Feststellung der Voraussetzungen für einen Grad der Behinderung
Verfahrensrüge im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren
Gründe
I
In der Hauptsache begehrt der Kläger ua wegen eines Multiple Chemical Sensitivity (MCS)-Syndroms die Feststellung der Voraussetzungen
für einen Grad der Behinderung (GdB) von 70 statt der bisher zuerkannten 30. Der dahingehende Antrag blieb bei dem Beklagten
erfolglos. Das SG hat nach Einholung einer sachverständigen Zeugenauskunft beim behandelnden HNO-Arzt sowie neurologisch-psychiatrischer Begutachtung
durch R und dessen Bewertung einer vorgefundenen mittelschweren Neurasthenie mit einem GdB von 40 die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 17.9.2018). Das LSG hat den Sachverständigen R ergänzend gehört und ein weiteres neurologisch-psychiatrisches Gutachten nach §
109 SGG durch K1 eingeholt, welche die durch ein MCS-Syndrom induzierten gesundheitlichen Störungen mit einer schweren Herzerkrankung
gleichgesetzt und die Teilhabeeinschränkungen insgesamt mit einem GdB von mindestens 70 bewertet hat. Das LSG hat sich maßgeblich
auf die Ausführungen des Sachverständigen R gestützt, den GdB abweichend hiervon im Hinblick auf die insgesamt verbliebenen
Teilhabemöglichkeiten mit 30 bewertet und die Berufung des Klägers zurückgewiesen (Urteil vom 20.8.2020).
Mit seiner Beschwerde wendet sich der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision und macht Verfahrensfehler durch Verletzung
des rechtlichen Gehörs und der Amtsermittlungspflicht geltend.
II
Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Begründung genügt nicht den gesetzlichen Anforderungen. Der
Kläger hat die von ihm geltend gemachten Verfahrensmängel (§
160 Abs
2 Nr
3 SGG) nicht ordnungsgemäß bezeichnet (§
160a Abs
2 Satz 3
SGG).
1. Wird eine Nichtzulassungsbeschwerde darauf gestützt, dass ein Verfahrensmangel vorliege, auf dem die angefochtene Entscheidung
beruhen könne (§
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 1
SGG), so müssen bei der Bezeichnung des Verfahrensmangels zunächst die diesen (vermeintlich) begründenden Tatsachen substantiiert
dargetan werden. Darüber hinaus ist die Darlegung erforderlich, dass und warum die Entscheidung des LSG - ausgehend von dessen
materieller Rechtsansicht - auf dem Mangel beruhen kann, dass also die Möglichkeit einer Beeinflussung des Urteils besteht.
Gemäß §
160 Abs
2 Nr
3 Halbsatz 2
SGG kann der geltend gemachte Verfahrensmangel allerdings nicht auf eine Verletzung der §§
109 und
128 Abs
1 Satz 1
SGG und auf eine Verletzung des §
103 SGG nur gestützt werden, wenn er sich auf einen Beweisantrag bezieht, dem das LSG ohne hinreichende Begründung nicht gefolgt
ist. Den sich daraus ergebenden Anforderungen ist die Beschwerdebegründung nicht gerecht geworden.
Anders als rechtlich geboten hat der Kläger bereits den Sachverhalt, der dem angefochtenen Urteil des LSG zugrunde liegt,
nicht hinreichend mitgeteilt. Seinen Schilderungen können allenfalls Fragmente der entscheidungserheblichen Tatsachen entnommen
werden. Eine verständliche Sachverhaltsschilderung gehört jedoch zu den Mindestanforderungen an die Darlegung bzw Bezeichnung
eines Revisionszulassungsgrundes; denn es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, sich im Rahmen des Nichtzulassungsbeschwerdeverfahrens
die maßgeblichen Tatsachen aus dem angegriffenen Urteil selbst herauszusuchen (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 6.8.2019 - B 9 V 14/19 B - juris RdNr 4 mwN).
Der Kläger bezeichnet auch die von ihm geltend gemachten Verfahrensfehler nicht hinreichend.
Der Kläger zeigt keine Verletzung rechtlichen Gehörs in Form des gesetzlichen Fragerechts aus §
116 Satz 2, §
118 Abs
1 Satz 1
SGG iVm §§
397,
402,
411 Abs
4 ZPO auf. Er wirft dem LSG allerdings vor, es habe sein gesetzliches Recht auf Befragung der Sachverständigen R und K1 verletzt.
Die Ausübung des Fragerechts an den Sachverständigen setzt unbeschadet seiner grundsätzlichen Beschränkung auf gerichtliche
Gutachten im selben Rechtszug (Senatsbeschluss vom 12.10.2017 - B 9 V 32/17 B - juris RdNr 16) stets eine hinreichend konkrete Bezeichnung der noch erläuterungsbedürftigen Punkte voraus. Dafür muss ein rechtskundig vertretener
Beteiligter die im bisherigen Verfahren zu den beabsichtigten Fragen bereits getroffenen medizinischen Feststellungen der
Sachverständigen näher benennen, sodann auf dieser Grundlage auf Lücken, Widersprüche oder Unklarheiten in dessen Ausführungen
hinweisen und davon ausgehend schließlich die konkret - aus seiner Sicht - noch erläuterungsbedürftigen Punkte formulieren
(Senatsbeschluss vom 5.7.2018 - B 9 SB 26/18 B - juris RdNr 9). Die Beschwerdebegründung beschränkt sich stattdessen unzulässig darauf, dem Sachverständigen R Versäumnisse vorzuwerfen
bzw hinsichtlich des Gutachtens von K1 eine Vielzahl von Fragen aus früheren Schriftsätzen zu formulieren, mit denen sich
das LSG nicht oder nur unzureichend befasst habe. Diese Angaben liefern dem Senat keine ausreichende Grundlage, um die Voraussetzungen
einer Verletzung des Fragerechts, wie erforderlich, allein auf der Grundlage der Beschwerdebegründung zu beurteilen. Hinsichtlich
einer in diesem Kontext ggf weiter geltend gemachten Anhörung des K2 unterlässt der Kläger darüber hinaus jede Auseinandersetzung,
ob und inwieweit das von diesem erstellte Privatgutachten überhaupt dem gesetzlichen Fragerecht unterfällt (vgl BVerwG Beschluss vom 21.9.1994 - 1 B 131/93 - juris RdNr 13 f).
Auch die darüber hinaus gerügte Verletzung rechtlichen Gehörs (vgl Art
103 Abs
1 GG, §
62 SGG) hat der Kläger nicht ausreichend dargelegt. Der Kläger sieht seinen Anspruch auf rechtliches Gehör auch dadurch verletzt,
dass das LSG weder die Ehefrau zu seinen Leistungseinschränkungen und Beschwerden noch den K2 zu den in seinem Privatgutachten
festgestellten massiven Hirnleistungsstörungen und den behandelnden HNO-Arzt zu dessen Befunden angehört habe, ferner das
LSG dem Kläger die Aufzeichnungen des Sachverständigen R über die seinem Gutachten zugrunde gelegten Messergebnisse vorenthalten
habe. Der Grundsatz rechtlichen Gehörs gebietet allerdings, dass die gerichtliche Entscheidung nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse
gestützt werden darf, zu denen sich die Beteiligten äußern konnten (§
128 Abs
2 SGG). Dem Gebot ist indes Genüge getan, wenn die Beteiligten die maßgeblichen Tatsachen erfahren und ausreichend Gelegenheit haben,
sachgemäße Erklärungen innerhalb einer angemessenen Frist vorzubringen (stRspr; zB BSG Beschluss vom 7.6.2016 - B 13 R 40/16 B - juris RdNr 9; BVerfG Beschluss vom 29.5.1991 - 1 BvR 1383/90 - juris RdNr 7). Der Kläger zeigt nicht auf, wieso ihn das LSG daran gehindert haben könnte, die von ihm angeführten Leistungseinschränkungen
(ua mit Hilfe der Ehefrau bei der Exploration durch K1) aufzuzeigen, sich zu den Messergebnissen des gerichtlichen Sachverständigen
und zu den vom behandelnden Arzt und Privatgutachter mitgeteilten Diagnosen und Befunden zu äußern. Die von ihm zitierten
zahlreichen Schriftsätze belegen das Gegenteil. Der Kläger berücksichtigt nicht, dass der Anspruch auf rechtliches Gehör nur
gewährleistet, dass er mit seinem Vortrag "gehört", nicht jedoch "erhört" wird (vgl stRspr; zB BSG Beschluss vom 10.10.2017 - B 13 R 234/17 B - juris RdNr 6 mwN).
Der Kläger zeigt mit seinem Vorbringen auch keine auf Mängel in der Erkenntnisgrundlage hinweisende Verletzung der Amtsermittlungspflicht
(§
103 SGG) auf. Will der Kläger eine Sachaufklärungsrüge anbringen, muss die Beschwerdebegründung (1) einen für das Revisionsgericht
ohne Weiteres auffindbaren, bis zuletzt aufrechterhaltenen oder im Urteil wiedergegebenen Beweisantrag bezeichnen, dem das
LSG nicht gefolgt ist, (2) die Rechtsauffassung des LSG wiedergeben, auf deren Grundlage bestimmte Tatfragen klärungsbedürftig
hätten erscheinen müssen, (3) die von dem Beweisantrag betroffenen tatsächlichen Umstände aufzeigen, die zu weiterer Sachaufklärung
Anlass gegeben hätten, (4) das voraussichtliche Ergebnis der unterbliebenen Beweisaufnahme angeben und (5) erläutern, weshalb
die Entscheidung des LSG auf der unterlassenen Beweiserhebung beruhen kann (stRspr; zB Senatsbeschluss vom 26.2.2018 - B 9 SB 84/17 B - juris RdNr 5; BSG Beschluss vom 22.7.2010 - B 13 R 585/09 B - juris RdNr 10; jeweils mwN). Selbst wenn mit der Beschwerdebegründung insoweit insgesamt prozessordnungsgemäße Beweisanträge bezeichnet worden sein sollten
(vgl hierzu Senatsbeschluss vom 27.8.2020 - B 9 SB 4/20 B - juris RdNr 10 mwN), versäumt diese jedenfalls eine nachvollziehbare Auseinandersetzung, wieso die davon betroffenen Tatumstände angesichts der
bereits vorhandenen Erkenntnisse zum Gesundheitszustand weitere Ermittlungen nötig gemacht haben sollten. Entgegen den Ausführungen
in der Beschwerdebegründung musste sich das LSG nicht aufgrund der abweichenden Feststellungen zu seinem Gesundheitszustand
durch unterschiedliche Sachverständige, Behandler oder sonstige Personen zu weiteren Ermittlungen veranlasst sehen. Grobe
Mängel oder unlösbare Widersprüche in dem vom LSG seiner Entscheidung zugrunde gelegten Sachverständigengutachten zeigt der
Kläger ebenso wenig auf wie unzutreffende sachliche Voraussetzungen oder Zweifel an der Sachkunde des neurologisch-psychiatrischen
Gutachters (vgl stRspr; zB Senatsbeschluss vom 29.1.2018 - B 9 V 39/17 B - juris RdNr 12 f). Der angeführte Mangel an Übereinstimmung unter den befassten Behandlern und Gutachtern ist insoweit unzureichend. Anhaltspunkte
für eine unzutreffende Wiedergabe der vom gerichtlichen Sachverständigen ermittelten Messergebnisse in dessen Gutachten zeigt
der Kläger nicht auf. Der Vorwurf der geringeren Kompetenz des medizinischen Sachverständigen gegenüber dem psychologischen
Gutachter geht gemessen an den im Raum stehenden versorgungsmedizinischen Fragen über eine bloße Behauptung nicht hinaus.
2. Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl §
160a Abs
4 Satz 2 Halbsatz 2
SGG).
3. Die Beschwerde ist somit ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter zu verwerfen (§
160a Abs
4 Satz 1 Halbsatz 2, §
169 Satz 2 und
3 SGG).
4. Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des §
193 SGG.