Zehnjahresfrist zur Herabsetzung der MdE wegen Besserung des Gesundheitszustandes in der Kriegsopferversorgung im Beitrittsgebiet
Gründe:
I
Der Rechtsstreit betrifft die Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) für die Feststellung des Versorgungsanspruchs
des verstorbenen Ehemanns der Revisionsklägerin (im Folgenden: K) nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG).
Der 1915 geborene, in Sachsen-Anhalt ansässig gewesene K erlitt als Soldat der deutschen Wehrmacht am 16. April 1944 infolge
einer Minenexplosion einen Bruch des linken Oberschenkelhalses. Auf seinen am 5. Februar 1991 gestellten Antrag auf Gewährung
von Beschädigtenversorgung nach dem BVG erkannte das Amt für Versorgung und Soziales in Magdeburg mit Bescheid vom 16. Dezember 1991 als Schädigungsfolgen an: "Versteifung
des linken Hüftgelenkes mit Pseudarthrose des linken Schenkelhalses und Beinverkürzung links um 5 cm", stellte eine MdE um
70 vH fest und gewährte Beschädigtenversorgung mit Wirkung ab dem 1. Januar 1991. In der "Anlage zur Ergänzung des Bescheides
des Amtes für Versorgung und Soziales Magdeburg vom 16. Dezember 1991" wurde - gestützt auf die Regelung in § 22 Abs 4 Satz 1 Gesetz über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) - unter der Ziffer 1. ausgeführt, der Bescheid ergehe im Hinblick auf nur in Kopie vorliegende Unterlagen (Geburtsurkunde,
Heiratsurkunde, medizinischer Ausweis, Lazarettbefund) sowie hinsichtlich der "Rente der SV ab 1.7.91" unter Vorbehalt; unter
Ziffer 2. wurde angegeben, es sei zunächst nur über einen Teil der Versorgung entschieden worden, nach weiterer Überprüfung
unter ärztlicher Beteiligung könne sich eine Veränderung der Leistungen ergeben, und es werde noch geprüft, ob K ein Berufsschadensausgleich
zustehe; unter Ziffer 3. wurde K mitgeteilt, die Höhe des Einkommens schließe die Gewährung einer Ausgleichsrente und eines
Ehegattenzuschlags aus.
Nachdem K am 7. Juli 1992 ein künstliches linkes Hüftgelenk erhalten hatte, hob das Amt für Versorgung und Soziales in Magdeburg
den Bescheid vom 16. Dezember 1991 mit Wirkung vom 1. August 1995 teilweise auf und setzte die Versorgungsbezüge nach einer
MdE um 60 vH fest, wobei es die Schädigungsfolgen nunmehr wie folgt feststellte: "1. Künstliches Hüftgelenk links, Beinverkürzung
links 5 cm, reizlose Narbe an der linken Hüfte und Muskelatrophie des linken Beines, 2. reizlose Narbe am rechten Unterschenkel,
3. reizloser Granatsplitter in der Rückenmuskulatur und reizlose Narbe am Rücken" (Bescheid vom 21. Juni 1995).
Während des Verfahrens des Widerspruchs gegen den vorgenannten Bescheid lehnte das Amt für Versorgung und Soziales in Magdeburg
mit Bescheid vom 25. November 1998 die Anerkennung einer Versteifung des gesamten linken Beines und eines Belastungsschmerzes
rechts als weitere Schädigungsfolgen ab. Es wies sodann den Widerspruch mit Bescheid vom 15. Dezember 1998 zurück.
Das von K angerufene Sozialgericht Stendal (SG) hat mit Urteil vom 25. Juli 2001 die Bescheide des Beklagten vom 21. Juni 1995 und 25. November 1998 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 15. Dezember 1998 geändert und den Beklagten verurteilt, K Beschädigtenversorgung nach einer MdE
um 70 vH ab dem 1. August 1995 zu gewähren. Die Schädigungsfolgen hat es wie folgt bezeichnet: "Bewegungseinschränkung erheblichen
Grades des linken Hüftgelenks nach Versorgung mit einer Totalendoprothese, Beinverkürzung links um 5 cm, Muskelatrophie des
linken Beines, reizlose Narben an der linken Hüfte, am rechten Unterschenkel und am Rücken, reizlose Granatsplitter in der
Rückenmuskulatur".
Auf die Berufung des Beklagten hat das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt (LSG) mit Urteil vom 1. September 2004 das Urteil
des SG geändert und die Klage abgewiesen, soweit der Beklagte zur Gewährung von Beschädigtenversorgung über den 31. Juli 1995 hinaus
nach einer MdE um 70 vH verurteilt worden war. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Der Beklagte habe zu Recht
durch Bescheid vom 21. Juni 1995 die Beschädigtenversorgung des K ab dem 1. August 1995 neu festgesetzt und dabei nur noch
eine MdE um 60 vH zu Grunde gelegt. Das Urteil des SG habe nur insoweit Bestand, als darin die Schädigungsfolgen neu bezeichnet worden seien; daraus folge aber keine höhere MdE,
nachdem infolge der Implantation eines künstlichen Hüftgelenks im Juli 1992 die Beweglichkeit des Hüftgelenks verbessert worden
sei. Darin liege eine wesentliche Änderung der tatsächlichen Verhältnisse, die unter Beachtung der Anhaltspunkte für die ärztliche
Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz von 1983 zu einer Neubewertung der
Einzel-MdE für die Schädigung des Hüftgelenks und infolge dessen zu einer veränderten Gesamt-MdE führe. Der Herabsetzung der
MdE von 70 vH auf 60 vH stehe § 62 Abs 3 BVG nicht entgegen, denn nach der erstmaligen Festsetzung der MdE mit Bescheid vom 16. Dezember 1991 sei bis zur "Herabstufung"
mit Bescheid vom 21. Juni 1995 noch kein Zeitraum von zehn Jahren vergangen; für eine sinngemäße Anwendung der Vorschrift
bestehe kein Raum.
Während des Verfahrens der Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des LSG ist K am 2. April 2005 verstorben.
Seine Ehefrau hat das Verfahren vor dem Bundessozialgericht (BSG) aufgenommen. Mit ihrer - vom Senat zugelassenen - Revision
rügt sie eine Verletzung von Bundesrecht:
Der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art
3 Abs
1 Grundgesetz (
GG) gebiete eine analoge Anwendung von § 62 Abs 3 BVG. Diese Vorschrift enthalte insoweit eine Regelungslücke, als der besonderen Lage der Kriegsbeschädigten in den neuen Bundesländern
nicht Rechnung getragen worden sei. Hätte der Beklagte § 62 Abs 3 BVG analog angewendet, weil sich die MdE ihres Ehemannes mindestens seit zehn Jahren vor der ersten Feststellung der MdE 1991
nicht verändert gehabt habe, wäre eine erneute Untersuchung und damit eine Herabstufung der MdE nicht erfolgt. Die Erstfassung
dieser Vorschrift, der noch eine Altersgrenze von 60 Jahren zu Grunde gelegen habe, sei mit der Absicht eingeführt worden,
eine Behelligung älterer Versorgungsempfänger durch medizinische Ermittlungen über den seinerzeitigen und derzeitigen Gesundheitszustand
möglichst zu vermeiden und so auch die Verwaltungsarbeit zu vereinfachen. Bei Herabsetzung der Altersgrenze auf die Vollendung
des 55. Lebensjahres habe der Gesetzgeber angenommen, dass eine Besserung des schädigungsbedingten Leidens bei Beschädigten
nach Vollendung des 55. Lebensjahres nur selten eintrete.
Die Vorschrift laufe für den Großteil der Kriegsbeschädigten in den neuen Bundesländern aus Altersgründen leer, wenn auch
bei ihnen - bezogen auf die letzte MdE-Feststellung - die Zehnjahresfrist angewendet werde. Diese Frist müsse im Hinblick
auf das hohe Alter der Berechtigten mindestens angemessen reduziert werden. Bei Feststellung des Versorgungsanspruchs im Gutachten
vom 27. April 1994 habe ihr Ehemann vor der Vollendung des 79. Lebensjahres und damit 24 Jahre nach der in § 62 Abs 3 BVG genannten Altersgrenze gestanden. Die Zehnjahresfrist des § 62 Abs 3 BVG hätte er erst kurz vor Erreichen des 89. Lebensjahres erfüllt gehabt.
Die Notwendigkeit einer entsprechenden Anwendung des § 62 Abs 3 BVG folge aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 14. März 2000 (1 BvR 284/96). Danach sei es mit Art
3 Abs
1 GG unvereinbar und nichtig, wenn die Beschädigtengrundrente des BVG auch nach dem 31. Dezember 1998 im Beitrittsgebiet anders berechnet würde als im übrigen Bundesgebiet. Zwar habe der Gesetzgeber
laut BVerfG erst im Dezember 1998 erkennen können, dass die Leistungen der Kriegsopferversorgung Ost das Leistungsniveau im
Westen in absehbarer Zeit und damit zu Lebzeiten der Anspruchsberechtigten nicht erreichen würde. Das Leerlaufen der Bestandsgarantie
des § 62 Abs 3 BVG sei demgegenüber schon 1991 absehbar gewesen. Eine verfassungsrechtliche Gleichbehandlung gebiete die Bestandsgarantie schon
mit der ersten MdE-Festsetzung. Die Kriegsbeschädigten hätten in den neuen Bundesländern lange auf eine finanzielle Anerkennung
ihres Sonderopfers warten müssen.
Auch im Hinblick auf die Regelungen in § 40b Abs 5, § 48 Abs 6 BVG sei der fehlende Besitzschutz für Beschädigte unverständlich. Eine in § 40b Abs 5 BVG vorgesehene Fiktion fehle in § 62 Abs 3 BVG. Das vom Beklagten angeführte Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung vom 30. Januar 1997 sei nicht
dazu geeignet, ein einheitliches Handeln der Versorgungsverwaltung herbeizuführen. Davon könnten insbesondere Berechtigte
wie ihr Ehemann nicht profitieren, deren MdE bereits vor dem 1. Januar 1997 herabgesetzt worden sei.
Die Klägerin beantragt sinngemäß,
das Urteil des LSG vom 1. September 2004 aufzuheben und die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des SG vom 25. Juli 2001 zurückzuweisen.
Der Beklagte beantragt unter näherer Darlegung,
die Revision zurückzuweisen.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt
(§ 124 Abs 2 Sozialgerichtgesetz >SGG<).
II
Die zulässige Revision ist nicht begründet.
Wie das LSG zutreffend entschieden hat, war der Beklagte berechtigt, durch den Bescheid vom 21. Juni 1995 die für die Bemessung
der dem K gewährten Beschädigtenversorgung maßgebliche MdE mit Wirkung vom 1. August 1995 von 70 vH auf 60 vH herabzusetzen
(vgl §§ 1, 30, 31 BVG).
1. Die Befugnis des Beklagten zur Herabsetzung der mit Bescheid vom 16. Dezember 1991 festgestellten MdE ergibt sich nicht
bereits aus einem diesem Verwaltungsakt beigegebenen Vorbehalt. Allerdings ist der Bescheid vom 16. Dezember 1991 in bestimmter
Beziehung - gestützt auf § 22 Abs 4 Satz 1 KOVVfG - unter Vorbehalt ergangen. Insoweit ist allerdings schon fraglich, ob sich der Beklagte des genannten Vorbehalts berühmen
könnte, nachdem der von § 22 Abs 4 Satz 1 KOVVfG vorausgesetzte Antrag des Beschädigten auf alsbaldige Erteilung eines solchen vorläufigen Bescheides ersichtlich nicht vorliegt.
Anders als es das SG dargestellt hat (vgl dessen Urteilsgründe auf S 7 und 8), betrafen die in der "Anlage" zu diesem Bescheid erklärten Vorbehalte
aber auch nicht die hier einschlägige Frage der (medizinischen) MdE für die festgestellten Schädigungsfolgen. Die von dem
Vorbehalt gemäß § 22 Abs 4 KOVVfG erfassten Teile der Entscheidung sind genau bezeichnet worden, zu diesen gehört nicht die Frage der medizinischen MdE. Soweit
die "Anlage" zum Bescheid unter Ziffer 2 die Aussage trifft, es sei zunächst nur über einen Teil der Versorgung entschieden
worden und es könne sich nach weiterer Überprüfung unter ärztlicher Beteiligung eine Veränderung der Leistungen ergeben, unterfällt
dies gerade nicht der Ziffer 1 der "Anlage", die sich allein auf die Regelung zum Vorbehalt stützt. Ausdrücklich wird hier
genannt, dass über einen Berufsschadensausgleich noch entschieden werde. Dem Text des Bescheides selbst ist auch zu entnehmen,
dass noch über eine besondere berufliche Betroffenheit entschieden werden müsse. Im Übrigen zeigt die dem Bescheid zu Grunde
liegende "Aktenverfügung" vom 12. September 1991, dass eine Nachuntersuchung - die ggf Grundlage für die Annahme sein könnte,
an der medizinischen MdE könnte sich ("nach weiterer Überprüfung unter ärztlicher Beteiligung") noch etwas ändern -, nicht
mehr vorgesehen war.
Nach den vom LSG getroffenen, nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen angegriffenen, das Revisionsgericht mithin bindenden
Feststellungen (§
163 SGG) haben sich bei K die gesundheitlichen Verhältnisse - nämlich die Beweglichkeit des Hüftgelenks nach Implantation eines künstlichen
Hüftgelenks im Juli 1992 - gegenüber jenen im Dezember 1991 wesentlich gebessert. Diese Änderung in den tatsächlichen Verhältnissen
ermächtigt den Beklagten nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch - Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz - (SGB X), den maßgeblichen Verwaltungsakt über die dem K bewilligte Versorgung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Die Vorschrift
des § 62 Abs 3 Satz 1 BVG, die nach der vorliegenden ständigen Rechtsprechung des BSG gegenüber den verwaltungsverfahrensrechtlichen Regelungen der
§§ 45, 48 SGB X die speziellere Norm ist (vgl SozR 3-3100 § 62 Nr 4 S 13, 17 mwN), schützt die Versorgungsempfänger zwar nicht nur gegen den Eingriff wegen einer rechtswidrig gewordenen,
sondern auch gegen einen Eingriff wegen einer anfänglich rechtswidrigen Anerkennung (BSG SozR 3-3100 § 62 Nr 1, 2, 3 S 12
mwN); die Vorschrift ist aber nicht auf den vorliegenden Sachverhalt in einer für den Ehemann der Revisionsklägerin günstigen
Auslegung anzuwenden.
2. § 62 Abs 3 Satz 1 BVG idF der Bekanntmachung vom 22. Januar 1982 (BGBl I 21) lautet:
Bei Versorgungsberechtigten, die das 55. Lebensjahr vollendet haben, ist die Minderung der Erwerbsfähigkeit wegen Besserung
des Gesundheitszustandes nicht niedriger festzusetzen, wenn sie in den letzten zehn Jahren seit Feststellung nach diesem Gesetz
unverändert geblieben ist.
Das Gesetz verknüpft mithin drei Tatbestandsvoraussetzungen:
- die Altersgrenze des vollendeten 55. Lebensjahres
- einen unverändert gebliebenen Gesundheitszustand
- einen Mindestzeitraum von 10 Jahren seit der letzten MdE-Feststellung.
Im Blick auf das letztgenannte Kriterium geht auch die Revision davon aus, dass der Wortlaut der Vorschrift der Herabsetzung
der MdE von 70 vH auf 60 vH nicht entgegensteht; zwar hatte K die Altersgrenze überschritten, auch ist anzunehmen, dass sein
Gesundheitszustand bis zu der Operation im Juli 1992 zehn Jahre lang unverändert geblieben war, es fehlt jedoch an dem Ablauf
der Zehnjahresfrist seit der letzten MdE-Feststellung. Die "letzte" (hier erstmalige) Festsetzung einer MdE um 70 vH nach
dem BVG erfolgte bei K nämlich erst mit dem Wirksamwerden des Bescheids vom 16. Dezember 1991 bei dessen Bekanntgabe (vgl BSGE 19,
204; § 39 Abs 1, § 37 Abs 2 SGB X; dazu näher Sailer/Wilke, SozEntschR, 7. Aufl 1992, § 62 BVG RdNr 31).
Die Revision verfolgt deshalb auch nicht etwa eine wortgetreue Anwendung von § 62 Abs 3 BVG; ihr geht es vielmehr um eine "entsprechende Anwendung" dieser Vorschrift mit dem Ziel, eine vermeintlich sachlich nicht
gerechtfertigte Gleichbehandlung von Kriegsbeschädigten in den alten und neuen Bundesländern zu vermeiden. Diese geht dahin,
die gesetzliche, auf die letzte MdE-Feststellung bezogene Zehnjahresfrist bei Versorgungsberechtigten mit Wohnsitz in den
neuen Bundesländern entweder auszusparen oder aber "angemessen zu reduzieren".
Es ist schon fraglich, ob die Fristbestimmung in § 62 Abs 3 BVG überhaupt einen Ansatzpunkt für die Annahme einer "Regelungs-" bzw einer planwidrigen Gesetzeslücke bietet (zu deren Voraussetzungen
stellvertretend Senatsurteil vom 28. Juli 1999, SozR 3-3100 § 62 Nr 3 S 12 mwN). Der Ausnahmecharakter des § 62 Abs 3 BVG stünde zwar generell einer analogen Anwendung nicht entgegen (vgl BSG SozR 3-3100 § 62 Nr 3; Nr 4 S 18 mwN). Soweit die Klägerin
sich zur Begründung dafür auf Regelungen wie in § 40b Abs 5, § 48 Abs 6 BVG bezieht, spricht sie die Berechnung von Pflegeausgleich oder Beihilfe für Hinterbliebene an. Der Gesetzgeber hat hier Fiktionen
zur Begründung von eigenen Ansprüchen für Antragsteller in den neuen Bundesländern vorgesehen; anders als in § 62 Abs 3 BVG wird dabei aber nicht ein jahrelanger eigener tatsächlicher Leistungsbezug des Berechtigten geschützt, sondern es werden
bezogen auf den verstorbenen Kriegsbeschädigten bestimmte Tatbestandsmerkmale fingiert, um den Hinterbliebenen zu entsprechenden
Leistungsansprüchen zu verhelfen. Diese gesetzgeberischen Maßnahmen erlauben mithin nicht den Schluss, der Gesetzgeber habe
im Rahmen des § 62 Abs 3 BVG "versehentlich" eine entsprechende Vergünstigung unterlassen. Dagegen spricht auch der Umstand, dass selbst die nach dem
Rundschreiben des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung (BMAS) vom 30. Januar 1997 - VII 1-51011-2 - vorgesehene
Gesetzesänderung nicht verwirklicht worden ist. Danach sollte die Zehnjahresfrist für Versorgungsberechtigte im Beitrittsgebiet
erst mit Wirkung vom 1. Januar 1997 entfallen.
Auch im Hinblick auf die Grundrechte des K bzw der Klägerin (als seiner Rechtsnachfolgerin) ist eine richterrechtlich begründete,
verfassungskonforme Anwendung der Norm - hier im Wege einer teleologischen Reduktion - durch "Abschmelzung" der Zehnjahresfrist
in einem für K relevanten Umfang nicht geboten. Anders als die Revision meint, ist die Anwendung der Zehnjahresfrist gleichermaßen
auf Versorgungsberechtigte in den alten wie den neuen Bundesländern in Ansehung der besonderen Verhältnisse von Versorgungsberechtigten
in den neuen Bundesländern grundsätzlich nicht sachwidrig; sie verletzt die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihres versorgungsberechtigten
Ehemannes nicht in ihrem Grundrecht aus Art
3 Abs
1 GG (zu den verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine sachwidrige Gleichbehandlung vgl nur BSG, Urteil vom 13. Oktober
2005 - B 10 EG 4/05 R -, SozR 4-7833 § 6 Nr 3 mwN).
§ 62 Abs 3 BVG stellt auf den Fristablauf "seit Feststellung nach diesem Gesetz" ab und macht damit deutlich, dass es auf einen mindestens
zehnjährigen Leistungsbezug nach einer unveränderten MdE ankommt. Ob die MdE der Sache nach bereits vor ihrer erstmaligen
Festsetzung in dieser Höhe bestanden haben mag, ist ohne Belang. Rechtlich relevant sind ausschließlich die gesundheitlichen
Verhältnisse im Einzelfall des Versorgungsberechtigten bei der Festsetzung, nicht aber andere Umstände, wie etwa die Lebensverhältnisse
in den neuen Bundesländern generell oder die von der Klägerin angeführten Gesichtspunkte, auf die das BVerfG im Urteil vom
14. März 2000 (BVerfGE 102, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3) abgestellt hatte (Geltung der sog immateriellen Komponente der Beschädigtengrundrente und ihre
Genugtuungsfunktion für Kriegsopfer im Westen wie im Osten). Deshalb ist es insbesondere unerheblich, wann die Schädigung
(hier am 16. April 1944) eingetreten ist.
Der Besitzstandsschutz nach mindestens zehnjährigem Leistungsbezug tritt erst ein, wenn der Versorgungsberechtigte das 55.
Lebensjahr vollendet hat; diese "Altersgrenze" schützt die Versorgungshöhe somit - neben Mindestzeit und Gesundheitsentwicklung
- nur als eines von drei Tatbestandsmerkmalen vor Einschränkungen, nicht aber absolut und isoliert: Das bloße Erreichen der
"Altersgrenze" löst den Besitzschutz nicht aus. Schon bei der Ursprungsfassung des § 62 Abs 3 BVG vom 27. Juni 1960 mit ihrer Altersgrenze bei 60 Lebensjahren war vor allem beabsichtigt, die Behelligung älterer Versorgungsempfänger
durch medizinische Ermittlungen möglichst zu vermeiden (vgl zur Entstehungsgeschichte Senatsurteil vom 28. Juli 1999, SozR
3-3100 § 62 Nr 3 S 9, 12 mwN zu den Gesetzgebungsmaterialien, Bestätigung von BSG SozR 3-3100 § 62 Nr 1 >s dort S 4 f<; vgl
auch Wilke/Sailer aaO). Im Kern geht es darum, den Gesichtspunkt des Besitzstandsschutzes gegen Herabsetzungen desjenigen
Vomhundertsatzes der MdE in Stellung zu bringen, auf den die - seit der Neufassung vom 28. Dezember 1966 - über 55-jährigen
Versorgungsberechtigten durch Zeitablauf vertraut haben (so expressis verbis "besonderer Bestandsschutz für über 55-jährige
Beschädigte": Senatsurteil vom 12. Dezember 1995, SozR 3-3100 § 62 Nr 2 LS 2; vgl entsprechend zum Besitzstandsschutz für
die Höherbewertung der MdE wegen besonderen beruflichen Betroffenseins: Senatsurteil vom 24. Juni 1998, BSGE 82, 169, 170 f = SozR 3-3100 § 30 Nr 20 S 54).
Die Revision kann nicht mit dem Urteil des BSG vom 24. Juni 1998 (aaO) argumentieren. Im Zusammenhang mit einem Streit über
die Erhöhung nach § 30 Abs 2 BVG hat der erkennende Senat dort Folgendes ausgeführt (aaO, S 171): "Eine Besonderheit ergibt sich allerdings für Beschädigte,
die in der früheren DDR gelebt haben und - wie der Kläger - schon vor der Wiedervereinigung aus dem Erwerbsleben ausgeschieden
waren. Sie konnten erst nach Inkrafttreten des BVG im Beitrittsgebiet, also ab 1.1.1991 (vgl EinigVtr vom 31.8.1990 - BGBl II 889 - Anl I Kap VIII Sachgebiet K Abschn III Nr
1), Ansprüche nach dem BVG geltend machen. Der Gleichheitssatz des Art
3 Abs
1 GG gebietet jedoch, sie so zu behandeln wie die Rentner, die vor der Wiedervereinigung in den alten Bundesländern gelebt haben
und schon vor dem Ende ihrer Erwerbstätigkeit die Erhöhung der Versorgung nach § 30 Abs 2 BVG beantragen konnten und beantragt haben."
Diese Grundsätze greifen nicht im vorliegenden Fall. Der Senat hatte seinerzeit über den Anspruch eines Beschädigten entschieden,
der die Gewährung von Versorgung erstmals nach dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben beantragt hatte und dem eine Erhöhung
nach § 30 Abs 2 BVG wegen drohender wirtschaftlicher Einbußen bei der Altersversorgung zukam; dann sollte es keinen Unterschied machen, je nach
dem ob ein Beschädigter beim Ausscheiden aus dem Erwerbsleben entweder in den alten Bundesländern oder - vor der Wiedervereinigung
- in den neuen Bundesländern ansässig war. Dabei nahm der Senat Rücksicht auf den Umstand, dass bei Beschädigten in den Grenzen
der alten Bundesländer vor der Wiedervereinigung eine Erhöhung nach § 30 Abs 2 BVG auch dann in Betracht kam, wenn sie die Gewährung von Versorgung erstmals nach ihrem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben beantragt
hatten. In diesem Fällen geht es mithin nicht um einen Besitzstandsschutz auf Grund jahrelangen tatsächlichen Leistungsbezuges,
sondern um die Gleichbehandlung in Ansehung eines bei Antragstellung aktuellen beruflichen Schadens (vgl BSGE 82, 169, 171; BSG SozR 3100 § 30 Nr 22 S 93, jeweils mwN). Der Senat kann deshalb offen lassen, ob er den seinerzeitigen (großzügigen)
Wertungen im Lichte neuerer Erkenntnisse zur (differenzierten) Anwendung von Art
3 Abs
1 GG auf die Versorgungsberechtigten in den neuen Bundesländern jetzt noch folgen würde (vgl zu § 84a BVG BSG SozR 4-3100 § 84a Nr 1, 2, 7; zum
OEG: SozR 4-3800 §
10a Nr 1, SozR 4-1500 § 160 Nr 5 mwN). Jedenfalls sind die Sachverhalte und die rechtlichen Rahmenbedingungen (dort richterrechtliche Wertungen, hier
strikte gesetzliche Festlegung) nicht vergleichbar.
Die von der Revision angegriffene Anwendung der Zehnjahresfrist auf Fälle der vorliegenden Art ist die praktische Folge der
Einführung des BVG nach der deutschen Vereinigung 1990, denn Deutsche in der DDR - wie hier K - kamen bis dahin nicht in den Genuss dieser Entschädigung,
konnten mithin bis dahin auch nicht eine Leistungsbezugsdauer iS des § 62 Abs 3 BVG aufbauen. Die territoriale Einheit führte im Übrigen auch nicht sofort zur Rechtseinheit; das BVG galt nämlich im Beitrittsgebiet erst ab dem 1. Januar 1991 und von diesem Zeitpunkt an mit den im Einigungsvertrag (EinigVtr) genannten Maßgaben (vgl Anl I Kap VIII K III Nr 1 Buchst m EinigVtr; dazu Senatsurteil vom 10. August 1993, BSGE
73, 41, 43 = SozR 3-3100 § 84a Nr 1 S 3). Vor Einführung des BVG im Beitrittsgebiet zum 1. Januar 1991 war mithin keine individuelle Rechtsposition des Beschädigten hinsichtlich der Versorgung
wegen im Krieg erbrachter besonderer Gesundheitsopfer vorhanden, eine solche wurde vielmehr durch die Einführung des BVG im Beitrittsgebiet überhaupt erst geschaffen. Auch wenn man davon ausgeht, dass der Opfergedanke den Gesetzgeber verpflichtet,
eine Entschädigungsregelung zu schaffen, so folgt hieraus nicht, dass diese Regelung gerade so sein müsste, wie sie sich in
Jahrzehnten in der alten Bundesrepublik entwickelt hat (vgl BSG aaO).
Auch sonst ist nicht erkennbar, welche verfassungsrechtlichen Gründe sich für eine Position finden lassen könnten, die dem
K einen fiktiven Leistungsbezug - für die Zeit vor dem 1. Januar 1991 mit einer MdE um 70 vH - verschaffen könnten. Das BVerfG
ist - ebenso wie der erkennende Senat im Urteil vom 10. August 1993 (aaO) - ohne nähere Begründung von der Verfassungsmäßigkeit
der Erstreckung des BVG auf das Beitrittsgebiet ausgegangen (vgl dazu BVerfGE 102, 41 = SozR 3-3100 § 84a Nr 3 S 18). Der Hinweis auf andere rechtliche Regelungen des BVG, die die von der Revisionsklägerin gewünschte Fiktion enthalten, führen nicht weiter. Sie bestätigen vielmehr, dass der Gesetzgeber
vorliegend nur ein tatsächliches Vertrauen in einen Besitzstand schützen wollte. Selbst wenn man annehmen wollte, unter Berücksichtigung
der Situation der Kriegsbeschädigten in den neuen Bundesländern könnte eine angemessene Verkürzung der Zehnjahresfrist sachlich
geboten erscheinen, würde dies der Klägerin nicht zugute kommen, da die schädigungsbedingte MdE ihres Ehemannes nach der im
Dezember 1991 erfolgten Feststellung weniger als ein Jahr (Hüftgelenksoperation im Juli 1992) unverändert geblieben ist. Insoweit
kommt es auf die Rechtsqualität des Rundschreibens des BMAS vom 30. Januar 1997 - VI 1-51011-2 - nicht weiter an; die Fiktion
einer Erfüllung der Zehnjahresfrist greift danach in Fällen wie hier erst ab dem 1. Januar 1997.
Die Kostenentscheidung beruht auf §
193 SGG.