Regress wegen der Verordnung von Blutgerinnungsfaktoren
Grundsatzrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
Die Beteiligten streiten um die Festsetzung eines Regresses wegen der Verordnung von Blutgerinnungsfaktoren in den Quartalen
1/2007 bis 4/2007 und 2/2008 bis 1/2009 für 14 bei der klagenden Krankenkasse Versicherte.
Der zu 2. beigeladene Facharzt für Transfusionsmedizin betreibt als Einzelunternehmer ein Medizinisches Versorgungszentrum
(MVZ), das auf die Behandlung von Patienten mit Blutgerinnungsstörungen spezialisiert ist. Auf Antrag der klagenden Krankenkasse
setzte die Prüfungsstelle gegen den Beigeladenen zu 2. auf der Grundlage von §
106 Abs
2 SGB V aF (heute: §
106b SGB V) mehrere Regresse in Höhe von insgesamt 648 963,15 Euro mit der Begründung fest, dass dieser verpflichtet gewesen wäre, näher
bezeichnete Gerinnungsfaktorenzubereitungen direkt bei einem pharmazeutischen Unternehmen oder Großhändler zu bestellen. Die
Verordnung und der Bezug über die Apotheke (Kosten: 3 360 784,30 Euro brutto) anstelle des Direktbezugs sei unwirtschaftlich
gewesen. Den Widersprüchen des Beigeladenen zu 2. gab der beklagte Beschwerdeausschuss mit der Begründung statt, dass die
Behandlung von Patienten mit Von-Willebrand-Syndrom mit den hier verordneten Gerinnungsfaktorenzubereitungen unter Aufsicht
des Arztes zu erfolgen habe und dass deshalb insoweit keine Selbstbehandlung von Blutern im Sinne des § 47 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AMG stattgefunden habe (Bescheide vom 18.10.2012). Damit sei ein Direktbezug ausgeschlossen. Soweit Gerinnungsfaktoren bei zwei Blutern im Rahmen einer ärztlich kontrollierten
Selbstbehandlung eingesetzt worden seien, sei das Wirtschaftlichkeitsgebot aufgrund der besonderen Umstände des Einzelfalles
nicht verletzt. Bei einem Direktbezug von Blutgerinnungsfaktoren für lediglich zwei Patienten wäre es dem Beigeladenen zu
2. nicht möglich gewesen, wesentlich günstigere Preise zu erzielen, als beim Bezugsweg über die Apotheke. Die dagegen erhobene
Klage hatte in erster Instanz nur insoweit Erfolg, als der Beklagte die Festsetzung eines Regresses auch bezogen auf die Verordnung
von Blutgerinnungsfaktoren für die beiden Bluter abgelehnt hatte (Urteil des SG vom 25.4.2018). Auf die Berufung der Klägerin und des Beigeladenen zu 2. änderte das LSG das Urteil des SG, hob die angefochtenen Bescheide des Beklagten insgesamt auf und verurteilte den Beklagten über den von der Klägerin gestellten
Regressantrag gegen den Beigeladenen zu 2. unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden (Urteil vom 10.6.2020). Entgegen der Auffassung des Beklagten und des SG sei die Selbstbehandlung des Patienten nicht Voraussetzung für den sog Direktbezug durch den Arzt und dem Beigeladenen zu
2. entstünden durch diesen Bezugsweg auch keine Kosten, die bei einem Bezug über die Apotheke nicht angefallen wären. Bei
der Bemessung des Schadens müsse sich die Klägerin jedoch entgegenhalten lassen, dass sie bei einem vom Beigeladenen zu 2.
organisierten Direktbezug auch von eigenen finanziellen Belastungen frei geworden wäre. Im Ergebnis müsse die Klägerin die
Kosten tragen, die dem MVZ im Zusammenhang mit dem Einkauf der Gerinnungsfaktoren und der Abrechnung mit Lieferanten bzw Krankenkassen
selbst entstehen.
Mit seiner Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des LSG macht der Beigeladene zu 2. die grundsätzliche
Bedeutung der Rechtssache sowie Rechtsprechungsabweichungen geltend (Zulassungsgründe gemäß §
160 Abs
2 Nr
1 und Nr
2 SGG).
II
Die Beschwerde des Beigeladenen zu 2. hat keinen Erfolg.
1. Der Zulassungsgrund der Rechtsprechungsabweichung (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) liegt nicht vor.
Eine Rechtsprechungsabweichung (§
160 Abs
2 Nr
2 SGG) setzt voraus, dass das LSG seiner Entscheidung einen Rechtssatz tragend zugrunde gelegt hat, der einem Rechtssatz in einer
Entscheidung des BSG, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des BVerfG widerspricht. Das ist hier nicht der Fall.
a) Der Beigeladene zu 2. entnimmt dem Urteil des Senats vom 13.5.2015 (B 6 KA 18/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 51) den folgenden Rechtssatz:
"Der vertragsärztlich zugelassene Leistungserbringer ist zur Umsetzung des kostengünstigeren Bezuges der Arzneimittel nicht
verpflichtet, Sonderopfer dergestalt zu erbringen, dass über das in Arztpraxen Übliche hinausgehend, zusätzliche wirtschaftliche
und/oder tatsächliche Investitionen getätigt werden müssen, um die Versorgung der Versicherten im Wege des Direktbezugs und
der Direktabgabe zu ermöglichen."
Dem stellt der Beigeladene zu 2. den folgenden Rechtssatz gegenüber:
"Der vertragsärztlich zugelassene Leistungserbringer ist zur Umsetzung des kostengünstigeren Bezuges der Arzneimittel auch verpflichtet, Sonderopfer dergestalt zu erbringen, dass über das in Arztpraxen Übliche hinausgehend, zusätzliche wirtschaftliche
und/oder tatsächliche Investitionen getätigt werden müssen, um die Versorgung der Versicherten im Wege des Direktbezugs und
der Direktabgabe zu ermöglichen."
Die Entscheidung des LSG beruht entgegen der Auffassung des Beigeladenen zu 2. nicht auf dem zuletzt genannten Rechtssatz,
sodass die geltend gemachte Rechtsprechungsabweichung nicht vorliegt. Das LSG ist - jedenfalls soweit es sich in den Entscheidungsgründen
mit der Rechtmäßigkeit des Regresses dem Grunde und nicht der Höhe nach befasst hat - davon ausgegangen, dass dem Beigeladenen
zu 2. durch den Umgang mit Gerinnungsfaktoren keine über die allgemeinen Praxiskosten hinausgehenden Aufwendungen entstanden
seien und dass die sachgerechte Lagerung, Dokumentation und Bereitstellung von Blutprodukten zu den selbstverständlichen Voraussetzungen
der fachärztlichen hämostaseologischen Behandlung gesetzlich Krankenversicherter gehöre (Urteilsumdruck S 13 f). Das LSG mag die an die Praxisausstattung zu stellenden nicht über "das Übliche" hinausgehenden Anforderungen bezogen auf
ein MVZ, das auf die Behandlung von Blutgerinnungsstörungen spezialisiert ist, anders beurteilt haben, als der Senat in dem
og Urteil vom 13.5.2015, das den Regress gegenüber einer einzelnen Fachärztin für Allgemeinmedizin zum Gegenstand hatte. Damit
hat das LSG seiner Entscheidung jedoch keine von der Rechtsprechung des BSG abweichende Rechtsansicht zugrunde gelegt.
Selbst wenn mit dem Beigeladenen zu 2. von einer Abweichung in dem genannten Punkt auszugehen wäre, wäre diese nicht entscheidungserheblich,
weil das LSG seine Entscheidung (vgl Urteilsumdruck S 16: "Unabhängig davon …") auch damit begründet hat, dass besondere Aufwendungen des behandelnden Arztes für die sachgerechte Lagerung, Dokumentation
und Bereitstellung in keinem Zusammenhang mit dem Bezugsweg stehen würden. Ein darauf bezogener Revisionsgrund wird vom Beigeladenen
zu 2. nicht geltend gemacht. Wenn ein Urteil - wie hier - auf mehrere Begründungen gestützt wird, setzt das Beruhen der Entscheidung
auf der geltend gemachten Abweichung jedoch voraus, dass hinsichtlich aller Begründungen ein Zulassungsgrund vorliegt. Daran
fehlt es hier.
Soweit der Beigeladene zu 2. geltend macht, das LSG sei davon ausgegangen, dass ihm, dem Beigeladenen zu 2., finanzielle Belastungen
für die Beschaffung und die Abrechnung beim Beschwerdeführer entstanden seien, ist dem entgegenzuhalten, dass das LSG jedenfalls
seine Auffassung zur Rechtmäßigkeit des Regresses dem Grunde nach nicht darauf gestützt hat. Vielmehr ist das LSG allein im
Zusammenhang mit der Frage, ob der Regress auch in zutreffender Höhe festgesetzt worden ist, davon ausgegangen, dass zugunsten
des Beigeladenen zu 2. die Kosten in Ansatz zu bringen seien, die diesem "im Zusammenhang mit dem Einkauf der Gerinnungsfaktoren
und der Abrechnung mit Lieferanten/KKen selbst entstehen". Die Frage, ob das zutrifft, kann hier dahingestellt bleiben, weil
der Beigeladene zu 2. durch die nach Auffassung des LSG gebotene Reduzierung des Regressbetrags begünstigt wird. Gegen diese
Begünstigung könnte er sich auch mit der Revision nicht erfolgreich wenden, weil ihm das Rechtsschutzbedürfnis fehlen würde.
Damit fehlt das Rechtsschutzbedürfnis insoweit auch für das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde (vgl Leitherer in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
160a RdNr 2c). Soweit der Beigeladene zu 2. geltend machen möchte, dass das LSG einen Gesichtspunkt, den es bei der Schadenshöhe berücksichtigt
hat, bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Regresses dem Grunde nach nicht unberücksichtigt lassen durfte, wird damit
die Frage angesprochen, ob das Urteil des LSG - auch bezogen auf die Schadenshöhe - zutreffend und widerspruchsfrei begründet
worden ist. Daran bestehen auch nach Ansicht des Senats Zweifel. Die Begründung für die nach Auffassung des LSG erforderliche
Reduzierung des Regressbetrags kann der Senat nicht ohne Weiteres nachvollziehen. Darauf kommt es hier jedoch nicht an. Eine
Divergenz kann damit jedenfalls nicht erfolgreich begründet werden.
b) Der Beigeladene zu 2. entnimmt dem Urteil des Senats vom 13.5.2015 (B 6 KA 18/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 51) ferner den folgenden Rechtssatz:
"Der pharmazeutische Unternehmer bzw. Großhändler ist nach § 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AMG berechtigt, an Ärzte aus menschlichem Blut gewonnene Blutzubereitungen oder gentechnologisch hergestellte Blutbestandteile
direkt, als Ausnahme von der Apothekenpflicht nach § 43 AMG abzugeben. Soweit hiervon Gerinnungsfaktorenzubereitungen betroffen sind, unterfallen diese nur dann der Ausnahme von der
Apothekenpflicht nach § 43 AMG, wenn die Gerinnungsfaktorenzubereitungen von dem hämostaseologisch qualifizierten Arzt im Rahmen der ärztlich kontrollierten
Selbstbehandlung von Blutern an seine Patienten abgegeben werden dürfen."
Dem stellt der Beigeladene zu 2. den folgenden Rechtssatz gegenüber:
"§ 47 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2a AMG (in der bis zum 15.8.2019 [richtig: 31.8.2020] gültigen Fassung) erlaubte es pharmazeutischen Unternehmen bzw. Großhändlern
an Ärzte Gerinnungsfaktorenzubereitungen, als Ausnahme von der Apothekenpflicht nach § 43 AMG, abzugeben, unabhängig davon, ob die Gerinnungsfaktorenzubereitungen von dem hämostaseologisch qualifizierten Arzt im Rahmen
der ärztlich kontrollierten Selbstbehandlung von Blutern an seine Patienten abgegeben werden dürfen."
Es trifft zwar zu, dass der Entscheidung des LSG der zuletzt genannte Rechtssatz zugrunde liegt. Das LSG weicht damit aber
nicht von der Rechtsprechung des Senats ab. Unabhängig davon, ob § 47 AMG - wie in den formulierten Rechtssätzen unterstellt - als "Ausnahme von der Apothekenpflicht nach § 43 AMG" verstanden werden kann (ablehnend: BSG Urteil vom 13.5.2015 - B 6 KA 18/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 51 RdNr 34 mwN) kann dem genannten Urteil des Senats vom 13.5.2015 entgegen der Auffassung des Beigeladenen zu 2. jedenfalls nicht entnommen
werden, dass ein Direktbezug von Gerinnungsfaktorenzubereitungen auf Fälle beschränkt ist, in denen der Arzt diese zur Selbstbehandlung
an Bluter abgibt. Mit dieser Frage hatte sich der Senat in der genannten Entscheidung nicht zu befassen. Anders als in dem
Fall, über den das LSG hier zu entscheiden hatte, waren die Gerinnungsfaktorenzubereitungen dort zum Zwecke der Selbstbehandlung
an Patienten abgegeben worden. Eine Aussage, nach der dies Voraussetzung für den Direktbezug wäre, enthält das Urteil nicht.
Deshalb kann dem Urteil des Senats auch nicht der vom Beigeladenen zu 2. formulierte Rechtssatz entnommen werden, der einen
Zusammenhang zwischen der Zulässigkeit des Direktbezugs und der erfolgten Direktabgabe an den Patienten herstellt. Etwas anderes
folgt auch nicht aus den Passagen des Urteils, in denen der Senat den - tatsächlich komplexen - Wortlaut des § 47 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AMG wiedergegeben hat (vgl etwa aaO RdNr 33 am Ende).
Allerdings hat der Senat nicht an jeder Stelle der Entscheidungsbegründung eindeutig zwischen den Voraussetzungen für den
Direktbezug der Gerinnungsfaktorenzubereitungen auf der einen und den Voraussetzungen für die Abgabe der Gerinnungsfaktorenzubereitungen
zur Selbstbehandlung an den Patienten auf der anderen Seite differenziert. Der Senat stellt vor diesem Hintergrund klar, dass
er die Auffassung des LSG teilt, nach der die Möglichkeit zum Direktbezug nicht davon abhängt, ob dem Patienten die Gerinnungsfaktorenzubereitungen
in der Arztpraxis verabreicht wurden oder ob diese an den Patienten zur Selbstbehandlung weitergegeben wurden bzw jedenfalls
weitergegeben werden durften: Nach § 47 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AMG in der hier noch maßgebenden bis zum 31.8.2020 geltenden Fassung (zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Neuregelung vgl Art 21 Abs 3 des Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung
vom 9.8.2019, BGBl I 1202, idF von Art 12 Nr 2 des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage
von nationaler Tragweite vom 19.5.2020, BGBl I 1018) durften pharmazeutische Unternehmer und Großhändler Arzneimittel, deren Abgabe den Apotheken vorbehalten ist, außer an Apotheken
nur abgeben an
"Krankenhäuser und Ärzte, soweit es sich handelt um aus menschlichem Blut gewonnene Blutzubereitungen oder gentechnologisch
hergestellte Blutbestandteile, die, soweit es sich um Gerinnungsfaktorenzubereitungen handelt, von dem hämostaseologisch qualifizierten
Arzt im Rahmen der ärztlich kontrollierten Selbstbehandlung von Blutern an seine Patienten abgegeben werden dürfen".
Wie das LSG zutreffend insbesondere unter Hinweis auf die Entstehungsgeschichte dargelegt hat, regelte die Vorschrift einerseits
die Möglichkeit zur unmittelbaren Abgabe von Gerinnungsfaktorenzubereitungen durch pharmazeutische Unternehmen und Großhändler
an Ärzte (sog Direktbezug) und andererseits die Voraussetzungen der Abgabe dieser Gerinnungsfaktorenzubereitungen durch den
Arzt an den Patienten zum Zwecke der Selbstbehandlung. Sie wurde deshalb in der Literatur auch als "doppelte Ausnahmeregelung
zu § 43 Abs. 1 Satz 1" AMG (Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, A 1.0, 135. ErgLfg 2019, § 47 AMG Nr 15) bezeichnet. Anders als die Weitergabe an die Patienten zur Selbstbehandlung war die Befugnis zur Direktabgabe von menschlichem
Blut oder Gewebe durch Hersteller und Großhändler an Krankenanstalten und Ärzte bereits in § 34 Abs 1 Nr 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 16.5.1961 (BGBl I 533; im Folgenden AMG 1961) ausdrücklich geregelt. Mit Art 1 Nr 10 Buchst a des Zweiten Gesetzes zur Änderung des AMG vom 23.6.1964 (BGBl I 365) ist die Direktabgabe bezogen auf Blutzubereitungen präzisiert worden (vgl dazu BT-Drucks IV/1370, V. Zu Art 1 Nr 7; vgl Etmer, AMG, Stand 1.2.1976, § 34 Nr 5b.) und mit dem Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelrechts vom 24.8.1976 (BGBl I 2445) hat die Regelung ihren Standort in § 47 Abs 1 Nr 2 Buchst a AMG erhalten. Erst mit § 34 Nr 7 des Gesetzes zur Regelung des Transfusionswesens (TFG) vom 1.7.1998 (BGBl I 1752) ist der Halbsatz "die, soweit es sich um Gerinnungsfaktorenzubereitungen handelt, von dem hämostaseologisch qualifizierten
Arzt im Rahmen der ärztlich kontrollierten Selbstbehandlung von Blutern an seine Patienten abgegeben werden dürfen," mWv 7.7.1998
angefügt und damit das ärztliche Dispensierrecht für diesen speziellen Bereich ausdrücklich geregelt worden (vgl Zuck/Dettling, AMG, 2021, § 47 RdNr 41; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, A 1.0, § 47 AMG Nr 15). Der Regierungsentwurf eines Transfusionsgesetzes hatte noch vorgesehen, dazu einen eigenen Satz an die unverändert fortgeltende Regelung zum Direktbezug in § 47 Abs 1 Nr 2 Buchst a AMG anzufügen, der wie folgt lauten sollte: "Der Arzt darf im Rahmen der ärztlich kontrollierten Selbstbehandlung von Blutern
Gerinnungsfaktorenzubereitungen an seine Patienten abgeben." Dabei sollte es sich mit Blick auf die in diesem Bereich bereits
seit langem praktizierte Abgabe an Patienten zur kontrollierten Selbstbehandlung um eine Klarstellung handeln (BT-Drucks 13/9594, 30 zu § 34 Nr 7). Auf Beschlussempfehlung des Bundestagsausschusses für Gesundheit ist die Anforderung an die Qualifikation des abgebenden
Arztes angefügt worden. Damit sollte sichergestellt werden, dass "nur bestimmte, entsprechend qualifizierte Ärzte diese Behandlungsform
durchführen und das Abgabeprivileg nur für sie gilt." (BT-Drucks 13/10643, 25 zu § 34 Nr 7). Ebenfalls auf diese Beschlussempfehlung geht die Fassung der Neuregelung als Halbsatz und nicht mehr - wie noch im Regierungsentwurf
vorgesehen - als eigener Satz zurück. Damit war aber auch nach dem Inhalt der Begründung zur Beschlussempfehlung des Gesundheitsausschusses
keine weitergehende inhaltliche Änderung beabsichtigt. Im Ergebnis kann ausgeschlossen werden, dass mit der seit 7.7.1998
geltenden Neuregelung die bereits im AMG 1961 geregelte Möglichkeit zum Direktbezug eingeschränkt werden sollte. Vielmehr ging es allein um eine Klarstellung bezogen
auf die Zulässigkeit einer Abgabe der Gerinnungsfaktorenzubereitung vom Arzt zur kontrollierten Selbstbehandlung an den Patienten
und um die dafür vorauszusetzende Qualifikation des Arztes.
2. Auch die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache liegt nicht vor.
Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache setzt eine Rechtsfrage voraus, die in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähig
(entscheidungserheblich) sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (stRspr; vgl zB BSG Beschluss vom 29.11.2006 - B 6 KA 23/06 B - SozR 4-1500 § 153 Nr 3 RdNr 13 mwN; BSG Beschluss vom 28.10.2015 - B 6 KA 12/15 B - SozR 4-2500 § 116 Nr 11 RdNr 5). Die Klärungsbedürftigkeit fehlt, wenn die aufgeworfene Frage bereits geklärt ist und/oder wenn sich die Antwort ohne Weiteres
aus den Rechtsvorschriften und/oder aus schon vorliegender Rechtsprechung klar ergibt (BSG Beschluss vom 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - juris RdNr 4). Ein über den Einzelfall hinausgehendes, die Allgemeinheit betreffendes Interesse wird in aller Regel für die Auslegung und
Tragweite von bereits außer Kraft getretenen Vorschriften oder von Übergangsvorschriften nicht angenommen (BSG Beschluss vom 2.12.1998 - B 2 U 256/98 B - juris RdNr 3 mwN). Etwas anderes gilt nur dann, wenn entweder noch eine erhebliche Zahl von Fällen auf der Grundlage des ausgelaufenen Rechts
zu entscheiden ist, oder die Überprüfung der Rechtsnorm bzw ihrer Auslegung aus anderen Gründen fortwirkende allgemeine Bedeutung
hat (vgl BSG Beschluss vom 28.11.1975 - 12 BJ 150/75 - SozR 1500 § 160a Nr 19; ebenso zB BSG Beschluss vom 17.3.2010 - B 6 KA 23/09 B - juris RdNr 32; BSG Beschluss vom 3.8.2016 - B 6 KA 12/16 B - juris RdNr 6).
Der Beigeladene zu 2. hat die Rechtsfrage formuliert,
"ob das Wirtschaftlichkeitsgebot im Rahmen der Hämophiliebehandlung die Wahl des Direktbezugs nach § 47a AMG alter Fassung auch dann gebietet, wenn die behandelnden Ärzte bzw. Zentren keinen Vertrag mit den Krankenkassen haben, der
die Erstattung der Bezugskosten und die besonderen Aufwendungen zum Gegenstand hat."
Gemeint ist offensichtlich der Direktbezug von Gerinnungsfaktorenzubereitungen auf der Grundlage des § 47 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AMG und nicht der Sondervertriebsweg nach § 47a AMG.
a) Bezogen auf die Klärung der so zu verstehenden Rechtsfrage fehlt es an einem über den Einzelfall hinausgehenden, die Allgemeinheit
betreffenden Interesse, weil die Regelung, deren Auslegung der Beigeladene zu 2. für klärungsbedürftig hält, aufgrund der
Änderungen durch das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung vom 9.8.2019 (BGBl I 1202) in der Fassung von Art 12 Nr 2 des Zweiten Gesetzes zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler
Tragweite vom 19.5.2020 (BGBl I 1018) mit Ablauf des 31.8.2020 außer Kraft getreten ist. Eine Direktabgabe von Gerinnungsfaktorenzubereitungen durch den pharmazeutischen
Hersteller oder Großhändler an den behandelnden Arzt ist seitdem ausgeschlossen (vgl dazu zB Stallberg, GesR 2019, 619 f). Gleichzeitig ist die Preisbildung in §
130d SGB V neu geregelt worden. Ergänzend bestimmt der neu eingeführte § 132i Satz 1
SGB V, dass die Krankenkassen oder deren Landesverbände Versorgungsverträge mit ärztlichen Einrichtungen (oder deren Verbänden)
schließen, die auf die Behandlung von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie durch hämostaseologisch qualifizierte Ärzte spezialisiert
sind. In den Verträgen soll die Vergütung von zusätzlichen, besonderen ärztlichen Aufwendungen zur medizinischen Versorgung
und Betreuung von Patientinnen und Patienten mit Gerinnungsstörungen bei Hämophilie, insbesondere für die Beratung über die
Langzeitfolgen von Gerinnungsstörungen, die Begleitung und Kontrolle der Selbstbehandlung, die Dokumentation nach § 14 des Transfusionsgesetzes und die Meldung an das Deutsche Hämophilieregister nach § 21 Abs 1a des Transfusionsgesetzes sowie für die Notfallvorsorge und -behandlung geregelt werden (§ 132i Satz 2
SGB V).
Der vom Beigeladenen zu 2. formulierten Rechtsfrage kommt nach der seit dem 1.9.2020 geltenden Rechtslage keine Bedeutung
mehr zu, weil einerseits der Direktbezug von Gerinnungsfaktorenzubereitungen durch den Arzt ausgeschlossen ist und weil andererseits
die Frage der Erforderlichkeit einer vertraglichen Vereinbarung zwischen Krankenkassen und ärztlichen Einrichtungen, die auf
die Behandlung von Gerinnungsstörungen bei Hämophilie durch hämostaseologisch qualifizierte Ärzte spezialisiert sind, durch
den neu eingeführten § 132i
SGB V geklärt ist. Darauf hat bereits das LSG zur Begründung seiner Entscheidung, die Revision nicht zuzulassen, hingewiesen.
b) Dass trotz der grundlegenden Neuregelung durch das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung ein über den
Einzelfall hinausgehendes, die Allgemeinheit betreffendes Interesse an der Klärung der formulierten Rechtsfrage bestehen würde,
ist auch unter Berücksichtigung des Vortrags des Beigeladenen zu 2. nicht ersichtlich. Soweit er geltend gemacht hat, dass
die Änderungen durch das Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung Rückschlüsse auf die Auslegung des alten
Rechts zuließen, kann damit eine fortwirkende allgemeine Bedeutung bezogen auf die Auslegung des alten Rechts nicht begründet
werden. Soweit der Beigeladene zu 2. geltend macht, dass "vergleichbare Verfahren für die alte Rechtslage nach wie vor zur
Entscheidung anstehen" verweist er lediglich auf ein weiteres ihn selbst betreffendes Gerichtsverfahren sowie auf nicht abgeschlossene
Verwaltungsverfahren ohne anzugeben, ob diese auch andere Personen als ihn selbst betreffen. Eine fortwirkende allgemeine
Bedeutung der formulierten Rechtsfrage kann der Senat dem nicht entnehmen.
c) Im Übrigen fehlt es auch deshalb an der Klärungsbedürftigkeit der formulierten Rechtsfrage, weil sich die Antwort ohne
Weiteres aus den Rechtsvorschriften und aus schon vorliegender Rechtsprechung klar ergibt: Der Beigeladene zu 2. führt selbst
in der Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde aus, dass es für die nach seiner Auffassung auch schon in der Vergangenheit
üblichen Verträge über die Erstattung der Bezugskosten und der besonderen Aufwendungen keine Rechtsgrundlage gegeben habe
bzw dass der Arzt gegenüber der Krankenkasse keinen Anspruch auf den Abschluss eines solchen Vertrags gehabt habe. Jedenfalls
letzteres trifft auch nach Auffassung des Senats zu. Gesetzliche Regelungen, die die Krankenkassen zum Abschluss der vom Beigeladenen
zu 2. angestrebten Vereinbarung verpflichten könnten, haben vor der Einführung des § 132i
SGB V mit dem Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung nicht bestanden.
Ferner hat der Senat die aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§
12 Abs
1, §
70 Abs
1 Satz 2, §
106 Abs
1 SGB V) folgende Obliegenheit des Arztes, unter mehreren rechtlich zulässigen Bezugswegen den kostengünstigsten zu wählen, in dem
Urteil vom 13.5.2015 (B 6 KA 18/14 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 51 RdNr 35 ff) nicht davon abhängig gemacht, dass die Krankenkassen dem Arzt eine vertragliche Vereinbarung über die Erstattung von Bezugskosten
und von besonderen Aufwendungen anbietet. Da - auch nach Auffassung des Beigeladenen zu 2. - keine Rechtsgrundlage für eine
Verpflichtung der Krankenkasse zum Abschluss einer solchen Vereinbarung bestand, kann die Antwort auf die Frage nach dem wirtschaftlichsten
Bezugsweg nicht davon abhängen, ob die Krankenkasse eine solche Vereinbarung anbietet. Das gilt entgegen der Auffassung des
Beigeladenen zu 2. unabhängig davon, ob ein die Gerinnungsfaktorenzubereitungen - wie in dem Fall, der der Entscheidung des
Senats vom 13.5.2015 zugrunde lag - von einem einzelnen Arzt oder aber - wie vorliegend - von einem auf die Behandlung von
Patienten mit Blutgerinnungsstörungen spezialisierten MVZ bezogen werden. Ausschlaggebend bleibt, ob sich die gerade aufgrund
des Direktbezugs zu erfüllenden Anforderungen ua bezogen auf die Lagerung der Gerinnungsfaktorenzubereitungen im zu beurteilenden
Fall noch im Rahmen des Üblichen bewegen. Damit kann die vom Beigeladenen zu 2. aufgeworfene Rechtsfrage, ob das Wirtschaftlichkeitsgebot
die Wahl des Direktbezugs von Gerinnungsfaktorenzubereitungen nach § 47 Abs 1 Satz 1 Nr 2 Buchst a AMG in der bis zum 31.8.2020 geltenden Fassung auch dann gebot, wenn kein Vertrag des behandelnden Arztes mit der Krankenkasse
über die Erstattung von Bezugskosten und von besonderen Aufwendungen bestand, im Grundsatz bejaht werden, ohne dass es dazu
der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedürfte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbsatz 3
SGG iVm §
154 Abs
2, §
162 Abs
3 VwGO. Die Kostenpflicht des Beigeladenen zu 2. als erfolglosem Rechtsmittelführer beruht auf §
154 Abs
2 VwGO. Diese Regelung ist im Falle eines erfolglosen Rechtsmittels die allein maßgebliche Kostenvorschrift; §
154 Abs
1 VwGO findet keine Anwendung (BSG Urteil vom 6.5.2009 - B 6 KA 2/08 R - SozR 4-2500 §
106 Nr 24 RdNr 25; B. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt,
SGG, 13. Aufl 2020, §
197a RdNr 12). Dementsprechend ist in einem solchen Fall kein Raum für eine Kostenpflicht auch des Beklagten, der selbst kein Rechtsmittel
eingelegt hat, unabhängig davon, ob sein Bescheid aufgehoben wird. In einer derartigen Konstellation erfolglosen Rechtsmittels
ist der unterlegene Hauptbeteiligte (Beklagte), der keinen Antrag gestellt hat, vielmehr grundsätzlich sogar kostenerstattungsberechtigt
(BSG Urteil vom 6.5.2009 - B 6 KA 2/08 R - SozR 4-2500 § 106 Nr 24 RdNr 25; BVerwG Urteil vom 11.11.1993 - 3 C 45/91 - NJW 1994, 3024, 3027 = juris RdNr 45, insoweit in BVerwGE 94, 269 nicht abgedruckt). Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn - anders als hier - der Beklagte im weiteren Verlauf des Rechtsmittelverfahrens dem Hauptantrag
eines anderen Beteiligten beigetreten ist und hiermit der Sache nach unterlegen ist; hierdurch entfiele - entsprechend dem
Grundgedanken des §
154 Abs
1 VwGO - seine Kostenerstattungsberechtigung. Der Ausschluss der Kostenerstattungsberechtigung gilt im vorliegenden Fall jedoch
gemäß §
162 Abs
3 VwGO für die Beigeladene zu 1., weil diese sich im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde nicht beteiligt und vor allem keinen
Antrag gestellt hat (§
162 Abs
3 VwGO, vgl BSG Urteil vom 31.5.2006 - B 6 KA 62/04 R - BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 § 63 Nr 3, RdNr 16).
4. Die Festsetzung des Streitwerts hat ihre Grundlage in §
197a Abs
1 Satz 1 Teilsatz 1
SGG iVm § 63 Abs 2 Satz 1, § 52 Abs 3, § 47 Abs 1 und 3 GKG. Das Begehren des Beigeladenen zu 2. im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde wird durch den nach der Entscheidung des
LSG zu reduzierenden, aber in der Höhe noch nicht feststehenden Regressbetrag bestimmt. Unter Berücksichtigung des Umstands,
dass das LSG die Kosten des Klage- und des Berufungsverfahrens dem Beklagten und dem Beigeladenen zu 2. jeweils zur Hälfte
auferlegt hat, hat der Senat den Streitwert für das allein vom Beigeladenen zu 2. betriebene Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
in Höhe der Hälfte des ursprünglichen Regressbetrages festgesetzt.