Schwerbehindertenrecht
Entziehung der Merkzeichen G und B
Grundsatzrüge
Anforderungen an eine Beschwerdebegründung
Unzulässige Rüge der Richtigkeit der angegriffenen Entscheidung
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren
und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich sowie klärungsbedürftig und über
den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist.
2. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung
und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung aus
Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung
erwarten lässt.
3. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen: (1) eine bestimmte Rechtsfrage,
(2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4) die über den Einzelfall hinausgehende
Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung.
4. Soweit eine Entscheidung des LSG als fehlerhaft angesehen wird, reicht dies für eine Zulassung der Revision nicht aus.
Gründe:
I
In der Hauptsache wendet sich die Klägerin noch gegen die Entziehung der Merkzeichen G und B, nachdem die Beklagte von einer
Herabsetzung des Grades der Behinderung (GdB) von 60 auf 40 für das bei ihr bestehende Anfallsleiden abgesehen hatte (Bescheid
vom 8.9.2010 [korrigiert], Teilabhilfebescheid vom 27.1.2011[korrigiert], Widerspruchsbescheid vom 15.3.2011). Im Klageverfahren
holte das SG auf Antrag der Klägerin ein Gutachten der behandelnden Neurologin und Psychiaterin ein, wonach die Voraussetzungen für die
begehrten Merkzeichen weiterhin gegeben seien. Das SG hat die Klage abgewiesen und zur Begründung ua ausgeführt, die Bewertung der Sachverständigen sei nicht nachvollziehbar.
Auf der Grundlage der medizinischen Erkenntnisse fehle es an den Voraussetzungen für das Merkzeichen G nach Anlage Teil D
Nr 1 Buchst f zu § 2 Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) und in der Folge auch an denen des Merkzeichens B nach Nr 2 (Urteil vom 3.9.2013). Das LSG hat die Berufung der Klägerin
nach Einholung weiterer Befundberichte zurückgewiesen. Zur Begründung hat es unter Bezug auf die erstinstanzliche Entscheidung
ergänzend angeführt, bei einem GdB von unter 80 komme eine zur Anerkennung von Merkzeichen G führende Beeinträchtigung der
Bewegungsfähigkeit nur in besonders gelagerten Einzelfällen in Betracht. Ein solcher sei angesichts der geringen Ausprägung
trotz der Kombination der Einzelbehinderungen von Anfallsleiden, Hörbehinderung und Sehschwäche nicht festzustellen (Beschluss
vom 6.6.2016).
Mit ihrer Beschwerde wendet sich die Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Beschluss des LSG und macht die grundsätzliche
Bedeutung und Verfahrensmängel geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen, da
die aufgeführten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und des Verfahrensmangels (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht ordnungsgemäß dargetan worden sind (vgl §
160a Abs
2 S 3
SGG).
1. Wer sich auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§
160 Abs
2 Nr
1 SGG) beruft, muss eine Rechtsfrage klar formulieren und ausführen, inwiefern die Frage im angestrebten Revisionsverfahren entscheidungserheblich
sowie klärungsbedürftig und über den Einzelfall hinaus von Bedeutung ist (vgl zB BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 21 S 38; BSG SozR 3-4100 § 111 Nr 1 S 2 f; siehe auch BSG SozR 3-2500 § 240 Nr 33 S 151 f mwN). Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts sowie unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen
Rechtsprechung und des Schrifttums angeben, welche Rechtsfragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb
eine Klärung aus Gründen der Rechtseinheit oder Rechtsfortbildung erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren
eine Klärung erwarten lässt. Um seiner Darlegungspflicht zu genügen, muss der Beschwerdeführer mithin Folgendes aufzeigen:
(1) eine bestimmte Rechtsfrage, (2) ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, (3) ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit sowie (4)
die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung, also eine Breitenwirkung (vgl BSG SozR 1500 § 160 Nr 17; BSGE 40, 158 = SozR 1500 § 160a Nr 11; BSG SozR 1500 § 160a Nr 7, 13, 31, 59, 65). Diesen Anforderungen genügt die vorliegende Beschwerdebegründung nicht.
Die Klägerin formuliert ausdrücklich keine Rechtsfrage. Soweit sie sinngemäß die Frage aufwirft, welche Kriterien bei der
Bestimmung eines besonders gelagerten Einzelfalls iS der Anlage Teil D Nr 1 Buchst f zu § 2 VersMedV aufzustellen sind, zeigt sie den Klärungsbedarf nicht auf. Insoweit hätte es einer Auseinandersetzung mit der vorhandenen
Rechtsprechung bedurft, die schon zu den - der Anlage zu § 2 VersMedV vorausgehenden - Anhaltspunkten für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht Berücksichtigung gefunden
hatte (AHP Nr 30 Abs 5) und davon ausgegangen ist, dass die dort beschriebenen Regelfälle bzw Regelbeispiele, bei denen die
Voraussetzungen für das Merkzeichen G nach dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse als erfüllt anzusehen
sind, den Vergleichsmaßstab auch für die dort nicht erwähnten Behinderungen bilden (vgl BSG SozR 3-3870 § 60 Nr 2; BSG SozR 4-3250 § 69 Nr 21). Hiervon ausgehend hätte es nahegelegen aufzuzeigen, an welcher Stelle gleichwohl noch näherer Präzisierungsbedarf
vorhanden sein könnte. Stattdessen beschränkt sich die Beschwerdebegründung darauf zu beanstanden, dass das LSG hierzu keine
Kriterien aufgestellt hat. Soweit die Entscheidung des LSG damit als fehlerhaft angesehen wird, reicht dies für eine Zulassung
der Revision nicht aus (BSG SozR 1500 § 160a Nr 7).
2. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels (§
160a Abs
2 S 3
SGG) zunächst die den Verfahrensmangel (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert dargetan werden. Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbs 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel dabei nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 S 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist.
Die Beschwerdebegründung rügt eine Verletzung der Amtsermittlungspflicht (§
103 SGG) und trägt vor, das LSG habe den im Schriftsatz vom 27.5.2014 gestellten Beweisantrag auf Einholung eines fachübergreifenden
medizinischen Sachverständigengutachtens zur Frage der Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit nicht stattgegeben, so dass
ein besonders gelagerter Einzelfall nicht habe festgestellt werden können. Damit legt sie weder einen ordnungsgemäßen Beweisantrag
noch deren Übergehen durch die Vorinstanz dar.
Wird ein Verstoß gegen die tatrichterliche Sachaufklärungspflicht gerügt, muss die Beschwerdebegründung hierzu folgende Punkte
enthalten: (1) Bezeichnung eines für das Revisionsgericht ohne Weiteres auffindbaren Beweisantrags, dem das LSG nicht gefolgt
ist, (2) Wiedergabe der Rechtsauffassung des LSG, aufgrund derer bestimmte Tatfragen als klärungsbedürftig hätten erscheinen
und zur weiteren Sachaufklärung drängen müssen, (3) Angabe des voraussichtlichen Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme
und (4) Schilderung, dass und warum die Entscheidung des LSG auf einer angeblich fehlerhaft unterlassenen Beweisaufnahme beruhen
kann, das LSG mithin bei Kenntnis des behaupteten Ergebnisses der unterbliebenen Beweisaufnahme von seinem Standpunkt aus
zu einem anderen, dem Beschwerdeführer günstigeren Ergebnis hätte gelangen können (BSG Beschluss vom 2.4.2015 - B 13 R 361/14 B mwN - Juris).
Es ist schon zweifelhaft, ob die bereits im Berufungsverfahren anwaltlich vertretene Klägerin mit der Rüge des Übergehens
eines Beweisantrags gehört werden kann, wenn sie in der Beschwerdebegründung nicht darlegt, dass der schriftsätzliche Beweisantrag
im Beschlussverfahren (§
153 Abs
4 S 1
SGG) nach Erhalt einer ersten Anhörungsmitteilung (§
153 Abs
4 S 2
SGG) gestellt wurde und nach einer zweiten Anhörungsmitteilung nicht wiederholt zu werden brauchte, weil sich trotz zwischenzeitlicher
Ermittlungen keine Änderung des Sach- und Streitstands ergeben hatte (vgl BSG SozR 4-1500 § 160 Nr 11 und Nr 12).
Jedenfalls legt die Klägerin nicht dar, weshalb nach den dem LSG vorliegenden Beweismitteln Fragen zum tatsächlichen und medizinischen
Sachverhalt aus der rechtlichen Sicht des LSG erkennbar offengeblieben sind und damit zu einer weiteren Aufklärung des Sachverhalts
zwingende Veranlassung bestanden haben soll. Soweit sie in diesem Zusammenhang meint, dass LSG habe von den von der Sachverständigen
in ihrem Gutachten gezogenen Schlussfolgerungen nur unter Zuhilfenahme eines weiteren Sachverständigengutachtens abweichen
dürfen, legt die Beschwerdebegründung keine Anmaßung eigener Sachkunde des Gerichts dar, sondern behauptet im Kern, dass anhand
der erhobenen Befunde unter Berücksichtigung der Vorgaben der VersMedV (Teil D Nr 1 Buchst d bis f der Anlage zu §
2) nur die Auffassung der §
109-
SGG- Gutachterin nachvollziehbar und schlüssig sei. Die damit einhergehende Prüfung und Würdigung ist indessen gerade richterliche
Aufgabe (vgl BSG Beschluss vom 27.5.2015 - B 9 SB 66/14 B - Juris). Die behaupteten Mängel der Beweiswürdigung (§
128 Abs
1 S 1
SGG) vermögen die Zulassung der Revision - wie ausgeführt - nicht zu begründen.
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 S 1 Halbs 2, §
169 SGG).
4. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 S 2 Halbs 2
SGG).
5. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.