Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach dem bis 31.12.2016 geltenden Recht
Hilfebedarf bei der Überwachung und medikamentösen Regulierung einer Stoffwechselerkrankung
Medikamentengabe als krankheitsspezifische Pflegemaßnahme
Gründe:
I
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen der sozialen Pflegeversicherung nach dem bis 31.12.2016 geltenden
Recht.
Der im November 2005 geborene, im Alter von drei Jahren an Diabetes mellitus Typ I erkrankte Kläger ist mit einer Insulinpumpe
versorgt. Da seine Blutzuckerwerte gleichwohl großen Schwankungen unterliegen, sind nach den Feststellungen des LSG zur Sicherung
der Stoffwechsellage täglich ca zehn Blutzuckermessungen sowohl im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme als auch unabhängig
davon erforderlich.
Im Oktober 2011 beantragte der Kläger - vertreten durch seine Eltern - bei der beklagten Pflegekasse die Gewährung von Pflegegeld.
Diese holte zur Ermittlung des Pflegebedarfs ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein, das
zu dem Ergebnis gelangte, der Hilfebedarf in der Grundpflege, der über den bei einem gleichaltrigen gesunden Kind erforderlichen
Bedarf hinausgehe, betrage bei dem Kläger insgesamt durchschnittlich 14 Minuten kalendertäglich. Die Beklagte lehnte deshalb
die Leistungsgewährung ab, weil das erforderliche Mindestmaß an Hilfebedürftigkeit in der Grundpflege insoweit von mehr als
45 Minuten nicht erreicht werde; der wegen der Diabetes bestehende Behandlungspflegeaufwand sei nach den Begutachtungsrichtlinien
und der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 19.2.1998 - B 3 P 3/97 R - BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2) nicht dem grundpflegerischen Aufwand zuzurechnen (Bescheid vom 9.2.2012; Widerspruchsbescheid vom
26.6.2013).
Vor dem SG hat der Kläger ua ausgeführt, die Rechtsprechung des BSG, wonach das Spritzen von Insulin einschließlich der Blutzuckermessung im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme nicht zum
Grundpflegebedarf gehöre, beruhe noch auf der - inzwischen überholten - Annahme, dass die Messung des Blutzuckers als Vorbereitungshandlung
für das Berechnen, Zusammenstellen sowie Abwiegen und Portionieren der Mahlzeiten diene und daher zu weit vom natürlichen
Vorgang des Essens entfernt sei, um noch Grundpflege sein zu können. In der modernen Insulintherapie benötige eine Insulinpumpe
aber keinen Spritz-/Essabstand mehr, sondern die Pflegeperson führe die Blutzuckermessung unmittelbar vor der Nahrungsaufnahme
durch, sodass die Maßnahmen unmittelbar aneinander gekoppelt seien.
Das SG hat die Klage nach Beiziehung medizinischer Unterlagen und Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens abgewiesen:
Der vom Sachverständigen im Rahmen von insgesamt 63 Minuten Grundpflegebedarf befürworteten Berücksichtigung der Blutzuckermessungen
und Vorbereitungshandlungen vor der Nahrungsaufnahme (insoweit Grundpflegebedarf bei drei Haupt- und zwei Zwischenmahlzeiten
à acht Minuten täglich = 40 Minuten täglich) könne nicht gefolgt werden, weil diese Maßnahmen zur Behandlungspflege gehörten.
Die dabei erfolgende Beaufsichtigung und Anleitung stehe in keinem sachlichen Zusammenhang zur Nahrungsaufnahme. Der Kläger
sei altersentsprechend in der Lage, Nahrung mundgerecht zuzubereiten und aufzunehmen (Urteil vom 25.9.2014).
Das LSG hat die - mit Unterlagen einer Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin untermauerte - Berufung zurückgewiesen:
Zwar habe der Kläger bei einzelnen Verrichtungen des Katalogs des §
14 Abs
4 SGB XI (idF des Gesetzes vom 26.5.1994, BGBl I 1014, [aF]) einen Hilfebedarf, der über denjenigen eines gesunden Gleichaltrigen
hinausgehe, allerdings erreiche dieser Mehrbedarf bei Weitem nicht den Grenzwert von mehr als 45 Minuten täglich durchschnittlich.
Der Zeitaufwand für die Kontrolle des Blutzuckers und die eventuelle Anpassung der Insulindosis sei nicht - auch nicht als
verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme - der Grundpflege zuzurechnen, sondern der Behandlungspflege. Maßnahmen
der Behandlungspflege, die der Behandlung der zugrundeliegenden Krankheit oder Behinderung dienten, seien nur berücksichtigungsfähig,
wenn bei ihnen der behandlungspflegerische Hilfebedarf untrennbarer Bestandteil einer Verrichtung nach §
14 Abs
4 SGB XI aF sei oder mit einer solchen Verrichtung notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang stehe (vgl
§
15 Abs
3 S 2 und 3
SGB XI idF des Gesetzes vom 26.3.2007, BGBl I 378, geltend ab 1.4.2007 [aF]; BSG Urteil vom 27.8.1998 - B 10 KR 4/97 R - BSGE 82, 276 = SozR 3-3300 § 14 Nr 7). Die Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung von Pflegebedürftigen enthielten bezogen
auf Blutzuckermessungen insoweit - übereinstimmend mit der Rechtsprechung des BSG (zuletzt Urteil vom 17.3.2005 - B 3 KR 9/04 R - BSGE 94, 192 = SozR 4-2500 § 37 Nr 3) - den Hinweis, dass die regelmäßige Insulingabe, die Blutzuckermessung sowie die Gabe von Medikamenten
keine verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahme im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme sei. Fortschritte
in der Insulintherapie böten keinen Anlass, die Blutzuckermessung im Umfeld der Nahrungsaufnahme nun als verrichtungsbezogene
Behandlungspflegemaßnahmen der Grundpflege zuzurechnen. Obwohl die Pumpentherapie teilweise eine zeitliche Entkopplung von
Blutzuckermessung, Nahrungsaufnahme und zusätzlicher Insulinapplikation ermögliche, bestehe ein notwendiger zeitlicher Zusammenhang
mit der Nahrungsaufnahme nur in Fällen starker Blutzuckerschwankungen. Insulininjektionen und Blutzuckermessung seien aber
auch insoweit der Medikamentengabe und nicht der Nahrungsaufnahme zurechnen (Urteil vom 26.4.2016).
Mit seiner Revision rügt der Kläger sinngemäß die Verletzung von §
14 Abs
1 und 4, §
15 SGB XI aF unter eigener Auswertung der vom LSG zitierten Rechtsprechung sowie unter Hervorhebung in seinem Fall bestehender Besonderheiten.
Insoweit nimmt er Bezug auf in den Tatsacheninstanzen erfolgte Sachverständigenausführungen, eine ärztliche Darstellung der
Nahrungsaufnahme eines Kindes mit Diabetes Typ I im Vergleich zu einem altersgleichen gesunden Kind sowie die Darstellung
der eigenen (des Klägers) Nahrungsaufnahme. Eine Medikamentengabe gehöre dann zur Grundpflege, wenn die Gabe zur Aufrechterhaltung
von Grundfunktionen erforderlich sei, soweit sie Bestandteil der Hilfe für Katalogverrichtungen sei oder im unmittelbaren
zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Hilfe erforderlich werde. Dies sei bei ihm zu bejahen, weil er unter Anwendung
der modernen Insulintherapie mit kurzwirkenden Insulinen behandelt werde, die zur Zeit der BSG-Urteile von 1998/1999 für Kinder noch nicht zugelassen gewesen seien.
Der Kläger beantragt nunmehr,
1. die Urteile des Schleswig-Holsteinischen Landessozialgerichts vom 26. April 2016 und des Sozialgerichts Kiel vom 25. September
2014 aufzuheben sowie die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 9. Februar 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides
vom 26. Juni 2013 zu verurteilen, ihm ab 18. Oktober 2011 Leistungen aus der Pflegeversicherung nach der Pflegestufe I für
die Zeit bis 31. Dezember 2016 zu gewähren,
2. festzustellen, dass die Voraussetzungen der Pflegestufe I am 31. Dezember 2016 vorlagen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Sie bezieht sich auf in den Vorinstanzen abgegebene Stellungnahmen der MDK-Ärzte und verweist auf die ständige Rechtsprechung
des BSG sowie die Begutachtungsrichtlinien zur Nichteinordnung des Hilfebedarfs bei der Überwachung und medikamentösen Regulierung
einer Stoffwechselerkrankung als Pflegebedarf iS von §
14 Abs
4 SGB XI aF.
II
Die zulässige Revision des Klägers ist unbegründet und daher zurückzuweisen.
Der Kläger hat nach Erörterung der Sach- und Rechtslage in der mündlichen Verhandlung auf Anregung des Senats hin im Hinblick
auf die ab 1.1.2017 geltenden Neuregelungen im
SGB XI die mit seiner Revision begehrte Leistungsgewährung zulässig auf die Zeit bis 31.12.2016 beschränkt, nachdem sich die Beklagte
bereit erklärt hatte, über diesen Antrag - unbeschadet der im Revisionsverfahren vorgenommenen Beschränkung - für die Zeit
ab 1.1.2017 gesondert zu entscheiden; darüber hinaus hat der Kläger sein Begehren in sachgerechter Weise mit einem - übergangsrechtlich
seine Rechte wahrenden (vgl §
140 Abs
2 und
3 SGB XI idF des Gesetzes vom 21.12.2015, BGBl I 2424) - zulässigen Antrag auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der
Pflegestufe I am 31.12.2016 verbunden.
Die Abweisung der Klage durch die Vorinstanzen ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die angefochtenen Entscheidungen
sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat keinen Anspruch auf Gewährung von Pflegegeld für
die Zeit bis 31.12.2016 und auf die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen der (alten) Pflegestufe I an diesem Tag,
weil das dafür bis zu diesem Zeitpunkt erforderliche zeitliche Ausmaß an täglich durchschnittlicher Grundpflege von mehr als
45 Minuten nicht erreicht wird.
Ausgehend von den für die Gewährung von Pflegegeld in der sozialen Pflegeversicherung hier noch einschlägigen Rechtsgrundlagen
(dazu im Folgenden 1.) ist nach den für den Senat bindenden Feststellungen des LSG (§
163 SGG) der zeitliche Aufwand der Hilfe für die Kontrolle des Blutzuckers und die ggf nötige Anpassung der Insulindosis bei dem
Kläger nicht der Grundpflege zuzurechnen (dazu 2.). Das gilt auch unter dem Blickwinkel der vom Kläger geltend gemachten,
vermeintlich gebotenen Einordnung als verrichtungsbezogene, dem Grundpflegebedarf zuzuordnende krankheitsspezifische Pflegemaßnahme,
die eine spezifische moderne Therapieform sei und gegenüber der Nahrungsaufnahme in den Hintergrund trete.
1. Gemäß §
36 Abs
1 S 1
SGB XI (hier noch anzuwenden idF des Gesetzes vom 14.6.1996, BGBl I 830, [aF]), der hier - ebenso wie die nachfolgend zitierten
Regelungen - noch in der bis 31.12.2016 geltenden Fassung heranzuziehen ist, haben Pflegebedürftige bei häuslicher Pflege
Anspruch auf Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung als Sachleistung (häusliche Pflegehilfe). Sie können gemäß §
37 Abs
1 S 1
SGB XI anstelle der häuslichen Pflege ein Pflegegeld beantragen. Der Anspruch setzt nach Satz 2 der Regelung (aF) voraus, dass der
Pflegebedürftige mit dem Pflegegeld dessen Umfang entsprechend die erforderliche Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung
in geeigneter Weise selbst sicherstellt. Die erst mit Wirkung zum 1.1.2017 in Kraft getretenen Neuregelungen des Rechts der
sozialen Pflegeversicherung durch das Zweite Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften
vom 21.12.2015 (Zweites Pflegestärkungsgesetz - PSG II, BGBl I 2424) sowie durch das Dritte Gesetz zur Stärkung der pflegerischen
Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 23.12.2016 (Drittes Pflegestärkungsgesetz - PSG III, BGBl I 3191) sind
demgegenüber aufgrund der im Revisionsverfahren zwischen den Beteiligten vorgenommenen zeitlichen Eingrenzung des Rechtsstreits
(noch) nicht Prüfungsmaßstab für den Senat.
Gemäß §
14 Abs
1 SGB XI aF sind im Sinne des
SGB XI Personen pflegebedürftig, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit für die gewöhnlichen und regelmäßig
wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, in erheblichem
oder höherem Maße (§
15 SGB XI aF) der Hilfe bedürfen. Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) - was bei dem Kläger allein in Betracht
kommt - sind Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem
oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen
Versorgung benötigen (§
15 Abs
1 S 1 Nr
1 SGB XI aF). Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson für die
erforderlichen Leistungen der Grundpflege und hauswirtschaftlichen Versorgung benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt
mindestens 90 Minuten betragen, wobei auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen müssen (§
15 Abs
3 S 1 Nr
1 SGB XI idF des Gesetzes vom 14.6.1996, BGBl I 830). Zur Grundpflege zählen dabei gemäß §
14 Abs
4 SGB XI aF: 1. im Bereich der Körperpflege das Waschen, Duschen, Baden, die Zahnpflege, das Kämmen, Rasieren, die Darm- und Blasenentleerung,
2. im Bereich der Ernährung das mundgerechte Zubereiten oder die Aufnahme der Nahrung, 3. im Bereich der Mobilität das selbstständige
Aufstehen und Zubettgehen, An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen oder das Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.
Bei Kindern - wie dem Kläger - besteht darüber hinaus die Besonderheit, dass gemäß §
15 Abs
2 SGB XI aF (nur) der zusätzliche Hilfebedarf gegenüber einem gesunden gleichaltrigen Kind maßgebend ist.
2. Ausgehend von den vorgenannten Regelungen unterliegt es keiner revisionsrechtlichen Beanstandung, dass das LSG einen Grundpflegebedarf
des Klägers iS von §
15 Abs
3 Nr
1 iVm §
14 Abs
4 SGB XI aF oberhalb der Schwelle von durchschnittlich 45 Minuten kalendertäglich verneint hat.
Aus den gutachterlichen Feststellungen der im Verfahren tätig gewordenen Sachverständigen durfte das LSG entnehmen, dass der
Kläger bei einzelnen Verrichtungen des Kataloges des §
14 Abs
4 SGB XI aF zwar einen Hilfebedarf hat, der über denjenigen eines gesunden Gleichaltrigen hinausgeht. Das SG hat aber - vom LSG unbeanstandet gelassen - den vom Kläger (mindestens) geltend gemachten, im Raum stehenden Grundpflegebedarf
von insgesamt 63 Minuten täglich durchschnittlich verneint, der sich aus 23 Minuten Grundpflege zuzüglich einer vom gerichtlich
bestellten Sachverständigen (zuletzt) befürworteten Berücksichtigung der Blutzuckermessungen und Vorbereitungshandlungen vor
der Nahrungsaufnahme beim Grundpflegebedarf mit 40 Minuten täglich durchschnittlich ergab (= drei Hauptmahlzeiten, zwei Zwischenmahlzeiten
à acht Minuten Hilfebedarf täglich). Da bei dem Kläger ohne anerkennungsfähigen zeitlichen Grundpflegemehrbedarf für Blutzuckermessungen,
Insulinvergabe und Vorbereitungshandlungen im Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme der genannte Grenzwert für die Grundpflege
(= durchschnittlich mehr als 45 Minuten täglich) nicht erreicht wird, konnte die Klage keinen Erfolg haben.
a) Entscheidend ist insoweit, dass Maßnahmen der Behandlungspflege, die nicht den in §
14 Abs
4 SGB XI aF genannten Verrichtungen dienen, sondern allein der Behandlung der den Pflegebedarf auslösenden Krankheit oder Behinderung
dienen, grundsätzlich keine Verrichtungen der Grundpflege darstellen. Allerdings sind bei der Feststellung des Zeitaufwandes
für die erforderlichen Leistungen der Grundpflege gemäß §
15 Abs
3 S 2 und 3
SGB XI aF in der ab 1.4.2007 geltenden Fassung (Gesetz vom 26.3.2007, BGBl I 378) verrichtungsbezogene krankheitsspezifische Pflegemaßnahmen
gleichwohl berücksichtigungsfähig, wenn bei ihnen der behandlungspflegerische Hilfebedarf "untrennbarer Bestandteil einer
Verrichtung nach §
14 Abs
4 SGB XI aF ist oder mit einer solchen Verrichtung notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang steht".
Diese Regelung geht zurück auf die bereits zuvor ergangene Rechtsprechung des BSG und deckt sich damit und hat - ausweislich der Gesetzesbegründung - lediglich klarstellenden Charakter (so Gesetzentwurf
der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, BT-Drucks 16/3100 S 184 Zu Nr 4 [§ 15] unter Hinweis
auf BSG Urteil vom 30.10.2001 - B 3 KR 2/01 R - SozR 3-2500 § 37 Nr 3).
Nach der ständigen, ausführlich begründeten Rechtsprechung des 3. Senats des BSG, an der der Senat festhält, kann der Hilfebedarf bei der Überwachung und medikamentösen Regulierung einer Stoffwechselerkrankung
- wie die bei dem Kläger vorliegende Diabetes Typ I - grundsätzlich nicht als Pflegebedarf iS von §
14 Abs
4 SGB XI aF berücksichtigt werden; denn zur Grundpflege gehört nur die Hilfe bei der Nahrungsaufnahme selbst sowie die letzte Vorbereitungsmaßnahme,
soweit eine solche nach der Fertigstellung der Mahlzeit krankheits- oder behinderungsbedingt erforderlich wird (BSG SozR 3-3300 § 14 Nr 3 S 14 f unter Hinweis auf die Gesetzesmaterialien in BT-Drucks 12/5262 S 96 f; zu der sich insoweit auswirkenden Grundentscheidung
des Gesetzgebers, allein "verrichtungsbezogene" und "pflegebedarfsrelevante" Maßnahmen als Pflegebedarf iS des
SGB XI anzuerkennen: BSG SozR 4-3300 § 15 Nr 1 RdNr 16 mwN). Eine Medikamentengabe - darum handelt es sich bei der bei dem Kläger erforderlichen Verabreichung von
Insulin bzw der Ermittlung der Notwendigkeit einer solchen Verabreichung bzw der Feststellung der Dosierung - stellt als krankheitsspezifische
Pflegemaßnahme regelmäßig eine Form der Behandlungspflege dar, die vom Verrichtungskatalog des §
14 Abs
4 SGB XI aF auch bei weiter Auslegung nicht erfasst wird (so ausdrücklich zB BSGE 94, 192 = SozR 4-2500 § 37 Nr 3, RdNr 11 unter Hinweis auf BSGE 82, 27 = SozR 3-3300 § 14 Nr 2). Derartige Pflegeleistungen sind systematisch nicht der Leistungszuständigkeit der Pflegeversicherung,
sondern vielmehr der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen.
Die aufgezeigte Rechtsprechung hat im Übrigen Eingang gefunden in die "Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung
von Pflegebedürftigen nach dem XI. Buch des Sozialgesetzbuchs" vom 21.7.1997 (hier anzuwenden idF vom 8.6.2009). Diese Richtlinien
stellen eine verbindliche, einheitliche Begutachtungsgrundlage sowohl für die Pflegekassen als auch für den MDK dar. Die Richtlinien
sind gemäß §
17 Abs
1 und §
53a SGB XI aF bei der Feststellung des Pflegebedarfes zu berücksichtigen und entfalten nach der ständigen Rechtsprechung des 3. Senats
des BSG - soweit sie sich im Rahmen höherrangigen Rechts halten - auch ohne dass ihnen Rechtssatzcharakter zukommt, eine gewisse
Bindungswirkung auch im Außenverhältnis zu den Versicherten, indem sie als Konkretisierung des Gesetzes zur Vermeidung von
Ungleichbehandlungen zu beachten sind; den Richtlinien kommt insoweit über den allgemeinen Gleichheitssatz des Art
3 Abs
1 GG Bindungswirkung zu, zumal sich die Verwaltungspraxis an ihnen orientiert (vgl nur BSG SozR 3-3300 § 15 Nr 1 S 5).
In diesen Richtlinien wird unter Gliederungspunkt "D 4.2. Ernährung 8. Das mundgerechte Zubereiten der Nahrung" in Übereinstimmung
mit der aufgezeigten Rechtsprechung Folgendes ausgeführt: "Die regelmäßige Insulingabe, die Blutzuckermessungen sowie grundsätzlich
auch die Gabe von Medikamenten sind keine verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen, da sie aus medizinisch-pflegerischen
Gründen nicht objektiv notwendig in einem unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit dieser Verrichtung vorgenommen
werden müssen."
b) Auch vor diesem Hintergrund ergibt sich, dass die Messung des Blutzuckers, die Verabreichung von Arznei und ähnliche Verrichtungen
sowohl zur Ermöglichung der für die Gesundheit schadlosen Nahrungsaufnahme als auch zur folgenden schadlosen Nahrungsverarbeitung
im menschlichen Stoffwechselsystem typischerweise nur als selbstständig zu qualifizierende Begleithandlung zur Nahrungsaufnahme
angesehen werden können. Ob derartige Maßnahmen im Vorfeld der Nahrungsaufnahme nötig sind und erfolgen oder - kontrollierend
und gleichzeitig mit dem Essen bzw nachträglich therapeutisch eingreifend - möglicherweise auch im Anschluss daran, ist insoweit
ohne Belang.
Für diese Sichtweise spricht auch, dass nach den nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen und daher für den Senat bindenden
Feststellungen des LSG (vgl §
163 SGG) die Blutzuckerwerte des Klägers trotz aller Therapie derart großen Schwankungen unterliegen, dass zur Sicherung seiner Stoffwechsellage
täglich ca zehn Blutzuckermessungen auch unabhängig vom Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme erforderlich sind. Dann aber erschiene
es verfehlt und bedürfte einer besonderen Begründung, weshalb entsprechende Messungen und therapeutische Hilfeleistungen,
die im zeitlichen Kontext mit der Nahrungsaufnahme erfolgen, der Grundpflege zugeordnet werden sollten, gleichartige Maßnahmen
außerhalb der Mahlzeiten demgegenüber der Behandlungspflege.
c) Der Kläger kann auch nicht damit durchdringen, dass die mit Blick auf die bei ihm bestehende Diabetes Typ I notwendige
Medikamentengabe bzw die Vorbereitungshandlungen im Sinne der oa Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes und im Anschluss an
die Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 27.8.1998, BSGE 82, 276 = SozR 3-3300 § 14 Nr 7) als Teil der Nahrungsaufnahme zur Grundpflege gehörten, weil sie zur Aufrechterhaltung der Grundfunktion
der Katalogverrichtung der Nahrungsaufnahme erforderlich und deren Bestandteil seien bzw damit "im unmittelbaren zeitlichen
und sachlichen Zusammenhang" stünden. Wenn der Kläger sich insoweit im Revisionsverfahren mit pauschal verweisendem Vorbringen
auf Ausführungen medizinischer Sachverständiger beruft, verkennt er, dass die Frage des Vorliegens eines unmittelbaren (oder
eines nur mittelbaren, gelockerten) zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs zur Nahrungsaufnahme keine primär medizinische
Frage darstellt, sondern eine Rechtsfrage. Denn es geht bei der Qualifizierung der Art des Pflegebedarfs und der inhaltlichen
Ausfüllung und Konkretisierung des Merkmals "unmittelbarer zeitlicher und sachlicher Zusammenhang" letztlich um eine Frage
der Systemabgrenzung bei der Leistungszuständigkeit entweder der Pflegeversicherung oder der Krankenversicherung. Diese Frage
lässt sich nicht in erster Linie mithilfe medizinischen Sachverstandes beantworten, sondern mithilfe der allgemein anerkannten
juristischen Auslegungsmethoden und einer diese in den Blick nehmenden Subsumtion; insbesondere ist dazu auch eine Betrachtung
im Lichte und vor dem Hintergrund der bereits vorliegenden höchstrichterlichen Rechtsprechung nötig. Dabei kann es auch etwa
keine Rolle spielen - wie der Kläger wohl geltend machen will - dass eine Regulierung der Insulingabe nicht im Vorfeld der
Nahrungsaufnahme, sondern "bei der Nahrungsaufnahme" mit "Notwendigkeit der Beaufsichtigung und Anleitung eines an Diabetes
mellitus Typ I erkrankten Kindes" erfolgt. Nach wie vor verhält es sich so, dass besondere, verglichen mit einem gesunden
gleichaltrigen Kind nötige Hilfemaßnahmen bei dem Kläger nicht dem Vorgang der Nahrungszuführung als solcher geschuldet sind,
sondern den bei ihm bestehenden gesundheitlichen Einschränkungen infolge der Diabeteserkrankung.
d) Entgegen der Ansicht des Klägers bieten die in den letzten Jahren zu verzeichnenden Fortschritte in der Insulintherapie
bei Kindern, insbesondere die Etablierung der Insulinpumpenversorgung zur Behandlung des Diabetes Typ I auch bei diesem Personenkreis,
keinen Anlass, die ständige Rechtsprechung des Senats zu revidieren und die Maßnahmen als verrichtungsbezogene Behandlungspflegemaßnahmen
der Grundpflege zuzurechnen. Auch wenn die Insulinpumpen-Therapie möglicherweise eine zeitliche Entkopplung von Blutzuckermessung,
Nahrungsaufnahme und zusätzlicher Insulinapplikation ermöglichen sollte, erschiene eine solche Sichtweise nicht gerechtfertigt.
So hat auch das LSG darauf hingewiesen, dass dies schon nicht auf sämtliche Blutzuckermessungen und Insulingaben zutrifft,
sondern nur auf diejenigen, die im zeitlichen Zusammenhang mit den Mahlzeiten vorgenommen werden. Zum anderen hat das LSG
festgestellt, dass ein notwendiger zeitlicher Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme nur in Fällen starker Blutzuckerschwankungen
bestehe und der Blutzucker durch mahlzeitunabhängige Kontrollmessungen nicht hinreichend stabilisiert werden könne. Entscheidend
ist insoweit, dass es dabei verbleibt, dass die Insulinverabreichung und die nötigen Begleithandlungen dazu regelmäßig im
Kern eine Verabreichung von Arznei darstellen und keine Nahrungsaufnahme sind.
e) Die Revision kann schließlich auch keinen Erfolg unter dem Blickwinkel haben, dass der Kläger dem LSG in dessen Ausführungen
mehrfach abstrakte und auf seinen (des Klägers) Fall bezogene medizinische Fehler anlastet.
Dazu ist darauf hinzuweisen, dass der Senat als Revisionsgericht nach §
163 SGG an die im Urteil des LSG getroffenen tatsächlichen Feststellungen gebunden ist; anderes gilt nur, wenn in Bezug auf die Feststellungen
zulässige und begründete Revisionsgründe vorgebracht worden sind. Daran fehlt es hier. Der Kläger nimmt dazu schon nicht hinreichend
in den Blick, dass es für die von einem Revisionsgericht zu treffende Entscheidung nicht auf die "Feststellungen des Sachverständigen"
(so aber zB Seite 9 der Revisionsbegründung) ankommt, sondern grundsätzlich diejenigen des Berufungsgerichts; einer vollständigen
erneuten Überprüfung der Sach- und Rechtslage sind im Revisionsverfahren verfahrensrechtliche Grenzen gesetzt. Der Kläger
hat zudem Verfahrensmängel des LSG bei der Tatsachenfeststellung nicht iS von §
164 Abs
2 S 3
SGG vorgebracht, insbesondere schon keine ausdrückliche oder sinngemäße substantiierte Rüge der Verletzung der Amtsermittlungspflicht
(§
103 SGG) bzw des Grundsatzes freier richterlicher Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 S 1
SGG) erhoben (zu den Anforderungen an Ermittlungs- bzw Beweiswürdigungsdefizite des LSG und deren Darlegung im Revisionsverfahren
vgl zB B. Schmidt bzw Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 12. Aufl 2017, §
103 RdNr 20 und §
128 RdNr 10 ff).
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.