Honorarverteilung in der vertragsärztlichen Versorgung bei der Überschreitung arztgruppenspezifischer Grenzwerte; Zulässigkeit
eines Vergütungssystems mit praxisindividuellen Punktwerten aufgrund von Individualbudgets
Gründe:
I
Streitig ist die Höhe des Honorars des Klägers für das Quartal II/2005.
Der Kläger ist Arzt für Allgemeinmedizin. Er ist seit 1985 in eigener Praxis im Bezirk der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung
(KÄV), der Rechtsnachfolgerin der bis zum 31.12.2004 bestehenden KÄV Nord-Württemberg, vertragsärztlich tätig und nimmt an
der hausärztlichen Versorgung teil. Er begehrt die Neuberechnung seines Honorars für das Quartal II/2005 unter Berufung darauf,
dass die Honorarverteilungsregelungen, auf deren Grundlage der Honorarbescheid ergangen sei, unwirksam seien.
In dem Honorarbescheid vom 12.10.2005 für das Quartal II/2005 honorierte die Beklagte die Leistungen des Klägers, die sich
im Rahmen des sog Punktgrenzzahlvolumens hielten (894.630 Punkte im Primärkassen[PK]- und 202.433,4 Punkte im Ersatzkassen[EK]-Bereich),
mit Punktwerten von 4,1841 Cent (im PK-Bereich) bzw von 3,9835 Cent (im EK-Bereich). Sie vergütete die von ihm über das Punktzahlgrenzvolumen
hinaus erbrachten Leistungen (ca 29.000 Punkte im EK-Bereich) mit einem Punktwert von nur 0,4003 Cent. Mit seinem Widerspruch
beanstandete er, dass der Honorarverteilungsvertrag (HVV), den die Beklagte und die Krankenkassen (KKn) zum 1.4.2005 vereinbart
hatten, entgegen §
85 Abs
4 Satz 7
SGB V (hier anzuwenden in der Fassung des GKV-Modernisierungsgesetzes [GMG] vom 14.11.2003, BGBl I 2190) keine arztgruppenspezifischen
Grenzwerte mit festen Punktwerten vorsehe. Die Beklagte wies den Widerspruch zurück.
Das vom Kläger angerufene SG hat die Beklagte verurteilt, über den Honoraranspruch des Klägers für das Quartal II/2005 unter Beachtung der Rechtsauffassung
des Gerichts erneut zu entscheiden (Urteil vom 27.2.2008). Das LSG hat die Berufung der Beklagten - und auch die vom Kläger
wegen der Fallzahlzuwachsbegrenzung eingelegte, aber im Revisionsverfahren nicht weitergeführte Anschlussberufung - zurückgewiesen
(Urteil vom 29.10.2008). Im Urteil des LSG ist ausgeführt, die für das Quartal II/2005 erfolgte Honorarverteilung sei rechtswidrig.
Die ihr zugrunde liegenden Regelungen des HVV seien weder mit §
85 Abs
4 SGB V noch mit dem Beschluss des Bewertungsausschusses (BewA) vom 29.10.2004 gemäß §
85 Abs
4a Satz 1 letzter Teilsatz
SGB V (DÄ 2004, A 3129) vereinbar. Nach §
85 Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V seien Regelungen zur Verhinderung einer übermäßigen Ausdehnung der Tätigkeit des Vertragsarztes vorzusehen, insbesondere
arztgruppenspezifische Grenzwerte festzulegen, bis zu denen die von einer Arztpraxis erbrachten Leistungen mit festen Punktwerten
zu vergüten seien (Regelleistungsvolumina [RLV]), und für die Honorierung der Leistungsmengen, die diese Grenzwerte überschritten,
seien abgestaffelte Punktwerte vorzusehen. Der Gesetzgeber habe diese Vorgaben, die bis 2003 nur als Soll- bzw Kann-Vorschriften
ausgestaltet gewesen seien, seit 2004 zu zwingenden Regelungen ausgeformt. Damit sei der HVV unvereinbar, der für den Bereich
der Bezirksdirektion Stuttgart der Beklagten den bis zum 31.3.2005 in Nord-Württemberg geltenden Honorarverteilungsmaßstab
(HVM) ersetzt habe. Während in diesem HVM feste Punktwerte vorgesehen gewesen seien, sei der ihn ab dem 1.4.2005 ersetzende
HVV für den Bereich der Bezirksdirektion Stuttgart davon abgerückt. Dieser habe zwar die bisherigen praxisindividuellen Punktz
a h l obergrenzen beibehalten, sei aber zu einem floatenden Punkt w e r t übergegangen. Die Regelungen des HVV seien auch
nicht durch den Beschluss des BewA gemäß §
85 Abs
4a Satz 1 letzter Teilsatz
SGB V vom 29.10.2004 gerechtfertigt. Dieser Beschluss enthalte in Teil III Nr 3 Vorgaben für die Bildung von RLV und gebe in Nr
2.2 die Möglichkeit, von der Bildung von RLV abzusehen, dies aber nur für den Fall, dass bisherige Steuerungsinstrumente fortgeführt
würden, deren Auswirkungen mit den gesetzlichen Vorgaben des §
85 Abs
4 SGB V vergleichbar seien. Diesen Vorgaben entsprächen die Regelungen des HVV über Individualbudgets mit flexiblen Punktwerten nicht.
Zudem sei der HVV mit §
85 Abs
4 Satz 8
SGB V unvereinbar; denn für die über die Mengengrenzen hinausgehenden Leistungen seien keine abgestaffelten, sondern floatende
Punktwerte vorgesehen, die sich für jede Fachgruppe aus dem Verhältnis des Vergütungsvolumens von 3 % des ihr zugeordneten
Honorarvolumens zu der überschreitenden Punktmenge ergäben. Insoweit liege zudem ein Widerspruch zu der Regelung des BewA
in Teil III Nr 3.2.1 vor, nach der eine Abstaffelung erst ab Überschreiten von 150 % der durchschnittlichen Fallzahl der Arztgruppe
einsetze. Nach alledem seien die Mindestvoraussetzungen des §
85 Abs
4 Satz 7 und 8
SGB V nicht erfüllt, weil der HVV weder arztgruppenspezifische Grenzwerte noch feste Punktwerte noch für die darüber hinausgehenden
Leistungsmengen abgestaffelte Punktwerte vorsehe. Zugleich liege auch keine "Fortführung" bereits vorhandener Steuerungsinstrumente
im Sinne des Beschlusses des BewA vom 29.10.2004 in Teil III Nr 2.2 vor, denn die Regelungen des HVV unterschieden sich erheblich
von denen des vorherigen HVM. Der Gesichtspunkt, dass der neue HVV die auch dem Gesetz zugrunde liegenden Zielsetzungen verfolge,
reiche nicht aus. Die Regelungen des HVV ließen sich schließlich auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung
rechtfertigen, denn auch solche müssten sich innerhalb des gesetzlichen Rahmens halten.
Mit ihrer Revision rügt die Beklagte, dass die Klage schon deshalb von Anfang an als unzulässig oder jedenfalls als unbegründet
angesehen werden müsse, weil das Klageziel, die korrekte Umsetzung der Vorgaben des §
85 Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V, für das Quartal II/2005 nicht mehr erreicht werden könne. Diese Bestimmungen seien zum einen auf die Gewährung von Kalkulationssicherheit
für die Ärzte gerichtet, indem ihnen durch stabile Punktwerte ermöglicht werde, ihr zu erwartendes vertragsärztliches Honorar
sicherer abzuschätzen, und zum anderen darauf, den Honorierungsumfang ausreichend flexibel zu halten zur Einhaltung des begrenzten
Gesamtvergütungsvolumens. Rückwirkend seien diese Ziele nicht mehr erreichbar. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage komme auch
nicht in Betracht, da keine Wiederholungsgefahr bestehe, weil die in Streit stehende Problematik seit 2009 keine Relevanz
mehr habe. Die Klage könne auch deshalb keinen Erfolg haben, weil die von SG und LSG beanstandeten Bestimmungen des HVV rechtmäßig seien. Diese stellten im Sinne des Beschlusses des BewA vom 29.10.2004
(Teil III Nr 2.2) die Fortführung vorhandener Steuerungsinstrumente dar. Diese Übergangsvorschrift decke nach ihrem Sinngehalt
alle Honorarverteilungsregelungen, die auf gleiche Auswirkungen wie die RLV gerichtet seien. Sie dürfe nicht eng ausgelegt
werden; bei deren Auslegung seien vielmehr die damals zahlreichen Umwälzungen zu berücksichtigen wie das Inkrafttreten des
neuen EBM-Ä zum 1.4.2005 - mit völliger Ungewissheit, welche Leistungs- und Punktmengen nun zur Abrechnung kämen - und die
Planung eines neuen Vergütungssystems - die allerdings letztlich erst zum 1.1.2009 realisiert worden sei - sowie speziell
in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die Schaffung je einer gemeinsamen KÄV zum 1.1.2005. Vor diesem Hintergrund seien
aus der Sicht des BewA und des Gesetzgebers auch floatende Punktwerte tolerabel gewesen, sofern deren Auswirkungen denen der
in §
85 Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V ausdrücklich genannten Instrumente vergleichbar seien. Dies sei bei dem hier anzuwendenden HVV der Fall gewesen, den die
KÄV und die KKn zum 1.4.2005 für den Bereich der Bezirksdirektion Stuttgart vereinbart hätten; dieser HVV sei entsprechend
den Zielsetzungen des §
85 Abs
4 SGB V auf Kalkulationssicherheit, Verhinderung unangemessener Leistungsausweitung und Honorargerechtigkeit gerichtet gewesen.
Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 29.10.2008 und des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.2.2008 aufzuheben
und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Der Kläger verteidigt das Urteil des LSG gegenüber den Angriffen der Beklagten. Der Einwand, die Zielsetzungen des §
85 Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V könnten nach Ablauf des Quartals II/2005 ohnehin nicht mehr erreicht werden, stehe dem Anspruch auf einen korrekten Honorarbescheid
auf fehlerfreier normativer Grundlage nicht entgegen. Für diesen Anspruch reiche die Aussicht aus, aufgrund einer Neuregelung
möglicherweise nachträglich höheres Honorar zugesprochen zu erhalten. Jede andere Ansicht sei unvereinbar mit Art
19 Abs
4 GG. Inhaltlich sei der damalige HVV mit den Anforderungen des §
85 Abs
4 Satz 7 und 8
SGB V unvereinbar. Dessen Vorgaben - arztgruppenspezifische Grenzwerte, feste Punktwerte und für die darüber hinausgehenden Leistungsmengen
abgestaffelte Punktwerte - seien verbindlich. Die Abweichung hiervon lasse sich nicht damit rechtfertigen, die Beklagte habe
die Auswirkungen des neuen EBM-Ä 2005 nicht präzise genug einschätzen können. Die Abweichung sei auch nicht durch den Beschluss
des BewA vom 29.10.2004 gedeckt. Dieser habe schon nicht wirksam zur Freistellung von den zwingenden Vorgaben des §
85 Abs
4 SGB V ermächtigen können, auch nicht für eine Übergangszeit. Aber auch wenn man dies anders sähe, sei der HVV von der Übergangsvorschrift
nicht gedeckt. Denn eine Fortführung schon bisher vorhandener Steuerungsinstrumente liege nicht vor. Das Konzept des vorangegangenen
HVM der KÄV Nord-Württemberg sei durch den HVV gerade nicht fortgeführt worden. Die Argumentation der Beklagten, die Vorgabe
fester Punktwerte hätte sich überhaupt nicht realisieren lassen, sei im Übrigen unzutreffend, wie die Verteilungsregelungen
anderer KÄVen gezeigt hätten, die feste Punktwerte vorgesehen hätten. Schließlich ergebe sich eine Rechtfertigung auch nicht
aus dem Gesichtspunkt einer Anfangsund Erprobungsregelung, denn dieser legitimiere nicht zu einer Gestaltung der Honorarverteilung,
die sich von vornherein erkennbar nicht innerhalb der Ermächtigungsgrundlage halte.
Der zu 1. beigeladene Spitzenverband Bund der Krankenkassen schließt sich - ohne einen eigenen Antrag zu stellen - den Ausführungen
der Revisionsführerin an. Insbesondere habe der BewA die Übergangsregelung in Teil III Nr 2.2 schaffen dürfen, und Individualbudgets,
wie der HVV sie vorgesehen habe, stellten durchaus vergleichbare Steuerungsinstrumente dar.
Die zu 2. beigeladene Kassenärztliche Bundesvereinigung macht - ebenfalls ohne eigenen Antrag - geltend, dass der HVV zwar
von den Vorgaben des §
85 Abs
4 Satz 7
SGB V abweiche, dies aber durch die Übergangsregelung des BewA vom 29.10.2004 gedeckt sei. Diese lasse eine Vielzahl von Honorarverteilungsmodellen
zu. Für einen arztgruppenspezifischen Grenzwert reiche es aus, wenn sich im Sinne des Beschlusses des BewA in Teil III Nr
3 aus arztgruppeneinheitlichen Fallpunktzahlen durch Multiplikation mit individuellen Behandlungsfallzahlen praxisindividuelle
Grenzwerte errechnen ließen. Dies sei dahin weiterzuführen, dass es auch zulässig sei, zur Mengenbegrenzung und Kalkulationssicherheit
von vornherein den Praxen individuelle Volumina vorzugeben, wie dies in dem HVV geschehen sei. Auch die Honorierung der über
diese Mengengrenzen hinausgehenden Leistungen sei nicht zu beanstanden, denn der HVV sehe für jede Leistung noch eine, wenn
auch geringe, Vergütung vor. Dies genüge für eine abgestaffelten Vergütung gemäß §
85 Abs
4 Satz 8
SGB V. Das Ergebnis - die Vereinbarkeit mit §
85 Abs
4 Satz 7 und 8
SGB V bzw jedenfalls mit der Übergangsregelung des BewA vom 29.10.2004 - sei schließlich auch im Hinblick darauf angemessen, dass
die KÄVen 2004/2005 erhebliche Schwierigkeiten hätten bewältigen müssen wie insbesondere das Inkrafttreten des neuen EBM-Ä
zum 1.4.2005 und speziell in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz zudem die Zusammenführung von vier KÄVen zu einer KÄV.
II
Die Revision der Beklagten hat keinen Erfolg. Das SG und das LSG haben zu Recht entschieden, dass die Beklagte erneut über den Honoraranspruch des Klägers für das Quartal II/2005
zu entscheiden hat, weil die Honorarverteilungsregelungen, auf deren Grundlage der Honorarbescheid erging, unwirksam waren.
Einem Klageerfolg steht entgegen der Ansicht der revisionsführenden Beklagten nicht entgegen, dass das Klageziel, die korrekte
Umsetzung der Vorgaben des §
85 Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V (anzuwenden in der Fassung des GMG vom 14.11.2003, BGBl I 2190 - Satz 7 und 8 sind seitdem nicht verändert worden), für das
abgelaufene Quartal II/2005 nicht mehr erreicht werden könne. Zwar kann eine neu zu konzipierende Honorarverteilungsregelung
keine Steuerungswirkungen mehr für die Leistungserbringung in diesem Quartal erzielen. Indessen ist dies nicht entscheidend.
Vom Streitgegenstand her kommt es maßgebend darauf an, ob der Honorarbescheid für das Quartal II/2005 rechtmäßig ist, was
voraussetzt, dass die ihm zugrunde liegenden Honorarverteilungsregelungen wirksam waren. Diese Frage kann im vorliegenden
Verfahren entschieden werden. Erweist sich der HVV als rechtswidrig, so muss die Honorarverteilung neu geregelt werden, auch
wenn die neue Honorarverteilung die mit solchen Regelungen an sich verbundenen Steuerungsziele nicht mehr realisieren kann.
SG und LSG haben die Beklagte zu Recht zu erneuter Entscheidung über den Honoraranspruch des Klägers für das Quartal II/2005
verpflichtet; denn dem Honorarbescheid fehlt es an einer wirksamen Rechtsgrundlage. Die Honorarverteilungsregelungen, auf
deren Grundlage der Honorarbescheid erging, verstoßen gegen höherrangiges Recht. Der HVV, den die Beklagte und die KKn mit
Wirkung ab dem 1.4.2005 für den Bereich der Bezirksdirektion Stuttgart vereinbart hatten, entsprach nicht den Vorgaben des
§
85 Abs
4 Satz 7
SGB V (unten 1.). Er erfüllte auch nicht die Voraussetzungen der Übergangsregelung in Teil III Nr 2.2 des Beschlusses des BewA
vom 29.10.2004 (DÄ 2004, A 3129) (unten 2.). Diese Regelung ist - entgegen der Ansicht des Klägers - von der Ermächtigung
des §
85 Abs
4a Satz 1 letzter Teilsatz iVm Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V gedeckt (unten 2.a). Den Vorgaben des BewA entsprachen die vom Kläger beanstandeten Bestimmungen des HVV allerdings nicht
(unten 2.b).
1. Die Regelungen des HVV waren nicht mit den Vorgaben des §
85 Abs
4 Satz 7
SGB V vereinbar. Nach dieser Bestimmung sind in der Honorarverteilung "insbesondere ... arztgruppenspezifische Grenzwerte festzulegen,
bis zu denen die von einer Arztpraxis erbrachten Leistungen mit festen Punktwerten zu vergüten sind (Regelleistungsvolumina)."
Kernpunkt dieser Bestimmung sind zwei Vorgaben, nämlich die Festlegung arztgruppenspezifischer Grenzwerte und fester Punktwerte,
- und gemäß aaO Satz 8 kommt hinzu, dass für die darüber hinausgehenden Leistungsmengen abgestaffelte Punktwerte vorzusehen
sind.
Von den beiden Vorgaben - arztgruppenspezifische Grenzwerte und feste Punktwerte sowie für die darüber hinausgehenden Leistungsmengen
abgestaffelte Punktwerte - kommt besonderes Gewicht den festen Punktwerten zu. Dies ergibt sich aus dem Ziel der Regelung,
den Ärzten Kalkulationssicherheit hinsichtlich ihrer Praxisumsätze und -einkommen zu geben (vgl die Begründungen zum Gesetzentwurf
vom 16.6.2003, BT-Drucks 15/1170 S 79, und vom 8.9.2003, BT-Drucks 15/1525 S 101). Für das hiermit bezeichnete Ziel, stabile
Punktwerte zu gewährleisten und den Ärzten dadurch zu ermöglichen, ihr zu erwartendes vertragsärztliches Honorar sicherer
abzuschätzen (vgl BSGE 96, 53 = SozR 4-2500 § 85 Nr 23, RdNr 24; BSG SozR 4-2500 § 85 Nr 28 RdNr 12), stellt das Erfordernis der Festlegung fester Punktwerte
(anstelle sog floatender Punktwerte) eine zentrale und strikte Vorgabe dar. Bei dem Begriff "feste Punktwerte" ist kein Spielraum
denkbar. Nicht im selben Maße strikt ist die Vorgabe der Festlegung "arztgruppenspezifischer Grenzwerte": Dies muss nicht
als arztgruppen-"einheitliche" Festlegung ausgelegt werden in dem Sinne, dass der gesamten Arztgruppe dieselben RLV zugewiesen
werden müssten. Vielmehr kann dem Erfordernis arztgruppenspezifischer Grenzwerte auch eine Regelung genügen, die eine arztgruppeneinheitliche
Festlegung nur bei den Fallpunktzahlen vorgibt, dann deren Multiplikation mit den individuellen Behandlungsfallzahlen vorsieht
und so zu praxisindividuellen Grenzwerten führt (so im Übrigen die Regelung in Teil III Nr 3 des Beschlusses des BewA vom
29.10.2004). Die zentrale Bedeutung der Vorgaben des §
85 Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V hat der Gesetzgeber dadurch zusätzlich deutlich gemacht, dass er die bis dahin bestehenden bloßen Soll- und Kann-Vorschriften
(Satz 6: "... soll sicherstellen ..." und Satz 7: "Insbesondere kann ..." sowie Satz 8: "... kann ...") zu verbindlichen Regelungen
umgestaltet hat ("... hat ... vorzusehen" und "... sind ... festzulegen ..." sowie "... ist vorzusehen ..."). Diese Änderung
wird in den Begründungen zum Gesetzentwurf auch ausdrücklich hervorgehoben (BT-Drucks 15/1170 S 79 und BT-Drucks 15/1525 S
101). Die Formulierung "insbesondere" in §
85 Abs
4 Satz 7
SGB V relativiert die Verbindlichkeit nicht etwa im Sinne eines lediglich möglichen Regelungsinhalts; wie der Kontext ergibt, wird
damit vielmehr die Notwendigkeit solcher Festlegungen nochmals hervorgehoben und zugleich klargestellt, dass darüber hinaus
auch noch weitere Steuerungsinstrumente vorgesehen werden können, die allerdings das System aus RLV und abgestaffelten Punktwerten
nicht schwächen, sondern nur ergänzen dürften.
Von den beiden Elementen des §
85 Abs
4 Satz 7
SGB V - arztgruppenspezifische Grenzwerte und feste Punktwerte - wich der HVV ab, den die Beklagte und die KKn mit Wirkung ab dem
1.4.2005 für den Bereich der Bezirksdirektion Stuttgart vereinbart hatten. Nach den Regelungen dieses HVV errechnete sich,
wie im Urteil des LSG gemäß seiner Zuständigkeit für die Feststellung des Inhalts von Landesrecht ausgeführt ist (vgl §
162 SGG und dazu BSG SozR 4-2500 §
85 Nr 28 RdNr 27 mwN), der Punktwert für den einzelnen Arzt aus dem Honorarvolumen für die Arztgruppe dividiert durch die Summe
der den Ärzten der Gruppe zuerkannten Punktzahlen. Somit hing dessen Höhe, wie das LSG weiter ausführt, davon ab, wie sich
das Verhältnis zwischen dem Honorarvolumen für die Arztgruppe zu der Summe der den Ärzten der Gruppe zuerkannten Punktzahlen
verhielt: Je nach dem, ob diese von den Ärzten abgerechnete Punktmenge größer oder kleiner war, errechnete sich ein geringerer
oder höherer Punktwert. Somit war ein sog floatender Punktwert vorgegeben. Dies stand in Widerspruch zu der Vorgabe fester
Punktwerte in der Regelung des §
85 Abs
4 Satz 7
SGB V.
Das LSG hat zudem festgestellt, dass im HVV auch arztgruppenspezifische Festlegungen fehlen. Das Merkmal arztgruppenspezifischer
Grenzwerte (§
85 Abs
4 Satz 7
SGB V) erfordert, dass in die Regelung jedenfalls auch ein Element arztgruppeneinheitlicher Festlegung einfließt. Hierfür reicht
nicht aus, dass jeder Arztgruppe ein gemeinschaftliches Honorarkontingent (sog Honorartopf) zugeordnet ist. Vielmehr müsste
die Regelung zB jedenfalls auf arztgruppeneinheitlichen Fallpunktzahlen aufbauen (vgl oben RdNr 15). Die Regelung des HVV
ist indessen nach den Feststellungen des LSG so gestaltet, dass die zu vergütenden Punktzahlvolumina nach den individuellen
Punktzahlvolumina vergangener Zeiträume bemessen werden (im Sinne sog Individualbudgets, - nach den Feststellungen des LSG
im Wege der Anknüpfung an die Punktzahlen des Jahres 2002), und deren Honorierung erfolgt flexibel nach Maßgabe des der Arztgruppe
zugeordneten Honorarvolumens (dh im Sinne floatender Punktwerte).
Ob der HVV dieselben Ziele wie die Regelung in §
85 Abs
4 Satz 7
SGB V verfolgt, ist entgegen der Ansicht der Beklagten nicht maßgeblich. Allein eine möglicherweise gleichwertige Zielsetzung kann
nicht den Mangel ausgleichen, dass es an den nach dem Wortlaut des §
85 Abs
4 Satz 7
SGB V erforderlichen Regelungen - feste Punktwerte und arztgruppenspezifische Grenzwerte - fehlt.
2. Die Bestimmungen des HVV können auch nicht aufgrund der Übergangsregelung in Teil III. Nr 2.2 des Beschlusses des BewA
vom 29.10.2004 Geltung beanspruchen. Zwar ist diese Regelung wirksam; der BewA hat sie entgegen der Ansicht des Klägers aufgrund
der Ermächtigung des §
85 Abs
4a Satz 1 letzter Teilsatz iVm Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V normieren dürfen. Aber die in ihr festgelegte Voraussetzung, dass bisherige Steuerungsinstrumente fortgeführt werden müssen,
deren Auswirkungen mit den Vorgaben des §
85 Abs
4 SGB V vergleichbar sind, ist nicht erfüllt.
a) Der Ansicht des Klägers, die Übergangsregelung in Teil III. Nr 2.2 des Beschlusses des BewA vom 29.10.2004 sei nicht von
der Ermächtigung des §
85 Abs
4a Satz 1 letzter Teilsatz iVm Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V gedeckt, trifft nicht zu. Diese Ansicht verkennt, dass dem BewA bei der ihm übertragenen Aufgabe der Konkretisierung des
Inhalts der gemäß §
85 Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V zu treffenden Regelungen Gestaltungsfreiheit eingeräumt ist (hierzu siehe bereits oben RdNr 15; vgl weiterhin BSG, Urteil
vom 3.2.2009 - B 6 KA 31/08 R - RdNr 26, zur Veröffentlichung in BSGE und SozR vorgesehen).
Welches Maß an Gestaltungsfreiheit dem BewA zukommt, ist nach der Wesensart der Ermächtigungsvorschrift des §
85 Abs
4a Satz 1 letzter Teilsatz
SGB V und der ihr zugrunde liegenden Zielsetzung zu bestimmen. Sinn dieser Ermächtigung war und ist es, dass der BewA den Weg zur
Anpassung der Honorarverteilungsregelungen in den verschiedenen KÄV-Bezirken an die Vorgaben des §
85 Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V vorzeichnet. Bei der Auslegung der Ermächtigung ist zu berücksichtigen, dass es unter dem Gesichtspunkt des Interesses der
Ärzte an einer Kontinuität des Honorierungsumfangs und aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität problematisch gewesen wäre,
eine sofortige volle Übereinstimmung mit den Vorgaben des §
85 SGB V erreichen zu wollen. Vielmehr ist es bei solchen Anpassungen sachgerecht, eine nur allmähliche Anpassung genügen zu lassen
und übergangsweise noch Abweichungen zu tolerieren. Nicht hinnehmbar wäre es indessen, zu gestatten, dass sich eine Honorarverteilungsregelung
gegenüber der bisherigen - sei es auch nur vorübergehend - weiter von den Vorgaben des §
85 Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V entfernt.
Diesen Anforderungen wurde die Übergangsvorschrift in Teil III Nr 2.2 des Beschlusses des BewA vom 29.10.2004 bei ermächtigungskonformer
Auslegung gerecht. Nach dem Wortlaut der Ermächtigungsvorschrift war es gestattet, dass bisherige Steuerungsinstrumente, deren
Auswirkungen mit den Vorgaben des §
85 Abs
4 SGB V vergleichbar sind, fortgeführt werden. Ob bzw inwieweit im Rahmen einer "Fortführung" bisheriger Honorarverteilungsregelungen
auch der Austausch einzelner Bestimmungen zulässig ist, bedarf hier keiner näheren Erörterung. Jedenfalls dürften etwaige
Änderungen mit Blick auf die dargestellte Zielsetzung der Annäherung an die Vorgaben des §
85 Abs
4 Satz 6 bis 8
SGB V nicht von diesen Vorgaben wegführen. Dies wäre nicht mehr von der Übergangsregelung in Teil III Nr 2.2 des Beschlusses des
BewA vom 29.10.2004 gedeckt.
b) Der so auszulegenden Übergangsregelung in Teil III Nr 2.2 des Beschlusses des BewA vom 29.10.2004 entsprachen die vom Kläger
beanstandeten Bestimmungen des HVV nicht. Eine Fortführung bereits vorhandener Steuerungsinstrumente, deren Auswirkungen mit
den Vorgaben des §
85 Abs
4 SGB V vergleichbar sind, war nicht gegeben.
Die bis zum 31.3.2005 geltenden Honorarverteilungsbestimmungen im Bereich der früheren KÄV Nord-Württemberg enthielten, wie
im Urteil des LSG gemäß seiner Zuständigkeit für die Feststellung des Inhalts von Landesrecht ausgeführt ist (vgl oben RdNr
16), keine Regelung über einen floatenden Punktwert. Andererseits sahen sie auch nicht in jeder Hinsicht für die Honorarbemessung
feststehende Grundlagen vor, vielmehr enthielten sie durch das Abstellen auf eine Nettofallpunktzahl und deren Anpassung entsprechend
den Veränderungen des Gesamtvergütungsanteils der Arztgruppe auch variable Elemente. Dennoch waren sie dem System, das in
§
85 Abs
4 Satz 7
SGB V angelegt ist, näher als die Bestimmungen des HVV, in dem die Beklagte und die KKn für die Leistungen bis zu den individuellen
Punktzahlgrenzen floatende Punktwerte vereinbart hatten (vgl oben RdNr 16). Insofern führten die Vorschriften des HVV von
der Zielrichtung der Realisierung von RLV weg und waren deshalb nicht von der Übergangsregelung in Teil III Nr 2.2 des Beschlusses
des BewA gedeckt.
Die Bestimmungen des HVV waren zusätzlich auch deshalb von dieser Übergangsregelung nicht gedeckt, weil sie nicht, wie in
ihr vorausgesetzt, bereits vorhandene Steuerungsinstrumente "fortführten". Denn der HVV war insgesamt anders gestaltet, wie
sich aus der Darstellung von HVM und HVV im Urteil des LSG ergibt.
Das Ergebnis des Fehlens einer Fortführung im Sinne der Übergangsregelung des Teils III. Nr 2.2 des Beschlusses vom 29.10.2004
kann nicht deshalb in Frage gestellt werden, weil in Baden-Württemberg die bis 2004 bestehenden vier KÄVen zu einer KÄV zusammengeführt
werden mussten. Der Erörterung, ob etwa im Zuge einer damit einhergehenden Gesamtvereinheitlichung von vier HVM zu einem neuen
HVV das Vorliegen einer Übergangsregelung im Sinne des Teils III Nr 2.2 des Beschlusses des BewA nach großzügigeren Maßstäben
beurteilt werden könnte bzw müsste, bedarf es hier nicht. Denn die Beklagte nahm keine solche Vereinheitlichung vor. Sie und
die KKn vereinbarten vielmehr zum 1.4.2005 vier unterschiedliche Honorarverteilungsregelungen, nämlich einen HVV "für den
Bereich der Bezirksdirektion Stuttgart der KÄV Baden-Württemberg" und einen weiteren anders gestalteten "für den Bereich der
KÄV Baden-Württemberg, Bezirksdirektion Karlsruhe" usw.
Ferner kann nichts daraus hergeleitet werden, dass der Bayerische Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) die Weiterführung bayerischer Regelungen über Praxis- und Zusatzbudgets nicht beanstandete (vgl BayVBl 2007, 651). Der BayVerfGH hat den HVV der KÄV Bayerns allein am Maßstab des Landesverfassungsrechts überprüft. Er hat nur dessen Vereinbarkeit mit
dem Rechtsstaatsprinzip anerkannt, indessen seine Kompatibilität mit dem Beschluss des BewA vom 29.10.2004 nicht geprüft.
c) Schließlich lassen sich die Regelungen des HVV auch nicht damit rechtfertigen, dass gemäß Satz 2 der Anlage 1 (zu Teil
III des Beschlusses des BewA) im HVV weitere Differenzierungen der Arztgruppen vereinbart werden konnten. Zwar trifft es zu
- wie die Beigeladene zu 2. geltend macht -, dass dies unter Umständen (zB bei sehr kleinen Arztgruppen) zu praxisindividuellen
Punktwerten führen und somit faktisch den Individualbudgets ähnlich oder vergleichbar sein konnte. Diese Wirkung kann aber
nicht ein mit höherrangigen Vorgaben unvereinbares Normenkonzept - wie hier den HVV mit Individualbudgets - legitimieren:
Ein rechtswidriges Normenkonzept ist nicht deshalb rechtmäßig, weil rechtskonforme Regelungen möglicherweise in besonders
gelagerten Fällen zu letztlich gleich wirkenden Ergebnissen führen könnten.
d) Im Übrigen lassen sich die Regelungen des HVV auch nicht unter dem Gesichtspunkt einer Anfangs- und Erprobungsregelung
rechtfertigen. Denn auch eine solche müsste sich jedenfalls insoweit innerhalb des gesetzlichen Rahmens halten, als sie nicht
schon von ihrer Struktur her in Widerspruch zu höherrangigen Vorgaben stehen darf (BSG SozR 3-2500 § 85 Nr 16 S 106 f; siehe
zB auch BSGE 88, 126, 137 f = SozR 3-2500 § 87 Nr 29 S 157; BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr 22, RdNr 35; vgl zuletzt BSG, Urteile vom 3.2.2010 - B 6 KA 31/08 R - RdNr 31 und - B 6 KA 1/09 R - RdNr 23, beide zur Veröffentlichung in BSGE bzw SozR bestimmt). Ein solcher Widerspruch liegt aber vor. Das Fehlen fester
Punktwerte ist ein zentrales Element der hier maßgeblichen normativen Vorgaben, wie oben ausgeführt ist (vgl oben RdNr 14
f). In der Abweichung hiervon liegt ein struktureller Mangel, der einen Rückgriff auf den Gesichtspunkt der Anfangsund Erprobungsregelung
ausschließt.
3. Sollte es in einigen KÄV-Bezirken aufgrund der Umwälzungen (Inkrafttreten des neuen EBM-Ä zum 1.4.2005 - mit völliger Ungewissheit,
welche Leistungs- und Punktmengen nun zur Abrechnung kämen - und speziell in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die zum
1.1.2005 erforderliche Schaffung je einer gemeinsamen KÄV) tatsächlich erhebliche praktische Schwierigkeiten gegeben haben,
zum 1.4.2005 rechtmäßige Honorarverteilungsregelungen zu schaffen, so hätte es den KÄVen und dem BewA freigestanden, auf die
Schaffung einer großzügigeren Gesetzesregelung hinzuwirken, der erforderlichenfalls hätte Rückwirkung für vergangene Quartale
hätte beigemessen werden können. Die gewählte Alternative, ohne eine solche Regelung allein unter Berufung auf die Übergangsregelung
des BewA vom Gesetzeskonzept abweichende Honorarverteilungsregelungen zu schaffen, war mit dem höherrangigen Recht nicht vereinbar.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §
197a Abs
1 Satz 1 Halbs 3
SGG iVm einer entsprechenden Anwendung der §§
154 ff
VwGO. Danach trägt die Beklagte die Kosten des von ihr erfolglos geführten Rechtsmittels (§
154 Abs
2 VwGO). Eine Erstattung von Kosten Beigeladener ist nicht veranlasst, weil sie im Revisionsverfahren keine Anträge gestellt haben
(§
162 Abs
3 VwGO, vgl BSGE 96, 257 = SozR 4-1300 §
63 Nr
3, RdNr 16).