vor dem Termin schriftsätzlich zu äußern
und sich damit Gehör zu verschaffen, ist angesichts der Funktion der mündlichen Verhandlung als Kernstück des sozialgerichtlichen
Verfahrens unbeachtlich (vgl BSG aaO).
Der Senat weicht damit nicht von seinem Beschluss vom 28. Juni 2004 - B 2 U 126/04 B - ab, in dem er aufgrund der besonderen Umstände des Falles - bereits viermalige Verschiebung des Termins zur mündlichen
Verhandlung in demselben Verfahrensstadium aufgrund in der persönlichen Sphäre der Bevollmächtigten liegender Verhinderungsgründe
- die Sicherstellung der Vertretung im Termin durch die nunmehr erneut wegen Teilnahme an einer Fortbildungsveranstaltung
verhinderten Prozessbevollmächtigten für geboten gehalten und dementsprechend keinen erheblichen Grund iS des §
227 ZPO angenommen hatte. Der vorliegende Fall unterscheidet sich hiervon insofern wesentlich, als es um den erstmaligen Verlegungsantrag
nach vom LSG abgeschlossener Beweiserhebung und offenbar angenommener Entscheidungsreife der Sache geht. Die in Abwesenheit
des Prozessbevollmächtigten des Klägers aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. November 2006 ausgesprochene Berufungszurückverweisung
beruht auf diesem Verfahrensfehler, da die Möglichkeit einer für den Kläger günstigeren Sachentscheidung aufgrund der Wahrnehmung
des Termins durch seinen Prozessbevollmächtigten besteht.
Der Senat macht von der durch §
160a Abs
5 SGG eröffneten Möglichkeit Gebrauch, auf die Nichtzulassungsbeschwerde das angefochtene Urteil wegen des festgestellten Verfahrensmangels
aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückzuverweisen. Es kann daher offen bleiben,
ob die weiteren vom Kläger angeführten Verfahrensmängel hinreichend dargelegt sind und auch tatsächlich vorliegen.
Das LSG wird im wieder eröffneten Berufungsverfahren auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben.