Vergütung einer stationären Krankenhausbehandlung durch die gesetzliche Krankenversicherung; Verjährung von Rückzahlungsansprüchen
einer Krankenkasse gegen ein Krankenhaus
Gründe:
I
In dem von der klagenden Gesellschaft betriebenen Krankenhaus wurde der bei der beklagten Krankenkasse versicherte Patient
L. O. (Versicherter) in der Zeit vom 31.3. bis zum 22.5.2004 wegen der Folgen seiner Diabeteserkrankung behandelt; unter anderem
wurde ein Fuß amputiert. Das Krankenhaus kodierte die Hauptdiagnose ICD-10 I 70.24 (Atherosklerose der Extremitätenarterien:
Bein-Becken-Typ, mit Gangrän) und rechnete auf der Grundlage der Diagnosis Related Group (DRG) F 28 A (Amputation bei Kreislauferkrankungen
außer obere Extremität und Zehen ohne Gefäßeingriff mit äußerst schweren oder schweren Komplikationen oder Komorbiditäten
[CC]) eine Vergütung in Höhe von 8020,47 Euro ab (Rechnung vom 27.5.2004), die von der Beklagten zunächst auch bezahlt worden
ist.
Im Jahre 2006 fand eine Kassenprüfung stationärer Behandlungsfälle durch das Bundesversicherungsamt statt, bei der die Beklagte
auf nach Ansicht der Aufsichtsbehörde unplausible Abrechnungsfälle hingewiesen wurde. Hierzu gehörte auch der vorliegende
Behandlungsfall, weil die Kodierung der Atherosklerose (ICD-10 I 70.24) als Hauptdiagnose zweifelhaft erschien. Die Beklagte
beauftragte am 22.10.2008 den Medizinischen Dienst des Bundeseisenbahnvermögens (MD-BEV) mit einer Begutachtung der Abrechnung.
Dieser zeigte der Klägerin noch am gleichen Tage den Begutachtungsauftrag an, wies auf Zweifel wegen der Kodierung der Hauptdiagnose
hin, bat um Übersendung der Behandlungsunterlagen und kam in seiner Stellungnahme vom 28.2.2009 zu dem Ergebnis, auf der Grundlage
des Entlassungsberichts vom 21.5.2004 sei die DRG-Fallpauschale K 01 B abzurechnen, weil gemäß den Deutschen Kodierrichtlinien
(DKR) D 003 b und D 0401 ICD-10 E 11.70 (nicht primär insulinabhängiger Diabetes mellitus - Typ II-Diabetes - mit multiplen
Komplikationen: nicht als entgleist bezeichnet) als Hauptdiagnose und I 70.24 nur als Nebendiagnose zu kodieren sei. Die Beklagte
berechnete daraufhin den Behandlungsfall nach der DRG-Fallpauschale K 01 B, kam dabei zu einer Überzahlung in Höhe von 931,75
Euro und forderte die Klägerin zur Rückzahlung dieses Betrages auf (Schreiben vom 6.3.2009). Am 30.4.2009 erklärte sie dann
die Aufrechnung mit einem entsprechenden Erstattungsanspruch gegen eine unstreitige Vergütungsforderung des Krankenhauses
über 1531,77 Euro aus der Behandlung der Versicherten M. M. (19.4. bis 22.4.2009) und zahlte deshalb nur den Differenzbetrag
von 600,02 Euro.
Die Klägerin hält die Aufrechnung für unwirksam, weil die Abrechnungsprüfung unter Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot
durchgeführt worden und die Beklagte deshalb mit ihrem Einwand gegen die Richtigkeit der Abrechnung ausgeschlossen gewesen
sei. Zudem sei die Forderung erst am 30.4.2009 und damit verspätet zur Aufrechnung gestellt worden, weil die vierjährige Verjährungsfrist
(analog §
45 Abs
1 SGB I) am 31.12.2008 abgelaufen sei. Hilfsweise bestreitet sie die unrichtige Kodierung der Hauptdiagnose in ihrer Abrechnung vom
27.5.2004.
Das SG hat die Zahlungsklage abgewiesen (Urteil vom 21.4.2010). Das LSG hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen (Urteil vom
16.5.2012): Für die Behandlung des Versicherten hätte die Klägerin nur die DRG-Fallpauschale K 01 B berechnen dürfen, wie
sich aus der überzeugenden Stellungnahme des MD-BEV vom 28.2.2009 ergebe. Mit den Ausführungen des MD-BEV habe sich die Klägerin
nicht im Einzelnen auseinandergesetzt, sondern diese nur pauschal angezweifelt, indem sie vorgetragen habe, weiterhin von
der Richtigkeit der Abrechnung vom 27.5.2004 überzeugt zu sein. Daher habe es keinen Anlass gegeben, Ermittlungen "ins Blaue
hinein" anzustellen. Der durch die Überzahlung entstandene Erstattungsanspruch sei auch rechtzeitig geltend gemacht worden,
weil die Sechswochenfrist des §
275 Abs
1c SGB V für die Einleitung eines Prüfverfahrens durch den Medizinischen Dienst erst für Krankenhausbehandlungsfälle aus der Zeit
ab 1.4.2007 gelte. Ein zum Anspruchsausschluss führender Verstoß gegen das Beschleunigungsgebot sei nicht erkennbar, weil
eine Verpflichtung zur "zeitnahen" Abrechnungsprüfung für Behandlungsfälle aus dem Jahre 2004 nicht existiere. Der Erstattungsanspruch
sei auch nicht verjährt, weil die an sich bis zum 31.12.2008 laufende Verjährungsfrist durch das am 22.10.2008 eingeleitete
Prüfverfahren entsprechend §
204 Abs
1 Nr
8 BGB gehemmt gewesen sei.
Mit der vom LSG zugelassenen Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts. Der Erstattungsanspruch sei nach
§
69 Abs
1 S 3
SGB V iVm §
242 BGB wegen Verwirkung ausgeschlossen, weil eine Verpflichtung zur "zeitnahen" Überprüfung einer Abrechnung durch den Medizinischen
Dienst aufgrund des allgemeinen Beschleunigungsgebots immer schon bestanden habe. Die Zeitnähe sei hier nicht gewahrt worden,
weil der MD-BEV erst mehr als vier Jahre nach der Rechnungserteilung eingeschaltet worden sei. Außerdem sei der Anspruch am
31.12.2008 verjährt gewesen, weil die vierjährige Verjährungsfrist (analog §
45 Abs
1 SGB I) durch die Einleitung des Prüfverfahrens nach §
69 Abs
1 S 3
SGB V iVm §
204 Abs
1 Nr
8 BGB nicht gehemmt worden sei; denn das Prüfverfahren nach §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V sei kein "vereinbartes Begutachtungsverfahren" iS des §
204 Abs
1 Nr
8 BGB. Hilfsweise rügt die Klägerin, das LSG habe es verfahrensfehlerhaft unterlassen, eigene Ermittlungen zu Grund und Höhe des
von ihr bestrittenen Erstattungsanspruchs anzustellen (§
103 SGG).
Die Klägerin beantragt,
die Urteile des Sächsischen LSG vom 16.5.2012 - L 1 KR 113/10 - und des SG Leipzig vom 21.4.2010 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an sie 931,75 Euro nebst Zinsen in Höhe von
5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1.5.2009 zu zahlen.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil und beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
II
Die Revision der Klägerin ist zulässig und in der Sache auch begründet. Zu Unrecht war die Klage in den Vorinstanzen erfolglos.
Der Klägerin steht ein Anspruch auf Zahlung weiterer 931,75 Euro aufgrund der stationären Krankenhausbehandlung der Versicherten
M. (19.4. bis 22.4.2009) zu. Der Vergütungsanspruch wegen dieser am 28.4.2009 abgerechneten Krankenhausbehandlung in Höhe
von 1531,77 Euro ist durch die Zahlung der Beklagten in Höhe von 600,02 Euro erloschen (§
69 Abs
1 S 3
SGB V iVm §
362 Abs
1 BGB). Der Restbetrag von 931,75 Euro ist aber weiterhin offen, weil die erklärte Aufrechnung mit dem Erstattungsanspruch unwirksam
war. Dabei kann die Frage offen bleiben, ob der von der Beklagten geltend gemachte Erstattungsanspruch dem Grunde und der
Höhe nach überhaupt entstanden ist; denn er war auf jeden Fall nicht mehr durchsetzbar.
1. Die auch im Revisionsverfahren von Amts wegen zu beachtenden Sachurteilsvoraussetzungen liegen vor. Streitgegenstand ist
der Anspruch eines Leistungserbringers gegen eine Krankenkasse auf Zahlung der (restlichen) Vergütung für die Krankenhausbehandlung
einer Versicherten. Diesen Anspruch macht die Klägerin zu Recht mit der (echten) Leistungsklage nach §
54 Abs
5 SGG geltend; denn es handelt sich bei der auf Zahlung der Behandlungskosten eines Versicherten gerichteten Klage eines Krankenhausträgers
gegen eine Krankenkasse um einen sog Parteienstreit im Gleichordnungsverhältnis, in dem eine Regelung durch Verwaltungsakt
nicht in Betracht kommt (BSGE 92, 300 = SozR 4-2500 § 39 Nr 2; BSGE 86, 166, 167 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 1; BSGE 90, 1 f = SozR 3-2500 § 112 Nr 3; BSG SozR 3-2500 § 39 Nr 4; BSG SozR 4-2500 § 109 Nr 11 RdNr 10). Ein Vorverfahren war mithin nicht durchzuführen, die Einhaltung einer Klagefrist nicht geboten.
2. Rechtsgrundlage des restlichen Vergütungsanspruchs der Klägerin wegen der stationären Behandlung der Versicherten M. (19.4.
bis 22.4.2009) ist §
109 Abs
4 S 3
SGB V iVm § 7 S 1 Nr 1; § 9 Abs 1 S 1 Nr 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) idF des Krankenhausfinanzierungsreformgesetzes (KHRG) vom 17.3.2009 (BGBl I 534), § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), Anlage 1 Teil a) Fallpauschalenkatalog der G-DRG-Version 2009 der am 1.1.2006 in Kraft getretenen "Vereinbarung zu den
allgemeinen Bedingungen der Krankenhausbehandlung" nach §
112 Abs
2 Nr
1 und
2 SGB V für den Freistaat Sachsen vom 4.10.2005 (Sicherstellungsvertrag) und der Pflegesatzvereinbarung für das Jahr 2009. Hiernach
stand der Klägerin für die stationäre Behandlung der Versicherten M. ein Vergütungsanspruch in Höhe von 1531,77 Euro zu, der
in Höhe eines Teilbetrages von 600,02 Euro durch die Zahlung der Beklagten vom 30.4.2009 erloschen ist (§
69 Abs
1 S 3
SGB V iVm §
362 Abs
1 BGB). Der Restbetrag von 931,75 Euro steht aber noch offen, weil die von der Beklagten gegen die Klageforderung erklärte Aufrechnung
vom 30.4.2009 unwirksam und eine Zahlung dieses Restbetrages nicht erfolgt ist.
3. Rechtsgrundlage für die Aufrechnung von Krankenkassen zur Erfüllung von Vergütungsansprüchen der Krankenhäuser ist §
69 Abs
1 S 3
SGB V iVm §§
387 ff
BGB (vgl BSGE 107, 78 = SozR 4-2500 § 140d Nr 2; BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17; BSGE 102, 172 = SozR 4-2500 § 109 Nr 13; BSG SozR 4-5565 § 14 Nr 8; BSGE 93, 137 = SozR 4-2500 § 137c Nr 2). Auch außerhalb der besonderen Regelungen der §§
51,
52 SGB I über die Aufrechnung gegen Sozialleistungsansprüche besteht im Sozialrecht allgemein die Möglichkeit, einer öffentlich-rechtlichen
Forderung im Wege der Aufrechnung, auf welche die §§
387 ff
BGB entsprechend anzuwenden sind, entgegenzutreten (BSGE 75, 283, 284 ff = SozR 3-2400 § 28 Nr 2; BSGE 63, 224, 230 f = SozR 1300 § 48 Nr 47). Voraussetzung dieses einseitigen Rechtsgeschäfts, mit dem die wechselseitige Tilgung zweier
Forderungen bewirkt wird, ist gemäß §
387 BGB, dass sich zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung gegenseitige, gleichartige und fällige bzw erfüllbare Forderungen gegenüberstehen,
wobei die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung uneingeschränkt wirksam und fällig sein muss, die Hauptforderung dagegen
lediglich erfüllbar zu sein braucht (Grüneberg in: Palandt,
BGB, 72. Aufl 2013, §
387 RdNr 11 f). Außerdem darf entsprechend §
390 BGB die Gegenforderung nicht einredebehaftet sein. Allerdings kann nach §
215 BGB (idF des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes - SMG - vom 26.11.2001, BGBl I 3138; bis zum 31.12.2001 galt der inhaltsgleiche
§
390 S 2
BGB aF) die Aufrechnung auf eine schon verjährte Gegenforderung gestützt werden, soweit diese bei Eintritt der Aufrechnungslage
noch nicht verjährt war. Diese Aufrechnungsvoraussetzungen sind hier nicht erfüllt, weil der - insoweit einmal zu unterstellende
- Erstattungsanspruch der Beklagten im Jahre 2009 dauerhaft nicht mehr durchsetzbar war.
4. Die Aufrechnung ist unwirksam, weil der - zu unterstellende - Erstattungsanspruch der Beklagten bereits verjährt war, als
der Vergütungsanspruch der Klägerin aus der Behandlung der Versicherten M. erst entstanden und fällig geworden ist. Die Verjährung
des Erstattungsanspruchs ist am 31.12.2008 eingetreten, während die Vergütungsforderung erst aufgrund der in der Zeit vom
19.4. bis zum 22.4.2009 erfolgten Behandlung der Versicherten entstanden und mit der Rechnungsstellung (28.4.2009) sowie dem
Ablauf der vertraglichen Zahlungsfrist von 18 Tagen ab Zugang der Rechnung (§ 13 Abs 1 Sicherstellungsvertrag), also Mitte
Mai 2009, fällig geworden ist. Der Vergütungsanspruch, gegen den aufgerechnet worden ist (Hauptforderung), und der Erstattungsanspruch,
mit dem aufgerechnet worden ist (Gegenforderung), haben sich also zu keinem Zeitpunkt aufrechenbar gegenübergestanden, was
nach §
215 iVm §
390 BGB zum Ausschluss der Aufrechnung führt.
a) Ebenso wie die Vergütungsansprüche der Krankenhäuser aus der Behandlung von Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung
unterliegen auch die öffentlich-rechtlichen Erstattungsansprüche der Krankenkassen wegen nicht gerechtfertigter Zahlungen
der vierjährigen Verjährung (BSGE 98, 142 = SozR 4-2500 § 276 Nr 1, RdNr 25; BSGE 97, 125 = SozR 4-1500 § 92 Nr 3, RdNr 11; BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 1 RdNr 18). Den Verjährungsregelungen in den Büchern des SGB, insbesondere in §
45 Abs
1 SGB I, hat die Rechtsprechung das allgemeine Rechtsprinzip der vierjährigen Verjährung im Sozialrecht entnommen, das einer analogen
Anwendung der Verjährungsfristen des Zivilrechts (§§
194 ff
BGB) über §
69 Abs
1 S 3
SGB V entgegensteht (BSG SozR 4-2500 § 69 Nr 1 RdNr 18). Lediglich für die Hemmung, die Ablaufhemmung, den Neubeginn und die Wirkung der Verjährung gelten entsprechend
§
45 Abs
2 SGB I die Vorschriften des Zivilrechts (§§
203 ff
BGB) sinngemäß. Der Erstattungsanspruch der Beklagten ist bereits mit der im Juni 2004 erfolgten Zahlung des Rechnungsbetrages
von 8020,47 Euro entstanden, weil dieser nach der - hier als zutreffend zu unterstellenden - Stellungnahme des MD-BEV vom
28.2.2009 wegen unrichtiger Kodierung der Hauptdiagnose um 931,75 Euro zu hoch ausgefallen ist. Demgemäß begann die vierjährige
Verjährungsfrist am 1.1.2005 (§
45 Abs
1 SGB I), und sie endete folglich am 31.12.2008.
b) Die Klägerin hat - erstmals am 18.5.2009 - die Einrede der Verjährung des Erstattungsanspruchs erhoben.
c) Der Einwand der Klägerin ist auch gerechtfertigt, weil der Ablauf der Verjährungsfrist nicht nach §
45 Abs
2 SGB I iVm §
204 Abs
1 Nr
8 BGB aufgrund der am 22.10.2008 erfolgten Einleitung des Prüfverfahrens durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung
(MDK) bzw durch den hier gemäß §
283 S 1
SGB V zuständigen MD-BEV gehemmt war.
aa) Nach §
204 Abs
1 Nr
8 BGB wird die Verjährung "durch den Beginn eines vereinbarten Begutachtungsverfahrens" gehemmt. Ein solches "vereinbartes Begutachtungsverfahren"
stellt das MDK-Prüfverfahren nach §
275 SGB V nicht dar. Zwar handelt es sich bei der Prüfung der medizinischen Notwendigkeit von stationären Leistungen der Krankenhausbehandlung
(§
39 SGB V) sowie deren ordnungsgemäßer Abrechnung durch den MDK (§
275 Abs
1 Nr
1 SGB V) um ein "Begutachtungsverfahren"; denn diese Prüfung hat die Erstellung einer "gutachtlichen Stellungnahme" des MDK zum Ziel
(§
275 Abs
1 letzter Halbs
SGB V), die vom Gesetzgeber nach der amtlichen Überschrift des §
275 SGB V als "Begutachtung" begriffen wird. Es fehlt jedoch am Tatbestandsmerkmal des "vereinbarten" Begutachtungsverfahrens, weil
eine Krankenkasse bei der Beauftragung des MDK mit einer Abrechnungsprüfung gemäß §
275 Abs
1 Nr
1 SGB V einer im Gesetz verankerten öffentlich-rechtlichen Pflicht folgt und nicht eine Vereinbarung mit dem Krankenhausträger ausführt.
Dem steht nicht entgegen, dass der Sicherstellungsvertrag für den Freistaat Sachsen, der am 1.1.2006 in Kraft getreten ist
(§ 20 Abs 1) und daher für den von der Beklagten am 22.10.2008 erteilten Begutachtungsauftrag gilt, in § 13 Abs 4 und § 14
Regelungen zum MDK-Prüfverfahren enthält. Es handelt sich dabei lediglich um Ausführungsbestimmungen zum gesetzlichen Prüfverfahren
nach §
275 SGB V und setzt dieses gerade voraus. Ein von der gesetzlichen Regelung unabhängiges landesvertragliches und damit "vereinbartes"
Begutachtungsverfahren ist im Sicherstellungsvertrag also nicht vorgesehen.
bb) Auch eine analoge Anwendung des §
204 Abs
1 Nr
8 BGB scheidet aus. Dabei ist vorab zu betonen, dass die Vorschriften über die Hemmung der Verjährung (§§
203 ff
BGB) als Ausnahmeregelungen zum Prinzip der Verjährung von Ansprüchen durch Zeitablauf (§§
194 ff
BGB) grundsätzlich eng auszulegen sind. Bei der Frage, ob eine in §
204 BGB nicht aufgeführte Rechtshandlung oder eine sonstige rechtserhebliche Tatsache mit einem der in §
204 BGB oder in Spezialgesetzen (vgl dazu Ellenberger in Palandt,
BGB, 72. Aufl 2013, §
204 RdNr 53) genannten Hemmungstatbeständen nach Sinn und Zweck vergleichbar ist, kommt dem Charakter der Hemmungsvorschriften
als Ausnahmeregelungen zum Prinzip der Verjährung also eine besondere Bedeutung zu, sodass bei der Bejahung einer Analogie
große Zurückhaltung geboten ist.
Dabei scheidet die Heranziehung von Hemmungstatbeständen außerhalb des
BGB im vorliegenden Fall von vornherein aus, weil §
45 Abs
2 SGB I ausdrücklich nur auf die sinngemäße Anwendung der Vorschriften des
BGB verweist. Innerhalb des §
204 BGB hat die Rechtsprechung zwar stets hervorgehoben, der Katalog des §
204 Abs
1 Nr
1 bis
14 BGB sei nicht abschließend, tatsächlich aber Analogien immer nur zum Tatbestand des §
204 Abs
1 Nr
1 BGB (Hemmung der Verjährung durch die Erhebung der Klage auf Leistung oder Feststellung des Anspruchs, auf Erteilung der Vollstreckungsklausel
oder auf Erlass des Vollstreckungsurteils) entwickelt (Ellenberger, aaO, § 204 RdNr 54 mit Rechtsprechungsübersicht), der
hier ersichtlich ausscheidet. Eine Analogie lässt sich hier allenfalls anhand des §
204 Abs
1 Nr
8 BGB prüfen, weil diese Vorschrift in ihrer bis zum 31.12.2008 geltenden Fassung neben dem "vereinbarten Begutachtungsverfahren"
auch den Hemmungstatbestand der "Beauftragung des Gutachters in dem Verfahren nach § 641a
BGB" kannte, also einen Hemmungstatbestand, bei dem das Begutachtungsverfahren nicht vertraglich vereinbart, sondern gesetzlich
geregelt war. Dieser Hemmungstatbestand, der durch das SMG zum 1.1.2002 als Folgeregelung zu der am 1.5.2000 erfolgten Einfügung
des § 641a
BGB in das Werkvertragsrecht durch das Gesetz zur Beschleunigung fälliger Zahlungen vom 30.3.2000 (BGBl I 330) geschaffen worden
war, ist als Folgeänderung zur Aufhebung des § 641a
BGB, der sich nach Einschätzung des Gesetzgebers nicht bewährt hatte (BT-Drucks 16/511, S 14, 16), zum 1.1.2009 durch das Forderungssicherungsgesetz
(FoSiG) vom 23.10.2008 (BGBl I 2022) wieder gestrichen worden. Zwar galt diese alte Fassung des §
204 Abs
1 Nr
8 BGB bis zum 31.12.2008, war also bei der Beauftragung des MD-BEV am 22.10.2008 noch in Kraft, es fehlt aber an den weiteren Grundlagen
für eine Analogie, weil der Gesetzgeber eben nicht generell alle - vereinbarten oder gesetzlichen - Begutachtungsverfahren
in §
204 Abs
1 Nr
8 BGB erfasst hatte, sondern ausdrücklich nur alle vereinbarten Begutachtungsverfahren genannt und von den gesetzlichen Begutachtungsverfahren
nur jenes nach § 641a
BGB aF aufgeführt hatte. Mit der Begutachtung eines Werkes zur Erteilung einer die Abnahme (§
640 BGB) ersetzenden Fertigstellungsbescheinigung (Privaturkunde nach §
416 ZPO), die zusammen mit dem schriftlichen Werkvertrag dem Unternehmer die Möglichkeit der Vergütungsklage im Urkundenprozess (§§
592 ff
ZPO) eröffnete (vgl Sprau in Palandt,
BGB, 66. Aufl 2007, § 641a RdNr 3), ist die Begutachtung einer Abrechnung durch den MDK nach §
275 SGB V, die lediglich eine Entscheidungshilfe für die Krankenkassen bei der Kontrolle von Rechnungen der Krankenhäuser darstellt,
weder inhaltlich noch nach ihrem Zweck vergleichbar.
5. Da die Aufrechnung jedenfalls wegen der Verjährung des Erstattungsanspruchs unwirksam ist, bedarf es keiner weiteren Ermittlungen
zu der streitigen Frage, ob die Abrechnung vom 27.5.2004 richtig gewesen ist, wie die Klägerin meint, oder ob sie wegen unzutreffender
Kodierung der Hauptdiagnose hätte korrigiert werden müssen und dann um 931,75 Euro niedriger ausgefallen wäre, wovon der MD-BEV
und die Beklagte ausgehen.
6. Im Übrigen bleibt anzumerken, dass der geltend gemachte Erstattungsanspruch auch noch aus einem zweiten Grund nicht mehr
erfolgreich zur Aufrechnung gestellt werden konnte: Der Klägerin steht nämlich gegenüber dem Erstattungsanspruch der Einwand
unzulässiger Rechtsausübung (§
69 Abs
1 S 3
SGB V iVm §
242 BGB) zu, weil nach dem die Rechtsbeziehungen zwischen Krankenhäusern und Krankenkassen prägenden allgemeinen Beschleunigungsgebot
und dem "Prinzip der Waffengleichheit" auch bei Fällen aus der Zeit vor dem Inkrafttreten des §
275 Abs
1c SGB V (1.4.2007) Einwände gegen die erteilte Abrechnung lediglich innerhalb einer angemessenen Frist vorgebracht werden konnten.
Diese Frist war nach viereinhalb Jahren (Rechnungsstellung am 27.5.2004, Begutachtungsauftrag am 22.10.2008) jedenfalls abgelaufen
(vgl Urteil des erkennenden Senats vom 18.7.2013 - B 3 KR 22/12 R - für SozR 4 vorgesehen).
Die Aufrechnung ist damit unwirksam und der restliche Vergütungsanspruch in Höhe von 931,75 Euro aus der Behandlung der Versicherten
M. somit begründet.
7. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 13 Abs 3 des Sicherstellungsvertrages.
8. Die Kostenentscheidung folgt aus §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm §
154 Abs
1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §
197a Abs
1 S 1
SGG iVm § 63 Abs 2, § 52 Abs 3 und § 47 Abs 1 GKG.