Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde im sozialgerichtlichen Verfahren, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Fristversäumnis
Gründe:
I
Im Streit sind höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII), insbesondere wegen kostenaufwendiger
Ernährung.
Die gegen den Bescheid vom 30. Dezember 2005 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 1. März 2006 erhobene Klage hat
das Sozialgericht Berlin abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 5. Oktober 2007, zugestellt am 30. Oktober 2007). Der Kläger hat
am 4. Dezember 2007 Berufung eingelegt und Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist beantragt.
Zur Begründung hat er ausgeführt, sein Prozessbevollmächtigter habe ihn mit Schreiben vom 31. Oktober 2007 auf den Fristbeginn
und die dabei zu beachtende Fristdauer hingewiesen. Dieses Schreiben habe er nicht erhalten, so dass er keine Kenntnis über
den Fristablauf gehabt habe. Mit weiterem Schreiben vom 26. November 2007, das er am 29. November 2007 erhalten habe, sei
er gefragt worden, ob er Berufung einzulegen beabsichtige. In diesem Schreiben sei nicht erneut auf die einzuhaltende Frist
hingewiesen worden, weil sein Prozessbevollmächtigter davon ausgegangen sei, dass das Schreiben vom 31. Oktober 2007 ihn tatsächlich
erreicht habe. Noch am 29. November 2007 habe er seinem Prozessbevollmächtigten, den er telefonisch nicht persönlich erreicht
habe, einen Auftrag zur Einlegung der Berufung auf der T-Box hinterlassen. Über die hinterlassene Nachricht sei sein Prozessbevollmächtigter
nicht - wie bislang stets - benachrichtigt worden. Erst im Rahmen eines Telefonats am 4. Dezember 2007 habe dieser davon erfahren.
Das Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg hat die Berufung als unzulässig verworfen (Beschluss vom 2. Juni 2008). Zur
Begründung hat das LSG ausgeführt, die einmonatige Berufungsfrist sei zum Zeitpunkt der Einlegung der Berufung auf Grund des
Verschuldens des Klägers nicht eingehalten worden. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen
der Versäumung der Berufungsfrist lägen nicht vor. Der Kläger hätte aus dem am 29. November 2007 erhaltenen Schreiben, in
dem unter Verwendung des Superlativs "baldmöglichst" um Rückäußerung bis Mittwoch (28. November 2007) gebeten worden sei,
und dem dort enthaltenen Hinweis, die Berufungsfrist ende "demnächst", erkennen können, dass die Frist innerhalb allerkürzester
Zeit ablaufe. Angesichts der vor Fristablauf erhöhten Sorgfaltspflicht hätte es der Kläger nicht bei der auf der Nachrichtenbox
hinterlassenen Auftragserteilung belassen dürfen, sondern sich noch am selben Tag wegen der für ihn erkennbaren außerordentlichen
Dringlichkeit um einen persönlichen Kontakt mit seinem Anwalt oder dessen Bediensteten bemühen müssen, um zumindest in Erfahrung
zu bringen, ob seine Nachricht zur Kenntnis genommen worden sei.
Mit der Beschwerde rügt der Kläger einen Verfahrensmangel. Das LSG hätte ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bewilligen
müssen mit der Folge, dass die gegen den Gerichtsbescheid eingelegte Berufung nicht als unzulässig hätte verworfen werden
dürfen.
II
Ob die Beschwerde zulässig ist, kann offen bleiben. Der geltend gemachte Zulassungsgrund eines Verfahrensmangels, auf dem
die Entscheidung des LSG beruhen kann (§
160 Abs
2 Nr
3 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), liegt jedenfalls nicht vor.
Letztlich bedarf die Frage der Zulässigkeit keiner abschließenden Entscheidung. Denn das LSG hat zu Recht eine Wiedereinsetzung
in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist abgelehnt; insoweit wird auf die zutreffenden Gründe der Entscheidung
des LSG verwiesen. Der Kläger konnte anhand des Schreibens vom 26. November 2007, das ihn noch vor Ablauf der Berufungsfrist
erreicht hatte, ohne weiteres erkennen, dass die Berufungsfrist abzulaufen drohte, auch wenn er das genaue Fristende nicht
kannte (dazu unten). Er hätte sich deshalb unter Berücksichtigung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht darauf verlassen
dürfen, dass seine Nachricht, die er auf dem Anrufbeantworter der Kanzlei hinterlassen hatte, seinen Prozessbevollmächtigten
rechtzeitig erreichen würde, sondern hätte sich angesichts der kurz vor Ablauf der Frist erhöhten Sorgfaltspflicht (BSG, Beschluss
vom 2. Februar 2006 - B 9a V 46/05 B; Urteil vom 26. August 1994 - 13 RJ 11/94) bemühen müssen, sich rückzuversichern.
Zudem liegt hinsichtlich der Unkenntnis des Klägers, wann die Berufungsfrist endet, ein Anwaltsverschulden vor, das einem
Verschulden des Klägers gleichsteht (§
73 Abs
4 SGG iVm §
85 Abs
2 Zivilprozessordnung). Die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts verlangen grundsätzlich, den Mandanten vom Inhalt einer gegen ihn ergangenen
Entscheidung sowie über die Möglichkeiten, gegen sie Rechtsbehelfe zu ergreifen und über die dabei einzuhaltenden Fristen
zu unterrichten (BGH, Beschluss vom 1. Oktober 1992 - IX ZB 41/92; Beschluss vom 5. Mai 1986 II - ZR 102/86; BFH, Urteil vom 7. Dezember 1995 - III R 12/91). Hierzu gehört es auch, den Ablauf der Berufungsfrist konkret zu berechnen und dem Mandanten das Datum des Fristablaufs,
also den letzten Tag der Frist, mitzuteilen, damit dieser erkennen kann, wie viel Zeit ihm bleibt, sich über die Einlegung
eines Rechtsbehelfs schlüssig zu werden. In dem Schreiben vom 26. November 2007 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers
nur darauf hingewiesen, dass die Berufungsfrist "demnächst" ende. Der Kläger musste sich im Hinblick hierauf zwar darüber
im Klaren sein, dass Eile geboten ist (siehe dazu oben), konnte aber nicht überblicken, ob und welche Überlegungsfrist ihm
bleibt.
Soweit nach den Angaben des Prozessbevollmächtigten des Klägers in dem Schreiben vom 26. November 2007 "ein weiterer Hinweis
auf die dabei einzuhaltende Frist" unterblieben ist, weil der Kläger hierüber bereits mit Schreiben vom 31. Oktober 2007 unterrichtet
worden sei, dieses Schreiben den Kläger zwar nicht erreicht habe, er hiervon aber keine Kenntnis haben konnte, übersieht er,
dass in diesem Schreiben nur darauf hingewiesen wurde, die Berufung sei "innerhalb eines Monats ab Zustellung" einzulegen.
Eine konkrete Fristenberechnung fehlte. Da noch nicht einmal das Zustellungsdatum mitgeteilt wurde, wurde der Kläger auch
nicht in die Lage versetzt, das Fristende selbst zu berechnen, was ohnehin nicht seine Aufgabe war. Deshalb wäre der Klägervertreter
- gerade wenn er davon ausgehen konnte, dass das Schreiben vom 5. Dezember 2007 seinen Mandanten erreicht hat - kurz vor Ablauf
der Berufungsfrist gehalten gewesen, den zunächst unterlassenen Hinweis auf das genaue Ende der Frist nachzuholen. Ob darüber
hinaus ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten auch darin zu sehen ist, dass er die T-Box der Kanzlei nicht täglich abhört,
sondern sich darauf verlässt, dass er über eingegangene Anrufe informiert wird, kann hier dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.