Notwendige Beiladung des Heimträgers im sozialgerichtlichen Verfahren bei Streit über die Höhe der Heimkosten; Erbringung
der Eingliederungshilfe als Sachleistung; Schuldbeitritt des Sozialhilfeträgers
Gründe:
I. Im Streit sind die Übernahme und Zahlung weiterer Heimkosten für die Zeit vom 1. April bis 9. September 2005 in Höhe der
Differenz (27,60 Euro kalendertäglich) zwischen der vom Kläger mit der "Klinikum W GmbH" (im Weiteren: Einrichtung) vereinbarten
(134,86 Euro) und der von der Beklagten an die Einrichtung gezahlten (107,26 Euro) geringeren Vergütung.
Der 1964 geborene Kläger leidet an einem organischen Psychosyndrom, Alkoholabhängigkeit und einer Polyneuropathie. Er erhält
Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB
XII); weitere Einkünfte hat er nicht. Er ist auf Grund seiner Erkrankung auf die Unterbringung und Versorgung in einer Spezialeinrichtung
angewiesen. Am 1. April 2005 ist er deshalb im Langzeitbereich des Klinikums W stationär aufgenommen worden.
Zwischen dem Kläger und der Einrichtung ist vertraglich ein Heimentgelt in Höhe von kalendertäglich 134,86 Euro seit dem 1.
April 2005 vereinbart. Auf der Basis einer vorläufigen Vergütungsvereinbarung zwischen der Einrichtung und dem Niedersächsischen
Landesamt für Zentrale Soziale Aufgaben, dem überörtlichen Sozialhilfeträger, die auf Grund einstweiliger Anordnungen zustande
gekommen ist, hat die Beklagte die Kosten nur in Höhe von 107,26 Euro seit 1. April 2005 durch Zahlung an das Heim übernommen
(Bescheid vom 6. April 2005; Widerspruchsbescheid vom 9. September 2005); dies hat sie der Einrichtung mitgeteilt. Höhere
Heimentgelte hat auch der Kläger selbst an die Einrichtung nicht gezahlt.
Klage und Berufung blieben ohne Erfolg (Urteil des Sozialgerichts [SG] Hannover vom 28. August 2006; Urteil des Landessozialgerichts
[LSG] Niedersachsen-Bremen vom 24. Mai 2007). Zur Begründung seiner Entscheidung hat das LSG ausgeführt, bei der dem Kläger
gewährten Eingliederungshilfe handele es sich zwar nicht um eine Sach-, sondern um eine Geldleistung, sodass dem Anspruch
nicht schon der Gesichtspunkt der tatsächlichen Bedarfsdeckung in der Einrichtung entgegengehalten werden könne. Eine Vergütungspflicht
des zuständigen Sozialhilfeträgers bestehe bei Erbringung der Leistungen in stationären Einrichtungen jedoch grundsätzlich
nur, soweit mit der Einrichtung die in § 75 Abs 3 SGB XII genannten Vereinbarungen (Leistungs-, Vergütungs- und Prüfungsvereinbarung)
abgeschlossen seien. Wenn diese Vereinbarungen fehlten, komme eine Verpflichtung des Trägers der Sozialhilfe zur Übernahme
der zwischen dem Heimbewohner und der Einrichtung vertraglich vereinbarten Vergütung nicht in Betracht, solange die Beteiligten
noch über entsprechende Vereinbarungen verhandelten und die Vereinbarungen für den betreffenden Zeitraum noch wirksam getroffen
werden könnten, wie dies hier der Fall sei (so genannte Sperrwirkung). Einem späteren rückwirkenden Abschluss von Vereinbarungen
stehe nicht der Grundsatz der Prospektivität entgegen, weil dieser lediglich den Abschluss von Vereinbarungen für zukünftige
Wirtschaftsperioden gebiete, nicht aber das rückwirkende Inkrafttreten später geschlossener, zunächst nicht zustande gekommener
Vereinbarungen untersage. Ein Anspruch auf Übernahme eines höheren Entgelts könne auch nicht auf die Vereinbarung des Klägers
mit der Einrichtung im Heimvertrag gestützt werden, weil die jeweiligen Entgelte nach dem
Heimgesetz (
HeimG) den auf Grund des SGB XII getroffenen (vorläufigen) Vereinbarungen zu entsprechen hätten. Die bislang nur vorläufige Vergütungsvereinbarung
gelte in entsprechender Anwendung des § 77 Abs 2 Satz 4 SGB XII bis zum Inkrafttreten einer neuen Vergütungsvereinbarung weiter.
Mit der Revision rügt der Kläger eine Verletzung des § 75 Abs 4 SGB XII. Er ist der Ansicht, er habe nach Maßgabe des Bedarfsdeckungsgrundsatzes
einen Anspruch auf Übernahme des von ihm mit der Einrichtung vereinbarten Heimentgelts, solange Vereinbarungen nach § 75 Abs
3 Satz 1 SGB XII zwischen dem Sozialhilfeträger und der Einrichtung - wie hier - nicht existierten und die Beklagte ihm keine
zumutbare Alternativeinrichtung nachweise. § 75 Abs 4 Satz 1 SGB XII komme schon dann zur Anwendung, wenn eine der drei im
Gesetz genannten Vereinbarungen nicht abgeschlossen sei. Es sei rechtlich ohnedies nicht möglich, eine Leistungs- oder Prüfungsvereinbarung
rückwirkend zu schließen; eine rückwirkende Vereinbarung sei wegen Verstoßes gegen zwingende Rechtsvorschriften nichtig, sodass
auch eine Vergütungsvereinbarung nicht mehr möglich sei. Vorläufige Vereinbarungen - wie vorliegend - würden anders als endgültige
nicht entsprechend § 77 Abs 2 Satz 4 SGB XII fortgelten.
Der Kläger beantragt,
die Urteile des LSG sowie des SG aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 6. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom
9. September 2005 zu verurteilen, für die Zeit vom 1. April 2005 bis 9. September 2005 weitere 27,60 Euro täglich zu übernehmen
und an die "Klinikum W GmbH" zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.
Sie hält das Urteil des LSG für zutreffend.
II. Die Revision des Klägers ist im Sinne der Zurückverweisung der Sache an das LSG begründet (§
170 Abs
2 Satz 2
Sozialgerichtsgesetz [SGG]). Das Berufungsurteil leidet an einem von Amts wegen zu berücksichtigenden wesentlichen Verfahrensmangel; das LSG hätte
die Klinikum W GmbH (Einrichtung) nach §
75 Abs
2 1. Alt
SGG notwendig beiladen müssen (echte notwendige Beiladung), weil das angestrebte Urteil schon wegen der be- antragten Zahlung
an die Einrichtung unmittelbar die Rechtsbeziehungen im Dreiecksverhältnis zwischen dem Kläger, der Beklagten und der Einrichtung
betrifft.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid der Beklagten vom 6. April 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 9.
September 2005 (§
95 SGG), soweit die Beklagte für die Zeit ab 1. April 2005 die Übernahme höherer Kosten der Eingliederungshilfe für den Aufenthalt
in der Einrichtung abgelehnt hat. Streitbefangen ist - wegen des zwischen den Beteiligten ge- schlossenen Teilvergleichs -
nur der Zeitraum vom 1. April bis zum 9. September 2005, sodass es nicht entscheidungsrelevant ist, dass der angegriffene
Bescheid auch über den Zeitpunkt der Erteilung des Widerspruchsbescheids hinaus Wirkung entfaltet (vgl dazu das Senatsurteil
vom 11. Dezember 2007 - B 8/9b SO 12/06 R -, SozR 4-3500 § 21 Nr 1 RdNr 8 f). Richtige Klageart ist die kombinierte Anfechtungs-,
Verpflichtungs- und Leistungsklage nach §§
54 Abs
1 Satz 1 und Abs
4,
56 SGG. Die Notwendigkeit einer zusätzlichen Verpflichtungsklage ergibt sich daraus, dass der Kläger nicht nur die Änderung des
Bewilligungsbescheids und die Zahlung weiterer Heimkosten an die Einrichtung, sondern außerdem die ausdrückliche Übernahme
dieser Kosten durch Verwaltungsakt begehrt, durch den eine Mitschuld der Beklagten gegenüber der Einrichtung begründet werden
soll.
Die Landeshauptstadt Hannover ist die richtige Beklagte. Nach § 97 Abs 2 SGB XII iVm §§ 2, 6 Abs 2 Nr 1 Buchst a des Niedersächsischen
Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (Nds AG SGB XII) vom 16. Dezember 2004 (Nds Gesetz- und Verordnungsblatt
[GVBl] 644) ist das Land als überörtlicher Träger sachlich zuständig für die Gewährung von stationären und teilstationären
Leistungen der Eingliederungshilfe für behinderte Menschen. § 8 Abs 2 Satz 1 Nds AG SGB XII ermächtigt jedoch das zuständige
Fachministerium dazu, ua die Landeshauptstadt Hannover zur Durchführung von Aufgaben des überörtlichen Trägers dergestalt
heranzuziehen, dass diese im eigenen Namen entscheidet (§ 9 Abs 5 Satz 1 Nds AG SGB XII). Von dieser Ermächtigung ist in §
2 Abs 1 Nr 2 der Verordnung zur Durchführung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch
(DVO Nds AG SGB XII) vom 13. Juni 2006 (Nds GVBl 229), in Kraft getreten am 1. Januar 2005 (§ 19 Abs 1 DVO Nds AG SGB XII),
Gebrauch gemacht worden. Nach der vom LSG vorgenommenen Auslegung ist allerdings durch die Heranziehung die sachliche Zuständigkeit
auf den örtlichen (zuständigen) Sozialhilfeträger, die Beklagte, delegiert worden (vgl aber Bundessozialgericht [BSG], Urteil
vom 17. Juni 2008 - B 8 AY 5/07 R; eine vom Rechtsträgerprinzip abweichende Regelung der Beteiligtenfähigkeit [Behördenprinzip,
vgl § 70 Nr 3 SGG], sieht das niedersächsische Landesrecht nicht vor). Hierbei handelt es sich um die Auslegung der Vorschriften
der Nds AG SGB XII und damit um irrevisibles Recht, mit der Folge, dass das Revisionsgericht gemäß §
202 SGG iVm §
560 Zivilprozessordnung (
ZPO) und §
162 SGG nicht nachprüfen darf, ob die Vorschriften des Landesrechts richtig angewandt worden sind (BSGE 3, 77, 80; 7, 122, 125). Die örtliche Zuständigkeit der Beklagten ergibt sich aus § 98 Abs 2 SGB XII.
Das LSG hätte die Einrichtung nach §
75 Abs
2 1. Alt
SGG notwendig beiladen müssen (echte notwendige Beiladung), weil das angestrebte Urteil im vorliegenden Verfahren unmittelbar
die Rechtsbeziehungen auch der Einrichtung betrifft. Die Entscheidung kann ihr gegenüber daher nur einheitlich ergehen; denn
der Kläger begehrt Zahlung an die Einrichtung. Außerdem stellt sich die beantragte Übernahme zusätzlicher Heimkosten als Schuldbeitritt
zu einer behaupteten Zahlungsverpflichtung des Klägers gegenüber der Einrichtung dar.
Die Frage der Beiladung musste das früher für das Sozialhilferecht zuständige Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Fällen
vorliegender Art nicht problematisieren (vgl aber BVerwGE 97, 53 ff, in der eine Beiladung erfolgt war). Zwar hat das BVerwG in der Vergangenheit zu Recht angenommen, dass unmittelbare Ansprüche
des Leistungserbringers gegen den Sozial- hilfeträger im Sozialhilfebereich grundsätzlich nur entstehen, soweit dies gesetzlich
vorgesehen ist. Zu Unrecht hat es jedoch daraus in einem obiter dictum den Schluss gezogen, selbst bei Vereinbarungen nach
§ 93 Abs 2 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) - seit 1. Januar 2005: § 75 Abs 3 SGB XII - könnten keine Ansprüche des Leistungserbringers entstehen und es seien nur Geldleistungen zu erbringen (BVerwG,
Beschluss vom 10. August 2007 - 5 B 179/06). Beiden Ansichten kann der Senat nicht folgen. Ausdrücklich hat sich das BVerwG jedenfalls, soweit ersichtlich, mit der
Problematik des Schuldbeitritts nicht befasst; es ist auch nicht überschaubar, ob es sich künftig im Rahmen seiner Zuständigkeit
für Altfälle (vor dem 1. Januar 2005 ein- gegangene Klagen; so genannte perpetuatio fori) damit befassen muss. Der Senat sieht
sich deshalb - abgesehen davon, dass die Zurückverweisung mangels Beiladung ohnedies schon auf Grund des Klageantrags des
Klägers erfolgt - nicht an einer von der Rechtsansicht des BVerwG abweichenden rechtlichen Bewertung der Verhältnisse zwischen
dem Kläger, der Beklagten und der beizuladenden Einrichtung gehindert.
Das Leistungserbringungsrecht der Sozialhilfe ist im Bereich der stationären und teilstationären Leistungen, namentlich bei
der Eingliederungshilfe, durch das so genannte sozialhilferechtliche Dreiecksverhältnis geprägt, das die wechselseitigen Rechtsbeziehungen
zwischen dem Träger der Sozialhilfe, dem Leistungsberechtigten und dem Leistungserbringer (Einrichtungsträger) sinnbildlich
darstellt. In diesem Verhältnis gehen die Aufgaben der Sozialhilfeträger weit über das reine Reagieren auf individuelle Bedürftigkeit
durch die Gewährung von Geldleistungen hinaus; die gesetzlichen Regelungen statuieren vielmehr ein Sachleistungsprinzip in
der Gestalt einer Sachleistungsverschaffung in einem vorgegebenen gesetzlichen Rahmen, der zwar nicht wie im Recht der Gesetzlichen
Krankenversicherung ausgestaltet ist, sich dem aber nähert. Der Sozialhilfeträger erklärt dabei durch Übernahme der Unterbringungskosten
im Bewilligungs- bescheid den Schuldbeitritt zu der Zahlungsverpflichtung des Heimbewohners gegenüber dem Heim in Höhe des
bewilligten Betrags (vgl dazu näher das Senatsurteil vom 28. Oktober 2008 - B 8 SO 22/07 R). Daraus erwächst zum einen ein
unmittelbarer Anspruch der Einrichtung gegen den Sozialhilfeträger, zum anderen ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte
auf Zahlung des übernommenen Betrags an die Einrichtung (näher dazu BSG aaO).
Das Unterlassen einer notwendigen Beiladung nach §
75 Abs
2 1. Alt
SGG ist bei einer zulässigen Revision von Amts wegen als Verfahrensfehler zu beachten (vgl BSG SozR 1500 § 75 Nr 21; BSG, Urteil
vom 12. Februar 2003 - B 9 VS 6/01 R -, USK 2003-90; anders bei der unechten notwendigen Beiladung nach §
75 Abs
2 2. Alt
SGG, vgl zuletzt BSG SozR 4-4200 §
7 Nr
4 und BSG, Urteil vom 26. Januar 2005 - B 12 P 9/03 R -, USK 2005-3 mwN). Zwar kann nach §
168 Satz 2
SGG die Beiladung noch im Revisionsverfahren nachgeholt werden. Davon macht der Senat jedoch keinen Gebrauch; er ist hierzu nicht
verpflichtet (s BSGE 93, 283 ff = SozR 4-3250 § 14 Nr 1 mwN; vgl auch BSG, Urteil vom 2. November 2000 - B 11 AL 25/00 R). Gegen eine Beiladung im Revisionsverfahren spricht, dass der Beizuladenden gerade wegen der von der Tatsacheninstanz getroffenen
tatsächlichen Feststellungen Gelegenheit zur Wahrnehmung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör gegeben werden soll.
Hinsichtlich der vom LSG nach der Zurückverweisung zu beurteilenden Rechtslage wird auf die - das LSG nicht bindenden - Ausführungen
im Senatsurteil vom 28. Oktober 2008 (B 8 SO 22/07 R) verwiesen. Das LSG wird bei seiner Entscheidung ggf auch über die Kosten
des Revisionsverfahrens zu befinden haben.