Zulässigkeit des Rechtswegs im sozialgerichtlichen Verfahren; Klageverfahren eines Sozialhilfeträgers gegen einen Einrichtungsträger
auf Erstattung überzahlter Leistungen
Gründe:
I
Im Streit ist im Rahmen eines Zwischenverfahrens die Zulässigkeit des vom Kläger beschrittenen Rechtswegs zu den Gerichten
der Sozialgerichtsbarkeit.
Der Kläger gewährte dem Hilfeempfänger P K (K) ab März 2009 bis Februar 2010 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts
in der ursprünglich von der "Senioren- und Therapiezentrum Haus am Park GmbH" betriebenen Einrichtung. Die Beklagte ist deren
Rechtsnachfolgerin. Ab September 2009 hielt sich K tatsächlich nicht mehr in der Einrichtung auf, was dem Kläger im Februar
2010 bekannt wurde. Die deshalb entstandene Überzahlung bezifferte der Kläger auf 5740,36 Euro, worauf die Beklagte im April
2010 4296,90 Euro zahlte. Weitere Zahlungen würden erfolgen, sobald K die von ihm aus dem Heimvertrag noch geschuldete Vergütung
für den Heimaufenthalt entrichtet habe.
Mit seiner Klage vor dem Sozialgericht Berlin (SG) machte der Kläger, gestützt auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum Beitritt des Sozialhilfeträgers zur Schuld des Hilfeempfängers gegenüber dem Leistungserbringer, zunächst die Rückzahlung
überzahlter Beträge in Höhe von 1443,46 Euro samt Verzugszinsen geltend; weil die Beklagte jedoch weitere 1004,36 Euro an
den Kläger gezahlt hatte, "erklärte" er insoweit "den Rechtsstreit für erledigt". Während das SG den Sozialrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Amtsgericht (AG) Pankow/Weißensee verwiesen hat (Beschluss
vom 17.10.2012), hat das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg auf die Beschwerde des Klägers den Beschluss des SG aufgehoben und festgestellt, dass der Rechtsweg zu den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit zulässig sei (Beschluss vom 11.11.2013).
Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, zwar sei das Verhältnis zwischen der Beklagten und K grundsätzlich
rein zivilrechtlicher Natur, basierend auf dem Heimvertrag. Sobald K hilfebedürftig werde, werde dieses Verhältnis jedoch
öffentlich-rechtlich überlagert. Denn der Sozialhilfeträger bediene sich der Einrichtung, um seiner Gewährleistungsverantwortung
gegenüber dem Hilfebedürftigen nachzukommen; Grundlage hierfür bildeten § 75 Abs 2 Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) und die Kostenübernahmeerklärung des Sozialhilfeträgers (Schuldbeitritt) als Verwaltungsakt mit Drittwirkung.
Dagegen hat die Beklagte die vom LSG zugelassene weitere Beschwerde eingelegt.
II
Nach §
202 SGG iVm §
17a Abs
2 Satz 1
GVG spricht das Gericht, wenn der zu ihm beschrittene Rechtsweg unzulässig ist, dies aus und verweist den Rechtsstreit zugleich
an das zuständige Gericht des zulässigen Rechtswegs. Zu Unrecht hat das LSG auf die Beschwerde des Klägers den Beschluss des
SG gänzlich aufgehoben; denn vorliegend handelt es sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit in Angelegenheiten
der Sozialhilfe (§
51 Abs
1 Nr
6a SGG), sondern um eine zivilrechtliche Streitigkeit (§
13 GVG) auf Rückzahlung überzahlter Vergütungen im Rahmen eines sozialrechtlichen Dreiecksverhältnisses (grundlegend zum sozialhilferechtlichen
Dreiecksverhältnis BSGE 102, 1 ff RdNr 15 ff = SozR 4-1500 § 75 Nr 9; aus der Literatur vgl nur: Pattar, Sozialrecht aktuell 2012, 85 ff; Frings, Sozialrecht
aktuell 2012, 137 ff; Müller-Fehling, Sozialrecht aktuell 2012, 133 ff; Dillmann, Sozialrecht aktuell 2012, 181 ff). Dieser
Zahlungsanspruch der Beklagten findet seine Grundlage (zur Maßgeblichkeit der Natur des Rechtsverhältnisses vgl nur BSG SozR 4-1720 § 17a Nr 3 RdNr 9 mwN) im Zivilrecht.
Die Beziehungen zwischen dem Kläger und der Beklagten (sog Leistungsverschaffungsverhältnis) werden insoweit geprägt durch
das Sachleistungsverschaffungsprinzip (in Form der Gewährleistungsverantwortung), indem der Sozialhilfeträger der Zahlungsverpflichtung
des Hilfeempfängers, einer privatrechtlichen Schuld, gegenüber der Einrichtung aus dem zwischen ihnen abgeschlossenen Heimvertrag
beitritt (vgl dazu: Coseriu, Sozialrecht aktuell 2012, 99 ff; Eicher, SGb 2013, 127 ff; Jaritz/Eicher, juris PraxisKommentar SGB XII, § 75 SGB XII RdNr 28 ff). Der Leistungserbringer besitzt mithin grundsätzlich keinen eigenen öffentlich-rechtlichen Honoraranspruch (BSG aaO; aA Ladage, SGb 2013, 553 ff), der allenfalls in einem gesondert abgegebenen abstrakten Schuldanerkenntnis gesehen werden könnte (abgelehnt: BVerwGE
126, 295, 303; 96, 71, 77).
Der Schuldbeitritt löst zwar einen unmittelbaren Zahlungsanspruch der Einrichtung gegenüber dem Sozialhilfeträger aus; er
kann jedoch naturgemäß nichts an der Rechtsnatur der zugrundeliegenden Schuld, die aus dem zwischen K und der Beklagten geschlossenen
privatrechtlichen Heimvertrag resultiert, ändern; der Schuldbeitritt teilt vielmehr notwendigerweise die Rechtsnatur der Forderung
des Gläubigers (so auch Bayerisches LSG, Beschluss vom 26.11.2012 - L 18 SO 173/12 B - mwN; aA LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 12.4.2013 - L 23 SO 272/12 B - und vom 21.3.2013 - L 23 SO 247/12 B; zweifelnd LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23.9.2013
- L 20 SO 394/12 - RdNr 56). Die Schuld, der beigetreten wird, kann rechtlich für den Beitretenden nicht zu einer öffentlich-rechtlichen
mutieren, während sie bei dem bisherigen Alleinschuldner eine privatrechtliche bleibt.
Für den Erstattungsanspruch wegen überzahlter Leistungen an die Einrichtung auf Basis dieses Schuldbeitritts gilt nichts anderes:
Er teilt die zivilrechtliche Rechtsnatur der Forderung, selbst wenn der Kläger ihn als öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch
bezeichnet; maßgeblich ist seine wahre Rechtsnatur. Weder durch den Schuldbeitritt noch durch die §§ 75 ff SGB XII wird das zivilrechtliche Verhältnis zwischen K und der Einrichtung zu einem öffentlich-rechtlichen. Die zwischen dem Kläger
und der Beklagten abgeschlossenen Vereinbarungen nach den §§ 75 ff SGB XII modifizieren als Normverträge lediglich die zivilrechtlichen Pflichten und sind deshalb nicht von Bedeutung für die Bestimmung
des Rechtswegs, wenn es - wie vorliegend - um die Erstattung überzahlter Beträge geht, die zur Erfüllung der aus dem Grundverhältnis
- vermeintlich - resultierenden Schuld aufgrund der Schuldübernahme erfolgt sind.
Darauf, ob die Zivilgerichte mit dem Konstrukt "Gewährleistungsverantwortungsmodell" vertraut sind, kommt es für die Rechtswegbestimmung
nicht an; wie in anderen Verfahren haben ggf auch die Gerichte der ordentlichen Gerichtsbarkeit bei ihrer Entscheidung Vorfragen
zu klären, die möglicherweise nicht in ihre originäre Zuständigkeit fallen (so zB der Bundesgerichtshof [BGH] - sogar entgegen
der von ihm selbst zitierten Rspr des BSG - beim Streit um die Maklervergütung beim Vermittlungsgutschein nach § 421g Sozialgesetzbuch Drittes Buch - Arbeitsförderung - [SGB III] in der bis 31.3.2012 geltenden Fassung, vgl Urteil vom 18.3.2010
- III ZR 254/09; vgl auch das BSG bei der Prüfung des Eintritts einer Sperrzeit wegen einer privaten Trunkenheitsfahrt eines Berufskraftfahrers zu Vorfragen
aus dem Gebiet des Arbeitsrechts, BSGE 91, 18 ff = SozR 4-4300 § 144 Nr 2). Außerdem muss sich das Zivilgericht mit sozialrechtlicher Materie insoweit ohnedies nur in
beschränktem Umfang befassen (dazu nur Eicher, SGb 2013, 127, 130 f). Einer Anfrage (§
41 Abs
3 Satz 1
SGG) beim 3. Senat des BSG, der im Rahmen einer Rechtswegbeschwerde wegen des Vergütungsanspruchs eines Leistungserbringers gegen den Sozialhilfeträger
im Jahr 2002 noch die Verwaltungsgerichte für zuständig erklärt hat (BSG SozR 3-1500 § 51 Nr 27), bedurfte es schon deshalb nicht, weil der erkennende Senat für das Sozialhilferecht nach der Geschäftsverteilung
des Gerichts allein zuständig ist (hierauf weist zu Recht Ladage hin, SGb 2013, 553, 556).
Eine Zuständigkeit des SG ergibt sich auch nicht aus §
17 Abs
2 Satz 1
GVG, wonach das Gericht des zulässigen Rechtswegs den Rechtsstreit unter allen in Betracht kommenden rechtlichen Gesichtspunkten
entscheidet. Dies wäre nur denkbar im Hinblick auf einen Anspruch des Klägers aus Rückabwicklung eines öffentlich-rechtlichen
Schuldanerkenntnisses (dazu oben). Die Anwendung des §
17 Abs
2 Satz 1
GVG setzt indes einen einheitlichen Streitgegenstand voraus, der sich nicht nur aus dem Klageantrag, sondern auch dem vorgetragenen
Klagegrund ergibt (BGH, Beschluss vom 27.11.2013 - III ZB 59/13 - RdNr 16 mwN; Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 25.9.2013 - 10 AZR 454/12 - RdNr 17). Vorliegend hat der Kläger seinen "Rückabwicklungsanspruch" indes weder rechtlich noch tatsächlich mit einem angeblichen
Schuldanerkenntnis begründet, das neben der mit der Leistungsbewilligung erfolgten Schuldübernahme abgegeben sein müsste.
Sachlich und örtlich zuständig für den Rechtsstreit ist allerdings nicht das AG Pankow/Weißensee, sondern das AG Pinneberg.
Die sachliche Zuständigkeit des AG resultiert aus der Höhe der (noch) streitigen Forderung von 439,10 Euro (§§
13,
23 Nr
1 GVG). Ein Wahlrecht hinsichtlich des örtlich zuständigen Gerichts nach §
17a Abs
2 Satz 2
GVG besteht entgegen der Ansicht des SG von vornherein nicht; denn stellte man auf den Erfüllungsort als besonderen Gerichtsstand ab, wäre allein das für diesen
maßgebliche AG zuständig. Das AG Pinneberg wäre aber ohnedies auch als Gericht des besonderen Gerichtsstands des Erfüllungsortes
(§§
12,
29 Zivilprozessordnung [ZPO]) für die Geldforderung des Klägers (vgl §§
270 Abs
4,
269 Abs
1 Bürgerliches Gesetzbuch [BGB]; dazu nur Zöller,
ZPO, 29. Aufl 2012, §
29 RdNr 25 mwN, und Palandt,
BGB, 73. Aufl 2014, §
270 RdNr
1) zuständig, wie es als Gericht des allgemeinen Gerichtsstandes (§§
12,
17 Abs
1 ZPO) örtlich zuständig ist. Ob §
29 ZPO überhaupt einschlägig ist, bedarf deshalb keiner Entscheidung.
Die Kostenentscheidung (zu deren Notwendigkeit nur: BSG SozR 4-1300 § 116 Nr 1 RdNr 16 mwN; SozR 4-1780 §
40 Nr
1 RdNr
12 mwN) beruht auf §
197a Abs
1 SGG, §
155 Abs
1 Satz 3
Verwaltungsgerichtsordnung. Der Festsetzung eines Streitwerts bedurfte es mangels eines Antrags des Anwalts der Beklagten (§ 33 Abs 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz) schon im Hinblick auf die Kostenfreiheit des Verfahrens für den Kläger (§ 2 Abs 1 Gerichtskostengesetz) nicht.