Zulassung der Revision im sozialgerichtlichen Verfahren, Darlegung eines Verfahrensmangels, Merkmal eines prozessordnungsgemäßen
Beweisantrags
Gründe:
Mit Urteil vom 23.11.2005 hat das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) einen Anspruch des am 13.4.2007 verstorbenen
Klägers auf Neuberechnung des ihm gewährten Knappschaftsruhegeldes für die Zeit vom 1.4.1989 bis 31.3.1994 und der ihm gewährten
Altersrente ab 1.4.1994 unter Berücksichtigung weiterer Anrechnungs-, hilfsweise Zurechnungszeiten aufgrund einer ab November
1971 bestehenden Berufsunfähigkeit und einer ab Juni 1974 bestehenden Erwerbsunfähigkeit verneint.
Gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil hat der Kläger Beschwerde beim Bundessozialgericht (BSG) eingelegt.
Er beruft sich auf das Vorliegen von Verfahrensmängeln iS von §
160 Abs
2 Nr
3 Sozialgerichtsgesetz (
SGG).
Der Senat konnte über die Beschwerde trotz Nichtaufnahme des Verfahrens durch Rechtsnachfolger des Klägers entscheiden, da
das Verfahren durch den Tod des von Prozessbevollmächtigten vertretenen Klägers gemäß §
202 SGG iVm §
246 Abs
1 Zivilprozessordnung (
ZPO) nicht unterbrochen und auch kein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens gestellt worden ist.
Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da die geltend gemachten
Zulassungsgründe nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl §
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 Nr
3 SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Darüber hinaus ist
die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG ausgehend von dessen materieller Rechtsansicht auf dem
Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel auf eine Verletzung des §
103 SGG (Amtsermittlungspflicht) nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende
Begründung nicht gefolgt ist.
Der Kläger rügt eine Verletzung des §
103 SGG. Hierzu trägt er vor, seine von ihm bevollmächtigte Ehefrau habe im Termin zur mündlichen Verhandlung ausweislich des Sitzungsprotokolls
beantragt, "Rechtsanwalt B., Dortmund als Zeugen zu der Behauptung zu vernehmen, dass der Kläger bereits 1974 infolge eines
ärztlichen Kunstfehlers erwerbsunfähig gewesen sei" (Antrag 1) und "darüber hinaus ... ein Zusatzgutachten von Amts wegen
zum Gesundheitszustand des Klägers in den Jahren 1971 bis 1979 einzuholen" (Antrag 2). Diesen Anträgen sei das LSG mit folgender
Begründung nicht gefolgt: Mangels zeitnah substantiiert erhobener Befundtatsachen könne auch ein medizinischer Sachverständiger
das Leistungsvermögen des Klägers in den Jahren 1971 bis 1979 nicht mehr konkret beurteilen. Erst recht stelle diesbezüglich
die Vernehmung eines Rechtsanwalts als Zeugen kein geeignetes Beweismittel dar. Überdies sei der darauf gerichtete Beweisantrag
schon aus dem Grunde unzulässig, dass der Kläger nicht dargetan habe, welche konkreten Tatsachen der Zeuge aufgrund eigener
Wahrnehmung bekunden solle.
Mit diesem Vorbringen ist eine Aufklärungsrüge nicht dargetan. Es fehlt bereits an der Bezeichnung eines prozessordnungsgemäßen
Beweisantrags.
Ein Beweisantrag im Rahmen eines Rentenverfahrens muss sich mit den für eine dauerhafte Erwerbsminderung bedeutsamen Gesundheitsbeeinträchtigungen
befassen. Ein Antrag, der lediglich zum Ziel hat, eine andere (Leistungs-)Beurteilung aufgrund der bereits geklärten Befunde
oder eine andere Diagnosestellung zu erreichen, erfüllt diese Anforderungen grundsätzlich nicht. Denn Merkmal eines prozessordnungsgemäßen
Beweisantrags ist die Behauptung einer bestimmten entscheidungserheblichen Tatsache und die Angabe des Beweismittels für diese
(zum Ganzen BSG SozR 4-1500 § 160a Nr 3 RdNr 6 mwN, RdNr 8).
Der Antrag des Klägers, Rechtsanwalt B. als Zeugen zu der Behauptung zu vernehmen, dass er bereits 1974 infolge eines ärztlichen
Kunstfehlers erwerbsunfähig gewesen sei, bezieht sich jedoch nicht auf bisher nicht berücksichtigte oder nicht bewertete Gesundheitsstörungen.
Er zielt vielmehr allein darauf ab, die Leistungsfähigkeit des Klägers für die Jahre 1974 bis zur angeblich anerkannten Erwerbsunfähigkeit
im April 1982 anders zu beurteilen. Die Andeutung konkreter Gesundheitsstörungen, die im bisherigen Verfahren noch nicht erwähnt
worden sind und sich nachteilig auf das Leistungsvermögen auswirken könnten, ist auch einem nicht sachkundig vertretenen Kläger
zuzumuten.
Ebenso wenig genügt der Antrag 2 prozessordnungsgemäßen Anforderungen. Der Kläger hat auch mit diesem keine bisher nicht berücksichtigte
Gesundheitsstörungen unter Beweis gestellt. Er hat insoweit noch nicht einmal behauptet, dass im maßgeblichen Zeitraum überhaupt
Gesundheitsbeeinträchtigungen vorgelegen haben. Der Antrag, ein Gutachten zum Gesundheitszustand des Klägers in einem bestimmten
Zeitraum einzuholen, dient der Ausforschung möglicherweise vorhandener Gesundheitsstörungen. Ein Ausforschungsbeweis ist aber
unzulässig (vgl Greger in Zöller,
ZPO, 24. Aufl 2004, Vor §
284 RdNr 5).
Des Weiteren hat der Kläger nicht dargelegt, dass die Entscheidung auf den angeblichen Verfahrensfehlern beruhen kann.
Eine Kausalität zwischen Verfahrensmangel und angefochtener Entscheidung ist gegeben, wenn die Möglichkeit besteht, dass das
Berufungsgericht ohne den angeblichen Verfahrensverstoß zu einem sachlich günstigeren Ergebnis für den Beschwerdeführer gekommen
wäre (vgl BSG vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 6/06 B; s auch BSG SozR 1500 § 160 Nr 31 und BVerwGE 14, 342, 346 f).
Hierzu ist der Beschwerdebegründung kein ausreichender Vortrag zu entnehmen. Der Kläger erklärt nicht einmal ansatzweise,
aus welchen Gründen sich bei Zugrundelegung eines früheren Eintritts der Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit ein höheres Knappschaftsruhegeld
und eine höhere Altersrente ergeben würden; diese Frage lässt sich ohne nähere Kenntnis der bisher anerkannten Versicherungszeiten
des Klägers schlechterdings nicht beurteilen. Die Beschwerdebegründung gibt auch nicht zu erkennen, ob das LSG diese Frage
geprüft hat. Hinsichtlich des Antrags 2 behauptet der Kläger darüber hinaus noch nicht einmal, dass das angeforderte Zusatzgutachten
eine Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit ab 1971 bestätigt hätte.
Daneben rügt der Kläger einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens (Art
2 Abs
1 Grundgesetz iVm dem Rechtsstaatsprinzip, vgl hierzu BVerfG NJW 2004, 2149). Hierzu trägt er vor, das LSG sei gemäß §§
112 und
157 SGG verpflichtet, auf die Stellung sachdienlicher Anträge hinzuwirken. Das Berufungsgericht habe daher veranlassen müssen, dass
ein Beweisantrag gestellt werde, der den Anforderungen genüge. Hätte das LSG einen solchen Hinweis erteilt, hätte er präzisieren
können, zu welchen konkreten Tatsachen Rechtsanwalt B. Auskunft geben könne.
Mit diesem Vorbringen rügt der Kläger letztlich wieder eine mangelnde Sachaufklärung. Die Verletzung der Amtsermittlungspflicht
kann aber gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG nur geltend gemacht werden, wenn das LSG einem prozessordnungsgemäßen Beweisantrag ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Ist ein solcher nicht gestellt worden, kann nicht über den Umweg der Rüge von Verstößen gegen andere Verfahrensvorschriften
bzw das Gebot eines fairen Verfahrens eine Zulassung der Revision erreicht werden. Ansonsten würde die Vorgabe des §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG übergangen (vgl hierzu BSG SozR 1500 §
160 Nr 13; BSG NVwZ-RR 1998, 203).
Im Übrigen hat der Kläger auch insoweit nicht dargelegt, warum die angefochtene Entscheidung auf dem angeblichen Mangel beruhen
kann, also ohne diesen eine für ihn sachlich günstigere Entscheidung ergangen wäre.
Bei dieser Sachlage sei nur am Rande darauf hingewiesen, dass für den Senat nicht verständlich ist, warum die Beschwerdebegründung
die mangelnde Vernehmung von Rechtsanwalt B. zum Eintritt einer Erwerbsunfähigkeit bereits im Jahre 1974 rügt. Auf Seite 1
der Beschwerdebegründung hat der Kläger nämlich ausgeführt, die Feststellungen des LSG zum Beginn der Erwerbsunfähigkeit am
2.4.1982 nicht mit den Mitteln der Beschwerde anzugreifen.
Die nicht formgerecht begründete und damit unzulässige Beschwerde ist gemäß §
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm §
169 SGG ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.