Zulässigkeit der Feststellungsklage im sozialgerichtlichen Verfahren
Erlangung effektiven Rechtsschutzes durch einen Arzneimittelhersteller gegen einen Nutzenbewertungsbeschluss des Gemeinsamen
Bundesausschusses
Anforderungen an die Einbeziehung eines Fertigarzneimittels – hier Ivermectin/Soolantra® - in das frühe Nutzenbewertungsverfahren
im Hinblick auf eine Qualifizierung als solches mit einem "neuen Wirkstoff" im Sinne von § 35a Abs. 1 SGB V
Gründe:
I
Im Streit steht die Ergänzung der Anlage XII der Richtlinie über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen
Versorgung (AM-RL, hier idF vom 16.7.2015, BAnz AT 07.12.2015 B2) um die Nutzenbewertung des Wirkstoffs eines Fertigarzneimittels.
Die Klägerin ist eine - in der Rechtsform der GmbH geführte - deutsche Tochtergesellschaft eines weltweit tätigen pharmazeutischen
Unternehmens. Seit 1.6.2015 vertreibt sie das verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel Soolantra®-Creme mit dem Wirkstoff
Ivermectin. Das Fertigarzneimittel wurde vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) am 29.4.2015 zur
topischen Behandlung von Hauterkrankungen (entzündliche Läsionen der [papulopustulösen] Rosazea) bei Erwachsenen zugelassen.
Am 27.11.2015 ergänzte der beklagte Gemeinsame Bundesausschuss (GBA) die Anlage XII der AM-RL - "Beschlüsse über die Nutzenbewertung
von Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen nach §
35a SGB V" - um den als "neu" anzusehenden Wirkstoff Ivermectin; ein Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie gelte
nach dessen Abs 1 Satz 5 als nicht belegt (Beschluss vom 27.11.2015, BAnz AT 22.12.2015 B2, zuletzt idF vom 21.1.2016, BAnz
AT 19.04.2016 B3).
Das gegen die Ergänzung in Anlage XII von der Klägerin beim LSG Berlin-Brandenburg anhängig gemachte einstweilige Rechtsschutzverfahren
ist erfolglos geblieben, ua weil Rechtsschutz gegen die Nutzenbewertung nach §
35a Abs
8, §
130b Abs
4 SGB V im Streitfall erst gegen eine - hier noch fehlende - Entscheidung der Schiedsstelle gewährt werde (Beschluss vom 23.12.2015).
Am 10.5.2016 schlossen die Klägerin und der Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SpV) eine Vereinbarung nach §
130b Abs
1 SGB V über den Erstattungsbetrag für das Fertigarzneimittel Soolantra® mit Wirkung ab 1.6.2016. In der Vorbemerkung zu der Vereinbarung
heißt es ua, dass die Frage, ob es sich dabei um ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff handelt, von den Parteien unterschiedlich
beurteilt wird, und dass die Parteien die Vereinbarung "ungeachtet dessen" treffen.
Bereits vor dem Zustandekommen dieser Vereinbarung hat die Klägerin am 21.12.2015 gegen den beklagten GBA die - hier im Streit
stehende - Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit des Nutzenbewertungsbeschlusses bezüglich des Wirkstoffs Ivermectin vor
dem LSG erhoben. Sie hat sich darauf berufen, dass der Wirkstoff gar nicht dem Nutzenbewertungsverfahren nach §
35a SGB V unterliege. Dieser Wirkstoff sei bereits im Jahr 1999 in einem Arzneimittel mit dem Handelsnamen Stromectol® in Frankreich
zugelassen und seither nach Deutschland importiert worden. Daher bestehe für das betroffene Arzneimittel kein Unterlagenschutz
mehr, sodass Ivermectin nach § 2 Abs 1 Satz 2 Arzneimittel-Nutzenbewertungsverordnung (AM-NutzenV) kein "neuer" Wirkstoff
sei.
Das LSG hat die Klage als unzulässig abgewiesen: Die (Normen-)Feststellungsklage sei zwar gemäß §
55 Abs
1 Nr
1 SGG statthaft. Der Nutzenbewertungsbeschluss gelte gemäß §
35a Abs
3 Satz 6
SGB V als Teil der AM-RL und sei damit eine untergesetzliche Rechtsnorm. Die Klage sei jedoch unzulässig, weil sie nach §
35a Abs
8 Satz 1
SGB V ausgeschlossen sei. Pharmazeutischen Unternehmern sei es danach verwehrt, direkt gegen einen Nutzenbewertungsbeschluss vorzugehen.
Der Rechtsschutz sei ausreichend gewährleistet, wenn Klage gegen die Festsetzung des Erstattungsbetrags durch die Schiedsstelle
nach §
130b Abs
4 SGB V erhoben werden könne. Im Schiedsverfahren würden die gesetzlichen Vorgaben des Nutzenbewertungsverfahrens inzident mitüberprüft.
Der gesetzliche Klageausschuss lasse sich nicht dadurch umgehen, dass pharmazeutische Unternehmer eine Einigung über den Erstattungsbetrag
mit dem GKV-SpV herbeiführten. Da sich die Klägerin freiwillig entschieden habe, kein Schiedsverfahren durchführen zu lassen,
sei sie nicht in ihrem Recht auf effektiven Rechtsschutz verletzt (Urteil vom 19.10.2018).
Dagegen richtet sich die Revision der Klägerin. Sie rügt die Verletzung von §
35a Abs
8 Satz 1
SGB V, Art
19 Abs
4 und Art
12 Abs
1 GG. Das LSG habe die Klage rechtsfehlerhaft als unzulässig abgewiesen, ohne ihr Vorbringen in der Sache zu prüfen. Zwischen
den Beteiligten habe von Anfang an Streit darüber bestanden, ob der Wirkstoff Ivermectin überhaupt "neu" gewesen sei. Der
Klageausschluss in §
35a Abs
8 Satz 1
SGB V greife aber bei fehlender Wirkstoffneuheit des Arzneimittels nicht ein. Der Gesetzgeber habe einen dem Schiedsspruch nachgelagerten
Rechtsschutz nur deshalb vorgesehen, um Entscheidungsverzögerungen bei der Preisregulierung zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung
(GKV) zu vermeiden. Hier sei es aber nicht zu einer Verzögerung in der Preisregulierung gekommen. Eine andere Sichtweise würde
zu einer erheblichen Benachteiligung im effektiven Rechtsschutz führen. Pharmazeutischen Unternehmern sei es unzumutbar, zunächst
ein Schiedsverfahren durchzuführen, wenn das Arzneimittel - wie hier - überhaupt nicht unter das Nutzenbewertungsverfahren
für neue Wirkstoffe falle. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 28.3.2019 - B 3 KR 2/18 R - BSGE 127, 288 = SozR 4-2500 §
130b Nr
3) enthalte §
35a Abs
8 Satz 1
SGB V lediglich eine zeitliche Grenze für den Klageausschluss. Es sollten nicht zwei gesonderte Klagen - dh eine Klage gegen den
Nutzenbewertungsbeschluss und eine weitere gegen die Festsetzung des Erstattungsbetrags der Schiedsstelle - geführt werden.
Das Verfahren sei hier aber komplett beendet worden, ohne dass es eines Schiedsverfahrens bedurft habe. Das Nutzenbewertungsverfahren
nach §
35a SGB V stelle einen weitreichenden Eingriff in die Berufsfreiheit der pharmazeutischen Unternehmer dar. Denn die Bewertung habe
eine erhebliche marktsteuernde Wirkung für das vertragsärztliche Verordnungsverhalten von erstattungsfähigen Arzneimitteln.
Nach § 2 AM-NutzenV sei der Wirkstoff eines erstattungsfähigen Arzneimittels (nur) solange als "neu" anzusehen, wie für das
erstmalig zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff Unterlagenschutz bestehe. Nach dem europäischen Arzneimittelrecht ende
der Unterlagenschutz, wenn ein Arzneimittel erstmals vor zehn Jahren in einem Mitgliedstaat der EU zugelassen worden sei.
Der in Soolantra® enthaltene Wirkstoff Ivermectin sei aber - wie schon im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ausgeführt -
bereits im Jahr 1999 in Frankreich zugelassen und nach Deutschland importiert worden, sodass Ivermectin seit 2009 kein neuer
Wirkstoff mehr sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom 19. Oktober 2018 aufzuheben und festzustellen, dass die mit Beschluss
des Beklagten vom 27. November 2015 in der Fassung des Änderungsbeschlusses vom 21. Januar 2016 vorgenommene Änderung der
Anlage XII der AM-RL zur Nutzenbewertung des Wirkstoffes Ivermectin (Soolantra®) unwirksam ist.
Der Beklagte beantragt,
die Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Er hält das Urteil des LSG für zutreffend. Aus dem Schutzzweck von §
35a Abs
8 SGB V folge, dass eine gesonderte Klage gegen den Nutzenbewertungsbeschluss auch nach Abschluss einer Erstattungsvereinbarung zwischen
einem pharmazeutischen Unternehmer und dem GKV-SpV unzulässig sei. Der Klageausschluss beruhe auf dem Rechtsgedanken, gesonderte
Rechtsbehelfe gegen unselbstständige Verfahrenshandlungen zu vermeiden. Dieser in §
56a SGG und §
44a VwGO normierte Schutzzweck wirke fort, wenn die der - nicht angreifbaren - Verfahrenshandlung nachfolgende Sachentscheidung ergangen
sei. Vorliegend könne eine Rechtsverletzung der Klägerin ausgeschlossen werden, weil sie eine Preisvereinbarung mit dem GKV-SpV
abgeschlossen habe. Eine gesonderte Klage gegen den Nutzenbewertungsbeschluss verstoße gegen die Sicherstellungsfunktion des
Preisvereinbarungsmodells von §
130b SGB V. Eine solche (möglicherweise erfolgreiche) Klage gefährde die Finanzierung des Systems der GKV, falls damit die Geschäftsgrundlage
für eine Erstattungsvereinbarung nachträglich beseitigt werde. Der Ausschluss stelle auch keinen unverhältnismäßigen Eingriff
in die Rechte von pharmazeutischen Unternehmern dar, denn ihnen bliebe hinreichender Einfluss auf die Preisgestaltung durch
die paritätisch besetzte Schiedsstelle. Die Nutzenbewertung des Arzneimittels sei nicht willkürlich erfolgt. Verordnungsausschlüsse
oder -beschränkungen oder verbindliche Therapiehinweise enthalte die um die Nutzenbewertung ergänzte Anlage XII der AM-RL
für Soolantra® nicht. In materieller Hinsicht beschränke sich der Geltungsbereich der Nutzenbewertung von §
35a SGB V allein auf in Deutschland von den zuständigen Bundesbehörden zugelassene und erstattungsfähige Arzneimittel. Insofern gehe
der Hinweis auf das in Frankreich zugelassene Arzneimittel Stromectol® fehl, da dieses in Deutschland nicht erstattungsfähig
sei. Ein bloßer Einzelimport nach § 73 Abs 3 Arzneimittelgesetz (AMG) begründe weder eine zulassungsähnliche Verkehrsfähigkeit im Sinne des AMG noch eine Erstattungsfähigkeit im Sinne des
SGB V. Schließlich macht sich der Beklagte die Ausführungen des in seinem Auftrag erstellten und im Revisionsverfahren vorgelegten
Rechtsgutachtens des Prof. Dr. Ebsen vom 15.2.2020 zur Vereinbarkeit des Klageausschlusses mit Art
19 Abs
4 GG zu eigen.
II
Die zulässige Revision der Klägerin ist im Sinne der Aufhebung des angefochtenen Urteils und der Zurückverweisung der Sache
an das LSG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung begründet (§
170 Abs
2 Satz 2
SGG).
Das - erstinstanzlich zuständige (vgl §
29 Abs
4 Nr
3 SGG iVm §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6, §
35a Abs
3 Satz 6 Halbsatz 1
SGB V) - LSG Berlin-Brandenburg hat die Klage zu Unrecht als unzulässig abgewiesen. Anstelle über die Klage im Wege eines Prozessurteils
zu entscheiden, hätte es die Klage als zulässig ansehen und über deren Begründetheit befinden müssen. Nach ständiger Rechtsprechung
der Senate des BSG liegt regelmäßig ein wesentlicher Mangel des Verfahrens vor, wenn in der Vorinstanz ein Prozessurteil ergangen ist, obwohl
die Prozessvoraussetzungen der Klage vorliegen (vgl nur BSGE 15, 169, 172, 174 = SozR Nr 1 zu § 368d
RVO Aa 2 = SozR Nr 3 zu § 52
SGG, Da 3; BSGE 34, 236, 237 = SozR Nr 57 zu §
51 SGG Da 28; BSG Urteil vom 12.11.1981 - 7 RAr 86/80 - juris RdNr 17 mwN). Das ist vorliegend der Fall und führt zur Zurückverweisung.
Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen der Klage sind erfüllt (dazu im Folgenden
1.). Die Feststellungsklage ist gesetzlich auch nicht ausgeschlossen (2.). Der Senat ist allerdings gehindert, eine Entscheidung
über das geltend gemachte materielle Begehren selbst zu treffen (3.).
1. Die gegen die durch den Nutzenbewertungsbeschluss des beklagten GBA vorgenommene Änderung der Anlage XII der AM-RL zur
Nutzenbewertung des Wirkstoffs Ivermectin erhobene Klage auf die Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses
nach §
55 Abs
1 Nr
1 SGG, für die - selbst bei erfolgter Erstattungsbetragsfestsetzung durch eine Schiedsstelle - ein Vorverfahren nicht stattfindet
(vgl §
35a Abs
8 Satz 2 iVm §
35 Abs
7 Satz 3
SGB V idF vom 22.12.2010, BGBl I 2262), ist statthaft (a). Sie ist unter dem Gesichtspunkt der Klagebefugnis nicht evident unzulässig,
weil die Möglichkeit einer Verletzung der Klägerin in eigenen Rechten nicht ausgeschlossen ist; dies folgt aus der Ausgestaltung
des Normenprogramms zur frühen Nutzenbewertung und Vereinbarung von Erstattungsbeträgen nach §§ 35a, 130b
SGB V iVm dem ergänzenden untergesetzlichen Regelwerk (b) sowie der bereits ergangenen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Anspruch
pharmazeutischer Unternehmer auf gleiche Teilhabe am Wettbewerb nach Art
3 Abs
1 iVm Art
12 Abs
1 GG (c). Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung (d).
a) Nach gefestigter Rechtsprechung des BSG gebietet die Rechtsschutzgarantie des Art
19 Abs
4 GG, dass die Feststellungsklage gegen untergesetzliche Rechtsnormen statthaft ist, wenn die Normbetroffenen ansonsten keinen
effektiven Rechtsschutz erreichen können, etwa weil ihnen nicht zuzumuten ist, Vollzugsakte zur Umsetzung der untergesetzlichen
Norm abzuwarten oder wenn die Wirkung der Norm bereits ohne anfechtbare Vollzugsakte eintritt (stRspr zur Überprüfung von
Rechtsnormen des GBA, vgl bereits BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 27; BSG SozR 4-2500 § 132a Nr 3 RdNr 14; BSGE 105, 243 = SozR 4-2500 § 116b Nr 2, RdNr 22; BVerfGE 115, 81, 92 f und S 95 f = SozR 4-1500 § 55 Nr 3 RdNr 42 und 49 ff; vgl dazu BSGE 110, 20 = SozR 4-2500 § 92 Nr 13, RdNr 20 f). Die Möglichkeit der Durchführung eines abstrakten Normenkontrollverfahrens nach §
55a SGG (vgl auch §
47 VwGO) besteht nicht, da dieser Rechtsschutz der Beanstandung von Satzungen bzw von im Rang unter dem Landesgesetz stehenden Rechtsvorschriften
vorbehalten ist. Die Möglichkeit einer Feststellungsklage trägt auch im vorliegenden Zusammenhang der Gewährung effektiven
Rechtsschutzes nach Art
19 Abs
4 GG Rechnung (vgl dazu bereits Seifert, ZMGR 2018, 91, 92 ff).
aa) Insbesondere in dem Fall, dass sich pharmazeutische Unternehmer gegen eine Regelung in der AM-RL wenden, ist nach der
Rechtsprechung des BSG ein Feststellungsantrag nach §
55 SGG als grundsätzlich statthaft erachtet worden (vgl BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 27; BSGE 110, 20 = SozR 4-2500 § 92 Nr 13, RdNr 19; BSGE 112, 15 = SozR 4-2500 § 137 Nr 1, RdNr 24; BSGE 112, 257 = SozR 4-2500 § 137 Nr 2, RdNr 11; BSGE 116, 1 = SozR 4-2500 § 34 Nr 14, RdNr 20). Mit der Feststellungsklage kann nicht nur die Unwirksamkeit einer untergesetzlichen Rechtsnorm,
sondern auch deren fehlerhafte Auslegung oder Anwendung sowie ein Anspruch auf deren Änderung geltend gemacht werden (vgl
BSGE 110, 20 = SozR 4-2500 § 92 Nr 13, RdNr 24; BSGE 116, 1 = SozR 4-2500 § 34 Nr 14, RdNr 20; BSGE 117, 129 = SozR 4-2500 § 34 Nr 16, RdNr 25 mwN). Die generelle Statthaftigkeit der Feststellungsklage trägt eher dem Gewaltenteilungsprinzip
Rechnung, weil die Entscheidung, in welcher Weise eine festzustellende Rechtsverletzung zu beheben ist, dem Normgeber überlassen
bleibt. Den genauen Inhalt einer Richtlinie im Sinne des §
92 SGB V kann nur der GBA als Normgeber selbst festlegen (vgl BSGE 110, 245 = SozR 4-1500 § 55 Nr 12, RdNr 28; BSGE 116, 1 = SozR 4-2500 § 34 Nr 14, RdNr 20).
bb) Die grundsätzliche Subsidiarität der Feststellungsklage steht dem nicht entgegen (vgl BSGE 110, 245 = SozR 4-1500 § 55 Nr 12, RdNr 27 unter Hinweis auf BVerfGE 115, 81, 96 = SozR 4-1500 § 55 Nr 3 RdNr 52; vgl auch BVerwG NVwZ 2002, 1505, 1506; BVerwGE 111, 276, 279). Die Subsidiarität hat zudem nur geringe Bedeutung, wenn sich eine Klage gegen eine Körperschaft des öffentlichen Rechts
richtet. Es ist dann nämlich zu erwarten, dass die Körperschaft wegen ihrer Bindung an Gesetz und Recht (Art
20 Abs
3 GG) ihren Pflichten nachkommt (vgl BSGE 110, 245 = SozR 4-1500 § 55 Nr 12, RdNr 29; BSGE 117, 129 = SozR 4-2500 § 34 Nr 16, RdNr 25 mwN). Davon darf auch bei dem Beklagten als bundesunmittelbarem rechtsfähigen Selbstverwaltungsträger
(s §
91 SGB V) ausgegangen werden.
b) Die Klägerin ist klagebefugt für die begehrte gerichtliche Feststellung, dass die um die frühe Nutzenbewertung ihres Fertigarzneimittels
Soolantra® mit dem Wirkstoff Ivermectin ergänzte Anlage XII der AM-RL unwirksam ist (§
55 Abs
1 Nr
1 iVm §
54 Abs
1 Satz 2
SGG).
aa) Die Zulässigkeit der auf Änderung einer untergesetzlichen Norm gerichteten Feststellungsklage setzt voraus, dass die Klägerin
geltend machen kann, durch die Norm möglicherweise in eigenen Rechten verletzt zu sein. Zur Vermeidung einer Popularklage
ist auch bei der Feststellungsklage der Rechtsgedanke des §
54 Abs
1 Satz 2
SGG heranzuziehen (vgl BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 §
125 Nr 5, RdNr 14 mwN). Daher müssen bei einer zulässigen Rechtsverfolgung "eigene" Rechte (vgl BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 14; BSGE 112, 257 = SozR 4-2500 § 137 Nr 2, RdNr 16) oder zumindest "eigenrechtlich geschützte Belange" (vgl BSG SozR 4-2500 § 132a Nr 3 RdNr 16; BSGE 96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 27; BSGE 105, 243 = SozR 4-2500 § 116b Nr 2, RdNr 25) betroffen sein. Dies ist zu verneinen, wenn dem Betroffenen das geltend gemachte Recht
unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen kann, dh die Möglichkeit einer Verletzung seiner subjektiven Rechte also nicht
gegeben ist (vgl BSGE 105, 1 = SozR 4-2500 § 125 Nr 5, RdNr 14; BSGE 110, 245 = SozR 4-1500 § 55 Nr 12, RdNr 31).
bb) Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist es unter Zugrundelegung des Vortrags der Klägerin nicht von vornherein völlig ausgeschlossen,
dass - wie von ihr geltend gemacht - das von ihr vertriebene Fertigarzneimittel in das frühe Nutzenbewertungsverfahren nach
§
35a SGB V überhaupt nicht einzubeziehen war. Nach ihrer Rechtsansicht ist das Fertigarzneimittel Soolantra® kein Arzneimittel mit einem
"neuen" Wirkstoff iS von §
35a Abs
1 SGB V iVm §
2 Abs
1 Satz 2 AM-NutzenV: Der Wirkstoff Ivermectin sei erstmals im Jahr 1999 in Frankreich unter dem Handelsnamen "Stromectol®"
zugelassen worden und bereits vor dem 1.1.2011 in Deutschland in den Verkehr gebracht worden; der für dieses Arzneimittel
europaweit geltende Unterlagenschutz sei bereits in 2009 abgelaufen; bei dem Wirkstoff handele es sich daher um einen in der
Wissenschaft und Forschung allgemein bekannten Wirkstoff, der nicht "neu" sei. Diese von der Klägerin vertretene Ansicht steht
zumindest dem Wortlaut der - im Folgenden unter cc) näher darzustellenden - maßgeblichen Normen nicht von vornherein entgegen.
cc) Durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz (AMNOG, Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes in der GKV vom 22.12.2010,
BGBl I 2262) wurde ein zweistufiges System der Preisregulierung für erstattungsfähige Arzneimittel "mit neuen Wirkstoffen"
zum 1.1.2011 eingeführt. Der GBA bewertet auf der ersten Stufe des Verfahrens nach §
35a Abs
1 Satz 1
SGB V den Nutzen von in der GKV erstattungsfähigen Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen. Hierzu gehört insbesondere die Bewertung
des Zusatznutzens gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie, des Ausmaßes des Zusatznutzens und seiner therapeutischen
Bedeutung (Satz 2).
(1) Nach Abschluss der ersten Stufe des Nutzenbewertungsverfahrens (dazu näher unter [2]) folgt auf der zweiten Stufe die
Preisregulierung des Arzneimittels in der GKV. Für Arzneimittel, die nach dem Nutzenbewertungsbeschluss nach §
35a Abs
3 SGB V keiner Festbetragsgruppe (s §
35 Abs
1 SGB V) zugeordnet wurden, vereinbart der GKV-SpV mit pharmazeutischen Unternehmern auf der Grundlage des GBA-Beschlusses mit Wirkung
für alle Krankenkassen Erstattungsbeträge für Arzneimittel nach §
130b Abs
1 SGB V. Ist ein Zusatznutzen nicht feststellbar, ist nach §
130b Abs
3 Satz 1
SGB V (idF des Gesetzes vom 16.7.2015, BGBl I 1211) ein Erstattungsbetrag zu vereinbaren, der nicht zu höheren Jahrestherapiekosten
führt als die zweckmäßige Vergleichstherapie nach §
35a Abs
1 Satz 7
SGB V. Für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, die - wie hier - keiner Festbetragsgruppe zugeordnet wurden, ist daher ein Erstattungsbetrag
zu vereinbaren. Besteht Streit über den Erstattungsbetrag, wird er nach Durchführung eines Schiedsverfahrens festgesetzt (§
130b Abs
4 Satz 3
SGB V). Der Erstattungsbetrag gilt ab dem 13. Monat nach dem erstmaligen Inverkehrbringen des Arzneimittels (§
130b Abs
3a Satz 2
SGB V bei Vereinbarung, Abs 4 Satz 3 bei Festsetzung durch die Schiedsstelle; vgl bereits BSG Urteil vom 28.3.2019 - B 3 KR 2/18 R - BSGE 127, 288 = SozR 4-2500 §
130b Nr 3, RdNr 24). Anders als bei den Festbeträgen nach §
35 SGB V, bei denen Versicherte die über den Festbetrag hinaus entstandenen Mehrkosten des Arzneimittels selbst zu tragen haben (vgl
§
73 Abs
5 Satz 3
SGB V), gibt der pharmazeutische Unternehmer das Arzneimittel zum Erstattungsbetrag ab, und zwar auch an Personen, die Arzneimittel
nicht als Versicherte einer gesetzlichen Krankenkasse im Wege der Sachleistung erhalten (vgl § 78 Abs 3a AMG idF des 14.
SGB V-ÄndG vom 27.3.2014, BGBl I 261). Der Erstattungsbetrag wird so für verschreibungspflichtige Fertigarzneimittel zum einheitlichen
Abgabepreis iS von § 78 Abs 3 Satz 1 Halbsatz 1 AMG für pharmazeutische Unternehmer (vgl Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Gesundheit zum 14.
SGB V-ÄndG, BT-Drucks 18/606 S 15 zu Nr 2 [§ 78 AMG]; vgl auch Hofmann in Kügel/Müller/ders, AMG, 2. Aufl 2016, § 78 RdNr 54, 63).
(2) Die frühe Nutzenbewertung des neuen Wirkstoffs - auf der ersten Stufe des Verfahrens - erfolgt auf der Grundlage eines
spätestens zum Zeitpunkt des erstmaligen Inverkehrbringens vom pharmazeutischen Unternehmer vorzulegenden Dossiers mit entsprechend
detaillierten Angaben (vgl §
35a Abs
1 Satz 3
SGB V idF des Gesetzes vom 7.8.2013, BGBl I 3108, mWv 13.8.2013). Legt der pharmazeutische Unternehmer die erforderlichen Nachweise
trotz Aufforderung durch den GBA nicht vor, gilt ein Zusatznutzen als nicht belegt (Satz 5). Der GBA beschließt über die Nutzenbewertung
innerhalb von drei Monaten nach ihrer Veröffentlichung, in denen dem pharmazeutischen Unternehmer Gelegenheit zur Stellungnahme
zu geben ist (§
35a Abs
3 Satz 1 und
2 SGB V). In dem Beschluss, der im Internet zu veröffentlichen ist und der Teil der AM-RL ist, wird insbesondere der Zusatznutzen
des Arzneimittels festgestellt (§
35a Abs
3 Satz 3,
5 und
6 SGB V).
Die auf der Grundlage von §
35a Abs
1 Satz 6 und 7
SGB V ergangene AM-NutzenV (idF vom 28.12.2010, BGBl I 2324 - heute Satz 7 und 8) definiert in § 2 Abs 1 AM-NutzenV Arzneimittel
mit "neuen Wirkstoffen" als "Arzneimittel, die Wirkstoffe enthalten, deren Wirkungen bei der erstmaligen Zulassung in der
medizinischen Wissenschaft nicht allgemein bekannt sind" (Satz 1). Ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff gilt solange
als ein Arzneimittel mit einem neuen Wirkstoff, wie für das erstmalig zugelassene Arzneimittel mit dem Wirkstoff Unterlagenschutz
besteht (Satz 2). Ferner legt §
3 AM-NutzenV den sachlichen und zeitlichen Anwendungsbereich für die Nutzenbewertung nach §
35a Abs
1 SGB V für erstattungsfähige Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen und neuen Wirkstoffkombinationen wie folgt fest: Erfasst sind solche
Arzneimittel, die ab 1.1.2011 erstmals in den Verkehr gebracht werden, sofern erstmals ein Arzneimittel mit diesem Wirkstoff
in den Verkehr gebracht wird (Nr 1) bzw die ab diesem Zeitpunkt erstmals in den Verkehr gebracht worden sind und die nach
dem 1.1.2011 ein neues Anwendungsgebiet nach § 2 Abs 2 AM-NutzenV erhalten (Nr 2). Nach § 2 Abs 2 AM-NutzenV ist ein neues
Anwendungsgebiet ua ein Anwendungsgebiet, für das nach § 29 Abs 3 Nr 3 AMG eine neue Zulassung erteilt wird (vgl dazu auch 5. Kapitel der Verfahrensordnung des GBA, § 1 zum Geltungsbereich und § 2
zu Arzneimitteln mit neuen Wirkstoffen, idF vom 18.12.2008, BAnz Nr 84a [Beilage] vom 10.6.2009, mWv 1.4.2009, hier idF vom
18.12.2014, BAnz AT 15.04.2015 B2, mWv 16.4.2015).
(3) Nach dem Wortlaut der vorzitierten Normen ist für die Frage, ob eine Nutzenbewertung durch den beklagten GBA nach §
35a Abs
1 Satz 1
SGB V in Bezug auf erstattungsfähige Arzneimittel "mit neuen Wirkstoffen" durchzuführen ist, eine - wohl von der Klägerin befürwortete
- rein auf den Wirkstoff bezogene Sichtweise der frühen Nutzenbewertung nicht von vornherein völlig unvertretbar; dies gilt
unbeschadet des Umstandes, dass für die Bewertung des "Zusatznutzens" als solche die nach dem Gesetz dafür heranzuziehenden
Kriterien über die isolierte Betrachtung des Wirkstoffs hinausgehen (ua zugelassene Anwendungsgebiete, medizinischer Nutzen,
Anzahl der Patienten, usw, s §
35a Abs
1 Satz 2 und
3 Nr
1 bis 6
SGB V). Neben dem untergesetzlichen Regelwerk der AM-NutzenV enthält das
SGB V selbst keine Definition, was unter "neuen Wirkstoffen" zu verstehen ist. Die Gesetzesmaterialien zum AMNOG beziehen sich
insoweit auf "erstattungsfähige" Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen, an anderer Stelle auf "neu in den Markt eingeführte Arzneimittel
mit neuen Wirkstoffen" (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP zum AMNOG, BT-Drucks 17/2413 S 19 und S 20 zu
Nr 5 [§ 35a]). Dem Normenprogramm lässt sich auch nicht ohne Weiteres entnehmen, ob und welche Rechtswirkungen ein vor Inkrafttreten
des AMNOG erfolgter Einzelimport desselben Wirkstoffs eines anderen Fertigarzneimittels aus einem EU-Mitgliedstaat nach §
73 Abs 3 AMG in Bezug auf das erst später eingeführte Nutzenbewertungsverfahren nach §
35a Abs
1 SGB V hat (vgl auch §
35a Abs
6 SGB V zur nur fakultativen Nutzenbewertung für ein Arzneimittel mit einem Wirkstoff, der "kein neuer Wirkstoff" iS von §
35a Abs
1 Satz 1
SGB V ist).
In diesem Zusammenhang gilt es zu klären, welche Bedeutung dabei der - vom LSG inhaltlich nicht festgestellten - arzneimittelrechtlichen
Zulassung des Fertigarzneimittels Soolantra® durch das BfArM im Hinblick auf das Verfahren der frühen Nutzenbewertung in der
GKV zukommt. Höchstrichterliche Rechtsprechung existiert zur Problematik bislang nicht. In der Literatur finden sich indessen
Stimmen, die die frühe Nutzenbewertung allein auf Arzneimittel beziehen, die überhaupt erst nach dem 1.1.2011 neu in den Verkehr
gekommen sind bzw die mit dem jeweiligen Wirkstoff dann erstmals in den Verkehr kommen (vgl Schickert/Schmitz, PharmR 2011,
217, 218 f mwN). Unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes kann daher die - vom LSG verneinte -
Zulässigkeit einer Klage aber nicht davon abhängen, ob sich das materiell-rechtliche Vorbringen der Klägerin zum Arzneimittelrecht
und zum Recht der Nutzenbewertung in der Sache als richtig oder falsch erweist. Dies zu klären, insbesondere die Frage, ob
die vorliegende Konstellation "überhaupt" dem gesetzlichen Prüfprogramm für Arzneimittel mit "neuen Wirkstoffen" nach §
35a SGB V unterfällt oder von vornherein nicht, bleibt vielmehr Aufgabe des gerichtlichen (Hauptsache-)Verfahrens und lässt sich erst
und nur im Rahmen der Begründetheit der Klage entscheiden.
c) Für die dargestellte Sichtweise streiten verfassungsrechtliche Gesichtspunkte.
aa) Der Senat hat bereits im Rahmen der Festbetragsgruppenbildung nach §
35 Abs
1 SGB V darauf hingewiesen, dass eine unzutreffende pharmakologisch-therapeutische Bewertung eines Arzneimittels mit anderen als
"gleichwertig" auch eine Benachteiligung des betroffenen pharmazeutischen Unternehmers im Wettbewerb sein kann, wenn zB besondere
therapeutische Vorzüge seines Arzneimittels durch Gleichbewertung mit Konkurrenzprodukten verneint werden und dieses Arzneimittel
als durch andere gleichwertig ersetzbar erscheint (vgl BSGE 94, 1 RdNr 25 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3 RdNr 31 = juris RdNr 30). Zur Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes (Art
19 Abs
4 GG) hat der Senat daher entschieden, dass pharmazeutische Unternehmer jedenfalls dann zur Anrufung der Gerichte befugt sind,
wenn sie geltend machen, dass die Arzneimittel-Festbetragsgruppenbildung oder -festsetzung nach §
35 SGB V sie in ihren spezifischen Grundrechten verletze (vgl BSGE 93, 296 RdNr 8 = SozR 4-2500 § 35 Nr 2 RdNr 9 = juris RdNr 15; BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 15 = juris RdNr 20; BSG SozR 4-2500 § 35 Nr 8 RdNr 18). Art
12 Abs
1 iVm Art
3 Abs
1 GG schützt Unternehmer im Rahmen ihres Rechts auf Teilhabe am Wettbewerb zwar nicht vor der Veränderung von Wettbewerbsbedingungen
(BVerfGE 106, 275, 299 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 18) oder vor der Zulassung von Konkurrenten, wohl aber vor sachlich nicht gerechtfertigter
staatlicher Begünstigung von Konkurrenten. Im Hinblick auf ein Recht auf fairen Wettbewerb können staatliche Maßnahmen, die
auf eine Veränderung des Verhaltens von Unternehmen im Wettbewerb zielen oder den Wettbewerb der Unternehmer untereinander
verfälschen, im Einzelfall die Berufsfreiheit beeinträchtigen (vgl nur BSGE 93, 296 RdNr 11 = SozR 4-2500 § 35 Nr 2 RdNr 12 = juris RdNr 18; BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 18 = juris RdNr 23; BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 17; zuletzt BSG SozR 4-2500 § 35 Nr 8 RdNr 18).
bb) Diese Rechtsprechung steht im Einklang mit neuerer Rechtsprechung des BVerfG zum staatlichen Informationshandeln durch
Veröffentlichungen, die in ihrer Zielgerichtetheit einem Eingriff in die Berufsfreiheit gleichkommen und daher an Art
12 Abs
1 GG zu messen sind. Dies gilt insbesondere für Normen, die zwar selbst die Berufstätigkeit nicht unmittelbar berühren, die aber
Rahmenbedingungen der Berufsausübung verändern, in ihrer Zielsetzung und ihren mittelbarfaktischen Wirkungen einem Eingriff
als funktionales Äquivalent gleichkommen. Das ist angenommen worden, wenn die staatliche Information direkt auf die Marktbedingungen
konkret individualisierter Unternehmer zielte, indem sie die Grundlagen der Entscheidung am Markt zweckgerichtet beeinflusst
und so die Markt- und Wettbewerbssituation zum wirtschaftlichen Nachteil der betroffenen Unternehmen verändert (vgl BVerfGE
148, 40 RdNr 27 f mwN zur Rspr des BVerfG).
Schließlich steht auch die Rechtsprechung des BVerfG der Klagebefugnis nicht entgegen, wonach Festbetragsfestsetzungen für
pharmazeutische Unternehmer keine objektiv berufsregelnde Tendenz im Hinblick auf deren Rechte haben, sondern ihnen gegenüber
nur einen Rechtsreflex entfalten (vgl BVerfGE 106, 275, 299 = SozR 3-2500 § 35 Nr 2 S 18). Dies folgt aus der Unterschiedlichkeit der auf die Ansprüche der Versicherten bezogenen
Zielrichtung der Festbetragsfestsetzung einerseits (vgl §
12 Abs
2, §
73 Abs
5 Satz 3
SGB V) und der primär das Leistungserbringungsrecht, dh das Verhältnis zwischen Krankenkassen (sowie Trägern der privaten Krankenversicherung,
vgl § 78 Abs 3a AMG) und pharmazeutischen Unternehmern betreffenden Erstattungsbetragsfestsetzung für Arzneimittel mit neuen Wirkstoffen andererseits
(zur Klagemöglichkeit bei der Festbetragsfestsetzung vgl BSGE 94, 1 = SozR 4-2500 § 35 Nr 3, RdNr 12 ff = juris RdNr 17 ff; BSGE 107, 261 = SozR 4-2500 § 35 Nr 5, RdNr 13 ff; BSG SozR 4-2500 § 35 Nr 8 RdNr 17).
cc) In diesem vorgezeichneten rechtlichen Rahmen kann die klagende GmbH als Grundrechtsträgerin (vgl Art
19 Abs
3 GG) eigene, grundrechtlich geschützte Belange ihrer unternehmerischen Berufsfreiheit (Art
12 Abs
1 iVm Art
3 Abs
1 GG) iVm mit ihren einfach-rechtlich geschützten Belangen (§
35a Abs
1 Satz 1 und
2, Abs
3 SGB V iVm §
2 Abs
1 und
2, §
3 AM-NutzenV) auf willkürfreie Einordnung bzw Nutzenbewertung ihres Fertigarzneimittels im Vergleich zu konkurrierenden Arzneimitteln
bzw Therapien geltend machen. Der als Teil der AM-RL ergangene frühe Nutzenbewertungsbeschluss informiert die Akteure im System
der GKV (Vertragsärzte, Patienten, Leistungserbringer) öffentlich, dh im Internet wie im Bundesanzeiger, darüber, dass das
Ausmaß und die Wahrscheinlichkeit des Zusatznutzens des vertriebenen Fertigarzneimittels - hier von Soolantra® mit dem Wirkstoff
Ivermectin - im zugelassenen Anwendungsgebiet im Ergebnis nicht anders zu behandeln ist als die zur zweckmäßigen Vergleichstherapie
bereits existierenden Therapien (hier zur topischen Behandlung der [papulopustulösen] Rosazea: mit Azelainsäure oder Doxycyclin
[oral] oder Metronidazol [topisch]). Diese Therapien bzw Fertigarzneimittel existieren konkurrierend auf dem Arzneimittelmarkt
und werden bei vergleichender Betrachtung von Behandlungsdauer, Verbrauch und (Jahres-)Kosten der jeweiligen Therapie bzw
des Fertigarzneimittels gegenübergestellt und veröffentlicht (vgl GBA Beschluss vom 27.11.2015, BAnz AT 22.12.2015 B2 bzw
vom 21.1.2016, BAnz AT 19.04.2016 B3).
dd) Stehen für eine Therapie mehrere Wirkstoffe zur Verfügung, gilt für die Wirkstoffauswahl nach §
12 Abs
1 SGB V, dass derjenige Wirkstoff auszuwählen ist, der im Einzelfall für die Behandlung zweckmäßig und wirtschaftlich ist. Der Beschluss
des beklagten GBA über die Nutzenbewertung enthält daher eine Aussage über die Zweckmäßigkeit des Arzneimittels im Sinne des
§
12 Abs
1 SGB V und entfaltet Wirkung für den Vertragsarzt bei der Verordnung (vgl §
91 Abs
6, §
92 Abs
2 SGB V, ferner Gesetzentwurf zum AMNOG, aaO, BT-Drucks 17/2413 S 20 rechte Spalte Abs 1, S 22 zu Abs 3). Dass die im Nutzenbewertungsbeschluss
veröffentlichten Informationen ein erheblich marktsteuerndes Verhalten insbesondere für Vertragsärzte nach sich ziehen, liegt
auf der Hand. Wären die Informationen unzutreffend, wirkte sich die Marktsteuerung umso gravierender zum Nachteil der Klägerin
aus. Einer Nutzenbewertung liegen medizinisch-pharmakologische Einschätzungen im Hinblick auf den neuen Wirkstoff eines Fertigarzneimittels
zugrunde, die den Arzneimittelmarkt ganz erheblich beeinflussen. Die Nutzenbewertungen für Arzneimittel im Anwendungsgebiet
sowie andere, allgemein zugängliche evidenzbasierte Erkenntnisse sind auch insbesondere Grundlage für entsprechende vom GBA
zu erlassene Therapiehinweise, die für alle Vertragsärzte verbindlich sind, und die im Fall ihrer Missachtung zu Regressansprüchen
führen können (vgl BSG SozR 4-2500 § 106 Nr 60 Leitsatz 1 und RdNr 17 ff).
Die Beschwer der Klägerin entfällt auch nicht, weil der Zusatznutzen als (nur) nicht belegt "gilt" (s §
35a Abs
1 Satz 5
SGB V). Die Klägerin sah sich vielmehr aufgrund ihrer hier vertretenen Rechtsansicht - mangels Wirkstoffneuheit - von vornherein
gar nicht verpflichtet, ein Dossier über den Nachweis des medizinischen (Zusatz-)Nutzens des Arzneimittels beizubringen. Sie
beruft sich gerade auf die Unanwendbarkeit des frühen Nutzenbewertungsverfahrens, sodass es ihrer Ansicht nach auch keiner
Nachweise bedurfte.
d) Die Klägerin hat schließlich auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten baldigen Feststellung (§
55 Abs
1 Halbsatz 2
SGG). Sie kann - entgegen der Auffassung des LSG - nur durch die hier erhobene Klage auf Feststellung der Unwirksamkeit effektiven
Rechtsschutz iS von Art
19 Abs
4 GG erlangen. Hieraus erwächst ihr zugleich das berechtigte Interesse an der baldigen Feststellung nach §
55 Abs
1 Halbsatz 2
SGG. Die in Bezug auf die Nutzenbewertung von Ivermectin geänderte AM-RL gilt grundsätzlich für alle Akteure im Bereich der GKV
und hat als untergesetzlicher Rechtsetzungsakt - wie aufgezeigt - ganz erhebliche Auswirkungen für alle von dem Regelwerk
betroffenen Krankenkassen, Versicherten und vor allem für Vertragsärzte und sonstige Leistungserbringer (vgl BSG Urteil vom 28.3.2019 - B 3 KR 2/18 R - BSGE 127, 288 = SozR 4-2500 § 130b Nr 3, RdNr 29). Die normative Anordnung, dass für Ivermectin ein Zusatznutzen als nicht belegt gilt,
bedarf keines weiteren Vollzugsaktes und wirkt abstrakt-generell auch unabhängig von dem vereinbarten Erstattungsbetrag fort.
2. Die somit statthafte und zulässige Feststellungsklage ist gesetzlich auch nicht ausgeschlossen. Ein solcher Ausschluss
stünde einer tatsächlich wirksamen gerichtlichen Kontrolle aus Gründen eines effektiven Rechtsschutzes nach Art
19 Abs
4 GG entgegen.
a) Nach §
35a Abs
8 Satz 1
SGB V (idF des Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 7.8.2013, BGBl I 3108) ist eine
gesonderte Klage gegen die Aufforderung zur Übermittlung der Nachweise nach §
35a Abs
1 SGB V, die Nutzenbewertung nach §
35a Abs
2 SGB V, den Beschluss nach §
35a Abs
3 SGB V und die Einbeziehung eines Arzneimittels in eine Festbetragsgruppe nach §
35a Abs
4 SGB V unzulässig. Über die in §
35a Abs
8 Satz 2
SGB V enthaltene Verweisung auf die entsprechende Anwendung von §
35 Abs
7 Satz 1 bis 3
SGB V gilt zudem, dass Klagen gegen die Festsetzung der Erstattungsbeträge keine aufschiebende Wirkung haben (Satz 2) und dass
ein Vorverfahren nicht stattfindet (Satz 3).
aa) Der Senat hat bereits zu dem Regelungskonzept von §
35a Abs
8 SGB V im Einzelnen näher ausgeführt und entschieden (vgl BSG Urteil vom 28.3.2019 - B 3 KR 2/18 R - BSGE 127, 288 = SozR 4-2500 § 130b Nr 3, RdNr 36 f), dass dem Wortlaut von Satz 1, demzufolge (nur) eine "gesonderte" Klage gegen den Nutzenbewertungsbeschluss
des GBA unzulässig ist, nicht entnommen werden kann, dass ein Feststellungsantrag gegen den Nutzenbewertungsbeschluss des
GBA nach §
35a Abs
3 SGB V in jeder prozessualen Konstellation ausgeschlossen ist. Aus dem Wortlaut ergibt sich nicht etwa, dass sich eine Klage "ausschließlich"
gegen den Schiedsspruch zur Festsetzung des Erstattungsbetrags richten dürfte und nicht auch gegen den GBA-Beschluss. Der
Senat hat bei dieser Auslegung den in den Gesetzesmaterialien dokumentierten Regelungszweck von §
35a Abs
8 SGB V zugrunde gelegt (vgl Gesetzentwurf zum AMNOG, aaO, BT-Drucks 17/2413 S 23 zu Nr 5 zu Abs 8). Danach sollten allein aus Beschleunigungsgründen
nicht zwei isolierte, aufeinanderfolgende gerichtliche Verfahren anhängig gemacht werden. Vielmehr sollte in einem einheitlich
geführten Rechtsstreit gegen die Entscheidung der Schiedsstelle (= als zweite Stufe des Preisregulierungsverfahrens) zugleich
auch (inzident) die gerichtliche Kontrolle über den vorangegangenen Rechtsakt des Nutzenbewertungsbeschlusses des GBA (als
erste Stufe des Verfahrens) eröffnet sein (vgl Gesetzentwurf, aaO). Dadurch sollten Rechtsschutzmöglichkeiten Betroffener
insoweit nur zeitlich auf das Stadium der "abschließenden Entscheidung" der Überprüfung des Schiedsspruchs hinausgeschoben
werden (so der Gesetzentwurf, aaO).
bb) Ausdrücklich offengelassen hat der Senat seinerzeit, wie die Rechtsschutzmöglichkeiten zu beurteilen sind, wenn im Anschluss
an die Nutzenbewertung des GBA gar kein Schiedsspruch der Schiedsstelle zur Festsetzung des Erstattungsbetrags auf der zweiten
Stufe nachfolgt, weil eine einvernehmliche Vereinbarung über den Erstattungsbetrag zwischen dem Pharmaunternehmer und dem
GKV-SpV getroffen wurde (vgl BSG Urteil vom 28.3.2019 - B 3 KR 2/18 R - BSGE 127, 288 = SozR 4-2500 § 130b Nr 3, RdNr 37).
Eine solche Konstellation liegt hier nun vor, weil die Klägerin und der GKV-SpV eine Vereinbarung nach §
130b SGB V auf der Grundlage des streitigen Nutzenbewertungsbeschlusses des Beklagten nach §
35a Abs
3 SGB V über den ab 1.6.2016 von allen Krankenkassen zu erstattenden Betrag für das von der Klägerin erstmalig in den Verkehr gebrachte
Fertigarzneimittel mit dem Wirkstoff Ivermectin getroffen haben (§ 1 der Vereinbarung). In dieser Vereinbarung (Vorbemerkung
Abs 2) wurde allerdings der zwischen der Klägerin und dem beklagten GBA in Bezug auf Soolantra® bestehende Streit zur Frage
der Anwendbarkeit des Verfahrens zur frühen Nutzenbewertung nach §
35a SGB V ausdrücklich hervorgehoben. Der Erstattungsbetrag wurde sodann "ungeachtet dessen" zwischen den Parteien vereinbart (Vorbemerkung
Abs 2, letzter Satz), dh dass die Vereinbarung geschlossen wurde, ohne dass eben diese, für die Anwendung des Vorgehens nach
§§ 35a, 130b
SGB V entscheidende Frage als bereits "geklärt" verstanden werden konnte.
b) Auch wenn der Senat über die vorliegende Konstellation bislang noch nicht entschieden hat, hat er doch bereits signalisiert,
dass er den in den Gesetzesmaterialien favorisierten "inzidenten" Rechtsschutz, der nur in zeitlicher Hinsicht auf die zweite
Stufe der Erstattungsbetragsfestsetzung gegen die Schiedsstelle verlagert wurde, in bestimmten Fällen nicht für ausreichend
erachtet. Das gilt namentlich dann, wenn seitens des pharmazeutischen Unternehmers spezifische Einwendungen (allein) gegen
die - vorausgegangene - Nutzenbewertung des Arzneimittels mit einem neuen Wirkstoff durch den GBA erhoben werden, und wenn
es diese Einwendungen angezeigt erscheinen lassen, im gerichtlichen Verfahren auf einen Feststellungsantrag über die Rechtmäßigkeit
des Nutzenbewertungsbeschlusses hinzuwirken (vgl erneut BSG Urteil vom 28.3.2019 - B 3 KR 2/18 R - BSGE 127, 288 = SozR 4-2500 § 130b Nr 3, Leitsatz 1, RdNr 33, 40 = SGb 2020, 236 mit kritischer Anmerkung B. Schmidt, SGb 2020, 245).
Der Senat hält an seinen Ausführungen mit Blick auf die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes nach Art
19 Abs
4 GG fest (inhaltlich in diese Richtung vgl auch Axer, SGb 2011, 246, 250 f mwN; ders, SGb 2013, 669, 672 f; ders, SGb 2019, 129, 134 f; ders in Becker/Kingreen,
SGB V, 7. Aufl 2020, §
35a RdNr 52 f mwN; Barth in Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl 2018, §
35a SGB V RdNr 19; Dettling, GesR 2017, 341, 345 f; von Dewitz in Rolfs/Giesen/Kreikebohm/Udsching, BeckOK Sozialrecht,
SGB V §
35a RdNr 55; Luthe in Hauck/Noftz,
SGB V, K §
35a RdNr 191 ff [Stand Einzelkommentierung 10/18]; Schickert, PharmR 2010, 452, 458 f; Stadelhoff in Berchtold/Huster/Rehborn
(Hrsg), Gesundheitsrecht, 2. Aufl 2018, § 35a RdNr 45 f; Stallberg in Voit, Die Neuordnung des Arzneimittelmarktes - Veränderungen
und Perspektiven, 2012, S 91, 94 ff; Wigge, A&R 2013, 51, 56 ff; aA Kraftberger in Hänlein/Schuler, LPK-
SGB V, 5. Aufl 2016, § 35a RdNr 34 ff, 36; s ferner die Nachweise bei BSG Urteil vom 28.3.2019 - B 3 KR 2/18 R - BSGE 127, 288 = SozR 4-2500 § 130b Nr 3, RdNr 33). Das vom Beklagten vorgelegte Rechtsgutachten zu Art
19 Abs
4 GG führt zu keinem anderen Ergebnis, da es zu der hier im Streit stehenden Konstellation keine Aussage trifft.
c) In der vorliegenden Konstellation, in der eine streitige Entscheidung der Schiedsstelle auf der zweiten Stufe des Verfahrens
fehlt, weil die Klägerin (vorsorglich unter dem Vorbehalt ihrer Rechtsansicht, dass §
35a SGB V thematisch gar nicht einschlägig ist) auf der einen Seite und der GKV-SpV auf der anderen Seite sich über den Erstattungsbetrag
für das Fertigarzneimittel Soolantra® einigten, schließt der Wortlaut von §
35a Abs
8 SGB V eine Klage nicht generell aus; nach dem Gesetzeswortlaut bezieht sich die Unzulässigkeit eines Rechtsschutzbegehrens vielmehr
nur auf eine "gesonderte Klage" gegen den Beschluss des GBA nach §
35a Abs
3 SGB V. Eine zweite, darüber hinaus einen Schiedsspruch angreifende Klage steht im zu entscheidenden Fall aber von vornherein nicht
mehr im Raum.
aa) §
35a Abs
8 SGB V iVm §
130b Abs
4 SGB V knüpft die Klagemöglichkeit an die spätere streitige Preisfestsetzung, die hier kraft der Einigung der Klägerin mit dem GKV-SpV
ausschied. All dies führt dann aber nicht schon auf der prozessualen Ebene dazu, dass nicht mehr durch eine Klage die Rechtsfrage
gerichtlich geklärt werden kann und darf, ob der beklagte GBA in der vorliegenden Konstellation das Verfahren des §
35a SGB V überhaupt durchführen und dazu abschließend einen Nutzenbewertungsbeschluss fassen durfte. Würde die in §
35a Abs
8 SGB V (nur) ausgeschlossene "gesonderte" Klagemöglichkeit auf diese Konstellation übertragen, läge eine nicht hinnehmbare Rechtsschutzlücke
vor. Der Klägerin wäre die Möglichkeit der gerichtlichen inhaltlichen Überprüfung der streitigen Einordnung ihres Arzneimittels
in die Nutzenbewertung genommen, und sie müsste die im Beschluss des Beklagten enthaltenen Aussagen über ihr Fertigarzneimittel
im Verhältnis zu anderen vergleichbaren Therapien klaglos hinnehmen, obwohl dadurch ein erheblich marktsteuerndes Verhalten
auf dem Arzneimittelmarkt sowohl in der GKV als auch in der privaten Krankenversicherung herbeigeführt wird (s oben 1. b cc
[1]). Auf der anderen Seite wäre sie zur Erlangung von Rechtsschutz gezwungen, von einer (aus pragmatischen Gründen erfolgenden)
Einigung mit dem GKV-SpV über einen Erstattungsbetrag gänzlich abzusehen und unter Inkaufnahme wirtschaftlicher Risiken ein
- aus ihrer Sicht gar nicht einschlägiges und für die Klärung der im Kern nur streitigen Frage der überhaupt nötigen Nutzenbewertung
ohnehin überflüssiges - Schiedsverfahren nach §
130b Abs
4 SGB V durchführen zu lassen.
bb) Das der Klägerin - auch als juristischer Person - zustehende Verfahrensgrundrecht aus Art
19 Abs
4 Satz 1 iVm Abs
3 GG garantiert effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (stRspr, vgl
nur BVerfGE 8, 274, 326; 67, 43, 58; 96, 27, 39; 104, 220, 231). Dadurch wird nicht nur das formelle Recht und die theoretische Möglichkeit
gewährleistet, die Gerichte anzurufen, sondern auch der Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle der
jeweils belastenden Entscheidung der öffentlichen Gewalt (stRspr, vgl nur BVerfGE 35, 263, 274; 46, 166, 178 = SozR 1500 § 198 Nr 1; BVerfGE 54, 94, 96 f; 61, 82, 111; 64, 261, 279). Die in Art
19 Abs
4 Satz 1
GG verbürgte Effektivität des Rechtsschutzes wird in erster Linie von den Prozessordnungen der Gerichte gesichert. Diese treffen
Vorkehrungen dafür, dass der Einzelne seine Rechte tatsächlich wirksam durchsetzen kann und die Folgen staatlicher Eingriffe
im Regelfall nicht ohne gerichtliche Prüfung zu tragen hat (vgl nur BVerfGE 94, 166, 213; 96, 27, 39; 104, 220, 231).
cc) Eine solchermaßen im Lichte von Art
19 Abs
4 GG notwendige verfassungskonforme Auslegung von §
35a Abs 8 Satz 1
SGB V zur Vermeidung einer Rechtsschutzlücke steht nicht im Widerspruch mit dem in den Gesetzesmaterialien dokumentierten Regelungszweck.
Dort wird (nur) ausgeführt, dass der pharmazeutische Unternehmer Klage gegen eine Schiedsstellenentscheidung über die Höhe
des Erstattungsbetrags erheben kann, deren Gegenstand auch der Beschluss über die Nutzenbewertung sein kann (Gesetzentwurf
zum AMNOG, aaO, BT-Drucks 17/2413 S 22 zu § 35a Abs 3, rechte Spalte, S 32 zu § 130b Abs 4 linke Spalte). Der Zweck des Ausschlusses
einer gesonderten Klage soll die Verfahrensbeschleunigung und -konzentration sein, mit dem Ziel einer zügigen Preisfindung
für erstattungsfähige Arzneimittel zugunsten der Krankenkassen (vgl Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und FDP eines
Dritten Gesetzes zur Änderung arzneimittelrechtlicher und anderer Vorschriften, BT-Drucks 17/13083 S 8 zu Art 3, zu Nr 3 zu
Buchst a). Dieses Regelungsziel ist hier nicht gefährdet, weil die erhobene Klage die Preisfindung nicht verzögerte.
dd) Die Sichtweise, den Nutzenbewertungsbeschluss lediglich als unselbstständige Verfahrenshandlung allein zur Vorbereitung
der Preisvereinbarungen bzw der Festbetragsfestsetzung zu charakterisieren und die Rechtsschutzmöglichkeit auf einen "Eingriff
in die freie Preisgestaltung der pharmazeutischen Unternehmer" zu relativieren (vgl Gesetzentwurf, aaO, BT-Drucks 17/13083
S 8 zu Nr 3 Buchst a), ist bei alledem im Hinblick auf die Gewährleistung eines effektiven Rechtsschutzes zu kurz gegriffen.
Denn dadurch wird der erheblichen marktsteuernden Wirkung der Nutzenbewertung, die unabhängig von der anschließenden Preisregulierung
besteht, nicht hinreichend Rechnung getragen.
(1) Die für diese Rechtsansicht vom Beklagten herangezogene und in den Gesetzesmaterialien genannte Vorschrift von §
44a Satz 1
VwGO (vgl Gesetzentwurf, aaO, BT-Drucks 17/13083 S 8 f zu Art 3 zu Nr 4) trägt insoweit nicht. Nach dieser Norm können gegen behördliche Verfahrenshandlungen Rechtsbehelfe grundsätzlich
nur gleichzeitig mit den gegen die Sachentscheidung zulässigen Rechtsbehelfen geltend gemacht werden. Der in Anlehnung an
die verwaltungsprozessuale Norm eingefügte inhaltsgleiche §
56a SGG (durch das Gesetz zur Neuorganisation der bundesunmittelbaren Unfallkassen, zur Änderung des
Sozialgerichtsgesetzes ua - BUK-NOG vom 19.10.2013, BGBl I 3836 zu §
56a Satz 1
SGG; vgl BSG Urteil vom 8.8.2019 - B 3 KR 16/18 R - BSGE 129, 30 = SozR 4-2500 § 130b Nr 4, RdNr 23, 30) dient nämlich nur der Vereinfachung und der Beschleunigung des sozialgerichtlichen
Verfahrens und soll verhindern, dass durch Rechtsbehelfe gegen Verfahrenshandlungen die Sachentscheidung der Behörde verzögert
wird (vgl Gesetzentwurf der Bundesregierung zum BUK-NOG, BT-Drucks 17/12297 S 39 zu Art 7 zu Nr 4). Hingegen kommt dem Nutzenbewertungsbeschluss
des GBA keine einer bloßen Verfahrenshandlung vergleichbare Qualität zu, weil der Beschluss des GBA als Teil der AM-RL untergesetzlichen
Normcharakter hat (§ 35a Abs 3 Satz 6 iVm §
92 Abs
1 Satz 2 Nr
6, §
91 Abs
6 SGB V, s bereits oben 1. a) aa). Schon deshalb ist er nicht auf nachfolgende konkret-individuelle Behördenentscheidungen ausgerichtet
(vgl Axer in Schlegel/Voelzke, jurisPK-
SGG, 1. Aufl 2017, §
56a RdNr 22; ders, SGb 2013, 669, 674; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
56a RdNr 5). Der Regelungszweck des §
56a SGG greift auch deshalb nicht ein, weil keine dem Nutzenbewertungsbeschluss nachfolgende behördliche Sachentscheidung ergangen
ist oder noch ergehen wird. Das Preisregulierungsverfahren hat nämlich bereits seinen Abschluss durch die - auf der Ebene
der Gleichordnung - getroffene vertragliche Vereinbarung über den Erstattungsbetrag auf der zweiten Stufe gefunden, wie dies
dem gesetzlichen Regelungsmodell (= Vereinbarung statt streitiger Entscheidung bei Nichteinigung) entspricht.
(2) Auch wenn die Klage hier bereits vor Abschluss der Erstattungsvereinbarung erhoben worden ist, sodass ein späteres Preisfestsetzungsverfahren
bei Klageerhebung nicht ausgeschlossen erschien, war das zweistufige Verfahren im Zeitpunkt der Entscheidung des LSG abgeschlossen
und die Klage jedenfalls zulässig. Zu keinem Zeitpunkt waren hier zwei gesonderte Klagen anhängig. Der Klägerin war es vor
dem Hintergrund der von ihr vertretenen und - wie unter 1. b) ausgeführt - nicht von vornherein völlig abwegigen Rechtsansicht
nicht zumutbar, zunächst ein streitiges Schiedsstellenverfahren zur Festsetzung des Erstattungsbetrags im Anschluss an das
Nutzenbewertungsverfahren durchzuführen, nur um Rechtsschutz gegen die Nutzenbewertung erlangen zu können. Dies hätte eine
erhebliche zeitliche Verzögerung (von ca sechs bis neun Monaten) im Hinblick auf die gerichtliche Überprüfung ihres geltend
gemachten Begehrens bedeutet, zumal das LSG ihr auch jeglichen vorläufigen Rechtsschutz zu dieser Frage versagt hatte. Der
Beklagte verkennt insofern, dass das Schiedsstellenverfahren nicht mit der Durchführung eines Widerspruchsverfahrens vor Klageerhebung
im Sinne einer Sachurteilsvoraussetzung (vgl §
78 SGG) vergleichbar ist.
(3) Das Rechtsschutzinteresse der Klägerin entfiel auch nicht durch die Vereinbarung des Erstattungsbetrags. Ihre von Anfang
an formulierten Bedenken gegen die Einbeziehung in das Nutzenbewertungsverfahren hat die Klägerin auch in den Vorbemerkungen
der Erstattungsvereinbarung ausdrücklich und ohne Weiteres erkennbar aufrechterhalten. Das Rechtsschutzbedürfnis besteht allein
schon durch die fortbestehende Nutzenbewertung des Fertigarzneimittels in der Anlage XII der AM-RL (zuletzt idF des Änderungsbeschlusses
vom 21.1.2016, BAnz AT 19.04.2016 B3). Das Rechtschutzinteresse scheitert zudem nicht daran, dass für zurückliegende Zeiträume
nachteilige Folgen aus dem Nutzenbewertungsbeschluss ggf nicht völlig rückgängig gemacht werden könnten. Der Senat kann daher
auch offenlassen, ob und wie dies rechtlich umzusetzen wäre. Für die Sorge des Beklagten, dass die hier erhobene Klage die
Finanzierung der GKV als überragend wichtiges Gemeinschaftsgut generell infrage stellen könnte, sind hinreichende Anhaltspunkte
nicht erkennbar. Trotz der "Sicherstellungsfunktion des Preisbildungsverfahrens" sind flexible Lösungen, wie zum Beispiel
zeitlich befristete Erstattungsvereinbarungen oder Kündigungsmöglichkeiten, im Preisregulierungsmodell des AMNOG nicht ausgeschlossen.
d) Im Ergebnis ist festzustellen, dass der Klägerin vorrangig wahrzunehmende andere gleichwertige Rechtsschutzmöglichkeiten
hier nicht offenstehen, wenn sie gerichtlich überprüfen lassen will, ob sie überhaupt in das Nutzenbewertungsverfahren einbezogen
werden durfte oder nicht. Auf sonstige Klagen gegen die Rechtsfolgen untergesetzlicher Rechtsnormen können die Normbetroffenen
nach der Rechtsprechung des BSG nur verwiesen werden, wenn effektiver Rechtsschutz auch ohne eine Feststellungsklage zu erlangen ist (vgl dazu etwa BSGE
96, 261 = SozR 4-2500 § 92 Nr 5, RdNr 27; BSG SozR 4-2500 § 132a Nr 3 RdNr 14; BSGE 105, 243 = SozR 4-2500 § 116b Nr 2, RdNr 22). Das ist hier nicht der Fall. Ob der Rechtsschutz gegen den Beschluss zur Nutzenbewertung
in jeglicher Konstellation zu gewähren ist, dass ein Zusatznutzen eines Fertigarzneimittels als nicht belegt gilt, weil der
pharmazeutische Unternehmer schon kein Dossier beigebracht hat, kann an dieser Stelle offenbleiben.
3. Nach den vorstehenden Erwägungen muss der Senat von einer eigenen Entscheidung in der Sache absehen, weil diese derzeit
untunlich ist (§
170 Abs
2 Satz 1 und
2 SGG). Aufgrund der nach dem AMNOG-Verfahren bezweckten Beschleunigung und Entscheidungskonzentration wurde auf ein Vorverfahren
gesetzlich verzichtet und die erstinstanzliche Zuständigkeit des LSG eingeführt (vgl erneut Gesetzentwurf zum AMNOG, aaO,
BT-Drucks 17/2413 S 32 zu § 130b Abs 4). Folglich hat das zuständige LSG als bislang einzige Überprüfungsinstanz lediglich
die Sachurteilsvoraussetzungen der Klage verneint, ohne - seiner Rechtsansicht konsequent bleibend - den Vortrag der Klägerin
im Hinblick auf die materiellen Voraussetzungen des geltend gemachten Feststellungsbegehrens zu würdigen. Selbst wenn hier
vom LSG bereits getroffene einzelne Feststellungen geeignet sein sollten, eine abschließende revisionsrechtliche Prüfung durch
den Senat vorzunehmen, könnte ein solches Vorgehen schützenswerte Belange der Beteiligten beeinträchtigen. Aus Gründen einer
effektiven Rechtsschutzgewährung ist es angezeigt, den Beteiligten des Rechtsstreits in solchen Fällen die Möglichkeit einzuräumen,
ihr tatsächliches und rechtliches Vorbringen auf die zu prüfenden materiell-rechtlichen Voraussetzungen des Klagebegehrens
auszurichten. Die Bindung des LSG an die im zurückverweisenden Urteil enthaltene rechtliche Beurteilung des Revisionsgerichts
nach §
170 Abs
5 SGG gilt indessen nur insoweit, als diese Beurteilung zur Aufhebung des LSG-Urteils geführt hat. Das LSG ist daher im wiedereröffneten
Klageverfahren bei der Entscheidung über die materiell-rechtlichen Voraussetzungen des geltend gemachten Begehrens nicht gebunden.
4. Die Kostenentscheidung bleibt dem LSG vorbehalten.
5. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 1, § 47 Abs 1 GKG.